Predigt     Matthäus 6/19-23     Erntedankfest     30.09.07

"Die Schatzkammern des Himmels"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Schätze sind etwas Spannendes. Schon als Kind bin ich gerne auf Schatzsuche gegangen, habe Schatzkarten gemalt, und den Film zur Schatzinsel von Robert L. Stevenson konnte ich nicht oft genug sehen. Und tatsächlich haben wir alle so manchen größeren oder kleineren Schatz auch gefunden oder erworben, nach dem wir uns als Kind gesehnt haben, oder der uns später als wichtig erschien: das Auto und der Fernseher, die Zusatzrenten- und Pflegeversicherung, das Sparbuch für die Kinder und Enkel, und natürlich das, was man sich sonst so gönnt, wie Kino und Urlaub. Und ein Schatz kann auch unser Beruf sein, unser Ansehen und unser Ruf.
„Sammel dir keine Schätze auf Erden!“. Jesus übergibt heute all unseren Besitz, unsere großen und kleinen Schätze den Motten, dem Rost und den Dieben. Knallhart und radikal qualifiziert er alles ab. Warum tut er das?

Jesus provoziert uns und weckt unsern Widerspruch: „Wir brauchen doch Geld und Gut zum Leben!“, halten wir ihm entgegen. Und damit hat er uns da, wo er uns haben will: Uns wird nämlich bewusst, wie wichtig uns die Schätze dieser Welt sind und wie wir von ihnen abhängen. Jesus weiß, dass die Sorge ums Materielle leicht und oftmals unbemerkt die Herrschaft über uns übernimmt. Und dann stehen wir in der Gefahr, dass es in uns finster wird (V22f): Denn zum einen verdirbt dabei schnell unser Herz.

Das weiß auch der Dichter, der uns zuruft:
„Auch bet ich [Gott] (…) von Herzen an,
dass ich auf dieser Erde
nicht bin ein großer reicher Mann
und wohl auch keiner werde.
Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht,
hat mancherlei Gefahren,
und vielen hats das Herz verdreht,
die vorher wacker waren.
(Detlef Puttkammer)

Was für den König und den Reichen gilt, davor ist auch der kleine Mann nicht gefeit.
Und zum anderen besteht die Gefahr, dass wir von den Dingen des irdischen Lebens zuviel erwarten und sie verabsolutieren: Was geschieht mit dem Menschen, dessen größter Schatz die berufliche Anerkennung ist, durch die er sein Selbstwertgefühl gewinnt, wenn er plötzlich in eine berufliche Krise gerät? Wenn unser Auge auf die Schätze dieser Welt fixiert ist, dann wird jeder Verlust zur Katastrophe, dann wird es in uns finster sein.

Deshalb nimmt uns Jesus in dieser Stunde durch seine Predigt einmal alles ab, was wir haben, er lässt es die Motten und den Rost fressen. Er unterbricht das Leben, das dem Takt des Haben- und Absichern-Müssens folgt und ruft uns zu: Sammelt euch Schätze im Himmel!

Doch was sind das für Schätze? Dazu schweigt unser Text. Vorher spricht er noch so konkret von Motten und Rost, hier lässt er uns alleine. Zu gerne möchte ich einen Blick in die himmlische Schatzkammer werfen. Mit diesen Gedanken ging ich letzte Woche zu Bett und schlief ein. Und dann hatte ich einen Traum:

Es klopft an meiner Tür. Ich öffne. Ein Mann steht vor mir, er trägt einen blauen Mantel. Tiefe Falten im Gesicht zeugen von großer Lebenserfahrung und Weisheit.
„Sie wünschen bitte?“.
„Du willst doch wissen“, fragt er mich, „was in der himmlischen Schatzkammer ist. Ich kanns dir zeigen!“.
„Wer bist du denn überhaupt?“, frage ich misstrauisch.
„Ich bin Makiaros, nach katholischer Lehre der zuständige Heilige für alle Verwalter. Deshalb ist mir auch die Verwaltung der himmlischen Schatzkammer übertragen worden. Komm mit!“.
Und ich komme mit! Und so fliegen wir gemeinsam in einem himmlischen Schlitten, gezogen von zwei Engeln, in die Höhe. Wir passieren die Himmelspforte, Petrus winkt uns freundlich zu. Und weiter geht’s, bis wir vor einer großen stattlich befestigten Lagerhalle zum Stehen kommen.
„Hier kannst du einen Blick auf die Schätze des Himmels werfen.“.
Die Spannung steigt, ich bekomme Herzklopfen. Ich berühre die Türklinke, Makiaros nickt mir freundlich zu. Ich öffne die Türe und blicke in die Halle. Und ich traue meinen Augen nicht: Die Halle ist leer!
„Da ist ja gar nichts drin?“, frage ich vorwurfsvoll.
„Doch, sieh genau hin, dort hinten am großen Fenster.“. Und tatsächlich, dort am Fenster steht ein riesiges Fernrohr. Das soll der Schatz im Himmel sein?
„Wessen Herz für den Himmel schlägt, der hat viele himmlische Schätze“, erklärt Makiaros mir. „Zwei werde ich dir zeigen.“. Makiaros geht ans Fernrohr und justiert es ein. Dann tritt er zurück, lässt mich durchschauen und blickt mich erwartungsvoll an.

Ich sehe durchs Fernrohr unsere Hospitalkirche. Der Altar ist voll von Erntegaben. Ich sehe Kinder, die mit glänzenden Augen Körbchen mit Gemüse und Obst nach vorne bringen, und deren Blick staunend an den vielen Früchten und Gaben hängenbleibt. Aus ihren großen Augen spricht Begeisterung. Da begreife ich: Diese Kinder empfinden echte Freude an dem, was durch Gottes Güte uns wieder geschenkt wurde. Sie staunen über das Wunder des Wachsens und Reifens. Von Herzen Gott dankbar sein - das ist ein himmlischer Schatz!

Ich frage mich, wenn ich diese Kinder so sehe: Wie dankbar bin eigentlich ich? Ich habe nicht gesät und nicht das Wachstum verfolgt. Ich gehe in den Obstladen oder Supermarkt und bekomme alles zu jeder Jahreszeit. Ja, müsste ich nicht bei jedem mal, wo ich mit dem Einkaufswagen durch den Supermarkt fahre ein riesiges Dankgebet sprechen, staunen angesichts des Reichtums, mit dem Gott mich und uns beschenkt? Wir haben auf unserem Altar neben Äpfeln und Kartoffeln auch eine Packung Milchreis stehen: Für alle Nahrung danken wir Gott, auch für die, die wir von den Regalen in unseren Einkaufswagen legen. Dankbar bin ich auch für alles, was mir in der vergangenen Zeit geschenkt wurde: der erholsame und interessante Urlaub, die Früchte, die meine Arbeit trägt und, und, und … Alles, was uns zur Ernte wurde, verdient heute auf den Altar gelegt zu werden. Und dabei verbinden sich die Freude über die Güter und das Gelingen des eigenen Tuns mit der Einsicht, dass alles Wachsen und Tun des Segens bedarf: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.“. Und wenn ich dies singe, dann ist für mich diese Dankbarkeit identisch mit dem himmlischen Schatz des Glaubens: Ich vertraue mich dem Gott an, der uns das gibt, was wir zum Leben brauchen!

Ich sehe noch einmal durchs Fernrohr auf die Kindern: Ihre Augen leuchten. Menschen, die den Schatz der Dankbarkeit in sich tragen, in denen ist es hell. Und damit erscheinen die irdischen Güter für mich plötzlich auch in einem anderen Licht, denn: Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird (1.Tim 4,4).
Da reißt Makiaros mich aus meinen Gedanken. Er ergreift das Fernrohr und sucht ein neues Ziel. Ich sehe wieder durchs Fernrohr.

Diesmal sehe ich drei Männer mit einem merkwürdigen Gebilde in der Hand, grau, verschrumpelt und knochenhart – ein vertrocknetes Stück Brot. Einer von ihnen fragt eine Dame, die wie eine Haushälterin aussieht: „Schauen sie, was wir im Nachlass unseres Vaters gefunden haben. Was hat's denn damit auf sich?“.

Die Haushälterin erzählt: In den Hungerjahren nach dem Krieg hatte euer Vater, der Medizinalrat, einmal selbst schwer darniedergelegen. Kräftige Kost war nötig, aber rar. Da schickte ein Bekannter ein halbes Brot, gutes vollwertiges Schrotbrot. Zu der Zeit war gerade im Nachbarhaus die kleine Tochter des Lehrers krank. Der Medizinalrat schickte darum das Brot, ohne selbst davon zu essen, den Lehrersleuten hinüber. Aber auch diese wollten das Brot nicht behalten, die alte Witwe drüben unter dem Dach im Notquartier brauchte es bestimmt notwendiger. Die gab es an ihre Tochter mit den beiden Kindern in der kümmerlichen Kellerwohnung weiter; die erinnerte sich an den kranken Medizinalrat, der kürzlich einen ihrer Buben behandelt hatte, ohne etwas dafür zu verlangen. Wir haben es sogleich wiedererkannt, an der Marke, die auf dem Boden des Brotes klebte und ein buntes Bildchen zeigte. Als der Medizinalrat sein eigenes Brot wieder in den Händen hielt, da war er maßlos erschüttert und hat gesagt: „Solange noch die Liebe unter uns ist, die ihr letztes Stück Brot teilt, solange habe ich keine Furcht um uns alle … Dieses Brot hat viele Menschen satt gemacht, ohne dass ein einziger davon gegessen hätte.“

Als ich das durchs Fernrohr miterlebe wird mir bewusst: Das ist auch ein Schatz des Himmels - mit dem Herzen bei dem anderen Menschen zu sein, seine Not zu sehen, und ihm zu helfen. Was wäre das denn für ein Dank am Erntedankfest, wenn ich meine Mitmenschen aus den Augen verliere? Von Herzen danken und von Herzen der Schwester und dem Bruder in Not geben, das gehört zusammen. Gott sei Dank gibt es viele Menschen, die das tun: Meine Schulklasse im Gymnasium hat ein Patenkind in der Dritten Welt: Jeder spendet pro Monat einen Euro, und so wird diesem Kind eine Schulausbildung und ein warmes Mittagessen gegeben. Die Klasse hat sich zusammengetan – das überfordert keinen finanziell. Und ich kenne eine Frau, die immer ein offenes Ohr und Zeit für ihre Nachbarn und Freunde hat: Sie teilt ihre Zeit und verschenkt ihr Verständnis und ihren Rat. Und sie fühlt sich wohl dabei: Das Schenken macht es in Menschen hell. Schafft euch Schätze im Himmel – der Blick für unseren Nächsten, das ist so ein Schatz. Zum Glauben an den guten Geber aller Gaben kommt damit die Liebe zum Nächsten!

Makiaros reißt mich aus meinen Gedanken: „So, jetzt bringe ich dich schnell wieder auf die Erde, denn dort wartet noch ein Schatz auf dich. Den zeige ich dir nicht durchs Fernrohr, den darfst du selber erleben. Du hast dich vielleicht schon gefragt, wo hier oben Gott ist. Den haben wir hier schon lange nicht mehr gesehen. Er ist ständig unten bei euch. Ihr werdet im Erntedankgottesdienst Abendmahl feiern. Und im Abendmahl, da begegnest du Gott: Da darfst du zum Altar kommen, mit all den Sorgen, die du mit dir trägst, und du darfst dich stärken lassen durch Brot und Wein. Das Abendmahl ist der himmlische Schatz der Hoffnung und des Trostes. Zum Glauben und zur Liebe kommt also die Hoffnung. Dieser Schatz ist sogar schmeckbar! Und ist das nicht übrigens der wertvollste Schatz, zu wissen: Gott ist mitten unter euch?“.

Ich wache auf. Ich bin zurück in meinem Zimmer, von wo ich auf diese spannende Schatzsuche in den Himmel aufgebrochen bin. „Wir brauchen doch Geld und Gut zum Leben“, so habe ich noch vorhin gegen Jesu Worte protestiert! Es hat aber gutgetan, sich von seinen provozierenden Worten irritieren zu lassen, einmal für ein paar Momente alle irdischen Güter zurückzulassen, und einen Ausflug in die himmlische Schatzkammer zu unternehmen. Ach wenn wir uns doch immer wieder von Jesus irritieren lassen würden! Glaube, Liebe und Hoffnung habe ich in der Schatzkammer gefunden. Und die Liebe ist der größte Schatz, denn was wäre Glaube oder Hoffnung ohne Liebe? Und da dachte ich mir nach meinem Traum: Das muss ich meiner Gemeinde erzählen, damit für uns alle die Schätze der Erde zu wirklichen Schätzen werden: Essen und Trinken und Hab und Gut zum Grund großer Freude und Dankbarkeit, unser Besitz, unsere Zeit und unsere Energien zum Wohle des Nächsten, und Brot und Wein zur Speise unserer Seele. „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, die Liebe aber ist die größte unter ihnen.“ (1.Kor 13,13)!

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

Christus spricht:

19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen.
20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.
21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
22 Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.
23 Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!


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