Predigt    Matthäus 7/ 24-27    9. Sonntag nach Trinitatis    24.07.05

"Tasten nach dem Licht ..."
(von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

als ich geboren wurde, beschloss mein Vater, Imker zu werden. Dabei galt es immer, einen guten und auch sichereren Platz für den Bienenstand zu finden. Zwischen Rapsfeldern bot sich im Nachbarort eine Kläranlage an. Vier/Fünf Klärbecken waren eingezäunt. Innerhalb des Zauns auf den Dämmen zwischen den Becken weideten ein paar Schafe. Dort stellte mein Vater seinen Bienenstand auf. Ich fuhr immer gerne mit ihm dort hinaus. Natürlich verwarnte mich mein Vater, den Klärbecken nicht zu nahe zu kommen. Aber eines war offensichtlich ausgetrocknet. Der Klärschlamm hatte schon tiefe Risse durch die Trockenheit des Frühsommers bekommen und lag wie Tonplatten im Becken. Ich konnte es also wagen.

Aber zu meinem Entsetzen sank ich mit einem Fuß ein. Ich verlagerte mein Gewicht auf das andere Bein und versuchte, meinen Schuh aus dem zäher Schlamm zu ziehen. Aber er hielt mich fest. Und nun sank das andere Bein auch ein. Ich rief nicht gleich meinen Vater um Hilfe, denn ich wusste ja, dass ich hier gar nicht sein dürfte. Aber je mehr ich versuchte, mich zu befreien, desto tiefer sank ich. Jede Bewegung zog mich tiefer in den Schlamm. Und je tiefer ich sank, desto dünnflüssiger wurde der Schlamm und desto schneller sank ich. Plötzlich schrie ich in Panik. Mein Vater zog mich heraus. Meine Schuhe behielt sich der Klärschlamm als Tribut.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kindheitserinnerungen im Laufe des Lebens mitwachsen, sozusagen zu Grunderfahrungen werden. Während meines Studium habe ich dann entdeckt, dass sich die Bibel wie ein Tagebuch über solche Grunderfahrungen lesen lässt. Ich lese Ihnen aus dem Matthäusevangelium die Passage über den denkwürdigen Tag in der Kläranlage zu Untereisenheim. Jesus spricht:

7,24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
7,25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.
7,26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.
7,27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.

Immer wieder machen Menschen die Erfahrung, dass sich das, was sie bisher durchs Leben getragen hat, das, was sie für festen Grund gehalten haben, plötzlich auflöst. Ihr Leben sich in eine zähe, stinkende, braune Masse verwandelt, in der es keinen Halt mehr gibt, die einen in sich hineinzieht. Manche versinken einfach, ohne dass sie jemals oben auf geschwommen sind, andere stürzen tief, bevor sie das Gefühl haben, in der Kläranlage des Universums zu versinken, während ein paar Schafe von außen zuschauen, den Kopf schütteln und sagen: „Ein törichter Mensch, der sein Leben auf Sand baute.“

Ein törichter Mensch? Oder schlichtweg ein Mensch, dessen Leben sich wirklich in den Alptraum verwandelt hat, den auch die Schafe, die von außen zuschauen manchmal träumen und nun insgeheim froh sind, dass sie bisher immer daraus erwacht sind. Wer weiß schon, welcher Grund trägt im Leben? Ist der, der versinkt, wirklich ein besonders törichter Mensch oder eben einfach ein Mensch wie alle anderen? Was finden wir, wenn wir in uns hineinhorchen, tiefer und tiefer? Was finden wir, wenn wir angekommen sind, vielleicht nach Jahren oder im Aufblitzen einer Sekunde, im Innersten?

Einen unzerstörbaren göttlichen Funken, den Atem Gottes als diamantenes Zentrum des Menschen, in dem das Universum Platz findet, in dem selbst Gott Platz findet? Finden wir eines der zwölf Tore aus Edelsteinen, die zum himmlischen Jerusalem führen? Oder werden wir tief in uns etwas anderes finden?: das Tor zur Kläranlage des Universums, ein Kern aus stinkendem Matsch, an den man besser nicht rührt, damit seine zart verkrustete Membran nicht platzt und die braune Masse unser Leben überspült? Was werden wir finden, tief in uns oder den Weiten des Universums? Wenn das Universum und unser Innerstes nicht ohnehin das Gleiche sind? Was erwartet uns dort draußen oder dort drinnen?

Ich meine die gute Schöpfung ist lange her. Gut, man kann sich vorstellen, dass die Schöpfung andauert, dass die Welt mit jedem Atemzug Gottes neu erschaffen wird, jede Sekunde Leben der Welt aus Gottes Atem kommt. Aber jede Sekunde pervertiert diese Welt auch, beißt sich fest an der Frucht des Verderbens. Aus Menschen können Monster, aus Schafen Wölfe werden, aus Leben kann Klärschlamm werden, aus Wasser Sondermüll.

Aber Jesus, unser Herr am Kreuz? Reißt der uns nicht heraus, streckt er uns nicht seine Hand hin, um uns zu retten, aus dem Schlamm zu ziehen wie mein Vater. Streckt er nicht die Hand aus, um uns aus dem Sumpf zu retten?

Ja, Gott wird Mensch, kommt uns ganz nahe. Und wir können ihn anfassen, den festen Grund der Welt. Wir können seine Hand fassen. Und er spricht uns zu: Ich bin die Tür, das Tor aus Edelsteinen, das in neue Jerusalem führt, in die Stadt auf Fels gebaut, der Zion des Universums, der Diamant, dessen Licht die Welt durchstrahlt, die Welt, die viel größer ist als das Leben, das Universum und der ganze Rest. Er spricht: „Ich bin die Tür. Wer anklopft, dem wird aufgetan.“ Fass mich an, dann reißt der Himmel auf, dann öffnet sich das Tor zum Himmel, zur Stadt, die auf Fels gebaut ist. Ich zieh dich auf den festen Grund.“ Ja, Gott wird Mensch. Er streckt mir die Hand entgegen wie mein Vater. Und ich habe das Gefühl, alles wird gut. Ich fasse seine Hand.

Und voller Entsetzen lese ich dann in der Passionsgeschichte, wie auch mein Retter einsinkt in den Schlamm, und der Schlamm sich seiner bemächtigt. Der Himmel verdunkelt sich auch um Gott, der am Kreuz festgenagelt ist an die perverse Welt. Wir halten uns an den Händen, mein Gott und ich. Das Braun bricht überall durch die Farben unseres Lebens, wabbert über den Himmel, der sich zu einem winzigen Loch über unseren Mündern zusammenzieht, durch das wir unseren letzten schon etwas unklaren Schrei hinaussenden. Ich halte seine Hand, die mir der kleingewordene Herrscher der Welt hinstreckte, zur Rettung, als Tor zur Stadt auf dem Felsen, von der wir wegsinken, alle beide, in das Reich des Todes.

Ein paar Schafe schauen von außen zu, während Gott und ich versinken im Klärschlamm einer pervertierten Welt, Hand in Hand: Das Ende der Welt und ein paar Schafe schauen zu, nicken mit den Köpfen und sagen: Ja, ja, zwei törichte Menschen, die ihr Leben auf Sand bauten und ihr Fall war groß. Ein Albtraum: Mein Herr und ich: Zwei törichte Menschen, die ihr Leben auf Sand bauten und in einem Albtraum endeten?

Bezeichnenderweise wird die Auferstehung auch Auferweckung genannt. Jedes Mal, wenn ich aus einem Albtraum gerettet werde, weiß ich, was das heißt: Auferweckung. In unserem Inneren, tief drinnen in uns, mag hervorkriechen, was will. Tief aus unserem Inneren, mag sich Glück oder Schrecken Bahn brechen. Unser Herz mag die Welt als Paradies oder als Hölle erleben. Unbestritten, das alles ist echtes Erleben, erlebte Wirklichkeit. Aber diese Wirklichkeit ist eine vorläufige, wie ein Traum vorläufige Wirklichkeit ist. Wenn ich aus einem Albtraum geweckt werde, weiß ich, was Auferweckung bedeutet:

Wir werden wie aus einem Traum erweckt, den wir für die Realität unseres Lebens hielten. Noch reißen wir unsere schreckgeweiteten Augen auf. Wir hören noch den Nachklang unseres Schreis, der in Richtung eines verlorenen Himmels klang. Langsam aber begreifen wir, dass die Welt, wie wir sie sahen, ein Ende gefunden hat. Wir sind noch benommen und tasten mit zitternden Händen nach dem Lichtschalter – schon im Wissen, dass bald das Licht des neuen Jerusalems den Raum hell erstrahlen lässt. Wir tasten nach dem Licht, schon im Wissen, dass die Realität des Reiches Gottes wie eine Stadt ist, die auf Fels gebaut ist. Unsere Hand zittert noch, aber wir wissen, wenn das Licht angeht, wird die eben als tödlich erlebte Wirklichkeit als Missgeburt eines geängstigten Herzens enttarnt; eines Herzens, das längst gerettet ist, das längst auf felsenfesten Grund gelegt wurde, ganz ohne sein Zutun.

Und es stellt sich heraus, dass Jesus, unser Retter, der eben noch mit uns ins Reich des Todes gesunken ist, wie ein Geliebter neben uns liegt und uns über unsere Stirn streichelt, wenn wir schreiend erwachen. Er flüstert uns ins Ohr: Alles ist gut, du bist in Sicherheit. Die Bibel legt Zeugnis ab von der Wirklichkeit des Felsens, auf dem unser Leben von Anbeginn der Zeit erbaut ist. Sie tut dies, indem sie Modelle anbietet, wie wir die Albträume, die ein geängstigtes Universum hervorbringt, zu einem guten Ende denken können, soweit menschliche Phantasie eben denken kann.

Wir stehen also in einer guten biblischen Tradition, wenn wir uns Happyends ausdenken für die Albträume unseres Lebens – ob wir sie wachend oder schlafend erleben. Wenn unsere Phantasie ihnen ein gutes Ende zudichtet, sind das zwar auch Gedanken törichter Menschen. Aber dass wir diese Gedanken hegen, zeugt davon, dass wir bereits erwacht sind aus den Albträumen unseres Herzen, erwacht zu einem neuen Leben. Wir sind zwar noch benommen, die Hände zittern noch. Wir schwanken noch zwischen den Welten. Aber wir sind bereits erwacht, wissen bereits um die Wirklichkeit des Lichts und – tasten nach ihm – in der Zuversicht, dass es uns ohne jeden Zweifel zeigt, dass unser Leben auf Fels gebaut ist durch den Schöpfer der Welt persönlich. Da werden die Schafe aber Augen machen.

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der erkannte, dass Gottes Haus auf Fels gebaut ist und der bei Gott einzog. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.

Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche Hof)

Text: 

7,24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
7,25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.
7,26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.
7,27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.


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