Liebe Leser,
was hat sich die Christenheit an der Bergpredigt und besonders an
diesem Teil der Bergpredigt abgearbeitet! Und die Arbeit geht
weiter. Gott sei Dank. Recht hat ein Ausleger, der schreibt: „Der
Text zeigt, dass hier nicht (zuerst) der einzelne, sondern die
Gemeinde in ihrer Verantwortung für den einzelnen angesprochen wird.
Die Gemeinde ist der Ort, die Bergpredigt zu leben; jedoch gewinnt
die Gemeinde ihre Identität gerade im Überschreiten der eigenen
Grenzen. So wird die Bergpredigt für uns vor allem zur Anfrage an
die Gestalt unserer Kirche, und dann erst an jeden einzelnen von
uns.“ (Heinz Blauert, GPM, 3/1991, Heft 4, S.410)
So ist es! Denn es will einfach nichts Rechtes werden, die
Zumutungen der Bergpredigt auf das fromme Leben des einzelnen zu
beziehen und als Kirche unseren Herrn Jesus einen guten Mann sein zu
lassen. Hier das geistliche Leben im Inneren der Kirche und nach
außen mischt man fröhlich mit im Getriebe der Welt und segnet die,
die der Meinung sind, dass man mit der Bergpredigt keine Politik
machen könne. Leider. Deshalb müsse die Kirche nicht bei ihrem Herrn
Jesus Christus, sondern bei der Politik und der Wirtschaft lernen,
was zu ihrer Gestalt und zu ihrem Überleben wichtig ist. Wundert es
da, das manche den Eindruck gewinnen, dass es in der Kirche noch
nicht mal zugeht, wie es Jesus bei den Heiden und Zöllnern für
selbstverständlich hält? Dass sie die lieben, die sie lieben und
dass sie zu ihren Schwestern und Brüdern freundlich sind?
Eine Kirche, die sich damit abfindet, darüber nicht mehr unruhig
wird, darunter nicht mehr leidet, schafft sich ab und hört auf
Kirche Jesu Christi zu sein. Mag Leszek Kolakowski recht haben, der
meint, „dass es nur sehr wenige gibt und je geben wird, die dieser
Aufforderung (Jesu) wirklich gewachsen sind.“ Ganz sicher aber hat
er recht, wenn er fortfährt: Aber „auf den Schultern dieser Wenigen
beruht das Gebäude unserer Zivilisation und das Geringe, wozu wir
fähig sind, verdanken wir ihnen.“ (zitiert nach Blauert, aaO, S.411)
Können wir das noch sehen in unsrer von Angst, Hass und Krieg
zerfressenen Welt? Oder sind wir blind und unsere Herzen längst zu
Stein geworden? Vielleicht hilft uns ein Muslim, ja ausgerechnet ein
Muslim wie der Schriftsteller und habilitierte Orientalist
Navid
Kermani, die Augen wieder aufzumachen. Der diesjährige
Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels schrieb im vergangenen
Jahr im Spiegel:
„Wenn ich etwas am Christentum bewundere, oder vielleicht sollte ich
sagen: an den Christen, deren Glauben mich mehr als nur überzeugte,
nämlich bezwang, aller Einwände beraubte, wenn ich nur einen Aspekt,
eine Eigenschaft zum Vorbild nehme, zur Leitschnur auch für mich,
ist es die Liebe, insofern sie sich nicht nur auf den Nächsten
bezieht. In anderen Religionen wird ebenfalls geliebt, es wird zur
Barmherzigkeit, zur Nachsicht, zur Mildtätigkeit angehalten. Aber
die Liebe, die ich bei vielen Christen und am häufigsten bei jenen
wahrnehme, die ihr Leben Jesus verschrieben haben, den Mönchen und
Nonnen, geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott
kommen könnte: Ihre Liebe macht keinen Unterschied.
Gewiss findet sich der Gedanke, dass die Menschenkinder alle Brüder
sind, ‚aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder‘ wie es bei dem
klassischen persischen Dichter Saadi heißt, durchaus im Islam und
geht das tätige Erbarmen zumal im Sufismus über die Grenzen der
eigenen Gemeinschaft hinaus. Bezeichnend allerdings ist, dass selbst
die Sufis die Hinwendung zum Fremden, zum Andersgesinnten, zu den
Angehörigen anderer Gemeinschaften - und die sind mit der
Feindesliebe schließlich gemeint, die nicht die Liebe des Schafes
zum Schlachter ist - christlich konnotieren und ausdrücklich das
Vorbild Jesu anführen. Auch wenn sie keine Christen sind, nehmen sie
ihre Liebe als ‚christlich‘ wahr.
Und doch bleibt ein Rest, der mir unerklärlich ist, auch
theologisch, weil keine andere Religion einen so absoluten Anspruch
- niemand kommt zum Vater denn durch diesen einen Sohn - und damit
ausschließenden Zug wie das Christentum aufweist. Die harten,
unversöhnlichen Sätze, mit denen der Erlöser, als der Jesus auch im
Koran genannt wird, die große Mehrheit der Menschen verdammt, ihnen
das ewige Höllenfeuer prophezeit, gehören genauso zum Evangelium wie
seine Güte. Wäre ich misstrauisch, dächte ich, die Christen wollten
mit ihrer Liebe in dieser Welt darüber hinwegtrösten, dass in der
anderen Welt nur sie selbst auf Gnade hoffen dürfen. Allein, ich bin
nicht mehr misstrauisch, sondern jedes Mal dankbar, wenn ich Liebe
erfahre, die keinen Unterschied macht.“ ("Seine Liebe macht
keinen Unterschied", Der Spiegel, 10/2014, S.112) Zitat Ende.
Nun ja, über das ewige Höllenfeuer für die Mehrheit müssen wir unter
Theologen nochmal reden. Und auch mit dem Evangelisten Matthäus
müssen wir streiten, weil er behauptet, es gäbe im Alten Testament
das Gebot, seine Feinde zu hassen. Gibt es nicht! Wohl aber steht
dort das Liebesgebot, das Jesus ganz im Sinne des Alten Testament
auslegt und uns darauf hinweist, dass dieses Liebesgebot eben keinen
Unterschied und keine Grenze kennt. Das muss so sein, weil es von
dem Gott stammt, dessen Liebe keinen Unterschied macht und keine
Grenzen kennt!
Navid Kermani hat diese Liebe gesehen bei dem Jesuiten Pater Paolo
in Syrien, der das Assadregime offen kritisierte, deshalb das Land
verlassen musste und schon in Sicherheit war. Im Sommer 2013 kehrte
der Gründer der Gemeinschaft von Mar Musa noch einmal heimlich nach
Syrien zurück, um sich für einige muslimische Freunde einzusetzen,
die in den Händen des „Islamischen Staats“ waren, und wurde selbst
vom „Islamischen Staat“ entführt. Seit dem 28. Juli 2013 fehlt von
Pater Paolo Dall’Oglio jede Spur.
Wie mag man ein solches Verhalten eines Christenmenschen nennen? Ja,
ich weiß, dass uns da schnell das Wort „dumm“ in den Sinn kommt.
Dumm finden das alle, die lieber ihr Schäfchen im Trockenen haben
und über die böse Welt schimpfen. Das Gegenteil von Liebe ist nicht
Hass, sondern Gleichgültigkeit. Deshalb kann es höchste
Lieblosigkeit sein, dem Schlachten und den Schlächtern dieser Welt
zuzuschauen und ihnen nicht in den Arm zu fallen - wenn alle anderen
Mittel erschöpft sind, auch mit Gewalt. Dietrich Bonhoeffer hat das
genauso gesehen.
Pater Paolo freilich zeigt uns etwas von der Liebe des Christus, die
wie die Liebe seines himmlischen Vaters keinen Unterschied macht und
keine Grenzen kennt. Sie ist beharrlich und trotzig. Sie trotzt
allen Unterschieden und Grenzen. Sie reißt sie ein. Das und nichts
anderes ist Gottes Strategie zur Erlösung und Befriedung der Welt.
Deshalb lässt sich der Christus auf die linke Backe schlagen und das
letzte Hemd ausziehen. Deshalb begleitet er uns auf unserm Weg als
Mensch vom Anfang bis zum Ende. Deshalb betet er für die, die ihn
kreuzigen. Deshalb gibt er sein Leben her – für seine Freunde und
für seine Feinde. An Ostern zeigt Gott allen, die mit Gewalt und Tod
ihre Geschäfte machen und sich für die Herren der Welt halten, dass
dem Trotz der Liebe die Zukunft gehört.
Nicht von der Moral hat der Christus heute zu uns gesprochen und
auch nicht von Gut und Böse, sondern von der Liebe Gottes, die
keinen Unterschied macht und keine Grenzen kennt. Eine solche Liebe
lässt sich nicht machen und befehlen. Sie ergreift von uns Besitz.
Wenn der Christus in uns wohnt und Gottes Wort unter uns, wird auch
uns nichts anderes übrig bleiben, als alle Unterschiede und Grenzen
hinter uns zu lassen, der Angst ins Gesicht zu lachen und die
Hoffnung nicht aufzugeben – für unsere Freunde und für unsere
Feinde, für die oft so scheinheilig und ungeistlich daherkommende
Kirche und für unsere verlorene Welt.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
38 Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose
21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
39 Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel,
sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete
die andere auch dar.
40 Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen,
dem lass auch den Mantel.
41 Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit
ihm zwei.
42 Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der
etwas von dir borgen will.
43 Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten
lieben« (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen.
44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die
euch verfolgen,
45 damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine
Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und
Ungerechte.
46 Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn
haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner?
47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr
Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?
48 Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel
vollkommen ist.
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