| Liebe Leser, 
      „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten 
      Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne 
      Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese 
      Unmündigkeit, wenn die Ursache desselben nicht am Mangel des Verstandes, 
      sondern der Entschließung des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines 
      anderen zu bedienen.“ So schrieb es der Philosoph Immanuel Kant, dessen 
      Todestag sich am 12. Februar zum 200sten Male jährt, in seiner kleinen 
      Schrift „Was ist Aufklärung“ vor allem wider die „regiersüchtige 
      Geistlichkeit“. „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu 
      bedienen,“ wurde zum Wahlspruch der Aufklärung.  
       
      Hinter die kann man nur um den Preis der Dummheit zurück. Und die mutet 
      uns vielleicht eine mittelalterliche Kirche, eine fundamentalistische 
      Lehre, eine Sekte oder der Guru von nebenan zu, keinesfalls aber Gottes 
      Wort selbst. Und das sollten wir heute in der Kirche schon ein bisschen 
      lauter sagen, weil Denken eine Anstrengung fordert und der Mensch 
      gemeinhin zur Faulheit neigt und zum Rückfall in voraufklärerische Zeiten, 
      wie der Boom auf dem esoterischen Schnickschnackmarkt beweist. Da können 
      und wollen wir nicht mithalten. Ein bisschen Kosmologie, ein bisschen 
      Astrologie, ein bisschen Fernöstliches - je phantastischer, desto 
      überzeugender - nach Hildegard von Bingen gut durchrühren - fertig ist das 
      religiöse Leibgericht des 21. Jahrhundert. Dass viele solche spirituellen 
      Potpourris für vernünftiger und aufgeklärter halten, als das, was in der 
      Kirche gepredigt wird, gehört zu den kritikwürdigen Lebenslügen des 
      modernen Menschen. Da hätte ein Immanuel Kant wohl auch heute seinen Spott 
      gehabt. 
       
      Auch unsere Jahreslosung beginnt mit einem überaus vernünftigen Satz. Mag 
      es zwischen Himmel und Erde mehr geben, als des Menschen Geist sich 
      träumen lässt; vergänglich ist es allemal. Im Lichte der Aufklärung hat 
      der Mensch schmerzhafte Kränkungen und Demütigungen erfahren müssen. 
      Kopernikus hat ihn aus der Mitte seines Kosmos katapultiert. Moderne 
      Astronomie aus dem Zentrum seiner Milchstraße. So wurde er schließlich zu 
      einer Randerscheinung eines seltsam schweigenden Kosmos. Dass auch der 
      einmal endet entspricht den Gesetzen der Physik. Immer weiter beschleunigt 
      dehnt er sich aus um sich in unendlichen Zeiträumen immer weiter zu 
      verdünnen und abzukühlen und schließlich in einem Kälteschlaf zu 
      erstarren. Wer weiß!  
       
      Dass es nun aber etwas geben soll, was dem Lauf einer vergänglichen Welt 
      trotzt, ja sogar widerspricht, ist nun allerdings eine Auskunft, die 
      unseren Glauben und unseren Verstand gleichermaßen herausfordert. Denn das 
      wäre ja wirklich der Halt an sich, in einer Welt, der gar nicht anderes 
      übrig bleibt, als sich in immer neuen Variationen zu Ende zu denken. 
      Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. 
      So sagt es der Christus, den die Bibel selbst als das fleischgewordene 
      Wort Gottes bekennt. Gott und sein Wort, das uns in Christus auf 
      menschliche Weise begegnet beansprucht damit in einer vergänglichen Welt 
      eine besondere und herausragende Autorität.  
       
      Nun hat gerade die Aufklärung jede Form von Autorität zurecht bestritten, 
      die sich darauf gründet, dass der Mensch auf den Gebrauch seines 
      Verstandes verzichtet und blinde Gefolgschaft verlangt. Und so prallen die 
      Autorität der Vernunft und - wir formulieren bewusst - die Autorität der 
      Kirche bis heute aufeinander, je länger um so heilloser.  
       
      Denn „was dem Glauben an kritischer Vernunft vorenthalten wird, dass wird 
      zwangläufig durch Aberglauben ersetzt“ (Eberhard Jüngel, Unterwegs zur 
      Sache, Mohr 2000/3, S. 296). Aberglaube entsteht in der Kirche immer dann, 
      wenn die Kirche ihre eigene Autorität mit der Autorität des Wortes Gottes 
      verwechselt. Wenn sie sich als Stellvertretung an die Stelle Gottes in der 
      Welt setzt und als Kirche die höchste Autorität auch über die Vernunft 
      beansprucht. Sie möchte, dass man an sie glaubt. Ein Glaube, der die 
      Autorität der Kirche mit der Autorität des Wortes Gottes verwechselt ist 
      Aberglaube. Denn die Kirche ist nichts im Vergleich zum Wort Gottes. Ohne 
      dieses Wort hat sie nicht einmal eine Existenzberechtigung, denn sie ist 
      einzig dazu da, dieses Wort Gottes in der Welt durch Wort und Tat 
      auszurichten. Und dazu kann sie sich nicht einer eigenen Heiligkeit und 
      Autorität, sondern nur des klaren und verständlichen Worts - des 
      Verstandes eben - bedienen. Den Rest muss sie dem Heiligen Geist, dem Wort 
      Gottes selbst überlassen. 
       
      Selbst der Versuch, wenigstens die Autorität der Bibel jenseits ihres 
      Inhalts zu retten, muss scheitern. Jedes Wort der Bibel sei vom Heiligen 
      Geist inspiriert, lehrte die Kirche - immer dann im falschen Sinne, wenn 
      sie damit behauptete, dieses Wort sei durch die kritische Vernunft nicht 
      mehr hinterfragbar. Wohin das führt zeigen uns noch heute christliche 
      Fundamentalisten, die behaupten, unsere Welt sei tatsächlich in sechs 
      Erdentagen erschaffen worden und fordern, solches solle doch wieder in 
      Schule gelehrt werden. Hier gilt: Dass die Bibel Menschenwort ist, ist 
      Ausdruck der Menschwerdung Gottes. Im Menschenwort enthält sie und sagt 
      sie das Wort Gottes weiter. Als Menschenwort ist sie mit dem Wort Gottes 
      nicht identisch. Oder anders: Als Autorität kann die Bibel nicht geltend 
      gemacht werden, damit sie etwas zu sagen hat, sondern weil sie etwas zu 
      sagen hat. Oder mit dem Theologen Martin Kähler treffend formuliert:„Wir 
      glauben nicht an Christus um des geschriebenen Wortes willen, sondern wir 
      glauben dem Wort um seines Christus willen.“ 
       
      Und dieser Christus kommt als das fleischgewordene und ewige Wort Gottes - 
      nun ganz anders als eine anmaßende Kirche oder ein vernunftfeindlicher 
      Fundamentalismus - so gar nicht autoritär daher. Der Apostel Paulus trifft 
      den rechten Kirchenton, wenn er schreibt: „So bitten wir nun an Christi 
      Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2.Kor.5/20). Das unvergängliche 
      Wort Gottes bittet. „Die Bitte ist die Autoritätsform des Evangeliums“ 
      (Eberhard Jüngel, ebd. S.187). Die Bitte zielt auf Einverständnis. 
      Einverständnis ist ein Akt des Herzens und des Verstandes und allemal ein 
      Akt der Freiheit, in dem wir uns gefallen lassen, dass Gott uns und unsere 
      vergängliche Welt mit sich versöhnt. Auf dass wir SEIN werden und so wir 
      sterblichen Menschen und der ewige Gott eine gemeinsame Zukunft haben. Denn 
      wer mit sich, der Welt und Gott versöhnt ist, ist wirklich frei.  
       
      Und wir ahnen an dieser Stelle, dass die kritische Vernunft und der Glaube 
      keine Feinde bleiben, sondern Freunde werden können, in versöhnter 
      Verschiedenheit, in Achtsamkeit für das, was jeder auf seine Weise vermag 
      und was nicht. Denn „was die kritische Vernunft an Glauben verfehlt, dass 
      ersetzt sie zwangsläufig durch Unverstand“ (Eberhard Jüngel, ebd. S. 296). 
      Und Unverstand entsteht der Vernunft immer dann, wenn sie ihre eigene 
      Autorität mit der Autorität Gottes verwechselt. Wenn sie sich an die 
      Stelle Gottes setzt und die höchste Autorität in der Welt für sich 
      beansprucht: Sie möchte, dass man an sie glaubt. Ein Glaube, der die 
      Autorität der eigenen Vernunft mit der Autorität Gottes verwechselt ist 
      unvernünftig.  
       
      Und so ist auch die Geschichte der Aufklärung bis heute nicht nur eine 
      Geschichte der Befreiung, sondern auch eine Geschichte der unheilvollen 
      Grenzüberschreitungen, der maßlosen Selbstüberschätzung und der sinnlosen 
      Tabuzertrümmerung. Sie hat sich eben auch jene Zeitgenossen herangezogen, 
      die sich im Namen der Aufklärung den Hintern an allem abwischen zu dürfen 
      meinen, was sie nicht verstehen. Das Recht auf Dummheit gehört nicht zum 
      Programm der Aufklärung. Und der Hang zur Tabuzertrümmerung ist 
      entwicklungspsychologisch gesehen eine vorübergehende Erscheinung, die 
      Menschen vor allem in der Pubertät befällt. Manchmal hat man den Eindruck, 
      dass wir heute in einer pubertären Gesellschaft leben, die erst noch 
      schmerzlich begreifen muss, dass mit der Zerschlagung aller Autoritäten 
      nicht die große Freiheit, sondern die große Obdachlosigkeit angebrochen 
      ist. Ohne das Wiederentdecken gemeinsamer Autorität, wird die Menschheit 
      ihren Weg nicht finden. Dies wird ein schmerzvoller Prozess sein.  
       
      Die Losung für das angebrochene Jahr, zeigt uns, wo in einer vergänglichen 
      Welt Obdach zu finden ist. Daher hat Kirche sich auf das Ausrichten des 
      Wortes Gottes neu zu besinnen und zu konzentrieren. Sie tut dies nicht 
      autoritär, sondern sie bittet an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit 
      Gott. Denn das Wort Gottes schafft, was es sagt: Versöhnung und Freiheit. 
      Denn wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. (2.Kor.3/17) Die 
      kritische Vernunft kann uns helfen, diese Freiheit zu bewahren und gegen 
      ihre Bedrohungen zu kämpfen. Sine vi, sed verbo! Nicht mit Gewalt, sondern 
      mit dem Wort. Auf dass Glaube und Vernunft Freunde werden, denen der ewige 
      Gott gerne sein Zuhause gewährt.  
  
      
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)  | 
      Text: 
      
       Christus spricht:  
      (31)Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte 
      aber werden nicht vergehen.  |