Predigt Markus 10/2-9 20. Sonntag nach Trinitatis 02.11.03 "Das
kann der Mensch nicht scheiden" |
Liebe Leser,
in seinem Film „Mein Essen mit Andre´“ lässt der Regisseur Luis Malle seinen Schauspieler sagen: „Wenn du lange mit jemandem zusammengelebt hast, wirst Du ständig hören: Was ist das bloß? So toll wie früher ist es auch nicht mehr, aber das ist ja natürlich. Der erste Blütenstaub ist weg. Aber so ist das nun mal. Ich bin gar nicht dieser Meinung, aber ich denke, du müsstest dir eigentlich ständig diese Frage stellen - und zwar mit schonungsloser Offenheit: Ist meine Ehe überhaupt noch eine Ehe? Ist das sakrale Element noch da? Genau wie die Frage nach dem sakralen Element in deiner Arbeit: Ist es noch da? Glaub mir es ist ein ziemlich schreckliches Erlebnis, plötzlich sagen zu müssen: Mein Gott, ich dachte ich hätte mein Leben gelebt, aber ich hab überhaupt nicht gelebt. Ich habe die Rolle des Vaters gespielt ebenso wie die des Ehemannes. Ich hab mit jemandem im gleichen Zimmer gelebt, hab ihn aber nicht bemerkt. Ich hab ihn auch niemals gehört, war nie wirklich mit ihm zusammen. Ja, ich weiß, manche Leute, die leben oft völlig aneinander vorbei. Ich meine, das Gesicht des Betreffenden könnte sich in ein Wolfsgesicht verwandeln - und es würde gar nicht auffallen. Es würde gar nicht auffallen. Nein, es würde gar nicht auffallen." (Michael Lukas Moeller, Die Wahrheit beginnt zu zweit, Rowohlt, 1993, S.10) Auffallen tut eine solche Einsamkeit zu zweit erst, wenn die so vereinsamten auseinander gehen. Und das geschieht mittlerweile in jeder dritten Ehe. Zurück bleiben nur Verlierer: der der verlässt, der der verlassen wird, und nicht zuletzt die Kinder, die die Kapitulation vor einem ungelösten und unlösbar gewordenen Problem als Hypothek in ihre eigene Zukunft mitnehmen. Von denen, die beieinander bleiben gibt es nichts besseres zu berichten. „Nach Einschätzung der Mehrheit verlaufen die meisten Ehen gleichgültig oder unglücklich. Das ergibt die letzte repräsentative Umfrage in Deutschland von 1987“. (Moeller, a.a.O. S.24) Besonders wer als Kind eine solche Ehe seiner Eltern erlebt hat, heiratet erst gar nicht. Ein Drittel unserer Bevölkerung lebt inzwischen als Single. Und wird auch nicht glücklich, wie die abertausenden Kontaktanzeigen täglich beweisen. So fügt sich das Bild einer echten uns alle bedrohenden Not. So fügt sich das Bild einer echten uns alle bedrohenden Not. Womit wir genau den Blickwinkel haben, mit dem Jesus in unserem heutigen Predigttext auf die Not scheiternder Beziehungen zwischen Mann und Frau blickt. Und der ist ein anderer, als der der Pharisäer, die auch wir alle Zeit unter uns haben. Sie fragen: Was darf ich mir als Mann, gegenüber meiner Frau oder umgekehrt herausnehmen, ohne die gute Seite der Gebote Gottes zu verlassen. Jesus antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden. Auch wenn in den jüdischen Kommentaren Uneinigkeit über den angemessenen Anlass für einen Scheidebrief herrscht: Muss es erst eine ernste Verfehlung der Frau sein, oder ist es schon hinreichend, wenn sie das Essen anbrennen lässt. Jesus lässt sich auf diese Diskussion nicht ein. Er entlarvt in seiner Antwort die Not, die schon in der Frage der Pharisäer steckt. Weil ihr, auch ihr Pharisäer, ein Herz aus Stein habt, hat Mose euch dieses Gebot gegeben, damit sich die Folgen euerer Hartherzigkeit wenigsten einigermaßen sozial verträglich gestalten. Und so ist es bis auf den heutigen Tag. Die Folgen werden abgefedert, die Ursachen bleiben bestehen. Damit gibt sich Jesus der Heiland nicht zufrieden. Was aber macht steinerne Herzen wieder heil und lebendig? Ein eisernes Scheidungsverbot? Die Gescheiterten einmauern in „die Grüfte ihrer Probleme, unterste Verdammnis der Liebe, wo die Seelen schon zu riechen beginnen?“ (Botho Strauß, Diese Erinnerung ..., dtv 19007, 1992, S.42) Die Not wegsperren hinter einer Fassade, die lebenslang mühsam aufrecht zu halten ist? Nein, Jesus geht in dieser Frage einen anderen Weg. Er fängt an vom Menschen zu reden, nein besser, vom schaffenden Gott. Von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. Auf den Grund meditiert sagt dieser Satz, dass Gott den Menschen gerade nicht als Individuum, als einzelnes Ich, als Einzelkämpfer und Self-made-Menschen schafft, sondern als Beziehungswesen, als korporative Person. Und die zwei werden ein Fleisch, besser übersetzt: ein lebendiges Wesen sein. Die Einsamkeit zu zweit ist die Einsamkeit von Zweien, die ihre Menschlichkeit verfehlen. Mein Gott, ich dachte ich hätte mein Leben gelebt, aber ich hab überhaupt nicht gelebt, sagt der Schauspieler im Film. Und wer, wie die Pharisäer, fragt, was er sich dem anderen gegenüber mit Recht herausnehmen kann, macht den anderen zum Objekt seiner Wünsche und Bedürfnisse und verfehlt dessen Menschlichkeit und seine eigene. In solchen Beziehungen ist auf Dauer kein Platz für zwei. Der Frankfurter Paarpsychologe Moeller schreibt: „Der Individualismus ist ein kollektiver Versuch zu verleugnen, dass wir miteinander in Beziehungen und damit in wechselseitiger Abhängigkeit leben. Das Ich ist keine unabhängige Größe." (Moeller, a.a.O., S.166) Auch seine Wahrheit beginnt zu zweit oder gar nicht. Es ist dem Ich deshalb unmöglich sich selbst zu verwirklichen. Es braucht die Beziehung zum anderen. Das spricht gegen so ziemlich alles, was in unserer Gesellschaft heute angesagt ist. Bloß nicht abhängig sein, bloß nicht zu kurz kommen. Aber was bewirkt diese Angst um das Ich? Eine Gesellschaft der steinernen Herzen? Nicht mehr, sondern weniger Leben? Eine uns alle bedrohende Not! Angesichts dieser Not bringt Jesus die Beziehung zum Mann und zur Frau, das Beisammensein, das Angewiesen sein nicht als Gebot und Verbot, sondern als Gottes Schöpfungsgeschenk, als Chance für das angstvolle Ich, neu zur Geltung. Das steinerne Herz ist nicht glücklich und vor allem: Es ist verstummt. Mag schon sein, dass wir draußen im Leben heute so vielen Schwätzern ausgesetzt sind, dass wir das häusliche Schweigen genießen. Aber ist es nicht so, dass wir zwar leicht über alles mögliche Reden können, auf der anderen Seite aber immer schwerer über uns selbst, über das, was uns auf dem Herzen liegt? Statistisch gesehen verbringt das durchschnittliche Paar heute drei bis fünf Stunden vor dem Fernseher. Miteinander redet es pro Tag gerade mal acht Minuten. Und dann darüber, wer das Kind abholt, warum der Klodeckel schon wieder hochgeklappt ist und wer den Zettel von der Reinigung verschmissen hat. Wir wollten einfach nur glücklich sein, aber wir konnten nicht miteinander reden, sagt ein Paar, das sich trennte. Ja wie sollen unsere Herzen auf Dauer füreinander schlagen, wenn wir unfähig werden, sie füreinander einfühlbar zu machen, ohne das Gespräch aus dem Herzen? Wie sollen wir eins werden und bleiben? Grenzenlos ist die Sehnsucht es möge von selbst geschehen und der erste Blütenstaub möge ewig bleiben. Beides ist Illusion. Und so fragt sich der Schauspieler im Film mit schonungsloser Offenheit: Ist meine Ehe überhaupt noch eine Ehe? Ist das sakrale Element noch da? Und er fragt in die richtige Richtung. Betrachtet einmal euere Beziehung zu dem Menschen, den ihr liebt, mit dem ihr lebt und verbunden seid. Und fragt nicht mit den Pharisäern: Was ist mir erlaubt? Sondern den Worten Jesu gemäß: Was ist mir geschenkt? Was ist zwischen uns Gottesgeschenk, sakrales Element. Das haltet am Leben im Gespräch euerer Herzen. Und ihr werdet erfahren: Das kann der Mensch nicht scheiden.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof) |
Text:
10,2 Und Pharisäer traten zu ihm und fragten ihn,
ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn
damit. |