Liebe Leser, als Rabbi Mosche Löb von Sasow gestorben war, sprach er zu sich:
„Nun bin ich aller Gebote ledig geworden. Womit kann ich jetzt noch
Gottes Willen tun?“ Er bedachte sich: „Sicher ist es Gottes Wille,
dass ich für meine unzähligen Sünden Strafe empfange!“ Sogleich lief
er mit seiner ganzen Kraft und sprang in die Hölle. Darüber gab’s im
Himmel große Unruhe und bald bekam der Höllenfürst einen Erlass:
Solange der Rabbi von Sasow dort ist, soll das Feuer ruhn. Der Fürst
bat den Zadik (Heiligen), sich nach dem Paradies hinwegzubegeben,
denn hier sei nicht sein Platz; es gehe nicht an, dass die Hölle
seinetwegen feiere. „Ist dem so“, sagte Mosche Löb, „dann rühre ich
mich nicht weg, bis alle Seelen mitgehen dürfen. Auf Erden habe ich
mich mit der Auslösung Gefangener abgegeben, da werde ich doch diese
Menge da nicht im Kerker leiden lassen!“ Und er soll es durchgesetzt
haben. (Martin Buber, in „Die Blumen des Blinden“, Graf, Lore
(Hrsg.), Kaiser, 1983, S. 110)
Wie unser Herr Jesus Christus! Eine schöne Geschichte, um zu
verdeutlichen, was der Christus mit dem „Lösegeld für viele“ meint.
Der Christus begibt sich dorthin, wo Menschen in Ketten liegen, um
diese Ketten zu sprengen. Sein Kreuz ist alles andere als eine
billige Angelegenheit und so geht es in unserer heutigen Geschichte
denn auch nicht um die christliche Bescheidenheit. „Ihr seid teuer
erkauft“, ruft der Apostel Paulus den Nachfolgern des Christus zu,
„werdet nicht der Menschen Knechte“. (1. Korinther 7/23)
Rufen wir uns deshalb erst einmal ins Bewusstsein, dass Gott zum
Dienst der Liebe für uns und diese Welt sein Bestes nicht zu schade
ist. Im Dienst Gottes für die Welt steckt sein Ein und Alles, seine
Herrlichkeit und Macht, seine Weisheit und sein ewiges Wort. Das ist
sein Wille. Gott regiert mit der Macht seiner Liebe. Diese Liebe hat
unsere Freiheit im Blick. Niemand soll in seinem Kerker, in
Sklaverei und Knechtschaft, in Schuld, Leid und Tod, und schon gar
nicht in der Hölle sitzen bleiben.
Lassen wir deshalb nicht zu, dass sich in die Rede vom Dienen und
vom Dienst in der Kirche Jesu Christi der falsche Ton der Ermäßigung
einschleicht. Dienst im christlichen Sinne ist Nachfolge und
Anteilhabe am Dienst des Gekreuzigten.
Es ist nicht neu, dass solcher Dienst nicht plausibel ist; dass sich
Gottes Dienst für die Welt nicht von selbst versteht. „Haudraufundschluss“
das leuchtet uns ein, seit unser Urahn den ersten Knochen gegen
seinesgleichen erhob. Und so sind die Stühle, die Jakobus und
Johannes so verlockend finden, denn auch die Stühle der
absoluten Macht und des letzten Gerichts. Dort sitzt der, der
das letzte Wort hat. Seien wir froh, dass der Christus dort keine
Plätze links und rechts neben sich duldet, dass wir nicht offenbar
werden müssen vor den Richterstühlen des Jakobus und des Johannes,
sondern vor dem Richterstuhl des Christus (2. Korinther 5/10).
Dort sitzt der, der sanftmütig und von Herzen demütig ist (Matthäus
11/29) und eben deshalb nach dem Willen seines himmlischen Vaters
zum Pantokrator, zum Herrscher des Universums, bestimmt wird. Der
weist seine Jünger in den Dienst ein und stellt ihnen doch
gleichzeitig vor Augen, was sie Gott wert sind. Hier darf es keinen
falschen Ton der Ermäßigung geben, nicht im Hinblick auf den
Christus und sein Evangelium und ebenso wenig im Hinblick auf die,
die er in seinen Dienst ruft.
Deshalb kann sich die Kirche hier auf dieser Welt nicht vor der
Aufgabe drücken, ihrem Leben eine Struktur und Gestalt zu geben, die
diesem Evangelium entspricht. Kirchliches Leben hat die Freiheit der
Kinder Gottes zu bezeugen, statt z.B. in die falsche Knechtschaft einer
Dienstleistungskirche hineinzuführen, die sich allerorten anbiedert
und verzweifelt versucht, ihre Nützlichkeit nachzuweisen. Die sich
und die Ihren zu Knechten des Zeitgeistes macht, zu Knechten der
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer
vermeintlichen Kunden. Wie tief werden wir in Zukunft noch kriechen
müssen für Fundraising und Mitgliederwerbung? In so manchen Papieren
zur Entwicklung der Kirche taucht das Evangelium nur noch in der
Präambel auf oder wird gleich als selbstverständlich vorausgesetzt.
Verschämt wird es vorgezeigt, wie ein abgegriffener
Mitgliederausweis für einen Verein, der seine besten Zeiten längst
hinter sich hat und für den man heute nirgends mehr Rabatt bekommt.
Wie elend und abgerissen muss unsere geistliche Kleidung noch
werden, bevor wir uns wieder besinnen, wie es bei uns eigentlich
ist? Wie es in der Welt ist, sollten wir wissen. Aber so ist es bei
euch nicht! Ist, sagt Jesus, weil Nachfolge Jesu Teilhabe an seinem
Dienst für die Welt ist oder in jedem anderen Fall sofort der
Knechtschaft dieser Welt verfällt! Wer sich zum Erfolg verdammt,
wird blind und taub für das Evangelium. Erst wird die Predigt dieses
Evangeliums verflachen und sich dann verflüchtigen. Das ist der
letzte Aggregatszustand des Evangeliums in einer Kirche des Erfolgs
und der Anbiederung an die jeweiligen gesellschaftlichen
Verhältnisse.
In einem Artikel über Mobbing und Willkür in der Evangelischen
Kirche, schreibt die Theologieprofessorin Gisela Kittel in der
Februarausgabe des Deutschen Pfarrerblatts: „Wo sind die
Kirchenleitungen, die mit dem ernst machen, was in den Präambeln und
Grundartikeln ihrer Verfassungen steht – dass nicht sie, auch nicht
ihre Synoden, die Kirche regieren, sondern die Kirche ein Haupt hat,
einen Herrn, und dass sie bei allen Entscheidungen – auch den
Entscheidungen nach innen – zu bedenken haben, was dem Evangelium
von Jesus Christus gemäß ist?
Doch auch der Pfarrerschaft muss die Frage gestellt werden, wer oder
was sie denn noch sein will? Sind Pfarrer und Pfarrerinnen Manager
eines Gemeindebetriebs? Freizeitgestalter? Moderatoren, die
möglichst viele Gemeindeaktivitäten unter einem Dach halten? Oder
sind sie ‚ministri verbi divini‘, Diener des Wortes Gottes, deren
eigentliche Aufgabe darin besteht, auf dieses Wort zu hören und es
heutigen Menschen in Treue auszurichten?
Ich wage zu behaupten: Wer nicht mehr minister oder ministra verbi
divini, Diener oder Dienerin des Wortes Gottes, sein will, wird zum
Bediensteten der Menschen. Wer sich nicht mehr Jesus Christus zu
Eigen weiß, fällt in die Hände der Menschen. Denn Freiräume gibt es
nicht. Wir alle, auch unsere Kirchen und ihre Leitungen, werden
regiert, entweder von Jesus Christus oder von den Ideologien, Trends
und Mächten dieser Welt.“ Zitat Ende.
Das muss so sein, weil der Dienst des Christus für die Welt nicht
plausibel und selbstverständlich ist; weil sein Kreuz nach der
Weisheit dieser Welt ein Zeichen des Misserfolgs und des Scheiterns
ist, und weil es deshalb eher unwahrscheinlich ist, dass die Aktien
des Evangeliums in unserer Leistungsgesellschaft hoch im Kurs
stehen. Müssen wir uns dann wundern, wenn wir uns als Kirche oder in
unserem ganz persönlichen Leben immer wieder einmal unter dem Kreuz
unseres Herrn wieder finden?
Panik kann schon aufkommen beim Blick nach oben auf die nackte
Gestalt des Elends zwischen Himmel und Erde. Ja, ihr werdet den
Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit
der ich getauft werde, sagt Jesus. Aber ihr werdet euch dann in
meinem Dienst für euch wieder finden, in der höchsten Wertschätzung,
die es für euch überhaupt geben kann: In der Wertschätzung Gottes.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen
lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für
viele.
Darin liegt die Antwort auf die Frage, die auch in Jakobus und
Johannes wuchert: Was hat man davon, ein Nachfolger und Jünger Jesu
zu sein? Nicht den Stuhl des letzten oder vorletzten Gerichts, nicht
das letzte Wort - Gott sei Dank - aber die ungeteilte Liebe und Güte
Gottes! Nicht die unbeschränkte Macht und oft nicht einmal Erfolg,
aber die Freiheit der Kinder Gottes. Wer von ihr lebt, ist ein
dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan, wie Luther
formuliert hat, und ein freier Herr aller Dinge und niemandem
untertan. (Luther: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“) Kirche
für andere kann die Kirche nur sein, wenn sie ganz bei ihrem Herrn
Jesus Christus ist.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die
Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für
uns tust, um was wir dich bitten werden.
36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner
Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet.
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen
mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu
ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und
getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht
mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die
es bestimmt ist.
41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und
Johannes.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als
Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun
ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter
euch, der soll euer Diener sein;
44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht
sein.
45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich
dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld
für viele.
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