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		Liebe Leser,
		 als ich geboren wurde, beschloss mein Vater, 
		Imker zu werden. Dabei galt es immer, einen guten und auch sichereren 
		Platz für den Bienenstand zu finden. Zwischen Rapsfeldern bot sich im 
		Nachbarort eine Kläranlage an. Vier/Fünf Klärbecken waren eingezäunt. 
		Innerhalb des Zauns auf den Dämmen zwischen den Becken weideten ein paar 
		Schafe. Dort stellte mein Vater seinen Bienenstand auf. Ich fuhr immer 
		gerne mit ihm dort hinaus. Natürlich verwarnte mich mein Vater, den 
		Klärbecken nicht zu nahe zu kommen. Aber eines war offensichtlich 
		ausgetrocknet. Der Klärschlamm hatte schon tiefe Risse durch die 
		Trockenheit des Frühsommers bekommen und lag wie Tonplatten im Becken. 
		Ich konnte es also wagen.  
		 
		Aber zu meinem Entsetzen sank ich mit einem Fuß ein. Ich verlagerte mein 
		Gewicht auf das andere Bein und versuchte, meinen Schuh aus dem zäher 
		Schlamm zu ziehen. Aber er hielt mich fest. Und nun sank das andere Bein 
		auch ein. Ich rief nicht gleich meinen Vater um Hilfe, denn ich wusste 
		ja, dass ich hier gar nicht sein dürfte. Aber je mehr ich versuchte, 
		mich zu befreien, desto tiefer sank ich. Jede Bewegung zog mich tiefer 
		in den Schlamm. Und je tiefer ich sank, desto dünnflüssiger wurde der 
		Schlamm und desto schneller sank ich. Plötzlich schrie ich in Panik. 
		Mein Vater zog mich heraus. Meine Schuhe behielt sich der Klärschlamm 
		als Tribut.  
		 
		Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kindheitserinnerungen im Laufe des 
		Lebens mitwachsen, sozusagen zu Grunderfahrungen werden. Während meines 
		Studium habe ich dann entdeckt, dass sich die Bibel wie ein Tagebuch 
		über solche Grunderfahrungen lesen lässt. Ich lese Ihnen aus dem 
		Matthäusevangelium die Passage über den denkwürdigen Tag in der 
		Kläranlage zu Untereisenheim. Jesus spricht: 
		 
		7,24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem 
		klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 
		7,25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde 
		wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf 
		Fels gegründet. 
		7,26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem 
		törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 
		7,27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde 
		wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß. 
		 
		Immer wieder machen Menschen die Erfahrung, dass sich das, was sie 
		bisher durchs Leben getragen hat, das, was sie für festen Grund gehalten 
		haben, plötzlich auflöst. Ihr Leben sich in eine zähe, stinkende, braune 
		Masse verwandelt, in der es keinen Halt mehr gibt, die einen in sich 
		hineinzieht. Manche versinken einfach, ohne dass sie jemals oben auf 
		geschwommen sind, andere stürzen tief, bevor sie das Gefühl haben, in 
		der Kläranlage des Universums zu versinken, während ein paar Schafe von 
		außen zuschauen, den Kopf schütteln und sagen: „Ein törichter Mensch, 
		der sein Leben auf Sand baute.“ 
		 
		Ein törichter Mensch? Oder schlichtweg ein Mensch, dessen Leben sich 
		wirklich in den Alptraum verwandelt hat, den auch die Schafe, die von 
		außen zuschauen manchmal träumen und nun insgeheim froh sind, dass sie 
		bisher immer daraus erwacht sind. Wer weiß schon, welcher Grund trägt im 
		Leben? Ist der, der versinkt, wirklich ein 
		besonders törichter Mensch oder eben einfach ein Mensch wie alle 
		anderen? Was finden wir, wenn wir in uns 
		hineinhorchen, tiefer und tiefer? Was finden wir, wenn wir angekommen 
		sind, vielleicht nach Jahren oder im Aufblitzen einer Sekunde, im 
		Innersten?  
		 
		Einen unzerstörbaren göttlichen Funken, den Atem Gottes als diamantenes 
		Zentrum des Menschen, in dem das Universum Platz findet, in dem selbst 
		Gott Platz findet? Finden wir eines der zwölf Tore aus Edelsteinen, die 
		zum himmlischen Jerusalem führen? Oder werden wir tief in uns etwas 
		anderes finden?: das Tor zur Kläranlage des Universums, ein Kern aus 
		stinkendem Matsch, an den man besser nicht rührt, damit seine zart 
		verkrustete Membran nicht platzt und die braune Masse unser Leben 
		überspült? Was werden wir finden, tief in uns 
		oder den Weiten des Universums? Wenn das Universum und unser Innerstes 
		nicht ohnehin das Gleiche sind? Was erwartet uns dort draußen oder dort 
		drinnen? 
		 
		Ich meine die gute Schöpfung ist lange her. Gut, man kann sich 
		vorstellen, dass die Schöpfung andauert, dass die Welt mit jedem Atemzug 
		Gottes neu erschaffen wird, jede Sekunde Leben der Welt aus Gottes Atem 
		kommt. Aber jede Sekunde pervertiert diese Welt auch, beißt sich fest an 
		der Frucht des Verderbens. Aus Menschen können Monster, aus Schafen 
		Wölfe werden, aus Leben kann Klärschlamm werden, aus Wasser Sondermüll. 
		 
		Aber Jesus, unser Herr am Kreuz? Reißt der uns nicht heraus, streckt er 
		uns nicht seine Hand hin, um uns zu retten, aus dem Schlamm zu ziehen 
		wie mein Vater. Streckt er nicht die Hand aus, um uns aus dem Sumpf zu 
		retten?  
		 
		Ja, Gott wird Mensch, kommt uns ganz nahe. Und wir können ihn anfassen, 
		den festen Grund der Welt. Wir können seine Hand fassen. Und er spricht 
		uns zu: Ich bin die Tür, das Tor aus Edelsteinen, das in neue Jerusalem 
		führt, in die Stadt auf Fels gebaut, der Zion des Universums, der 
		Diamant, dessen Licht die Welt durchstrahlt, die Welt, die viel größer 
		ist als das Leben, das Universum und der ganze Rest. Er spricht: „Ich 
		bin die Tür. Wer anklopft, dem wird aufgetan.“ Fass mich an, dann reißt 
		der Himmel auf, dann öffnet sich das Tor zum Himmel, zur Stadt, die auf 
		Fels gebaut ist. Ich zieh dich auf den festen Grund.“
		Ja, Gott wird Mensch. Er streckt mir die Hand entgegen wie mein 
		Vater. Und ich habe das Gefühl, alles wird gut. Ich fasse seine Hand.
		 
		 
		Und voller Entsetzen lese ich dann in der Passionsgeschichte, wie auch 
		mein Retter einsinkt in den Schlamm, und der Schlamm sich seiner 
		bemächtigt. Der Himmel verdunkelt sich auch um Gott, der am Kreuz 
		festgenagelt ist an die perverse Welt. Wir halten uns an den Händen, 
		mein Gott und ich. Das Braun bricht überall durch 
		die Farben unseres Lebens, wabbert über den Himmel, der 
		sich zu einem winzigen Loch über unseren Mündern zusammenzieht, 
		durch das wir unseren letzten schon etwas unklaren Schrei hinaussenden. 
		Ich halte seine Hand, die mir der kleingewordene Herrscher der Welt 
		hinstreckte, zur Rettung, als Tor zur Stadt auf dem Felsen, von der wir 
		wegsinken, alle beide, in das Reich des Todes. 
		 
		Ein paar Schafe schauen von außen zu, während Gott und ich versinken im 
		Klärschlamm einer pervertierten Welt, Hand in Hand: Das Ende der Welt 
		und ein paar Schafe schauen zu, nicken mit den Köpfen und sagen: Ja, ja, 
		zwei törichte Menschen, die ihr Leben auf Sand bauten und ihr Fall war 
		groß. Ein Albtraum: Mein Herr und ich: Zwei 
		törichte Menschen, die ihr Leben auf Sand bauten und in einem Albtraum 
		endeten? 
		 
		Bezeichnenderweise wird die Auferstehung auch Auferweckung genannt. 
		Jedes Mal, wenn ich aus einem Albtraum gerettet werde, weiß ich, was das 
		heißt: Auferweckung. In unserem Inneren, tief 
		drinnen in uns, mag hervorkriechen, was will. Tief aus unserem Inneren, 
		mag sich Glück oder Schrecken Bahn brechen. Unser Herz mag die Welt als 
		Paradies oder als Hölle erleben. Unbestritten, das alles ist echtes 
		Erleben, erlebte Wirklichkeit. Aber diese Wirklichkeit ist eine 
		vorläufige, wie ein Traum vorläufige Wirklichkeit ist. Wenn ich aus 
		einem Albtraum geweckt werde, weiß ich, was Auferweckung bedeutet: 
		 
		Wir werden wie aus einem Traum erweckt, den wir für die Realität unseres 
		Lebens hielten. Noch reißen wir unsere schreckgeweiteten Augen auf. Wir 
		hören noch den Nachklang unseres Schreis, der in Richtung eines 
		verlorenen Himmels klang. Langsam aber begreifen wir, dass die Welt, wie 
		wir sie sahen, ein Ende gefunden hat. Wir sind noch benommen und tasten 
		mit zitternden Händen nach dem Lichtschalter – schon im Wissen, dass 
		bald das Licht des neuen Jerusalems den Raum hell erstrahlen lässt. Wir 
		tasten nach dem Licht, schon im Wissen, dass die Realität des Reiches 
		Gottes wie eine Stadt ist, die auf Fels gebaut ist. Unsere Hand zittert 
		noch, aber wir wissen, wenn das Licht angeht, wird die eben als tödlich 
		erlebte Wirklichkeit als Missgeburt eines geängstigten Herzens enttarnt; 
		eines Herzens, das längst gerettet ist, das längst auf felsenfesten 
		Grund gelegt wurde, ganz ohne sein Zutun. 
		 
		Und es stellt sich heraus, dass Jesus, unser Retter, der eben noch mit 
		uns ins Reich des Todes gesunken ist, wie ein Geliebter neben uns liegt 
		und uns über unsere Stirn streichelt, wenn wir schreiend erwachen. Er 
		flüstert uns ins Ohr: Alles ist gut, du bist in Sicherheit. Die Bibel 
		legt Zeugnis ab von der Wirklichkeit des Felsens, auf dem unser Leben 
		von Anbeginn der Zeit erbaut ist. Sie tut dies, 
		indem sie Modelle anbietet, wie wir die Albträume, die ein geängstigtes 
		Universum hervorbringt, zu einem guten Ende denken können, soweit 
		menschliche Phantasie eben denken kann. 
		 
		Wir stehen also in einer guten biblischen Tradition, wenn wir uns 
		Happyends ausdenken für die Albträume unseres Lebens – ob wir sie 
		wachend oder schlafend erleben. Wenn unsere Phantasie ihnen ein gutes 
		Ende zudichtet, sind das zwar auch Gedanken törichter Menschen. Aber 
		dass wir diese Gedanken hegen, zeugt davon, dass wir bereits erwacht 
		sind aus den Albträumen unseres Herzen, erwacht zu einem neuen Leben. 
		Wir sind zwar noch benommen, die Hände zittern noch. Wir schwanken noch 
		zwischen den Welten. Aber wir sind bereits erwacht, wissen bereits um 
		die Wirklichkeit des Lichts und – tasten nach ihm – in der Zuversicht, 
		dass es uns ohne jeden Zweifel zeigt, dass unser Leben auf Fels gebaut 
		ist durch den Schöpfer der Welt persönlich. Da 
		werden die Schafe aber Augen machen. 
		 
		Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen 
		Mann, der erkannte, dass Gottes Haus auf Fels gebaut ist und der bei 
		Gott einzog. Als nun ein Platzregen fiel und die 
		Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch 
		nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. 
		 
      
      
      Vikar Michael Krauß   
      (Hospitalkirche Hof)  | 
      Text: 
      
		 7,24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut 
		sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 
		7,25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde 
		wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf 
		Fels gegründet. 
		7,26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem 
		törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 
		7,27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde 
		wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.  |