Predigt     Matthäus 16/13-19    Pfingstmontag     01.06.09

"Wer ist Jesus für mich?"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Jünger und Jüngerinnen!

Als Jüngerinnen und Jünger spreche ich Sie heute an, als solche, die zu Füßen Ihres Meisters, unseres Herrn Jesus Christus, sitzen und auf ihn schauen, auf sein Wort hören. Und als diese seine Jüngerinnen und Jünger bitte ich Sie, sich doch einmal zurück zu erinnern:

- Wann haben Sie in Ihrem Leben Erfüllung gefunden? Ich meine Erfüllung mit Lebenskraft; mit unsagbarer Freude auch, unvergessliche Erfahrung von „Identität“?

- Wann hatten Sie zuletzt das Gefühl von überwältigender Begeisterung? Wo die guten Ideen nur so sprudeln, wo man „Feuer und Flamme“ ist und man hüpfen könnte vor Begeisterung?

- Und wann haben Sie das letzte Mal tiefe Gemeinschaft erlebt? Ein tiefes Verstehen und Verstanden-Werden, das in Worten nicht mehr auszudrücken ist? Das einem das Gefühl des Eins-Seins gibt – miteinander, mit dem Leben, dem Kosmos, Gott?

Ja, zum Erinnern und zum Träumen möchte ich Sie heute anregen – und gleichzeitig einstimmen auf das, was unsere christliche Tradition als Erfahrung des Geistes Gottes beschreibt. Hören wir also auf die Heilige Schrift, hören wir auf den Evangelisten Matthäus, der im 16. Kapitel seines Evangeliums folgendes erzählt. Ich lese die Verse 13-19: Text

Befragt man die exegetische Literatur zu dieser Stelle, dann sind sich die Ausleger darin einig, dass diese Geschichte vom sogenannten Petrusbekenntnis eine nachösterliche Erzählung ist! Das heißt, dass der Evangelist Matthäus, der sein Evangelium vermutlich in den Jahren nach 70 und vor 90 nach Christus geschrieben hat, also über 40 Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu, dass er also Petrus dieses Bekenntnis „…Du bist…des lebendigen Gottes Sohn!“ in den Mund gelegt hat. Und dass Matthäus damit auf seine Weise die Geburtsstunde von „Kirche“ festhält: nämlich immer dort, wo ein „Jünger“ - vom Geist Gottes inspiriert – in Jesus den „Christus“, in Jesus Christus Gott selbst erkennt.

Freilich könnte man jetzt eine ganze Predigt über die katholische Auslegung zu dieser Textstelle halten. Die sieht in Petrus bekanntlich den ersten Papst. Aber in lutherischer Tradition und das heißt: in rechter Bibelauslegung wissen wir uns alle als Papst – nicht wie einst die Schlagzeile der Bildzeitung, die bei der Amtseinsetzung von damals Kardinal Ratzinger, jetzt Benedikt 16. fast deutschnational titelte „Wir sind Papst“. Nein, so nicht! Denn im neutestamentlichen Sinne macht der Heilige Geist einen jeden Jünger und eine jede Jüngerin zu seinem, bzw. ihrem eigenen Bischof, ja Bischöfin. Dem Evangelium gemäß halten wir fest, dass die Erfahrung von Gottes Geist einen jeden Menschen in die Freiheit führt - in die Freiheit von allen starren und lebensfeindlichen Dogmen und auch von allen äußerlichen Autoritäten, die einen Menschen fremdbestimmen.

Also: das Pfingstereignis hält der Evangelist Matthäus hier fest! „Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ sagt Jesus. Vermutlich zeitgleich mit Mt. erzählt der Evangelist Lukas in seiner Apostelgeschichte die Erfahrung dieses Gottesgeistes in einer eigenen, ausführlichen Geschichte. Und in den bekannten Bildern vom „Windesbrausen“, von den „Feuerzungen“ über den Köpfen der Jünger und vom Einander-Verstehen in allen Sprachen beschreibt Lukas wie es ist und was passiert, wenn Menschen von Gottes Geist ergriffen werden: dann kommt kräftige Bewegung ins Leben, werden Menschen „Feuer und Flamme“, entsteht neue, alle Grenzen überschreitende Gemeinschaft.

Demgegenüber stehen Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass Pfingsten und das darauffolgende Fest Trinitatis an der Spitze jener Feste stehen, mit denen die Menschen unserer Tage am wenigsten anfangen können. Viele sagen: „Das ist mir so fremd, nichtssagend und rätselhaft!“. Und selbst bei kirchlichen Mitarbeiter/Innen können nicht einmal 20 % dem Pfingstfest irgendetwas abgewinnen. Woran mag das liegen?

Daran, dass viele die Rede vom Heiligen Geist in kirchlichen Reden und Predigten nicht verstehen, beim Geist immer noch das Gespenst oder den „Flaschengeist“ heraushören? Oder daran, dass unsere auf materiellen Konsum ausgerichtete Denk- und Lebensweise kaum noch Interesse hat bzw. weckt an geistig-geistlichen Fragestellungen? Oder vielleicht auch daran, dass wir uns an Pfingsten in der fruchtbarsten Zeit des Jahreskreises befinden und in der Natur alles duftet und blüht, so dass die Menschen – von der Fruchtbarkeit der Natur angezogen – draußen suchen, was in ihnen geschehen soll: nämlich Blühen und Wachsen?

An letzteres jedenfalls will uns das Pfingstfest erinnern: dass all dies in uns geschehen soll: Weihnachten und Ostern, Menschwerdung Gottes und Auferstehung des neuen Menschen! Von daher ist Pfingsten eigentlich das wichtigste Fest für uns: weil es für einen jeden von uns ganz persönlich um seine Lebenskraft, um seine Lebensfreude, um seine Begeisterung im und am Leben geht; weil es letztlich um die Erfahrung geht, dass wir tiefste Gemeinschaft haben können, obwohl ein jeder von uns bei und mit sich allein ist.

Freilich – das weiß ein jeder von uns und das weiß auch die Heilige Schrift: Lebenskraft, Lebensfreude, Begeisterung und Gemeinschaft können wir nicht „machen“! Das ist vielleicht die stärkste Ohrfeige, die Gott unserer modernen Macher-Mentalität verpasst. Dabei kommt mir unsere Gesellschaft manchmal vor wie ein trotziges Kind, das auf das „Nein“ des Vaters „So nicht!“ nach dem Motto reagiert: Und jetzt erst recht!

Aber fragen wir: Wie dann? Wie kommen wir ins Fließen? Wie kommen wir in Berührung mit der Quelle des Lebens, der Kreativität und Vitalität auch? Oder theologisch formuliert: Wie kommen wir in Berührung mit der „weiblichen Seite“ Gottes, die als Windhauch bei der Schöpfung über den Wassern „brütete“, die als Lebensodem dem Menschen von Gott eingehaucht wurde, die Menschen erfüllt mit der Zärtlichkeit Gottes, mit Liebe und Kraft und Besonnenheit?

Unser Predigttext bringt die Frage auf den Punkt, indem Jesus seine Jünger und Jüngerinnen fragt: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ Ja, liebe Jüngerinnen und Jünger, wer ist Jesus für Sie, ganz persönlich? Und jetzt versuchen Sie einmal eine persönliche Antwort für sich, ohne nachzuplappern, was andere Ihnen über Jesus gesagt haben und ohne aufzusagen, was Sie im Konfirmandenunterricht auswendig gelernt oder in Predigten gehört haben!

Wer ist Jesus für mich? Ein interessanter Mensch? Ein Lehrer von Tugenden? Ein Prophet wie die alttestamentlichen Propheten Elia oder Jeremia? Das mögen ja alles „richtige“ Antworten sein – ehren sie doch Jesus als einen herausragenden Menschen. Aber das tut auch der Islam, wenn er in der 4. Sure des Koran sagt: „Allein der Messias, Jesus, der Sohn der Maria, war nur ein Apostel Gottes und seines Wortes“.

Eigentlich müsste ich bei der so persönlich gestellten Frage meinen Monolog hier auf der Kanzel beenden, mich zu Ihnen setzen und wir müssten uns austauschen über die Frage: Wer ist Jesus für mich? Aber womöglich ist es sogar besser, wenn Sie sich darüber in der Familie oder mit einem Freund austauschen und nicht mit einem Pfarrer! Die „richtige“ Antwort kann in diesem Fall nicht von einem anderen, auch nicht einem Pfarrer kommen. Die kann nur von Ihnen persönlich kommen.

So möchte ich Ihnen von dieser Stelle Mut machen, sich dieser Frage zu stellen und auch das Gespräch und den Austausch darüber zu suchen – wieder und immer wieder. Nicht, weil wir durch diesen Austausch die Erfahrung Gottes und seines Geistes herbeireden könnten. Aber so jedenfalls ist unser heutiger Predigttext zu verstehen – weil über solchem Gespräch über unseren persönlichen Glauben die Verheißung steht, dass Gott wann und wo er will – einen jeden Simon Petrus mit seinem Geist erfüllen will.

Ja, solch unsichere Kantonisten wie Simon Petrus, die immer wieder in Angst und Zweifel versinken und mit ihrem Gottvertrauen versagen, will Gott – vielleicht auch nur für die Dauer eines göttlich geschenkten Augenblicks – jene Gewissheit schenken, die das Neue Testament als Geburt des Sohnes in uns, als Gottessohnschaft, als Erfahrung unserer eigenen Gottesebenbildlichkeit bezeichnet – eine Erfahrung, die in die Freiheit der Kinder Gottes führt, die sie bevollmächtigt, in der Welt zu lösen und zu binden, Unrecht mutig beim Namen zu nennen und bereutes Unrecht großherzig zu vergeben und vor nichts und niemandem in dieser Welt mehr Angst zu haben. Eine Erfahrung auch, die Petrus zum Fels in der Brandung macht, zum Licht in der Welt und zum Salz für diese Erde, die Kirche zur Kirche macht, weil sie ihn herausruft aus dieser Welt und hinein sendet in diese Welt.

So bitten wir Gott um seinen Geist! Ja, komm Heiliger Geist! Erfülle uns mit deiner Kraft, die Leben schafft! Komm, du Geist der Wahrheit!

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?
14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
15 Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
 


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