Predigt Matthäus 9/9-13 Septuagesimä 04.02.2007 "Musik
in den Ohren" |
Liebe Leser, es ist schon beeindruckend, wie der Organist die Variationen über ein Thema spielt, wie er improvisiert zu einer Liedmelodie und wie er zu den einzelnen Choralstrophen dann je eigene Klangregister zieht. Auf keinem anderen Instrument ist das in dieser Weise möglich wie auf der Orgel. Der Pfarrer auf der Kanzel wirkt dagegen blass. Er kann da nicht mithalten, obwohl er eine ähnliche Aufgabe hat: In der Predigt gestaltet auch er Variationen über einen biblischen Text. Er improvisiert zu den Worten Jesu mehr oder weniger frei für die heutige Hörergemeinde. Auch verschiedene Register werden gezogen – mal meditativ besinnlich oder aufrüttelnd ermahnend, mal seelsorgerlich tröstend oder lehrhaft erklärend. Auch mit Worten werden unterschiedliche Tonarten gewählt: In festlichem Dur erklingt das Lob Gottes und in dunklem Moll kommt auch die Klage zur Sprache. Bis dann sozusagen alle Register gezogen werden und mit Zimbelstern die Frohbotschaft der rettenden Liebe Gottes verkündet wird. Solche Predigt vermag der Pfarrer freilich nicht allein zu intonieren. Sondern es muss das ganze Leben der Gemeinde mitschwingen. Wie der Luftstrom die Orgelpfeifen zum Klingen bringt, so will der Heilige Geist sie alle – Orgelpfeifen will ich Sie nicht nennen – erfüllen und mit der ganzen Gemeinde das Lied des Lebens intonieren. Mal sehen, wie der heutige Predigttext seine Melodie zum Klingen bringt. Ich lese aus dem Matthäus-Evangelium Kapitel 9: Lesung Matthäus 9,9-13 „Jesus sah einen Menschen mit Namen Matthäus am Zoll sitzen.“ Es mag nur ein kleiner Unterschied in der Wortwahl sein, aber der ist bemerkenswert. Das Evangelium spricht hier nicht klischeehaft von „dem Zöllner“. Es steckt den Matthäus nicht gleich in eine Schublade „die Zöllner und Sünder“, so wie wir oft Menschen vorschnell in eine Schublade schieben: „die Aussiedler“ oder „die Tschechen“. „Ach die aus der Straße oder aus der Familie. Na ja, der Apfel fällt nicht weit vom Baum ...“ oder wie die Klischees in einem „Schubladendenken“ heißen mögen. Demgegenüber zeigt das Evangelium: Jesus macht sich frei von solchen Klischees. Er sieht den Menschen in seiner je eigenen Individualität. Er nennt seinen Namen. Er sieht ihn, wie Gott ihn geschaffen und gewollt hat. Er legt ihn nicht fest auf irgendeine belastete Vergangenheit. Er gibt ihm eine Zukunft. Er sieht in dem Matthäus Gaben und Fähigkeiten. Darum sagt er: „Komm und folge mir nach. Ich habe eine große Aufgabe für dich.“ Es gibt Worte, die klingen wie Musik in den Ohren. Dieses Wort ist so eines. „Komm und folge mir nach.“ Das heißt: Ich kann dich brauchen. Ja, du wirst gebraucht. Wer in seinem Leben immer wieder gegenteilige Botschaften empfängt z.B. bei der vergeblichen Jobsuche, dem klingen solche Worte wie Musik in den Ohren. Du wirst gebraucht. Gott traut dir etwas zu. Er hat etwas vor mit dir und deinem Leben. So also könnte eine Variation heute zu den Worten Jesu damals klingen. Und in freier Improvisation könnte ich nun fortfahren: Gott sei Dank hat Jesus damals die Gebrüder Heidenreich in ihrer künstlerischen Begabung entdeckt und gesagt: „Kommt und folgt mir nach. Stellt eure Begabung in den Dienst der Verkündigung und baut die größten und schönsten Orgeln, dass sie erklingen zum Lobe Gottes!“ Gott sei Dank haben die Mitarbeitenden der Firma Schuke auch für ihr Leben diese Berufung ergriffen und so die heutige Orgelrenovierung großartig vollenden können. Ja, in freier Improvisation des Evangeliums darf ich wohl auch sagen: Jesus sah den jungen Georg Stanek in seiner musikalischen Begabung und sagte: „Komm und folge mir nach und stelle deine musikalische Begabung in den Dienst der Verkündigung als Kirchenmusiker!“ Und so könnte ich weiter fortfahren und Gott danken, dass er die Bläserinnen und Bläser, die Sänger und Sängerinnen in ihren Begabungen entdeckt und für die Kirchenmusik gewonnen hat. Es gibt ja nicht nur Worte, die sind wie Musik in den Ohren. Sondern auch umgekehrt: Musik ist Verkündigung. Sie singt und spielt mir den Glauben ins Herz, so dass ich gerne mit diesem Jesus gehe und in der Gemeinde die Erfüllung meines Lebens erfahre. So gesehen ist es verständlich und gut, dass mit großer Spendenbereitschaft die Kirchenmusik und die Orgelsanierung gefördert wird. Wie soll ich nun den zweiten Vers improvisieren?: „Als Jesus und seine Jünger zu Tisch saßen mit Zöllnern und Sündern, da sprachen die Pharisäer: „Warum feiert Jesus ein Festmahl mit Zöllnern und Sündern?“ Abgesehen davon, dass die Pharisäer gesellschaftlich angesehener waren als andere Gruppen – es ist immer ärgerlich, wenn die andern feiern und man selbst steht draußen vor der Tür. Darum könnte eine Variation heute so klingen: „Da sprachen die Fans der Bläser- und Gospelmusik: ‚Warum dreht sich alles um die Orgel und die Orgelbegeisterten?’“ Oder: „Warum wird immer um die Jugendarbeit soviel Aufhebens gemacht, und um uns Senioren kümmert sich niemand, obwohl wir doch die größte Gemeindegruppe sind.“ Bei Pfarrstellenbesetzungsgesprächen erlebe ich es immer wieder: Jede Gruppe hat ihre Erwartungen und will den Schwerpunkt der Gemeindearbeit bei sich sehen. Es ist nicht leicht, in der Vielfalt der Gemeindearbeit Prioritäten zu setzen. In dieser Situation höre ich zwei Antworten aus dem heutigen Evangelium. Die eine: Wenn ihr feiert, warum feiert jede Gruppe für sich? Es mag schön sein, beim Feiern unter sich und unter Gleichgesinnten zu sein. Aber gerade ein Fest bietet die Chance, dass alle Gruppen zusammenkommen und gemeinsam feiern. Ein Fest hat eigene Spielregeln. Da zählen nicht Etikette und Rangunterschiede. Da zählt vor allem der Anlass und der Grund zum Feiern. Und der führt alle zusammen zum gemeinsamen Festmahl. So war das damals: Weil Jesus, der Heiland und Freund aller Menschen im Haus war, darum sollte nur gemeinsam mit allen gefeiert werden. Da sollte der Unterschied – hier Pharisäer, dort Zöllner – keine Rolle spielen. Gemeinsam sollten sie feiern und fröhlich sein, weil Gott in diesem Jesus mitten unter ihnen ist. Darum brauchen wir in der Vielfalt der Gruppen und Kreise immer wieder Orte und Gelegenheiten, wo alle zusammenkommen und gemeinsam ein Fest feiern. In der christlichen Gemeinde ist der Gottesdienst so ein Ort, an dem wie heute Posaunenchor und Kantorei, Orgelmusik und Gemeindegesang einen gemeinsamen Festgottesdienst feiern. Hier ist die Mitte des Gemeindelebens, wo Gruppen und Kreise zusammenkommen. Hier sind sie alle willkommen – die sogenannte „Kerngemeinde“ und die, die sich ab und zu von einem besonderen Festanlass anlocken lassen. Und sie alle werden beschenkt von der Frohbotschaft des Evangeliums. Darum feiert Gott in euerer Mitte! Und dann verlieren die Unterschiede ihre trennende Wirkung und wir erfahren uns als Festgemeinschaft bei einem Gemeindefest und Kirchentagen, bei Gottesdiensten und am Tisch des Herrn. Und weil dies sich auswirkt auf das ganze Leben, fügt das heutige Evangelium eine zweite Antwort hinzu: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“ „Die Starken bedürfen nicht“, aber es bedarf der Starken, damit den Kranken und Schwachen geholfen werde. Das klingt wie ein Wort zur Gesundheitsreform. Die muss sich daran messen lassen, dass die Solidarität der Starken und Gesunden für alle Kranken ohne Klassen- und Kassenunterschied die Gesundheitsfürsorge bereitstellt, die sie brauchen. „Die Starken bedürfen des Arztes nicht“ – es wäre also ein Missverständnis, wenn wir meinen: Jesus würde hier die Starken und Reichen ausgrenzen. Die Option der Kirche für die Armen wurde oft missverstanden als Option gegen die Reichen. Im Gegenteil: Es braucht die Option für die Starken, dass sie sich gewinnen lassen zur Option für die Schwachen. Den diakonischen Auftrag für die Schwachen kann die Kirche nur verwirklichen mit der Kraft der Starken. Wenn Jesus von den sogenannten „Gerechten“ spricht, dann will er, dass sie eine Gerechtigkeit leben, an der alle teilhaben an den Gütern des Lebens. „Gerechte Teilhabe“ fordert das Sozialwort der Kirchen. So will ich immer wieder und auch heute den „starken“ Kirchensteuerzahlern und Spendern ganz herzlich danken. Manche nehmen zwar selbst den Dienst der Kirche mitunter wenig in Anspruch; aber mit ihrem Beitrag helfen sie mit, dass der Dienst der Kirche in Gottesdienst und Diakonie nach dem Sinne Jesu verwirklicht werden kann. In Wort und Tat, im Feiern und Singen soll das Leben der Gemeinde zur Musik in den Ohren der Menschen werden und sie in der Nachfolge Jesu froh machen. Wilfried Beyhl |
Text:
9 Und als Jesus von dort wegging, sah er einen
Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge
mir! Und er stand auf und folgte ihm. |