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       Liebe Leser, 
      die ersten 30 Jahre im Leben des Jesus von Nazareth sind bei Matthäus 
      schnell erzählt. Kaum sind die Weisen aus dem Morgenland abgezogen, kaum 
      ist die Wut des König Herodes verraucht, mit der eine mörderische Welt 
      vergeblich versuchte die Menschwerdung Gottes im Keim zu ersticken, da 
      stehen wir schon am Ufer des Jordan und werden Zeugen, wie der Messias 
      sein Werk beginnt.  
       
      Es wurden keine Flugblätter verteilt. Es wurde keine Werbetrommel gerührt. 
      Ehr beiläufig ereignet sich Wundersames, das sich hinterher niemand so 
      recht erklären kann. Ob Johannes der Täufer erschrocken ist? Immerhin war 
      es die zweite Begegnung mit Jesus. Beim ersten Mal war er noch nicht 
      einmal geboren und hüpfte im Leib seiner Mutter Elisabeth als die 
      schwangere Maria zu Besuch kam (Lukas 1/41). Auch dies – nebenbei bemerkt 
      – ein wichtiger Beitrag zur Frage, was das werdende Leben uns wert sein 
      soll: Zwei Ungeborene, die sich grüßen; noch nicht einmal auf der Welt und 
      doch ist schon alles beschlossen und angelegt, was diese verlorene Welt 
      aus den Angeln hebt.  
       
      Wie nur haben sie sich wieder erkannt? Nehmen wir an: in einer Sekunde. In 
      einer Sekunde des frohen Erschreckens. Denn nichts ist so überraschend, 
      wie der Einbruch des Heils in eine verlorene Welt. Wie ein Freund der 
      unerwartet anruft und eine Einsamkeit beendet, wie eine neue Liebe nach 
      langem Alleinsein, wie ein Krieg der nicht stattfinden, wie ein Frieden 
      der ausbricht, wie ein Licht in der Nacht. „Diese Wüste ist eine Fata 
      Morgana“ (Peter Handke). Bang wird’s Johannes immer wieder werden. „Bist 
      du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ fragt 
      er am Ende seines Lebens aus der Todeszelle. Und Jesus lässt den Freund 
      und Wüstenprediger nicht ohne Antwort: „Geht hin und sagt Johannes wieder, 
      was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden 
      rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium 
      gepredigt“ (Matthäus 11/3ff). Diese Wüste einer scheinbar gottverlassenen 
      Welt ist eine Fata Morgana! 
       
      Aber erst einmal stehen wir am Jordan, wo sich zwei wieder finden, die 
      sich schon immer gekannt haben. Noch hat Jesus all das, von dem Johannes 
      später berichtet wird, nicht einmal angefangen. Um so bemerkenswerter ist 
      es, dass an diesem Anfang nicht ein Konzept, ein Programm oder ein 
      Manifest steht, sondern die Offenbarung der Gotteskindschaft des Jesus von 
      Nazareth: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Punkt. 
      Hier folgt kein: Darum gehe hin und mache dies und das. Die 
      Gotteskindschaft kann durch nichts vollkommener gemacht werden. Sie steht 
      bezeichnet durch die Taufe am Anfang und über allem, was kommt. In ihr ist 
      alles da, was Gott richtig und gerecht findet. Deshalb gilt hier einmal: 
      Aller Anfang ist leicht. Und natürlich ist auch der Heilige Geist im 
      Spiel, den die spätere Theologie zurecht als das vinculum caritatis, das 
      Band der Liebe zwischen Vater und Sohn begreift: Ich und der Vater sind 
      eins. (Johannes 10/30) 
       
      Schon die nächste Geschichte wird deutlich machen, dass die 
      Gotteskindschaft Jesu die eine und einzige Rolle spielt und dass sie 
      bedroht wird. Schon wartet der Teufel in der Wüste um Jesus auf leeren 
      Magen von ihr abzubringen, indem er scheinbar Wertvolleres vorzeigt: Die 
      Befriedigung aller Bedürfnisse, unbegrenzte Macht und Geld bis zum 
      Abwinken. Jesus hält – uns zugute - an der Gotteskindschaft fest bis zum 
      Tod am Kreuz. Und sein himmlischer Vater bekennt sich am Ostermorgen 
      wieder zu ihm und verhindert, dass diese Geschichte der Gotteskindschaft 
      beerdigt wird. Deshalb können wir das große Thema des Evangeliums so 
      formulieren: Der Sohn Gottes kommt zur Welt, damit auch wir Gottes Kinder 
      werden. 
       
      Folgerichtig versteht der Apostel Paulus später die Taufe als Zeichen der 
      Einwohnung unseres Lebens in der Geschichte der Gotteskindschaft Jesu 
      (Römer 6/3ff.). Aller Anfang ist leicht. Aber schon wartet der Teufel auf 
      uns und zeigt uns scheinbar Wertvolleres: Die Befriedigung aller unserer 
      Bedürfnisse, unbegrenzte Macht und Geld bis zum Abwinken; dazu seine 
      neusten Erfindungen: Krieg für den Frieden und geklonte Babys für den 
      besseren Menschen. Und wie oft hat der Teufel bei uns Erfolg und die 
      Aufmerksamkeit aller Medien. Bis wir uns hoffentlich immer wieder 
      irritieren lassen durch den Jesus von Nazareth, der seinen Weg der 
      Gotteskindschaft unbeirrt geht. Nein, wir werden ihn nicht zornig, sondern 
      allenfalls traurig sehen. Er zwingt seine Sendung niemandem auf. Er stellt 
      seine Ansprüche in Form der Bitte. Selbst „Judas, der am Ende den Meister 
      verrät, wird nicht liquidiert, und Jesus verweigert ihm weder das letzte 
      Mahl noch den letzten Kuss. Demut, Leiden und Wahrheit gehören zusammen, 
      und es ist die Lüge, die mit Gewalt durchgesetzt werden muss.“ 
      (Neugebauer, in GPM 4/2002, Heft 1, S.105) 
       
      Das macht den Weg des Christus so glaubwürdig und seine Bitte so dringend: 
      Dass auch wir „Vater unser“ sagen lernen und uns einüben in die gelassene 
      Sorglosigkeit der Kinder Gottes, die die Spielsachen nicht brauchen, die 
      der Teufel aus seinem Sack zaubert; die sich in der Hand ihres himmlischen 
      Vaters geborgen wissen, geht’s auch durchs finstere Tal, durch Leiden und 
      Tod. Aller Anfang ist leicht und wie’s ausgeht liegt letztlich in Gottes 
      Hand. Sein Wille geschehe.  
       
      So leicht ist das Gepäck, mit dem der Christus aus dem Jordan steigt und 
      sich auf den Weg macht um das Himmelreich zu predigen. Schwerer muss das 
      Gepäck seiner Jünger nicht sein. „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von 
      mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe 
      finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist 
      leicht.“ (Mt. 11/29f) So sagt es Jesus zu seinen Jüngern.  
       
      Schwer ist leicht was, könnte Ottfried Fischer einwerfen. Gibt es nicht 
      die vielen, die wenigstens von den Nachfolgern des Christus eine größere 
      Anstrengung zur Verbesserung der Welt einfordern und beklagen, dass die 
      Kirche nicht zu diesem und jenem Missstand den Mund aufmacht. Das hat dazu 
      geführt, dass es kaum noch ein Thema gibt, zu dem eine Denkschrift oder 
      eine Presseerklärung fehlt. Freilich hat man den Eindruck, dass die Kirche 
      hier nicht immer auf der Suche nach der Wahrheit und dem hilfreichen Wort 
      ist, sondern auf der panischen Suche nach ihrer eigenen Wichtigkeit.  
       
      Und was würde Jesus sagen zu all den Hundertfünfzigprozentigen, die das 
      Christenleben für eine einzige große moralische Anstrengung halten und 
      ihre eigene Identität in der Abgrenzung finden: In der Abgrenzung von der 
      bösen Welt und den bösen Menschen und von der Segnung von homosexuellen 
      Partnerschaften. Ich denke Jesus hätte geseufzt und uns noch mehr 
      Geschichten erzählt von dem Gott, der mit uns und allen Menschen seine 
      Familie gründen will; der sich gerade nicht abgrenzt, sondern alle Tage 
      draußen vor der Tür steht mit blutendem Herzen und nach dem verlorenen 
      Sohn Ausschau hält.  
       
      Der verlangt von uns nicht, dass wir mit seinem Sohn Jesus Christus auf 
      einer Höhe bleiben. Ihm genügen Nachfolger, die bei seinem Wort und 
      Sakrament bleiben; die sich von ihm immer wieder irritieren lassen zur 
      Heimkehr und zu dem Vertrauen, dass Gott schon weiß, wie er seine Kinder 
      nach Hause bringt. Dann werden auch wir Menschen seines Wohlgefallens. 
      Nicht mehr und nicht weniger.  
       
       
      
      Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de)  | 
    
      Text: 
      
       (13)Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den 
      Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. 
      (14)Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von 
      dir getauft werde, und du kommst zu mir? 
      (15)Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn 
      so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. 
      (16)Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und 
      siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie 
      eine Taube herabfahren und über sich kommen. 
      (17)Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber 
      Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.  |