Predigt     Matthäus 14/22-33    4. Sonntag nach Epiphanias     30.01.11

"Seereise"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

im Religions- oder Konfirmandenunterricht würde nach dem Lesen des heutigen Predigttextes sofort die Frage im Raum stehen: Kann man, ja muss man das glauben, dass Jesus übers Wasser ging? Ist der Christus ein über die Erde, hier besser: übers Wasser wandelnder Gott, der die Naturgesetze aufheben kann? Wer weiß – vielleicht stellt sich diese Frage ja auch manchem unter uns.

Dabei ist es häufig nur ein kleiner Schritt vom Christusglauben zum Aberglauben. Und unter Aberglauben verstehe ich hier auch einen solchen Wunderglauben, der in den Wundern, von denen die Heilige Schrift ja häufig erzählt, einen physikalischen Vorgang sieht. Oder anders gesagt: der den geistlichen Sinn solcher Wundererzählungen übersieht.

Freilich, hier scheiden sich manchmal die Geister! Da gibt es Christen, die halten am Literarsinn, also am wörtlichen Sinn solcher Wundergeschichten fest: Jesus konnte übers Wasser gehen! Allerdings hat man noch nicht davon gehört, dass einer von ihnen – wie Petrus in unserem Predigttext – auch übers Wasser gehen konnte. Andere Christen wiederum suchen nach rationalen Erklärungen für das Wunder – das dann gar kein Wunder war sondern letztlich ein Trick. Albert Schweitzer hat in seiner Geschichte der Leben-Jesu-Forschung solche Erklärungen unter die Lupe genommen, von Theologen vor uns, den sogenannten Rationalisten: Jesus und dann auch Petrus gingen dann auf einem Felsen, der unter dem Wasser, also nicht sichtbar war; oder sie gingen auf Baumstämmen im Wasser…- mit dem Ergebnis, dass so die biblischen Erzähler zu Gauklern und Jahrmarktschreiern gemacht werden, zu Märchenerzählern, die mit falschen Tricks aus dem Christus eine Sensation und aus den Jüngern Helden machen wollen.

Alles, so würde Martin Luther sagen, entscheidet sich also am rechten Lesen und Verstehen der Heiligen Schrift. Und er würde uns auffordern, zuallererst zu beten: um Gottes Geist, der allein uns den Sinn der Schrift eröffnet und aufschließt. Der Maler Paul Klee sagte einmal: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ Ähnliches gilt für die Heilige Schrift! Sie will die Wahrheit des Glaubens sichtbar machen und nicht sichtbare Mirakel behaupten. So will ich nun nicht das sichtbare Geschehen des Seewandels Jesu erörtern, sondern will versuchen, die unsichtbare Wahrheit dieses Evangeliums aufzuspüren. Das heißt: genau hineinhören in die Schrift, ihre Bilderwelt zu den Bildern unserer Seele sprechen lassen und auf Zusammenhänge zu achten.

Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein. Jesus drängt seine Jünger, in das Schiff einzusteigen und ihm an das jenseitige Ufer vorauszufahren. Die Jünger werden nicht gefragt, sondern einfach weg geschickt. Weiter heißt es, dass Jesus die Menge, die sich um ihn versammelte, entließ, um auf einem Berg zu beten. Es wird ausdrücklich gesagt, dass er hier oben für sich allein betet. Erst in der vierten Nachtwache beendet Jesus das Gebet auf dem Berg. Die vierte Nachtwache ist die Zeit zwischen drei bis sechs Uhr früh. Er war demnach eine recht lange Zeit auf dem Berg.

Einen über die Dauer von vielen Stunden betenden Christus malt der Evangelist vor unserem inneren Auge - auf dem Berg, dem Ort der einsamen Zwiesprache mit Gott.
Wir erinnern uns:

  • Auch Moses redete auf einem Berg mit Gott.
  • Und von Jesus erzählen die Evangelien immer wieder, wie er sich zurückzog um allein zu sein mit seinem Vater im Himmel.
  • Analysiert man die Bergpredigt bei Matthäus (Kap. 5-7), jene Komposition von Originalworten Jesu, stellt man fest, dass in Ihrem Zentrum das Gebet des Herrn steht: das Vaterunser als Herzstück der Verkündigung Jesu!
  • Und von Anfang an hält die Heilige Schrift fest, dass im regelmäßigen Gebet, dass in der regelmäßigen Zeit für Gott, dass in der Einhaltung des Sabbat, der Mensch überhaupt erst zu sich selbst kommt und seiner Gottebenbildlichkeit gewahr wird! Und nur so kann ein Mensch den Stürmen des Lebens trotzen.

Damit sind wir wieder bei unserem Predigttext, beim „Gehen über dem Wasser“ – jenem zweiten Bild, das uns der Evangelist Matthäus vor Augen stellt. Und er wie alle seine damaligen Hörer sahen in diesem Bild ein Bild fürs Leben überhaupt: Der See Genezareth, das Wasser, die Fahrt über den See – all das ist ein gängiges Bild für das Leben. Ja, unser Leben ist wie eine Seereise: sie hat einen Anfang und sie hat ein Ziel, dazwischen gibt es Sonnentage zum Genießen und gibt es immer wieder die Frage, ob man auf dem rechten Kurs ist und sich auch nicht verirrt hat, gibt es immer wieder auch Unwetter und Sturm und Wellen, in denen man unterzugehen droht.

Wenn Matthäus uns also erst einen betenden und dann einen über die Wasser gehenden Christus vor Augen stellt, kann es sein, dass Matthäus auch uns auf einen „Berg des Gebetes“ führen will? Kann es sein, dass er uns die Zuversicht vermitteln will, dass es der Beter ist, der den Stürmen des Lebens standhält, ja, der „über die Wasser“ zu gehen vermag?

Gehen wir noch einen Schritt weiter, schauen wir auf die Jünger! Die Jünger sind mit ihrem Boot in akute Not geraten. Der Wind pfeift ihnen ins Gesicht. Und dann sehen sie etwas über das Wasser kommen. Wörtlich heißt es: Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht.

Matthäus erzählt es so, dass wir als Leser wissen: Es ist der Christus! Nur: Die Jünger wissen es nicht! Sie sehen, wie es heißt, eine Erscheinung, die sie für ein nächtliches Gespenst halten. Spätestens hier wird so mancher damaliger Leser der Geschichte gelacht haben. Und wir dürfen es auch! Dürfen über uns selbst schmunzeln, kopfnickend! Ja, so ist es häufig. Im Kampf mit den Wellen, mit den Stürmen des Lebens schauen wir häufig nicht über unseren Bootsrand hinaus. Und unser Bild von Gott ist dann ein verzerrtes, eines, das uns Furcht einflößt, Erschrecken bringt und Fassungslosigkeit beschert.

Ja, Gott ist dann häufig mehr ein Gespenst in unserem Kopf, eine furchterregende Einbildung, der wir nicht trauen können und auch nicht wollen. Die Jünger erkennen den Christus erst, als er zu ihnen spricht. Sie erwachen sozusagen aus dem Albtraum eines schrecklichen Gottesbildes, als der Christus zu ihnen sagt: „Ich bin‘s.“ Und wieder erinnern wir uns: An Moses, zu dem Gott einst aus dem brennenden Dornbusch heraus sagte: „Ich bin’s! Ich bin, der ich bin. Und ich bin dir gnädig zugewandt!“

Und der Christus sagt zu seinen Jüngern: „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!“
Wort Gottes – reines Evangelium! Und an diesem Wort allein wird der Christus erkannt – als der Gott, der Mut und Gelassenheit zuspricht und der eben nicht Angst macht! Petrus wird in dieser Geschichte dann zum beispielhaften Jünger. Durch dieses „Ich bin’s“ fasst er Mut und steigt aus dem Boot und geht auf den Christus zu. Und siehe, es klappt – zumindest solange er seinen Blick auf den Christus gerichtet hält. Freilich, Wind und Wellen machen ihm zu schaffen. Und so kommt es, wie es häufig im Leben kommt: er verliert Christus aus dem Blick. Und so schreit er in Verzweiflung: „Herr, rette mich!“

Und dann heißt es: „Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn …und sie traten in das Boot und der Wind legte sich.“ Als Petrus aufhörte, auf Christus zu blicken, als er seinen Blick änderte und von ihm abwandte, begann er zu versinken im Meer der Angst. Entscheidend ist also die Blickrichtung! Es gilt, immer und immer von neuem auf den Christus zu sehen, nicht auf den Wind, der einem ins Gesicht bläst, auch nicht auf die Wellen, die das Leben zu einem Auf und Ab machen. Nur so erhält ein Jünger die Kraft, über die Wasser der Angst zu gehen.

Und wenn wir jetzt schon wissen, dass wir keinen Deut besser als Petrus sind, es vielleicht eine Strecke weit schaffen, auf Christus zu blicken, irgendwann uns aber der Wind ins Gesicht pfeift, so dass wir Angst bekommen, unterzugehen und zu versinken im Meer der Sorgen und des Leids? Dann antwortet uns das heutige Evangelium: Als die Jünger schrien vor Furcht, redete Jesus sogleich mit ihnen. Als Petrus schrie: Herr, rette mich, streckte der Herr sogleich seine Hand aus.

Nach der Schilderung des Matthäus legt sich der Sturm erst, als Jesus im Boot der Jünger ist. Die „Errettung“ geschieht, bevor der Sturm sich legt. Das ist sie: die Frucht des Gebets! Dass der Betende von Christus an die Hand genommen wird, dass er ihn „rettet“, obwohl der Wind einem noch äußerlich ins Gesicht pfeift.

Es ist das Geschenk des Glaubens, dass sich äußerlich noch nichts ändert und bessert, Menschen aber tatsächlich dennoch über den Dingen stehen können. Das Wasser ist nicht weg, aber der Christus ist da - in mir! - , dessen Stimme uns sagt „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!“ und der uns so fähig macht, darüber zu stehen bzw. „über die Wasser“ zu gehen. Schenke Gott uns allen solchen Glauben, der in der Welt schon die Welt überwindet!

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

22 Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe.
23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.
24 Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See.
26 Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.
27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.
29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!
31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
32 Und sie traten in das Boot und der Wind legte sich.
33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

 


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