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			Liebe Leser, es war wirklich sehr früh am Morgen. Jerusalem 
			schlief noch. Und so hat wohl keiner die drei Frauen auf den 
			Friedhof gehen und kurz darauf wieder weggehen sehn. Nein, „gehen“ 
			ist nicht das richtige Wort. „Bitte renn nicht so, Maria“, rief 
			Magdalena der Mutter des Jakobus hinterher. „Du machst ja noch alle 
			auf uns aufmerksam.“ „Nicht um die Zeit“, Maria dachte nicht daran, 
			ihre Schritte zu verlangsamen, auch wenn sie schon gehörig außer 
			Atem war. „Ich will bloß noch weg hier. Du etwa nicht?“ 
			 
			„Maria, du hast den Beutel liegen lassen“, meldete sich Salome zu 
			Wort. Maria hielt kurz inne. „Die teuren Öle!“, ergänzte Salome. 
			„Ja, ich hab sie im Grab liegen lassen“, stellte Maria fest, „aber 
			keine zehn Pferde bringen mich in diesem Leben noch einmal auf 
			diesen Friedhof.“ Die beiden anderen nickten. „Dass du jetzt 
			überhaupt daran denken kannst, Salome. Nach diesem Horror.“ 
			Magdalena nickte wieder und Salome schaute ein wenig betroffen zu 
			Boden. „Erst diese schreckliche Kreuzigung“ fuhr Maria fort, „die 
			Qualen und Schmerzen. Und jetzt wo er endlich alles überstanden und 
			seine letzte Ruhe im Felsengrab gefunden hat, geht es einfach immer 
			weiter. Wenigstens jetzt sollten sie ihn in Ruhe lassen. Wenigstens 
			jetzt sollte Gott ihn ein wenig mehr beschützen. Wenigstens die 
			Friedhöfe auf dieser Welt sollten Orte des Friedens sein. Ruhe in 
			Frieden unter der gnädigen Hand Gottes, des Vaters, hat Joseph von Arimathäa gesagt, als sie ihn ins Grab gelegt haben. Und jetzt steht 
			da dieser fremde Mann im Grab und redet wirres Zeug!“  
			 
			Magdalena standen Tränen in den Augen. „Aber er hat doch irgendwas 
			gesagt“, wandte sie mit zitternder Stimme ein, „dass er auferstanden 
			ist und von den Jüngern und Petrus und Galiläa.“ Salome blieb von 
			Tränen verschont. „Du hättest dich sehen sollen, wie du mit deinen 
			großen braunen Rehaugen und offenem Mund diesen jungen Mann 
			anstarrst. Du bist doch sonst nicht um Worte verlegen. Das mit dem 
			„auferstanden“ habe ich auch gehört. Da fragt man doch wenigstens: 
			Wie - auferstanden?“  
			 
			„Hinterher sind alle schlauer“, bemerkte Magdalena. „Ihr habt doch 
			auch kein Wort herausgebracht! Und was soll denn das für eine Frage 
			sein? Ihr habt doch gesehen, wie sie ihn zugerichtet haben, wie 
			schrecklich er ausgesehen hat und wie tot er war! Keiner von Euch 
			ist das so nahe gegangen wie mir. Und seine feinen Jünger sind nicht 
			mal zur Beerdigung gekommen. Männer!“ „Ach, Magdalena, jeder weiß, 
			wie sehr du Jesus geliebt hast“, sagte Salome spitz, „Küsschen hier, 
			Küsschen da, Umarmung hier, Umarmung da. Das war manchmal schon ein 
			bisschen peinlich.“ „Bloß nicht die Kontrolle verlieren, Salome“, 
			erwiderte Magdalena spöttisch. „Hört auf zu streiten“, fiel ihnen 
			Maria ins Wort, „wir haben ihn alle geliebt, jede auf ihre Weise.“
			 
			 
			Längst hatten die engen Gassen Jerusalems die drei Frauen 
			verschluckt. Allmählich erwachte die Stadt und sie fielen keinem 
			mehr auf. Ihre Schritte wurden langsamer.  
			 
			„Lass uns mal einen Moment verschnaufen“, bat Magdalena, schaut 
			meine Hände und Füße an. Alles zittert an mir. Seid ihr sicher, dass 
			das Grab wirklich leer war?“ Die beiden anderen sahen sich an. 
			„Alles ging so schnell“, sagte Maria schließlich. „Wir haben alle 
			diesen Mann angestarrt und sein leuchtend weißes Kleid.“ „Vielleicht 
			war es ein Engel“, ergänzte Magdalena und ihre Augen begannen wieder 
			ein wenig zu leuchten. „Vielleicht war es ein Bote Gottes, der uns 
			eine Nachricht überbringen sollte – von ihm.“ „Und wo war er?“ 
			fragte Salome. „Wohin haben sie ihn gebracht? Und nur mal 
			angenommen, er wäre wirklich vom Tod auferstanden und also wieder 
			lebendig, warum hat er sich uns nicht gezeigt? Das hätte er doch 
			bestimmt getan, weil es ja sonst kein Mensch glauben kann.“  
			 
			„Kommt jetzt“, Maria wurde ungeduldig, „wir gehen jetzt auf dem 
			kürzesten Weg nach Hause. Und zu niemand ein Wort! Hört auf mit 
			euren wilden Spekulationen. Wollt ihr euch noch unglücklicher 
			machen, als ihr schon seid? Wir sollten dankbar sein, dass wir Jesus 
			von Nazareth gehabt haben, auch wenn jetzt vielleicht sogar seine 
			Leiche weg ist. Was ist das bloß für eine Welt! Aber unsre 
			Erinnerungen kann uns keiner nehmen. Wir werden jeden Abend eine 
			Kerze für ihn anzünden und uns etwas erzählen, was er gesagt oder 
			getan hat.“ 
			 
			Als sie am Abend bei ihrer ersten Kerze sitzen, fängt Magdalena 
			leise an:  
			 
			Zur Nacht hat ein Sturm alle Äste entlaubt,  
			sieh‘ sie an die knöchernen Besen. 
			Ein Narr, der bei diesem Anblick glaubt,  
			es wäre je Sommer gewesen. 
			 
			Und ein größerer Narr, der träumt und sinnt, 
			es könnte je wieder Sommer werden. 
			Und grad diese gläubige Narrheit, Kind, 
			ist die sicherste Wahrheit auf Erden. 
			 
			(Ernst Ginsberg, zitiert nach Gerhard Schoenauer, GPM, 1/2003, Heft 
			2, S. 224) 
			 
			Dann ist es still bis Magdalena fortfährt: „Wie lange wollt ihr das 
			weitermachen? Bis auch auf euch ein Grab wartet? Was soll denn das 
			für ein Leben sein? Drei Witwen zelebrieren ihre Vergangenheit und 
			einen Geliebten, den sie so vollkommen verloren haben, dass sie 
			nicht einmal mehr ein Grab haben, zu dem sie gehen können? Das kann 
			doch nicht euer Ernst sein. Ich kann so nicht leben.“ 
			 
			„Was willst du denn tun?“, fragt Salome. „Und was können wir tun?“ 
			„Ich pack meine Sachen und gehe nach Galiläa und wenn ihr wollt, 
			könnt ihr mitkommen. Der Engel hat doch gesagt, dass wir dorthin 
			gehen sollen. Und dass wir ihn dort sehen werden, wie auch immer. 
			Schau nicht so, Salome, aber diese winzige Hoffnung, dass es wahr 
			sein könnte, dass er lebt, ist besser als dieses Totengedenken. 
			Eigentlich passt es doch zu ihm, dass er uns hier nicht sitzen 
			lassen will in diesem Trauerhaus, sondern uns auf den Weg nach 
			Galiläa schickt. Dort haben wir unsere schönsten Zeiten erlebt. Dort 
			bin ich zuhause. Petrus wird bestimmt schon am See Genezareth sein 
			und versuchen, sein Boot wieder flottzukriegen. Allein die 
			Vorstellung, Jesus von Nazareth wieder in die Augen zu schauen, 
			seine Stimme zu hören und ihn in die Arme zu schließen, ist besser 
			als alles, was wir hier in Jerusalem noch finden werden."  
			 
			„Und …“, ihre Augen beginnen wieder zu leuchten, „wenn wir ihn 
			wirklich wiedersehen, dann bedeutet das noch viel mehr. Dann 
			bedeutet es, dass Gott nicht zugelassen hat, dass alles, was er 
			gesagt und getan hat, einfach beerdigt wird. Seine Liebe, seine 
			Güte, sind sogar stärker als der Tod. Und du Maria, brauchst 
			wirklich nie mehr auf diesen Friedhof zu gehen. Es ist doch viel 
			besser, dass Gott ihn dort nicht in Frieden hat ruhen lassen.“ „Wart’s 
			ab“, sagt Salome leise. „Aber wenn das wahr wäre, wäre es das Ende 
			aller Angst vor dem Leben und das Ende aller Angst vor dem Tod.“  
			 
			1500 Jahre später sitzt ein gewisser Martin Luther über seiner 
			Osterpredigt und erinnert sich an die drei Frauen: „Nicht für die 
			frommen Frauen“, schreibt er, „wurde der Grabstein weggewälzt, denn 
			das ist nicht Gottes Ostertat, dass wir ins Grab hineinkommen, um 
			den Tod zu pflegen, sondern sich selbst zulieb hat er‘s getan, ganz 
			eins mit seinem auferweckten Sohn hat seine Liebe das Grab von innen 
			aufgerissen. Darum merke: Nicht wie du Gott im Tode findest, sondern 
			wie er dich ins Leben zurückjagt, das macht das rechte Osterfest.“ 
			(zitiert nach Gerhard Schoenauer, aaO., S. 223) 
			 
			„Guter Mann“, hätte Magdalena gesagt. „Genau so war es, und wie!“ 
			Wir stellen uns vor, wie sie lacht und lassen uns anstecken. Und 
			bitten Gott, dass er auch uns zu diesem Osterfest ins Leben 
			zurückjagt! 
		
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
		Hof) 
      	(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de)  | 
			Text: 
			1 Und als der Sabbat vergangen war, kauften 
			Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome 
			wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 
			2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die 
			Sonne aufging. 
			3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des 
			Grabes Tür? 
			4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt 
			war; denn er war sehr groß. 
			 
			5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur 
			rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie 
			entsetzten sich. 
			6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von 
			Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. 
			Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 
			7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch 
			hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch 
			gesagt hat. 
			8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und 
			Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn 
			sie fürchteten sich. 
			 
			 
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