Predigt     Markus 13/31-37     Ewigkeitssonntag     25.11.07

"Höhlenmensch oder Hochzeitsgast? "
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

in einer Höhle sitzen 29 Menschen, darunter vier Kinder, eines gerade mal eineinhalb Jahre alt. Gasflaschen, Kerosin, Honig und Marmelade haben sie mitgenommen. Sie verbarrikadieren sich und warten auf den Untergang der Erde im nächsten Mai. Scheinbar hoffen sie, in ihrer Höhle die Apokalypse zu überstehen. Von diesem Geschehen bei Pensa an der Wolga hat vor zwei Wochen die Zeitung berichtet. Die Liste der religiösen Sondergruppen, die das genaue Datum des Weltuntergangs kennen, ist lang: Sie haben es aus der Bibel berechnet oder es wurde ihnen ganz persönlich offenbart. Allerdings haben sie sich bis jetzt alle getäuscht. Andere Untergangsprediger führen uns das Ozonloch und den steigenden Meeresspiegel vor Augen. In nicht allzu ferner Zeit wird das Wasser ganze Länder wie die Niederlande verschlingen, und Millionen von Menschen werden heimatlos. Kriege und Terroranschläge nehmen kein Ende. Das sind Vorboten des unmittelbar bevorstehenden Endes der Welt, sagen sie.

Himmel und Erde werden einmal vergehen, das sagt auch Jesus. Aber er enthält sich jeder Spekulation, ja er führt alle menschlichen Berechnungen ad absurdum, wenn er nüchtern feststellt: Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand. Auch nicht die Engel, die in der Gegenwart Gottes leben, wissen bescheid, und nicht einmal er selbst als Sohn Gottes. Allein der Vater weiß, wann es mit der Welt zu Ende geht. Deshalb sind alle Berechnungen und alle Versuche, die Zeichen der Zeit zu deuten, sinnlos.

Und genauso sinnlos ist es, das eigene Lebensende zu berechnen. Sie haben richtig gehört: Auch dazu habe ich eine Formel gefunden: Man gebe sein Gewicht ein, sein Geburtsdatum, seine körperliche Belastung und erhalte sein Sterbedatum. Dumm nur, wenn dann doch etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommt, und man früher stirbt. Aber eines ist gewiss: Einmal wird es an unserer Tür klopfen wie an die Tür des Brandner Kaspers, und der Gevatter Tod wird uns besuchen. Und dann werden wir mit ihm aufbrechen müssen, denn auf Verhandlungen wie mit dem Brandner Kasper lässt sich der Tod in den wenigsten Fällen ein.

Viele Gemeindeglieder hat er letztes Jahr geholt. Mir ist die Mutter vor Augen, die letztes Jahr ihre erwachsene Tochter verloren hat. Sie sitzt bei meinem Besuch einige Wochen nach der Beerdigung am Tisch, die Tränen in den Augen. Ich habe gespürt, wie mit dem Tod der Tochter ein Teil vom Leben der Mutter mit zu Grabe getragen wurde. Das Bild der Tochter steht auf dem Wohnzimmerschrank und erinnert an sie. Beim Nachgrübeln kommen ihr viele Gespräche und gemeinsame Erlebnisse in den Kopf. Die Verstorbene gewinnt Gestalt, als wäre sie noch da. Aber sie ist nicht nicht mehr greifbar. In diesen Tagen wird die Mutter wahrscheinlich auf den Friedhof gehen, und da den toten Stein sehen. Und dann steht das erste Weihnachtsfest vor der Tür, an dem ihre Tochter nicht mitfeiern wird. Himmel und Erde werden vergehen – diese Worte dringen auf einmal in mein Herz ein und sie schmerzen mich. Für die Mutter war ihre Tochter ein Stück ihres Himmels und ihrer Erde. Für die Mutter sind Himmel und Erde ein Stück weit vergangen. Sie sitzt in der Höhle ihrer Trauer.

Jesus blickt dieser Realität ins Auge und verdrängt sie nicht: „Himmel und Erde werden vergehen.“. Aber er hält dieser Realität des Vergehens etwas entgegen: „Meine Worte aber werden nicht vergehen.“ Hier stehen also Himmel und Erde, auch unser Himmel und unsere Erde, die vergehen. Und darauf treffen die Worte Jesu. Worte, die eine so große Kraft haben, dass selbst der Untergang der Erde sie nicht beiseite schieben kann. Worte, die bleiben, selbst wenn alles fällt. Welche Worte Jesu werden das sein, die da bestehen bleiben?

In den Evangelien erlebe ich Jesus als den, der Worte des Lebens spricht, ja nicht nur spricht, sondern sie auch lebt. Konkrete Szenen kommen mir vor Augen. Er geht zu denen, die blind, lahm, taub, stumm oder an ihrer Seele krank sind. Er richtet sie auf. Er setzt sich mit ihnen an einen Tisch, mit den Zöllnern und Sündern, Kranken, einfach allen, die am Rande stehen. Er ist für sie da, er macht ihnen Mut. Jesus vergleicht das Himmelreich mit einem Hochzeitsmahl, bei dem alle willkommen sind, auch die Menschen an den Zäunen werden eingeladen. Im heutigen spricht er auch von einem Hochzeitsmahl. Sie alle feiern fröhlich am Tisch des Herrn. Bei ihm und beieinander finden Menschen Geborgenheit. Solche Worte, das sind Worte des Lebens. Diese Worte werden bleiben, weil sie Leben sind, weil Gott hinter ihnen steht und sie verbürgt, der Gott, der ein Gott des Lebens ist und Leben will. Das sind Worte zum Festhalten, wenn alles zusammenfällt.

Und Jesus will, dass wir uns daran festhalten. „Wachen“ nennt er das. Viermal fordert er uns in diesen wenigen Zeilen auf: Wachet! Und er erzählt dazu ein Gleichnis: Ein Hausherr verlässt sein Haus und zieht über Land. Jedem Knecht gibt er seine Aufgabe, und allen sagt er: „So wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zur Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend findet, wenn er plötzlich kommt.“

Schlafend findet er die Mutter der Verstorbenen, wenn sie mit ihrer Trauer alleine ist. Trauer und Schmerz können alle Energie aus einem Menschen aussaugen, sie schaffen einsame Höhlenmenschen. Dann gibt es aber Menschen, die sich für sie Zeit nehmen, mit ihr das Leid teilen. Und ich habe mit ihr gebetet und den Schmerz vor Gott gebracht. Ich denke, dass in solchen Momenten am Horizont der Hochzeitstisch Jesu zumindest aufscheint. Das sind Momente des Wachens. Denn Schlafen tun die Menschen, die so in sich selbst versunken sind, dass sie Jesu Wort nicht mehr erreicht, oder die seinem Wort nichts zutrauen. Sie vergessen Gott und sein Wirken über der Sorge um sich selbst. Wachen dagegen heißt auf Jesus und sein Wort des Lebens blicken. Wachen heißt: am Hochzeitstisch Jesu platznehmen. Dort findet sich Gemeinschaft mit anderen Menschen und mit Gott, der zur Ruhe kommen lässt und stärkt. Schlafen oder Wachen – ist das die Alternative? Ich spüre oft, wie Menschen hin- und hergerissen sind, wie sie einmal allein in der Höhle sitzen, und dann wieder mit Hoffnung am Hochzeitstisch Jesu Platz nehmen. Einfach ist es nicht, in der Trauer den Weg zum Tisch Jesu zu finden und Stärkung zu erfahren.

Wachet! Jesus ruft uns zu, unsere Hoffnung auf sein Wort zu setzen, sich seinem Wort auszusetzen, es zu lesen und sich zusagen zu lassen. Und das heißt auch, wachsam zu sein, um wahrzunehmen, wann er zu uns kommt. Denn er kommt vielleicht nicht nur am Ende unseres Lebens und am Ende der Zeiten, sondern immer wieder einmal. Vielleicht kommt er ja gerade dann in unsere Höhle, wenn wir den Ausgang nicht mehr sehen können. Vielleicht hält er auch dann die Stellung, wenn wir eingeschlafen sind, so wie seine Jünger in Gethsemane eingeschlafen sind und er gewacht hat. Er kann am Abend kommen, wenn die Mutter nicht einschlafen kann, weil sie an ihre Tochter denkt. Er kann um Mitternacht kommen, zu den Zeiten, wo die Finsternis, die uns ängstigt, am größten ist. Er kann zum Hahnenschrei kommen, dann, wenn wir versagt haben und unsere Schuld uns niederdrückt. Und er kommt gewisslich am Morgen, am Auferstehungsmorgen und am Morgen der neuen Welt. Er kommt mit Worten des Lebens.

Wachen heißt Ausschauhalten nach ihm. Dieses Warten auf sein Kommen ist ein hoffnungsfrohes Warten. Deshalb brauchen wir keine Berechnungen wie die Höhlenmenschen in Russland. Jesus weist uns auf sein Wort des Lebens hin, und bewahrt uns damit davor, in apokalyptische Ängste zu verfallen oder uns ein Leben lang voller Angst in einer Höhle verbarrikadieren.

Jesu Aufruf zum Wachen ist kein Drohwort vor dem Weltuntergang. Denn dann würde der Ewigkeitssonntag zum kahlen Totensonntag. Seine Worte sind Trostworte. Wenn er, der Hausherr, wiederkommt, dann wird er allen sein großes Freudenmahl bereiten, dann werden die Leidenden und Unterdrückten aufgerichtet. Freilich werden auch die, die schuldig geworden sind, in seinem Licht ihr Versagen erkennen und beschämt sein. In seinem Gericht wird alles zurechtgerückt, und so hoffen wir es, unter seine Gnade gerückt.

An sein Kommen denken wir nicht allein am Ende jedes Kirchenjahres, sondern auch am Beginn eines neuen Kirchenjahres. Sein Kommen, das ist die Brücke, die altes und neues Kirchenjahr verbindet. Die Adventszeit bereitet uns auf sein Kommen vor, sie ruft uns auf, wachsam zu sein: Wachsam zu sein, um zu sehen, wann der Hausherr zu mir kommt. Wachsam zu sein, um sein Wort des Lebens alle Tage vor Augen zu haben. Wachsam zu sein auch für eigene Schuld, um sie Gott zu übergeben. Die Adventszeit soll besinnlich sein, weil wir uns besinnen. Und sie soll eine frohe Zeit sein, weil unser Warten und Wachen ein hoffnungsfrohes Warten ist: Davon werden wir am Ende des Gottesdienstes singen, und dieses Lied nimmt uns zugleich mit hinüber in die Adventszeit, die vom hoffnungsfrohen Warten geprägt sein will: Es kommt ja der helle Morgenstern, und dieser Morgenstern bescheinet mit seinem Licht unsere „Angst und Pein“.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)
Text:

Christus spricht:

31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.
32 Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.
33 Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.
34 Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen:
35 so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen,
36 damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt.
37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!


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