Liebe Leser,
was habe ich in jungen Jahren Sandburgen gebaut! Nein, nicht im
übertragenen Sinn, sondern richtige Sandburgen im Sand am Strand des
Meeres. Das geht ja nur dort am besten, wo der Sand schön nass ist,
also in dem nassen Streifen, den die Ebbe zurücklässt. Und weil das
so ist, bekommt man schon als junger Mensch einen Einblick in die
Natur der Dinge allgemein. Dort, wo die schönste Sandburg gebaut
werden kann, nimmt die nächste Flut sie garantiert wieder mit. „Ach
wie nichtig, ach wie flüchtig/ sind der Menschen Sachen!/ Alles,
alles, was wir sehen,/ das muss fallen und vergehen.“ (EG 528/8).
Wir mussten jedes Mal einsehen, dass keine unserer Bemühungen, die
Sandburg gegen die herannahende Flut zu verteidigen, auch nur den
Hauch einer Chance hatte. Kinder stört das nicht. Morgen bauen sie
eine noch bessere. Sandburgenbauen ist Philosophieunterricht und
eine gute Einführung in die rechte Lebenskunst.
Später, also so mit 35, in einem Alter, in dem der Mensch am Strand
normalerweise längst die Schaufel mit der Bierbüchse oder der
Rotweinflasche getauscht hat, konnte man mich immer noch
gelegentlich Sandburgen bauen sehen. Auch wenn Sie – wie ich – keine
eigenen Kinder haben, gilt: Am Strand finden sich genug Kinder, die
gerne von einem erfahrenen Sandburgenbauer noch was lernen. Und mir
wurde dann sogar von vorbeispazierenden Erwachsenen hin und wieder
das Kompliment zuteil, ich wäre doch (guck mal!) ein Vater, wie man
ihn sich wünscht.
Nicht nur deshalb ist das Bauen von Sandburgen eine durchaus
lohnende Tätigkeit. Nützlich ist sie auch, weil wir so nicht
vergessen, wie das mit den Dingen dieser Welt so ist. Die Kinder
wissen das noch, während die Väter, wie gerade beschrieben, ab einem
gewissen Alter oben am Strand im Strandkorb sitzen und sich über ihr
Haus, ihr Auto, ihren Beruf, ihre Firma unterhalten und natürlich
über todsichere Geldanlagen in Aktien, Immobilien und Edelmetalle.
Mit Jesus von Nazareth wären solche Unterhaltungen wohl kaum
ernsthaft zu führen. Nichts kann Vätern im Urlaub, die sich über
todsichere Geldanlagen unterhalten, mehr den Spaß verderben, als
dass man sie nicht ernst nimmt, blöde Witze über das Thema macht,
oder zu verstehen gibt, dass man besser mit den Kindern unten am
Strand Sandburgen bauen würde. Jesus von Nazareth würde genau das
tun. Da bin ich mir sicher.
Unser heutiger Predigttext weist darauf hin. Und noch mehr die ganze
Rede, auf die er sich bezieht. Das Gleichnis vom klugen Mann, der
sein Haus auf den Felsen baute und vom törichten Mann, der sein Haus
auf Sand baute, ist der krönende Abschluss der Bergpredigt und kann
daher gar nicht ohne sie verstanden werden, schon gar nicht als
Gemeinplatz allgemeiner Lebensweisheit. Es gibt ja kaum einen
Gemeinplatz allgemeiner Lebensweisheit, den die Bergpredigt nicht in
Frage stellt. Das geht schon los mit den Armen, Leidenden,
Sanftmütigen, Rechtlosen, Friedfertigen und Verfolgten, die als die
wahrhaft Glücklichen bezeichnet werden. Das geht dann weiter mit
einer Auslegung der 10 Gebote, bei der auch der Gutwillige die Segel
streichen muss und all diejenigen, die diese Gebote so gern als
vernünftig verkaufen. Bitte schön, es muss doch einen Unterschied
geben zwischen einem Mord und einer Beschimpfung. Jemanden umbringen
und einen Blödmann nennen, ist doch nicht dasselbe, Herr Jesus! Und
schließlich die unversöhnlichen Worte zum Thema Geld: Ihr könnt
nicht Gott dienen und dem Mammon. Das geht nicht! Jesus will sich
nicht einmal über ökologisch und ethisch einwandfreie Geldanlagen
unterhalten. Jesus will sich überhaupt nicht über Kapitalanlagen
unterhalten und empfiehlt stattdessen einen eingehenden Blick auf
die Lilien auf dem Feld und die Vögel unter dem Himmel und
vielleicht sogar auf die Sandburgen am Strand.
Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Diese Bergpredigt
scheint nach unseren Maßstäben selbst eine einzige Sandburg zu sein,
weil man ihr in so wenigen Punkten gedanklich und praktisch folgen,
genügen und entsprechen kann. Sie ist eine einzige Zumutung an die
allgemeine Lebensweisheit und jeden ethischen Gemeinplatz. Und
ausgerechnet am Schluss dieser Predigt fordert Jesus uns auf, das
Gehörte nun gefälligst auch zu tun. Denn ansonsten wird der Absturz
groß sein.
Ich bezweifle, dass uns die Erinnerung auf die Sprünge hilft. Am 11.
September wird genau 10 Jahre her sein, was Botho Strauß im
„Spiegel“ beschrieb: „Für einen Moment ist die Welt, wie sie war,
beim vollem Lauf in sich zusammengesackt, als die Türme von
Manhattan, die beiden Schwurfinger des Geldes, mit einem
fürchterlichen Schlag abgehackt wurden“. (Der Spiegel, Nr. 41 vom
08.10.01, S. 225) Dass die Börsen damals in die Knie gingen, hat
keinen verwundert. Dass sie dieser Tage noch schlimmer in die Knie
gehen, als damals, verwundert dagegen alle, weil doch die
Fundamentaldaten der Wirtschaft nach der Finanzkrise 2008 wieder
stimmen. Trotzdem hat die deutsche Börse in den letzten Wochen 25%
ihrer Werte in den Sand gesetzt.
Es gibt genügend Zeiten im Leben, in denen wir einsehen, dass keine
unserer Bemühungen, unsere Sandburgen gegen die herannahende Flut zu
verteidigen, auch nur den Hauch einer Chance hat. Aber vielleicht
fällt es uns dann leichter, den Worten eines Apostels Paulus
zuzuhören, der schreibt: „Einen andern Grund kann niemand legen als
den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1. Korinther
3/11) Und damit sind wir dem Gleichnis vom Hausbau und der
Bergpredigt selbst auf der Spur. Nein, die ist nicht wichtig und
wahr, weil sie vernünftig, ethisch oder einfach schön wäre, sondern
weil sie aus dem Mund des Christus stammt. Aus dem Mund des
Christus, den wir als den Logos, das fleischgewordene Wort Gottes,
die menschgewordene Weisheit Gottes bekennen. Er ist der Anfang und
das Ende von allem. Er ist das steinerne Fundament, auf dem alles
steht, was bleibt im Leben und im Sterben. Was sich auf ihn baut und
was er in uns baut, das braucht keine Flut, keinen Sturm, keine
Katastrophe zu fürchten.
Deshalb schreibt Meister Eckhart: „Es dünkt viele Leute, sie müssten
große Werke in äußeren Dingen tun. … Die wahre und allerbeste Buße
aber, mit der man kräftig und in höchstem Maße Besserung schafft,
besteht darin, dass der Mensch sich gänzlich und vollkommen abkehre
von allem, was nicht völlig Gott … ist, und sich gänzlich und
vollkommen seinem lieben Gott zukehre in einer unerschütterlichen
Liebe, dergestalt, dass seine Andacht und sein Verlangen zu ihm groß
seien. … Auch soll sich der Mensch gewöhnen, sich in allen seinen
Werken allzeit in das Leben und Wirken unseres Herrn Jesus Christus
hineinzubilden, in all seinem Tun und Lassen, Leiden und Leben, und
halte hierbei allezeit ihn vor Augen, so wie er uns vor Augen gehabt
hat. (Reden der Unterweisung 16, Quint, S. 76)
Es ist sozusagen zwangsläufig, dass der, der sich das wahre
Fundament des Lebens vor Augen hält und sich von Herzen ihm zukehrt,
beginnt, auch im Denken und Tun anders zu funktionieren, als auf den
Gemeinplätzen dieser Welt üblich. Deshalb wäre es auch völlig
vergeblich und sinnlos, aus der Bergpredigt einen neuen Dekalog,
eine neue Ethik zu machen. Die Bergpredigt ist die Predigt des
Christus und als solche Kommentar und Ausdruck seiner innigen
Beziehung zu seinem himmlischen Vater, die neue Weltverhältnisse aus
sich heraussetzt. Was auf unserer Welt als hinfällig und schwach
gilt, wird stark durch die Liebe Gottes. Der liebevolle Blick Gottes
gibt der Welt einen neuen Schein und - das sollten wir auf keinen
Fall vergessen - uns auch! Denn die Liebe Gottes hat die Macht, den,
den sie liebt, allererst liebenswert zu machen. Wer sich in Christus
hineinbildet, der wird – mit Eckehart gesprochen - sogar lernen,
alle Kreatur so zu sehen, wie der Christus sie vor Augen hat: Die
Armen, Leidenden, Sanftmütigen, Rechtlosen, Friedfertigen und
Verfolgten …
Wer wollte da behaupten, dass es nicht möglich wäre, dass auch bei
den Sandburgen, die wir im Leben auf dieser vergänglichen Welt
bauen, die Kinder ihren Spaß, die Armen etwas zu essen, die
Leidenden Trost und die Rechtlosen Recht bekämen. Im Himmelreich
wird das ganz sicher so sein. Und vielleicht werden wir dann dort am
Strand eine solche schöne alte Sandburg wiederfinden, von der wir
hätten schwören können, dass die Flut sie längst mitgenommen hat,
wie alle anderen. Und dann werden wir sagen, guck mal, was für ein
himmlischer Vater!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Jesus sagt am Ende der Bergpredigt:
24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem
klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde
wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war
auf Fels gegründet.
26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht
einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.
27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde
wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war
groß.
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