Liebe Leser,
einen seltsamen Platz hat dieses Loblied im Munde Jesu. Gerade noch
kamen ihm ganz andere Töne über die Lippen. In Chorazin, Betsaida
und Kapernaum hatte er gepredigt und Wunder getan und man hat nicht
zugehört und weggesehen. Dem Land der Sodomer werde es am Tag des
Gerichts erträglicher ergehen, als diesen Städten, sagt Jesus. Klare
Worte im Angesicht des Misserfolgs. Fremd und schroff stehen sie da
in einer Kirche, die sich der Wertschätzung für alles und jeden
verschrieben hat. Und es wird auch kein Krisenstab einberufen und
kein Impulspapier erarbeitet. Kein Rat der Weisen tritt zusammen, um
die Situation zu analysieren und gute Ratschläge zu geben, damit
sich der Erfolg doch noch einstellt.
Im Angesicht des Misserfolgs bricht Jesus aus ins Gotteslob. Denn
nichts wird trostlosen Verhältnissen, harten Herzen und tauben Ohren
gefährlicher als das Lob Gottes. Nichts lässt die Bescheidwisser,
die Neunmalklugen und Gemeinplatzbewacher mehr im Regen stehen, als
das Lob Gottes. Es strahlt und lacht ihnen ins Gesicht. Sören
Kierkegaard hat das so beschrieben: „In der prachtvollen Domkirche
erscheint der hochwohlgeborene, hochwürdige geheime
General-Oberhofprediger, der auserwählte Günstling der vornehmen
Welt, er erscheint vor einem auserwählten Kreis Auserwählter und
predigt gerührt über den von ihm selbst ausgewählten Text: ‚Gott hat
auserwählt das Geringste vor der Welt und das Verachtetste‘ – und da
ist niemand, der lacht.“ Halt, nein, einer lacht: Gott lacht. Wie
wäre es denn, wenn all die kirchlichen Hochämter, die anlässlich der
Einführung wichtiger und weiser Leute in unserer Kirche so aufwendig
und zahlreich gefeiert werden, vom Gelächter der Gemeinde begleitet
werden würden? Das Gelächter enthüllt der Kaiser neue Kleider und
entlastet damit nicht nur die angestrengte Gemeinde, sondern auch
die Amtsträger, die im falschen Bewusstsein ihrer eigenen
Wichtigkeit sich und andere überfordern.
So wird das Schelt- und Gerichtswort über die Städte, die das
Evangelium links liegen lassen, überboten, ja aufgehoben durch das
Lob, das mit Gott lacht: Ja Vater, so hat es dir wohlgefallen.
Welche Befreiung wäre das nicht nur für unser persönliches Leben,
sondern auch für unser kirchliches Leben, wenn wir das von Jesus
lernen könnten! Wenn wir lernen könnten, alles aus Gottes Hand zu
nehmen und darauf zu vertrauen, dass trotz allem geschieht, was Gott
wohlgefällt. Das hat nichts mit Fatalismus, Gleichgültigkeit und
Faulheit zu tun. Das merken wir ja besonders daran, dass es uns oft
unendlich schwerer fällt, einmal nichts zu wissen, nichts zu können,
nichts zu tun, anstatt irgendwas zu wissen, irgendwas zu können und
irgendwas zu tun.
Die Weisheit wird durch das Lob des Christus über den himmlischen
Vater, der sich den Kleinen, Machtlosen und Ungebildeten offenbart,
nicht entwertet. Aber es ist eine Weisheit, von der gilt: „Es ist
leichter, zu studieren als zu beten. Es ist anstrengender, ein
gottesfürchtiger Mensch zu werden als ein Gelehrter. Aber wir kommen
zu dieser Einsicht nicht von selbst. Nach langem Lernen und Forschen
kann einem, wie dem alten Martin Luther, aufgehen, dass wir Bettler
sind, die Gott nur die leeren Hände hinhalten können. Wenn wir mit
Lebensplänen scheitern, mit eigenem Wissen, Können und Bemühen
keinen Erfolg haben, stellt sich die Frage: Was hat Gott mit mir
vor? Was ist sein Wille in diesem Geschehen? (…) Luthers letzte
Predigt am 15.2.1546 bricht ab mit der Aufforderung, „auf dass wir
lernen (...) uns an Christi Wort zu halten und zu ihm kommen, wie er
uns aufs freundlichste lockt und sagen: Du bist allein mein lieber
Herr und Meister, ich bin dein Schüler.“ (Dr. Michael Heymel, GPM,
1/2003, Heft 2, S.263) Wenn ein Meister der Theologie wie Martin
Luther am Ende seines Lebens so reden kann, beweist er den Mut, den
der Christus Demut nennt.
Einen besseren Lehrer und Herrn als den Christus gibt es nicht. Denn
er ist mit Gott aufs Engste zusammengespannt, wie zwei Ochsen unter
einem Geschirr, das man damals Joch nannte. Fast wie aus dem
Johannesevangelium klingt, was Jesus hier bei Matthäus sagt: Alles
ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als
nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem
es der Sohn offenbaren will. Sagen wir es einmal salopp: Wer etwas
über Gott wissen und erfahren möchte, sollte sich an den Christus
wenden, weil der sich damit auskennt. Gleiches wird nur durch
Gleiches erkannt, sagen die Philosophen. Deshalb gilt für Gott, dass
nur der Sohn den Vater erkennen kann und wem es der Sohn offenbaren
will. Damit ist eine allgemeine menschliche Gotteserkenntnis ebenso
in Frage gestellt, wie eine Christusfrömmigkeit, die ihn als Vorbild
imitieren möchte. Beides führt nicht besonders weit hinauf oder
hinunter. Und tröstlich wird es eher nicht, sondern anstrengend.
Deshalb ruft der Christus uns zu sich. Dass er uns dabei als
Mühselige und Beladene identifiziert, leuchtet jedem, der in einer
Gesellschaft der Macher, der Eiligen und Hektiker lebt, sofort ein.
Nur in der Kirche des Christus scheint es hier wieder schwierig zu
sein, wenn der Theologe Christian Möller Recht hat, der schreibt:
„In der evangelischen Kirche darf man heute alles sein, links,
rechts, (…) liberal oder konservativ, Ökumeniker oder Evangelikaler,
schwarz, rot oder grün – nur nicht mühselig und beladen.“ (Wovon die
Kirche lebt, Göttingen 1980, S. 8f). Warum nur? Weil die Kirche
nicht als hilflose Helferin dastehen möchte? Weil sonst ihre
Angebote unglaubwürdig und wenig hilfreich erscheinen? Wann
begreifen wir, wie gefährlich und unglaubwürdig, ja lächerlich es
wird, wenn die Kirche sich mit dem Christus verwechselt? Der hat
eben nicht nur unsere Hände, unsere Gedanken, unsere Tatkraft, um
seine Kirche zu erhalten und sein Reich zu bauen. Gott sei Dank! Wer
etwas anderes behauptet, steht dem Christus im Weg.
Christenmenschen sind wir nur nur deshalb, weil wir zum Christus
gehören und gerade deshalb am besten wissen sollten, was der Mensch
ist: Ein Bettler hinter der glänzenden Fassade, die doch so
vergänglich ist. Ruhelos hin und her geworfen zwischen Übermut und
Verzweiflung, Liebessehnsucht und Todesangst, Glück und Trauer.
Mühselig und beladen eben. Wer den Ruf des Christus hört, muss sich
dafür nicht schämen. Wen der Christus ruft, mit ihm unter ein Joch
zu schlüpfen, hat vielmehr Grund zur Freude. Lesen wir diese Worte
des Christus als eine Liebeserklärung. Denken wir ruhig an alles,
was unsere Seele erquickt. Die Liebeserklärung selbst gehört dazu.
Große Musik. Ruhe und Frieden. Entlastet werden von Schuld und
Angst. Gesehen und berührt werden. Frühling nach einem langen
Winter. Aufatmen. Nach Hause kommen.
Und da merken wir schnell, dass der Kern des Evangeliums, die
Liebeserklärung Gottes an uns Menschen, die Einladung mit ihm
zusammengespannt und vereint zu sein und bei ihm nach Hause zu
kommen, nicht den Klugen und Weisen vorbehalten bleibt. Von dem, was
die Seele erquickt, verstehen Kinder, Machtlose und Ungebildete
genau so viel. Ein gedachter Gott macht nicht lebendig, so wie ein
gedachtes Brot nicht satt macht. Glauben ist keine Denkübung,
sondern ein großer Gesang, der all unsere Sinne ergreift und
durchleuchtet. Hier geht es um den Grund und das Ziel unseres
Lebens. „Genauso weit wie in Gott, soweit im Frieden.“, bemerkt
Meister Eckhart lapidar und Augustinus formuliert ganz ähnlich:
„Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in Gott.“
Davon zu Reden ist die zweitbeste Möglichkeit. Davon zu singen, ist
schöner und so viel überzeugender. Und deshalb wird manche Predigt
gesungen und nicht einmal in der Kirche. Der Schriftsteller hat das
Schlusswort, der am Ende seines Buches schreibt: „Ich danke dem
Mädchen, das sich herausstellte und das uns allen Angemessene tat:
zierlich den Kopf in die Höhe erhob, um aus der nebligen Luft der
Mitternacht Atem zu holen für den Gesang.“ (Botho Strauß, Paare,
Passanten, München, 1984, S. 205)
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
25 Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich
preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den
Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen
offenbart.
26 Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.
27 Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den
Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn
und wem es der Sohn offenbaren will.
28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich
will euch erquicken.
29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin
sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für
eure Seelen.
30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
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