Liebe Leser, gerade noch waren wir im Matthäusevangelium am
Jordan. Jesus lässt sich taufen und vom Himmel herab offenbart sich
seine Gotteskindschaft: „Dies ist mein lieber Sohn an dem ich
Wohlgefallen habe.“ Und gleich darauf wird diese Gotteskindschaft in
ihren Grundfesten bedroht.
In den drei ersten Evangelien gehören die Taufe und die Versuchung
Jesu unmittelbar zusammen. Diese Geschichten gehen auseinander
hervor. Die Gotteskindschaft Jesu muss sich als die wahre erweisen.
Und damit können wir uns gleich einmal abschminken, z.B. über die
„zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt“, nachzudenken oder
über all die anderen Versuchungen, die uns locken, unser Glück und
unser Heil, ja Gott selbst an der falschen Stelle zu suchen. Dass es
hier um etwas anderes geht, zeigt sich auch daran, dass wir eher
selten in Versuchung geführt werden, Steine zu Brot zu machen, von
der Zinne des Tempels zu springen oder die Weltherrschaft
anzutreten.
Die Versuchungen, von denen hier erzählt wird, betreffen den, der
Gott schon kennt und den Gott bei seinem Namen gerufen hat. Es ist
der Geist der Gotteskindschaft, der in die Versuchung führt. Es ist
der Glaube, der die Versuchung mit sich bringt. „Nicht das kann also
die Errungenschaft des Glaubens sein, nicht in die Versuchung
hineinzukommen. Das wäre wohl des Glaubens größte und zugleich seine
letzte, ihn erstickende Versuchung: ‚Die Krankheit, von der gilt, es
ist das größte Unglück, sie nicht gehabt zu haben.’“ So Sören
Kierkegaard in seinem Buch „Die Krankheit zum Tode“. (Dr. H.-Ch.
Askani, in GPM, 2003, Heft 2, S. 168). Da wurde Jesus vom Geist in
die Wüste geführt, damit er vom Teufel versucht würde.
Wir stellen uns diese Wüste einmal vor, wie ein Meer aus Sand; ohne
Orientierungspunkte; ohne einen Felsen oder einen Baum. Die heiße
Luft flimmert am Boden, wie eine gelbe, vom Wind gekräuselte
Wasserfläche, die am Horizont mit dem Blau des Himmels stufenlos
verschmilzt. Eine solche Wüste ist ein Ort der Ortlosigkeit. Es gibt
kein Oben und Unten, kein Hinten und Vorn. Hier müssen sich alle
Verhältnisse neu bestimmen. Ein wahrhaft geeigneter Ort, um das
Verhältnis des Christus zu seinem himmlischen Vater, um seine
Gotteskindschaft auf die Probe zu stellen.
Hier ist der Messias ganz allein. Hier könnte er in den Himmel
wachsen. Steine zu Brot? Eine der leichtesten Übungen. Von der Zinne
des Tempels sich fallen lassen? Was würde schon passieren? Und die
Herrschaft über die Welt? Die steht dem Messias doch zu! Die gehört
doch sowieso zu seinem Programm. Der Teufel mutet dem Christus
nichts zu, was er nicht könnte, was ihm nicht zustünde, was ihm
nicht gehörte. Aber er mutet es ihm auf eine Weise zu, die sein
Verhältnis zu seinem himmlischen Vater ad absurdum führen würde. Er
soll nehmen, nicht länger empfangen. Er soll herrschen, nicht länger
dienen. Sein Wille soll geschehen, nicht länger der seines
himmlischen Vaters. Der Teufel lockt Jesus auf einen Weg, der im
Triumphzug der Weltherrschaft endet und nicht im Tode am Kreuz. Der
Teufel lässt nichts unversucht, damit das Gotteskind in die
bestehenden Verhältnisse dieser Welt verschwindet.
Karl Barth zur Stelle: „Es geht in allen drei Versuchungen ‚nur’ um
den Rat und die Zumutung, dass er dem am Jordan angetretenen Weg des
einen großen Sünders, der Buße tut, nicht treu bleiben, von da aus
in einer Richtung weitergehen möchte, an der nicht sein Kreuz stehen
müsste. ... Man bemerke: ein Abschwören Gottes, ein Übertritt zum
Atheismus war ja als Preis für das Alles nicht gefordert, nur eben
ein Hutlüften vor dem Geßlerhut, nur eben ein diskreter, unter vier
Augen zu vollziehender Kniefall vor dem Teufel, nur eben die stille,
aber solide und nicht wieder rückgängig zu machende Anerkennung,
dass im Grunde alles beim Alten bleiben solle.“ (zitiert nach Dr.
H.-Ch. Askani, in GPM, 2003, Heft 2, S. 165f).
Ja, das ist das vornehmste Werk des Teufels: Dass alles beim Alten
bleibt und der Messias mit uns in der Ortlosigkeit, im Ungefähren
Gott gegenüber. Dort, wo wir den Abstand zwischen Gott und uns nicht
kennen, wie Adam und Eva. Dort wo wir nicht wissen, wo wir aufhören
und Gott anfängt. Dort, wo Gott uns nicht helfen kann, weil wir uns
selbst für Gott halten. Hätte der Christus vor dem Teufel seinen Hut
gezogen, fänden wir ihn heute auf dem Müllhaufen der Geschichte, wo
alle gelandet sind, die diese Welt schon beherrscht haben und wo
alle landen werden, die in Zukunft diese Welt beherrschen werden.
Der Christus bewährt und präzisiert - Gott sei Dank - seine bei der
Taufe zugesprochene Gotteskindschaft: Du sollst anbeten den Herrn,
deinen Gott, und ihm allein dienen. Er und sein himmlischen Vater
sind eins und innig verbunden. Da passt kein Blatt Papier
dazwischen. Sie lassen sich um keinen Preis auseinanderdividieren.
Auf die Taufe des Messias folgt in den Evangelien seine
Konfirmation. Sein weiterer Weg ist ein Weg der Liebe zu aller Welt
in der Einheit mit seinem Vater im Himmel. Der Teufel hält es im
Weiteren für aussichtslos, ihn davon abzuhalten. Nichts wird mehr
beim Alten bleiben.
Was hat diese Geschichte mit uns zu tun? Getauft sind wir alle.
Gottes Kinder sind wir. Und doch sind wir ein Leben lang auf der
Suche nach unserem Ort im Leben, nach unserem Ort Gott gegenüber.
Gerade unser Glaube an Gott wird diese Suche ein Leben lang offen
halten. Und wir werden uns wieder finden in der Ortlosigkeit solcher
Wüsten, wo wir nicht wissen, was wir von uns selbst und unserem
Leben halten sollen, wer wir sind und wer Gott ist und wohin wir
gehören. Träume haben wir mehr als genug. Das hört ja nicht auf,
wenn wir alt werden. Wir würden manchmal gerne in den Himmel
wachsen. Wir hätten oft gerne Gott auf unserer Seite, um ein
bisschen wie er zu sein. Und manchmal sind wir auf der anderen Seite
so erbärmlich feige und scheuen den Konflikt und geben klein bei –
damit alles beim Alten bleibt.
Bestimmt haben wir deshalb dann und wann den Teufel an unserer
Seite, der sich als äußerst bibelfest erweist und einen passenden
Spruch zur Hand hat, der uns in diesen Wünschen bestärkt. Der
flüstert nicht nur Herrschern und Mächtigen in die Ohren: „Du hast
Gott auf Deiner Seite, du bist gut! Tu was Gutes und Großes für dich
und die ganze Welt. Notfalls ganz allein.“
Oder er lockt uns in falsche Loyalitäten, ja, auch in der Kirche!
Auch hier sagt die Angst und die Feigheit zuweilen: Wes Brot ich ess,
des Lied ich sing. Dabei sollte gerade das zumindest in der Kirche
nichts verloren haben. Denn hier hat es nur eine Loyalität zu geben.
Die gilt dem, der das wahre Brot des Lebens ist. Das ist unser Herr
Jesus Christus. Kirchenfunktionäre oder Geistliche, die dem zum
Trotz diese Loyalität für sich einfordern und Mitarbeiter, die
solchen Loyalitätsverpflichtungen womöglich widerspruchslos
nachgeben oder sie von sich aus empfinden, gehören im Licht des
heutigen Evangeliums aufgeklärt. In der Kirche Jesu Christi darf
sich kein Mensch an Christi Stelle setzen. Einer ist euer Meister.
Wir haben in solchen Situationen an den Christus in der Wüste zu
denken und müssen hellhörig werden für alle Situationen, in denen
unsere Gotteskindschaft in Frage gestellt wird und wir in Gefahr
sind, in Teufels Küche zu geraten. Dann geht es nicht darum, dass
Gott auf unserer Seite steht, sondern dass wir uns auf die Seite
Gottes stellen. Es geht in jeder Situation (und wirklich in jeder
Situation) unseres Lebens darum, dass unser Wille mit Gott und
seinem Willen ganz eins wird, damit Gott auch durch und mit uns
wirken kann, so wie er es durch den Christus tut. Nur das ist zu
unserem Besten und zum Besten unserer Gemeinde und Kirche!
Denn wir retten nicht die Welt und nicht einmal unser eigenes Leben.
Gott allein kann das. Wer an ihn glaubt, hat den rechten Abstand zu
ihm gefunden und zugleich den innersten Platz in seinem Herzen.
Diese Gotteskindschaft zu konfirmieren, zu bekräftigen und zu
begründen, ist Jesus nicht erspart geblieben. Im Garten Gethsemane
konfirmiert er ein zweites Mal und willigt ein in seinen Leidensweg,
auf dem nicht sein, sondern Gottes Wille geschieht. (Matthäus 26,39)
Ich denke, wir brauchen solche Versuchungen öfter. Und darüber
müssen wir nicht erschrecken. Denn gerade dann dürfen wir wissen,
dass wir auf dem richtigen Weg der Gotteskindschaft sind. Und dass
immer dann in der Wüste, in Gethsemane oder wo auch immer, die Engel
zu uns treten, um uns zu stärken und zu dienen.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste
geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte
ihn.
3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so
sprich, dass diese Steine Brot werden.
4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3):
»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden
Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte
ihn auf die Zinne des Tempels
6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn
es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln
deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen,
damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose
6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg
und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du
niederfällst und mich anbetest.
10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht
geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen
Gott, und ihm allein dienen.«
11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und
dienten ihm. |