| Liebe Leser, 
       die Ordensschwester möchte den Religionsunterricht ein wenig auflockern 
      und stellt ihren Viertklässern ein Rätsel: Was ist das? Es ist braun, hat 
      ein dickes Fell und einen buschigen Schwanz und hüpft von Ast zu Ast? 
      Meldet sich ein Pimpf in der dritten Reihe. Wenn sie mich fragen, 
      Schwester, es ist ein Eichhörnchen. Aber wie ich den Laden hier so kenne, 
      ist es bestimmt das liebe Jesulein.  
       
      Na gut, so ganz neu ist dieser Witz nicht. Und ebenso wenig neu ist das, 
      was dieser Witz in Frage stellt. „Jesus liebt dich“, steht auch heute noch 
      auf Stickern und T-Shirts glaubensbeseelter Jugendlicher und da darf dann 
      auch der Zusatz „so wie Du bist“ nicht fehlen. Unser Jesus ist der Beste, 
      der Traum aller Mädels und aller Schwiegermütter in spe. So klingt es in 
      manchem Lied, dass man zur Gitarre begleiten kann. Unser heutiger 
      Predigttext sorgt dafür, dass diesem Hochglanzjesus ordentlich der Lack 
      abgeht. Und es gehört wirklich nicht viel Phantasie dazu sich 
      vorzustellen, was die Frauenbeauftragten, die von einer solchen 
      Begebenheit erfahren, an den „sehr geehrten Herrn von Nazareth“ schreiben 
      würden.  
       
      Aber dieser alle Zeit korrekte und für das eigene Glück und das Glück der 
      geliebten Menschen immer verfügbare Jesus ist offensichtlich nicht der 
      Christus des Evangeliums. Der Happy Jesus für bessere Zeiten ist eine 
      Karikatur. Gott sei Dank. Es ist deshalb ein heilsamer Schock, dass wir 
      das „liebe Jesulein“ in unserer Geschichte gar nicht mehr wieder erkennen. 
      Er schweigt uns an; er erklärt sich für nicht zuständig; er betitelt uns 
      mit Namen, die mit der „Krone der Schöpfung“ wenig zu tun haben. Martin 
      Luther hat in seiner Predigt zur Geschichte das als dreifache Anfechtung 
      beschrieben und erklärt, wie zum Glauben Mut – und manchmal der Mut der 
      Verzweiflung gehört.  
       
      Anfechtung ist ein nicht mehr besonders gebräuchliches Wort. Zweifel, das 
      kennen wir. Ob es Gott gibt oder nicht? Ob er mir hilft oder nicht? So 
      fragt der Zweifel. Zweifel ist das Unvermögen zu glauben.  
       
      Anfechtung ist etwas anderes. Anfechtung ist ein Glaubensgeschehen. Wir 
      glauben an Gott, aber wir erkennen ihn nicht wieder. Wir machen 
      Erfahrungen, die gegen alles sprechen, was wir uns von Gott erhoffen und 
      erbitten. Wir erhoffen sein „Ja“ und hören ein „Nein“. Wir spüren einen 
      Gott, der seinem eigenen Wort zu widersprechen scheint. „Mein Gott, mein 
      Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Der Todesschrei Jesu ist der 
      elementarste Ausdruck von Anfechtung in der Bibel 1. 
      Anfechtung ist „die Erfahrung der Abwesenheit Gottes“. Sie „ist die 
      schmerzlichste Form der Gottesgewissheit“.2
       
       
      Unser Predigttext macht uns Mut, solcher Anfechtung nicht auszuweichen – 
      wenn wir an Gräbern stehen von Menschen, die wir über alles geliebt haben 
      – wenn wir zu Gott daher geschwommen kommen auf einem Meer von Tränen – 
      wenn wir daher laufen in einem Trauerzug der Hoffnung – wenn wir allen 
      Grund haben, mit Gott zu hadern, wie Hiob und wie die kanaanäische Frau.
       
       
      Wir spüren fast in der eigenen Seele, wie der Christus sie behandelt, als 
      wäre sie Luft; wie er in die andere Richtung schaut. Diese Frau hat nichts 
      mehr zu plappern wie die, die meinen erhört zu werden, wenn sie viele 
      Worte machen (Mt.6/7). Sie schreit, wenn sie betet. Sie geht nicht nur 
      Jesus auf die Nerven. Mach was, Herr, segne sie ein bisschen, damit sie 
      Ruhe gibt. Schick sie heim. Auch im Jüngerkreis ist nicht jede Art der Not 
      willkommen. Und wie vielen wird die Kirche dadurch zur Anfechtung, dass 
      sie in ihrer Not kein offenes Ohr und keine Hilfe finden, sondern mit 
      einem Bibelsprüchlein, einem frommen Heftchen und besten Wünschen 
      abgespeist werden? Gute Frau, wir leben halt unter den Bedingungen einer 
      gefallenen Welt. Am Ende müssen die Jünger dastehen als beschämte 
      Heilsegoisten, die im Grunde nicht einmal ihrem Herrn etwas zutrauen. Als 
      Kleingläubige muss Jesus sie nicht nur einmal bezeichnen.  
       
      Aber scheint Jesus ihnen nicht erst recht zu geben? Diese Frau gehört 
      nicht dazu; nicht zum Gottesvolk Israel und also auch nicht zum Heilsplan 
      Gottes. Die Frau muss es hören: Jesus liebt dich nicht! Du gehörst nicht 
      zu den Schafen Israels. Dumm gelaufen, leider verloren.  
       
      Wie viele von uns wären jetzt nicht traurig davongegangen. Da kann man 
      nichts machen. Doch. Diese Frau legt sich dem Christus in den Weg, mit dem 
      Mut der Verzweiflung. Sie macht Platz, wie es in der Hundesprache heißt. 
      Ist sie es selbst, die Jesus auf seinen nicht gerade korrekten Vergleich 
      bringt? Gutes Brot für die Hunde? Das kann es nicht sein.  
       
      Wie viele von uns wären jetzt nicht wütend davongelaufen; verletzt und 
      voller vornehmer oder maßloser Verachtung, ein Fall für einen saftigen 
      Leserbrief in der Zeitung? Alles was recht ist; muss man sich so behandeln 
      lassen? Die Frau hält sich damit nicht auf. Die Rolle der beleidigten 
      Leberwurst hätte ihre verletzte Würde nicht geheilt und ihre Tochter schon 
      gar nicht. Mit Gott beleidigt zu sein, macht keinen größer.  
       
      Dann lass mich dein Hund sein, Herr. Denn ein Hund in deinem Haus, wird 
      nicht sterben, sondern unterm Tisch finden, was er braucht. Da kann Jesus 
      nicht anders, als ihr Recht zu geben. Da kann Jesus nicht anders, als 
      zuzugeben, dass Gottes Liebe sich nicht begrenzen lässt auf die verlorenen 
      Schafe des Hauses Israel. Dass diese Liebe ihrem Wesen nach nicht 
      exklusiv, sondern nur inklusiv sein kann. Sie schließt alle ein. Da muss 
      Jesus ihren Glauben loben, der nicht aufgehört hat, hinter seinem 
      dreimaligen Nein, Gottes Ja zu erhoffen. Da offenbart sich ihr der 
      Christus, indem er ihr seine Verborgenheit verbirgt. Und ihre Tochter 
      wurde gesund zu derselben Stunde.  
       
      Solcher Glaube hat offenbar den Mut und die Macht, Gott aus seiner 
      Verborgenheit herauszulocken und sein wahres Gesicht zu zeigen. Dieser 
      Glaube hat offenbar die Macht, Gott heilsam in die Nähe allen menschlichen 
      Leids zu bringen. In der letzten Anfechtung Jesu am Kreuz ist Gott diesem 
      Leid auf den letzten Grund gegangen. Hinter dem letzten Nein erschallt 
      über Hölle und Tod die Stimme des himmlischen Vaters, der den Christus ins 
      Leben ruft. Und drum ist in aller Anfechtung unseres Glaubens dort unter 
      dem Kreuz letzte Gewissheit des Glaubens zu finden.  
       
      Ein Happy Jesus, das „liebe Jesulein“ wäre eine Karikatur, so wie der 
      Spaß-Bohlen-Dieter eine ist. Alles wird becher? Prost Mahlzeit. Diese 
      Hanswurste des bedeutungslosen Glücks haben eine finstere Kehrseite. Sie 
      sind Ausdruck der maßlosen Gleichgültigkeit und Wurstigkeit gegen alles 
      Leid dieser Welt. Auf dem Gesicht der Kirche haben solche Kasperlezüge 
      nichts verloren. Eine Kirche, die ihre Botschaft in solcher Gesellschaft 
      vermarkten will, wird mit ihrem Christus am Kreuz nichts mehr anfangen 
      können und wollen. Und damit den verlieren, der allein helfen kann: auf 
      der Suche nach Gott, auf dem Weg durch die Nacht der Anfechtung, auf dem 
      Weg nach Hause, ins Leben.  
       
      Anmerkungen:  
      1 (Mt. 27/46; Ps 22/2.; vgl. Eberhardt Jüngel, 
      in ders. „Ganz werden“, Mohr, Tübingen, 2003, S. 90ff.) 
      2 (ebd. S.91) 
       
      
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)  | 
      Text: 
      
       (21)Und Jesus ging weg von dort und zog sich 
      zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. 
      (22)Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: 
      Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von 
      einem bösen Geist übel geplagt. 
      (23)Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten 
      ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. 
      (24)Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen 
      Schafen des Hauses Israel. 
      (25)Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! 
      (26)Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den 
      Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 
      (27)Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, 
      die vom Tisch ihrer Herren fallen. 
      (28)Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir 
      geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben 
      Stunde.  |