Liebe Leser, es gibt Geschichten in der Bibel, bei denen man nicht
so recht weiß, um was es eigentlich geht. Ist das eine
Wundergeschichte? Zweifellos geht es um einen Kranken, der am Ende
wieder gesund wird. Aber das Wunder bleibt am Rande. Im Mittelpunkt
der Geschichte steht das Gespräch eines römischen Hauptmanns mit
Jesus. Am Ende bringt Jesus das Thema dieses Gesprächs auf den
Punkt. Es geht um den Glauben. Ist das also eine Geschichte über den
Glauben? Will uns Jesus allen Ernstes einen römischen Hauptmann, der
vielleicht an römische Götter glaubt, also aus christlicher Sicht
ein Heide ist, als christliches Vorbild im Glauben hinstellen?
Das wäre schon sehr verwunderlich. Und ebenso verwunderlich ist,
dass wir hier eine der seltenen Geschichten vor uns haben, in denen
sich nicht das Publikum, die Jünger oder die Gemeinde wundern,
sondern Jesus selbst. Lesen wir diese Geschichte deshalb als eine
„Wundergeschichte über den Glauben“ (Frank Michael Lütze, GPM
4/2008, Heft 1, S. 115).
Letzte Woche in der 4. Klasse: Anhand eines Bildes auf dem ein
trauriges Mädchen zu sehen ist, sollen die Schüler eine Geschichte
erzählen. „Auf Frieden hoffen“ steht über dem Bild. Drei Mädchen
sind besonders eifrig bei der Arbeit. Als sie fertig sind, schlagen
sie vor, die Geschichte zu spielen. Sie spielen die Geschichte eines
Mädchens, dass neu in die Klasse kommt, von den anderen geschnitten
und mit sehr abfälligen Bemerkungen bedacht wird und schließlich
ganz allein in der Bank sitzen muss. Als dieses Mädchen allein ist,
faltet es die Hände und betet.
Ich war völlig überrascht. Das war überhaupt nicht das Thema der
Stunde. Zum Beten fand sich kein Hinweis im Bild. Offenbar war es
für diese Mädchen, die noch nie im Kindergottesdienst aufgetaucht
sind, völlig selbstverständlich in bedrängenden Situationen zu
beten. Keiner der anderen Schüler hat gelacht. Als die Mädchen die
Geschichte zu Ende spielen, zeigt sich die Macht dieses Gebets. Die
anderen kommen wie zufällig auf die Idee, dass die Neue doch
irgendwie interessant ist und es sich lohnen könnte, sie zur
Freundin zu haben.
Hierzu passen Umfragen unter Jugendlichen, die sich selbst als
ungläubig bezeichnen, aber dennoch angeben, dass sie manchmal beten.
„Niemand hat je von ihnen erwartet, dass sie beten und in den
meisten Fällen hat ihnen wohl auch niemand beigebracht, wie man
betet: Offenbar betet es sich von selbst in existentiell bewegenden
Lebenslagen.“ (Lütze, a.a.O., S.116)
Beten wie von selbst. Ist das Glauben? Wie stehen wir dann da, wir
Studierten, wir über Jahre Predigtbeschallten, wir jahrzehntelang
Eingeübten? Wie stehen wir dann da mit unseren religiösen
Grundüberzeugungen und Wahrheiten? Da kommt so ein römischer
Hauptmann daher, der von Tuten und Glauben keine Ahnung hat und
bittet den Christus. Offenbar kann man das: Beten ohne Glauben zu
haben. Aber, so scheint uns Jesus zu zeigen: Man kann nicht zu ihm
beten ohne Glauben zu üben, zu vollziehen. Der Christus zeigt uns
den Glauben des Hauptmanns als gelebte Christusbeziehung. Schaut
hin, ruft er uns zu. Jetzt passiert‘s.
Und wir staunen nicht schlecht. Ja, das ist wahr: Der Hauptmann ist
einer, der dem Christus sein Herz ausschüttet, sich herzeigt als
einer, der zwar ein Schwert im Gürtel trägt, aber ansonsten alles
andere als mächtig ist und leidet, wenn er seinen Knecht so daliegen
sieht. So etwas zeigt dieser Hauptmann nicht jedem. Von diesem
Kummer erzählt er nur Menschen, denen er wirklich nahesteht. So wie
jetzt auf einmal dem Christus. Da braucht er gar keine Bitte zu
äußern. Ich will kommen und ihn gesund machen, sagt Jesus.
Schon ist es beschlossen. Nein, die Hilfe des Christus muss sich der
Hauptmann nicht nachträglich verdienen durch eine Geste der
Selbsterniedrigung. Zu Gott muss man nicht gekrochen kommen, damit
man erhört wird. Der Hauptmann erweist sich als ein Mensch mit Takt
und Benimm. Er kennt die Grenzen. Die Grenze der Zugehörigkeit:
Jesus ist ein Mitglied des Volkes Israel und er ist ein Römer und
ein Besatzer dazu. Da möchte er Jesus nicht in Verlegenheit bringen.
Die Grenze des Heils: Jesus gehört zum Gottesvolk und er ist ein
Unreiner, ein Verdammter in den Augen der Juden.
Der Hauptmann erweist sich als ein Mensch mit Takt und Benimm und
lässt trotzdem nicht locker. Er fordert Jesus auf, durch ein
Machtwort all diese Grenzen zu durchbrechen. Vielleicht haben wir
diesem Hauptmann zu verdanken, dass auch wir heute Kirche Jesu
Christi und Kinder Gottes sein dürfen. Jesus sah sich zu den Kindern
Israels gesandt. Ein römischer Hauptmann führt ihn an diese Grenze
und fordert ihn auf, sie hinter sich zu lassen: Du hast die Macht.
Sprich nur ein Wort. Der Glaube des Hauptmanns lässt den Christus
über das Volk Gottes hinauswachsen. So wird er auch der Heiden
Heiland. Wenn das keine Wundergeschichte des Glaubens ist. Ein
Wunder, über das sich sogar der Christus wundert.
Kann gut sein, dass Jesus in Israel keinen solchen Glauben gefunden
hat. Kann gut sein, dass er ihn auch bei uns nicht findet. Denn wir
Studierten, wir über Jahre Predigtbeschallten, wir jahrzehntelang
Eingeübten, wir Jahrtausende alte Kirche, wir neigen zur
Selbstsicherheit und zum Heilsegoismus. Und in beidem kann uns oft
nicht einmal der Christus erschüttern, wie die Bewohner seines
Heimatdorfes Nazareth, über die sich Jesus das zweite und letzte Mal
im Neuen Testament wundert: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in
seinem Vaterland und bei seinen Verwandten und in seinem Hause,
stellt Jesus fest. Und er konnte dort nicht eine einzige Tat tun,
außer dass er wenigen Kranken die Hände auflegte und sie heilte. Und
er wunderte sich über ihren Unglauben. (Markus 8/4-6)
Damit wir uns in dieser Geschichte nicht irgendwann wiedererkennen
müssen und ihm wie seine Verwandten im Weg stehen, hören wir die
Geschichte vom römischen Hauptmann. Glauben ist nicht unser Besitz.
Glauben ist nicht das Hoch- und Fürwahrhalten eherner Glaubenssätze.
Oder modern und ebenso schrecklich gesprochen: Die Kirche ist nicht
öffentliche Gemeinplatzbewacherin. Gemeinde Jesu Christi ist kein
Dienstleistungsunternehmen, das lauscht, was gewünscht wird und
ankommt, das sich zum Erfolg verdammt und blind und taub wird für
das Evangelium. Da wird sein Heulen und Zähneklappern.
Glauben ist Gottesbeziehung. Sie ereignet sich auch dort, wo wir es
nicht vermuten. Zum Beispiel bei Jugendlichen, die sich selbst für
Atheisten halten, zum Beispiel bei andersgläubigen römischen
Hauptmännern, zum Beispiel bei Viertklässlern ohne nennenswerte
religiöse Sozialisation. Zum Beispiel bei uns. Gott sei Dank.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging,
trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn
6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und
leidet große Qualen.
7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen.
8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert,
dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird
mein Knecht gesund.
9 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe
Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht
er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem
Knecht: Tu das!, so tut er's.
10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die
ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich
in Israel bei keinem gefunden!
11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen
und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;
12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die
Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du
geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.
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