Liebe Leser,
schon bevor ich den heutigen Predigttext, die Seligpreisungen der
Bergpredigt Jesu, verlese, muss ich Euch Verlegenheiten eingestehen.
Eigentlich müsste ich diesen Text singen, so wie unsere orthodoxen
Glaubensgeschwister diese Worte nur gesungen kennen. Ihr steht also gleich
vor der Aufgabe, Euch zu diesen Worten die schönste und lieblichste Musik
auszudenken. Außerdem muss ich beim Verlesen aufs Blatt schauen, weil ich
mir nicht sicher bin, ob ich alle acht Seligpreisungen auch richtig
zusammenbekomme, was eigentlich eine mehr als peinliche Lücke ist. Ich
tröste mich damit, dass jetzt wohl einige grinsen und ich deshalb mit
dieser Lücke nicht allein bin. Ich bitte um Musik in Eueren Köpfen:
Text
Lassen wir die Musik noch ein wenig nachklingen,
bevor wir uns der nächsten Verlegenheit zuwenden, die darin besteht, dass
einem gestandenen Protestanten zur Bergpredigt meist wenig mehr einfällt,
als dass man mit ihr keine Politik machen kann. Ja, Herr Jesus, dir sei es
geklagt, dass deine Evangelischen vor allem und immer besonders gut
wissen, was alles nicht geht, was sie nicht können und nicht dürfen.
Trösten wir uns damit, dass wir uns dabei in bester Gesellschaft der
Jünger befinden, die unser Herr Jesus Christus nicht nur einmal
Kleingläubige genannt hat.
In Wahrheit aber sind wir gar nicht so vernünftig. In Wahrheit sind wir
gar nicht so abgebrüht. In Wahrheit aber sind wir gar nicht so verkopft.
In Wahrheit gehen uns diese Worte Jesu sehr zu Herzen. Dass man mit ihnen
keine Politik machen kann, tut weh. Hoffentlich. Denn wer wäre nicht
dafür, dass die Armen satt und die Leidenden getröstet würden; dass die
Sanftmütigen das Sagen haben und nicht die Machthaber; dass es
Gerechtigkeit gäbe, die dem Menschen gerecht würde und nicht dem
Buchstaben von Gesetzen; dass Barmherzigkeit die Menschen bessert und
nicht die Gewalt.
Schämen müssen wir uns, wenn wir mit unseren Verhältnissen vor diesen
Worten Jesu stehen. Wir sind ihnen nicht gewachsen. Keiner von uns. Und
damit haben wir diesen Worten Jesu fast schon recht gegeben. Denn wir sind
es ja nicht, die Jesus auffordert, das mit der besseren Welt nun endlich
auf die Reihe zu kriegen. Die Seligpreisungen sind Ausrufungen des
Himmelreichs. Und das kommt von Gott und von Gott allein. Jesus sieht uns
unter der Sonne des Himmelreichs und verlockt uns – noch mit Tränen in den
Augen – uns im Licht dieses Himmelreichs neu und tröstlich zu sehen.
Martin Luther hätte deshalb auch an dieser Stelle entdecken können, was er
im Römerbrief entdeckt hat: Dass der Mensch gut und gerecht wird allein
aus Glauben, ohne des Gesetzes Werke. Nur, indem er sein Streben nach dem
Himmelreich aufgibt und von Gott alles erwartet; nur indem er seine
Gerechtigkeit preisgibt und Gott recht gibt; nur indem er sich verloren
gibt und in die Hand Gottes fallen lässt, kann ihn Gott sich selbst als
geheilten und gerechtfertigten Menschen zurückgeben. Evangelischer Glaube
verwirft den Glauben an das Gute im Menschen zugunsten des Vertrauens auf
das Gute Gottes. Er gibt die vergeblichen Versuche auf sich selbst schön
zu machen und lässt sich stattdessen die Schönheit, Wahrheit und Güte
Gottes zugute kommen. Nirgends hat der Mensch mehr Würde, denn als von
Gott geliebtes und gerechtfertigtes, wahrhaft menschliches Wesen. Was als
Rechtfertigungslehre in die evangelische Theologie eingegangen ist, ist
nicht, wie Rudolf Augstein behauptet hat, eine Erfindung des Paulus. Es
findet sich in der Bergpredigt Jesu und wird in den Seligpreisungen noch
entgrenzt. Vom Verhältnis des Menschen zu Gott zum Verhältnis des Menschen
zu sich selbst und zu seiner Welt. Die Verhältnisse des Himmelreichs, die
Jesus selig preist, sind wahrhaft gute und menschliche Verhältnisse. Keine
Erlösung des Gottesverhältnisses ohne Erlösung der Verhältnisse dieser
Welt. Die Liebe Gottes zu uns, lehrt uns die Liebe zur Welt und ihrer
Menschen.
Wir sind deshalb froh, dass diese Lehre, die einmal Anlass zur
Kirchenspaltung war, seit der gemeinsamen Erklärung zur
Rechtfertigungslehre vom 30. Oktober 1999 als ökumenisch gelten muss.
Ökumene ist die bleibende Aufgabe aller christlichen Kirchen. Und das mit
dem Abendmahl werden wir auch noch schaffen müssen. Aus dem einfachen
Grund, weil sich im Himmelreich alle an einen Tisch setzen müssen, auch
die, die das auf dieser Welt vermieden haben.
Das ist vielleicht so, wie in folgender Anekdote: Ein Pietist findet sich
im Gottesdienst neben dem Theologen Rudolf Bultmann, dem Erfinder der
historisch-kritischen Methode, wieder. Auweia!, denkt der Pietist, das ist
doch der, der die Wunder abgeschafft hat. Die Gemeinde erhebt sich zum
Glaubensbekenntnis. Aufmerksam lauscht der Pietist und traut seinen Ohren
nicht. …geboren von der Jungfrau Maria, sagt Bultmann laut und
vernehmlich. So ein Mist, denkt der Pietist, der sagt das gleiche
Glaubensbekenntnis wie ich, und ich weiß genau, dass er sich bei jedem
Wort etwas ganz anderes denkt.
Ökumene im Sinne von Einheit in versöhnter Verschiedenheit hat ihre
Probleme auch unter Evangelischen. Aber über solche Probleme lachen nicht
nur die Engel im Himmel, wir sollten das auch tun. Evangelischer Glaube in
all seinen Ausprägungen wird sich das Denken nicht verbieten lassen. Denn
er tut ja nichts anderes, als dem vernommenen Wort Gottes in der Heiligen
Schrift nachzudenken. Evangelischer Glaube tut das mit großer
Gelassenheit. Denn er weiß, dass es ja nicht sein Nachdenken ist, das ihm
das Heil bringt, sondern der Grund, über den er nachdenkt, und das ist
Gott und sein Wort. Deshalb ist evangelischer Glaube immer Glaube, der
nach Verstehen trachtet. Der Theologe Eberhard Jüngel hat das so
formuliert: „Was dem Glauben an kritischer Vernunft vorenthalten wird, das
wird zwangsläufig durch Aberglauben ersetzt. Gerade der Glaube muss
deshalb auf kritisches Denken bedacht sein. Andererseits ist gegen den
Kurzschluss der Umfunktionierung des Glaubens folgendes einzuwenden: Was
die kritische Vernunft an Glauben verfehlt, das ersetzt sie zwangsläufig
durch Unverstand. (Eberhard Jüngel, Unterwegs zur Sache, Mohr 2000/3, S.
296)
Die Balance von Glauben und kritischer Vernunft ist einer der Schätze des
Protestantismus. Es ist nur scheinbar eine kühne These, dass der Heilige
Geist der beste Freund des gesunden Menschenverstandes ist. Damit wird zur
Geltung gebracht, dass der Heilige Geist den Menschen nicht in siebte
Himmel hebt oder vergöttlicht, sondern ihm das wahre Maß seiner
Menschlichkeit zeigt. Deshalb ist evangelischer Glaube ein Protestant
gegen jede Form des Aberglaubens und gegen jede Form der Vergötterung des
Menschen.
Zum einen gegen die atheistische, mit der sich der aufgeklärte Mensch
selbst an die Stelle Gottes setzt, und selbst dort, wo Engel zögern,
munter hineinmarschiert in den Porzellanladen des Lebens vom Atom bis zum
Genom. Die „Gott ist tot“ Botschaft eines Friedrich Nietzsche und seine
Postulierung des „Übermenschen“ an Gottes Stelle bleibt in der Rückschau
von über hundert Jahren doch nichts als ein Akt philosophischer
Kraftmeierei. Keines seiner Versprechen hat der Übermensch bis heute
eingelöst; unübersehbare Gräberfelder hat er hinterlassen; er sah das
Scheitern aller seiner Utopien von K wie Kommunismus bis K wie
Kapitalismus und steht vor den großen Problemen der Menschheit, ach, wie
eh und je betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen.
Zum anderen ist evangelischer Glaube ein Protestant gegen die Vergötterung
des Menschen, die im frommen Gewandt daherkommt. Eberhard Jüngel noch
einmal dazu: „Dass Gott in seiner Göttlichkeit menschlich ist, bedeutet
(jedoch) nicht, dass der Mensch in seiner Menschlichkeit göttlich ist. Er
will es zwar sein. Aber er wird eben dadurch unmenschlich. Der christliche
Glaube ist eine Auseinandersetzung mit der Unmenschlichkeit des Menschen.
Es gehört offensichtlich zur Eigenart des Menschen, dass er sich mit
göttlichen Prädikaten schmückt, dass er sein Vermögen, seine Vernunft,
seine Liebe, seine Kräfte oder auch seine Schwächen und in alle dem sich
selber auf mehr oder weniger sublime Art vergöttert oder vergöttern lässt.
Man sage nicht, dass sei eine Übertreibung. Vergötterung des Menschen
geschieht überall da, wo ein Mensch einen anderen verteufelt. … Die
Tendenz zur Selbstvergötterung und Verteufelung anderer ist nichts anderes
als die Tendenz zur totalen Selbstbezogenheit. … Die Bibel nennt das
Sünde.“ (ebd. S. 298)
Es gehört zu den Tragödien des Glaubens, dass er anstatt in die Freiheit
in die Knechtschaft führen kann. Dass er an Stelle der Hoffnung die Angst
schürt, indem er den Teufel an die Wand malt und andere verteufelt. Das
sind untrügliche Zeichen für Fundamentalismus. Evangelischer Glaube wird
sich weigern, den Teufel ernst zu nehmen. Das hätte der gern. Dass wir ihn
vielleicht gar in unser Glaubensbekenntnis aufnehmen. Evangelischer Glaube
wird auf den Herrn Jesus Christus sehen, der Teufel und Tod besiegt hat.
„Ein Wörtlein kann ihn fällen!“ (EG 362,4) Er wird auch auf die
Verteufelung anderer nicht mit Verteufelung antworten, sondern das
Evangelium predigen. Weltoffen und streitbar. Aus Freude an Gott und für
eine menschliche Welt.
Für eine menschliche Welt, wie Jesus sie in den Seligpreisungen verheißt.
Der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und selbst Protestant,
Reinhard Höppner, hat gesagt: „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik
machen. Aber wie sollte ich Politik machen ohne sie?“
Ja, wie sollten wir als Christen politisch handeln ohne sie? Gibt sie doch
Antwort auf die Frage, wie eine wahrhaft menschliche Gesellschaft
aussieht. Erinnert sie uns doch daran, dass zu einer menschlichen
Gesellschaft mehr gehört, als Arbeiten, Einkaufen und Rente kriegen. Wenn
dem Himmelreich die Zukunft der Welt gehört, dann hat eine Politik und
Gesellschaft, die nicht an den Seligpreisungen Maß nimmt, keine Zukunft.
Keine Zukunft hat eine Politik, die die materielle und geistige Not der
Menschen unbarmherzig übersieht, die aufhört für gerechte Verhältnisse im
Kleinen und im Großen zu kämpfen, die die Würde des ganz kleinen, des
kranken und des alten Menschen opfert auf dem Altar des totalen Marktes.
Die Seligpreisungen Jesu sind heilsame Zumutungen an die Politik. Sie sind
die Zumutung an alle Christen, in welcher Partei sie auch sind, für ein
menschliche Gesellschaft – für alle - einzutreten.
In aller Bescheidenheit, in Kenntnis der eigenen Grenzen. Aber auch in
Kenntnis der großen Hoffnung für die Welt und ihre Menschen. Das
Himmelreich kommt. Es ist die Zukunft der Welt. Durch unseren Herrn Jesus
Christus.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
(2)Und Jesus tat seinen Mund auf, lehrte sie und
sprach:
(3)Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
(4)Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
(5)Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
(6)Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie
sollen satt werden.
(7)Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
(8)Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
(9)Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
(10)Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn
ihrer ist das Himmelreich. |