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       Liebe Leser, 
      wie wagen wir es eigentlich so zu beten? Tag für 
      Tag, Sonntag für Sonntag, alle miteinander? Wie wagen wir es eigentlich so 
      zu beten: Vater unser?  
       
      Wo es doch die Ausnahme ist, dass väterlich, mütterlich oder 
      geschwisterlich miteinander umgegangen wird. Dein Reich komme? Wo doch auf 
      dieser Welt alle möglichen schrecklichen Reiche kommen, aber nicht Gottes 
      Reich.  
       
      Dein Name werde geheiligt? Wo doch das Wort Gott ein Allerweltswort ist, 
      das alles und nichts bedeuten kann und für alle möglichen und unmöglichen 
      Ausrufe herhalten muss. Dein Wille geschehe? Wo schon Machiavelli gesagt 
      hat, mit dem Vaterunser könne die Welt nicht regiert werden. Und mit der 
      Bergpredigt, in der das Vater unser steht, erst recht nicht. Im Himmel 
      vielleicht, aber nicht auf Erden. 
       
      Und vergib uns unsere Schuld? Welche Schuld? Wo Schuld doch immer die 
      anderen sind, die Gesellschaft, die Verhältnisse, die schwere Kindheit. Wo 
      doch nur Schwächlinge Schuld eingestehen, wenn es keinen anderen Ausweg 
      mehr gibt und dann gefälligst zurücktreten.  
       
      Wie wagen wir es eigentlich so zu beten? So könnten wir heute gefragt 
      werden. Und darüber erschrecken, heilsam erschrecken. Damit wir wieder 
      einmal nachdenken, was wir da im Vaterunser eigentlich beten, Tag für Tag, 
      Sonntag für Sonntag, laut und öffentlich. 
       
      Und wenn wir dann suchen, wo der Grund und Mut zu diesem Gebet zu finden 
      ist, dann lasst uns um Gottes Willen nicht bei uns selbst anfangen. Wir 
      als Kirche und Gemeinde, als Mitarbeiter oder Pfarrer, als Gemeindegruppe 
      oder kirchlicher Dienst stehen keinen Deut besser da, als alle anderen. 
      Alles andere wäre gelogen. Heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der 
      Heiligen sind wir gerade nicht, weil wir heiliger sind als der Rest der 
      Welt. Gemeinschaft der Heiligen sind wir gerade als der Teil der Welt , 
      der Gott seine Schuld bekennt und von ihm Güte und Erlösung erbittet. 
      Heilig sind wir allein durch das, was Gott uns unverdient und freiwillig 
      schenkt und zukommen lässt. Der Mut zum Vaterunser ist bei uns selbst 
      nicht zu finden. 
       
      Auch nicht in unseren Träume von einer besseren Welt. Immer wieder einmal 
      behandeln wir auf unserer jährlichen Konfirmandenfreizeit das Vaterunser 
      und träumen vom schönsten Tag der Welt. Wir haben diese Träume in 
      Bittgebete gefasst und fanden sie alle in den Bitten des Vaterunsers 
      wieder. Das Vaterunser ist offenbar ein Gebet voller Träume. Nehmt keinem 
      seine Träume. Sie werden uns ja früh genug genommen durch die eigene 
      schmerzliche Enttäuschung und den Einblick in die Geschichte, aus der wir 
      herkommen und in die wir oft genug trotz bester Absichten immer wieder 
      hineingeraten.  
       
      Ist das Vaterunser also ein Gebet voll enttäuschter Träume? In der Tat, 
      die Frage nach dem Mut zu diesem Gebet trägt die Last der 
      Enttäuschung. Der Enttäuschung über den Menschen, der man selber ist und 
      die Enttäuschung über die Menschheit und das, was sie aus unsere schönen 
      Welt gemacht hat und macht. Warum soll es dann noch voll Naivität oder 
      voll schmerzhafter Enttäuschung gebetet werden? 
       
      Die Antwort kann nur lauten: Weil unser Herr Jesus 
      Christus es uns gelehrt hat! Das allein gibt uns den Grund und den Mut für 
      dieses Gebet. Trotz der Verhältnisse auf unserer Welt. Ja gerade deshalb! 
      Die Bitten des Vaterunsers spiegeln nicht die Verhältnisse unserer Welt 
      wieder, sondern die Verhältnisse im Reich Gottes. Das Vaterunser ist ein 
      heiliges, ein zu Gott gehöriges Gebet. Gott selbst bürgt dafür, dass das 
      was im Vaterunser erbeten wird, in Erfüllung geht, dass diesen Bitten 
      trotz allem die Zukunft der Welt gehört. Muss es 
      dann überhaupt noch gebetet werden. Martin Luther im Kleinen Katechismus: 
      „Gottes Reich kommt wohl ohne unser Gebet von sich selbst, aber wir bitten 
      in diesem Gebet, dass es auch zu uns komme.“ Gottes guter Wille geschieht 
      wohl ohne unser Gebet, aber wir bitten in diesem Gebet, dass er auch bei 
      uns geschehe.  
       
      Das Gebet hat nicht die Funktion einen schlafenden oder in Gedanken 
      versunkenen Gott darauf aufmerksam zu machen, dass es bei uns drunter und 
      drüber geht. Gott ist immer um unsertwillen in Bewegung. Seine Güte ist 
      alle Morgen neu, bevor wir um sie bitten. Darum sollt ihr nicht viel 
      plappern, wie die Heiden, denn sie meinen sie werden erhört, wenn sie 
      viele Worte machen. Das hört so mancher Gebetskreis nicht gern. 
      Gebetsgemeinschaft ist etwas anderes als ein geistliches Kaffeekränzchen, 
      wo man nicht weiß, wer eigentlich mit wem redet. Auch das Beten hat seine 
      Jugendsünden. 
       
      In unserem Wochengottesdienst am Freitag haben wir zu Beginn eine stille 
      Zeit. Am Anfang wussten nur wenige etwas mit ihr anzufangen. Ein Frau 
      sagte mir nach einiger Zeit: „Ich kann nirgendwo sonst so beten, wie in 
      dieser gemeinsamen stillen Zeit.“ Da wurde auch mir deutlicher, was wir 
      tun: Wir finden uns gemeinsam ein in die Gegenwart Gottes mit allem, was 
      wir sind. Das ist das Wesen des Gebets. 
       
      Gebet ist die Tür, die wir aufmachen, wenn Gott um Einlass bittet. Es sind 
      unsere Hände, die nach den offenen Händen Gottes suchen, sie finden und 
      sich in seine hineinlegen. Im Gebet ist unser unruhiges Herz unterwegs um 
      in Gottes Herzen Ruhe zu finden.  
       
      Dabei kann es sehr gut sein, dass wir einen schonungslosen Blick in unser 
      Herz tun. Uns unserer Sorgen und Lasten, unserer Schmerzen und unserer 
      Enttäuschung und Trauer überwältigend bewusst werden. Vielleicht können 
      wir das überhaupt nur im Gebet. Weil nur dort unser Herz nicht zerreißt 
      und zerbricht. Es zerbricht nicht, weil Gottes Hände es umschließen und 
      zusammenhalten. Er ist da, unser Vater. Vater unser! Dein Wille geschehe. 
      Sein Wille hat unser Wort nicht mehr nötig. 
       
      Das ist der Weg, den uns das Gebet Jesu führt. Es spiegelt nicht unsere 
      Verhältnisse. Es ist Wegweiser unseres Glaubens und unserer Hoffnung, dass 
      wir trotz allem einen rechten Vater haben und seine Kinder sein dürfen, 
      auf dass wir – so Luther – getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten 
      sollen, wie Kinder ihren Vater. 
       
      Wir! Das „Ich“ kommt im Vaterunser nicht vor. Das 
      Vaterunser ist das Gebet der Gebetsgemeinschaft. Ein armer Christ, der 
      keinen hat und keinen braucht und keinen will, mit dem er es beten kann. 
      Ein solcher Christ bringt sich um die Erfahrung, wie dieses Gebet auch den 
      verstummten Mund wieder mitbewegt und schließlich auch ein verbittertes 
      Herz wieder öffnen kann. Ein solcher Christ vernimmt auch nicht, dass das 
      Vaterunser unsere Herzen nicht nur zu Gott, sonder auch zueinander 
      bekehrt. 
       
      Deshalb lässt Jesus uns beten: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir 
      vergeben unseren Schuldigern. Das heißt nicht, seid so barmherzig, wie die 
      anderen mit euch barmherzig sind. Es heißt: Seid zu jedem Menschen so 
      barmherzig, wie Gott euch barmherzig ist. Lasst in dem Maße, wie die Güte 
      Gottes euere Herzen zu ihm bekehrt, euere Herzen auch zum anderen 
      bekehren. Es gibt keine endgültig verfahrenen Verhältnisse im Reich 
      Gottes. Nicht im Himmel und auch nicht auf Erden.  
       
      Das ist die Botschaft, die wir als christliche Gemeinde unserer Welt 
      auszurichten haben. Dafür wollen wir Anfänge und Zeichen setzen. Aber auf 
      die wollen wir uns nicht verlassen, sondern auf den Gott, dessen Wort uns 
      Grund zur Hoffnung gibt. Und auf das Gebet zu unserem himmlischen Vater, 
      in dem wir bitten, dass sein Wille auch bei uns geschehe. Denn SEIN ist 
      das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. 
       
       
        
      
        Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de)  | 
    
      
      Text:  
       6,7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel 
      plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie 
      viele Worte machen. 
      6,8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr 
      bedürft, bevor ihr ihn bittet. 
      6,9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde 
      geheiligt. 
      6,10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. 
      6,11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 
      6,12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern 
      Schuldigern.  
      6,13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. 
      Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. 
      Amen.  |