Liebe Jünger und Jüngerinnen!
Als Jüngerinnen und Jünger spreche ich Sie heute an, als solche, die
zu Füßen Ihres Meisters, unseres Herrn Jesus Christus, sitzen und
auf ihn schauen, auf sein Wort hören. Und als diese seine
Jüngerinnen und Jünger bitte ich Sie, sich doch einmal zurück zu
erinnern:
- Wann haben Sie in Ihrem Leben Erfüllung gefunden? Ich meine
Erfüllung mit Lebenskraft; mit unsagbarer Freude auch,
unvergessliche Erfahrung von „Identität“?
- Wann hatten Sie zuletzt das Gefühl von überwältigender
Begeisterung? Wo die guten Ideen nur so sprudeln, wo man „Feuer und
Flamme“ ist und man hüpfen könnte vor Begeisterung?
- Und wann haben Sie das letzte Mal tiefe Gemeinschaft erlebt? Ein
tiefes Verstehen und Verstanden-Werden, das in Worten nicht mehr
auszudrücken ist? Das einem das Gefühl des Eins-Seins gibt –
miteinander, mit dem Leben, dem Kosmos, Gott?
Ja, zum Erinnern und zum Träumen möchte ich Sie heute anregen – und
gleichzeitig einstimmen auf das, was unsere christliche Tradition
als Erfahrung des Geistes Gottes beschreibt. Hören wir also auf die
Heilige Schrift, hören wir auf den Evangelisten Matthäus, der im 16.
Kapitel seines Evangeliums folgendes erzählt. Ich lese die Verse
13-19: Text
Befragt man die exegetische Literatur zu dieser Stelle, dann sind
sich die Ausleger darin einig, dass diese Geschichte vom sogenannten
Petrusbekenntnis eine nachösterliche Erzählung ist! Das heißt, dass
der Evangelist Matthäus, der sein Evangelium vermutlich in den
Jahren nach 70 und vor 90 nach Christus geschrieben hat, also über
40 Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu, dass er also Petrus dieses
Bekenntnis „…Du bist…des lebendigen Gottes Sohn!“ in den Mund gelegt
hat. Und dass Matthäus damit auf seine Weise die Geburtsstunde von
„Kirche“ festhält: nämlich immer dort, wo ein „Jünger“ - vom Geist
Gottes inspiriert – in Jesus den „Christus“, in Jesus Christus Gott
selbst erkennt.
Freilich könnte man jetzt eine ganze Predigt über die katholische
Auslegung zu dieser Textstelle halten. Die sieht in Petrus
bekanntlich den ersten Papst. Aber in lutherischer Tradition und das
heißt: in rechter Bibelauslegung wissen wir uns alle als Papst –
nicht wie einst die Schlagzeile der Bildzeitung, die bei der
Amtseinsetzung von damals Kardinal Ratzinger, jetzt Benedikt 16.
fast deutschnational titelte „Wir sind Papst“. Nein, so nicht! Denn
im neutestamentlichen Sinne macht der Heilige Geist einen jeden
Jünger und eine jede Jüngerin zu seinem, bzw. ihrem eigenen Bischof,
ja Bischöfin. Dem Evangelium gemäß halten wir fest, dass die
Erfahrung von Gottes Geist einen jeden Menschen in die Freiheit
führt - in die Freiheit von allen starren und lebensfeindlichen
Dogmen und auch von allen äußerlichen Autoritäten, die einen
Menschen fremdbestimmen.
Also: das Pfingstereignis hält der Evangelist Matthäus hier fest!
„Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater
im Himmel“ sagt Jesus. Vermutlich zeitgleich mit Mt. erzählt der
Evangelist Lukas in seiner Apostelgeschichte die Erfahrung dieses
Gottesgeistes in einer eigenen, ausführlichen Geschichte. Und in den
bekannten Bildern vom „Windesbrausen“, von den „Feuerzungen“ über
den Köpfen der Jünger und vom Einander-Verstehen in allen Sprachen
beschreibt Lukas wie es ist und was passiert, wenn Menschen von
Gottes Geist ergriffen werden: dann kommt kräftige Bewegung ins
Leben, werden Menschen „Feuer und Flamme“, entsteht neue, alle
Grenzen überschreitende Gemeinschaft.
Demgegenüber stehen Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass
Pfingsten und das darauffolgende Fest Trinitatis an der Spitze jener
Feste stehen, mit denen die Menschen unserer Tage am wenigsten
anfangen können. Viele sagen: „Das ist mir so fremd, nichtssagend
und rätselhaft!“. Und selbst bei kirchlichen Mitarbeiter/Innen
können nicht einmal 20 % dem Pfingstfest irgendetwas abgewinnen.
Woran mag das liegen?
Daran, dass viele die Rede vom Heiligen Geist in kirchlichen Reden
und Predigten nicht verstehen, beim Geist immer noch das Gespenst
oder den „Flaschengeist“ heraushören? Oder daran, dass unsere auf
materiellen Konsum ausgerichtete Denk- und Lebensweise kaum noch
Interesse hat bzw. weckt an geistig-geistlichen Fragestellungen?
Oder vielleicht auch daran, dass wir uns an Pfingsten in der
fruchtbarsten Zeit des Jahreskreises befinden und in der Natur alles
duftet und blüht, so dass die Menschen – von der Fruchtbarkeit der
Natur angezogen – draußen suchen, was in ihnen geschehen soll:
nämlich Blühen und Wachsen?
An letzteres jedenfalls will uns das Pfingstfest erinnern: dass all
dies in uns geschehen soll: Weihnachten und Ostern, Menschwerdung
Gottes und Auferstehung des neuen Menschen! Von daher ist Pfingsten
eigentlich das wichtigste Fest für uns: weil es für einen jeden von
uns ganz persönlich um seine Lebenskraft, um seine Lebensfreude, um
seine Begeisterung im und am Leben geht; weil es letztlich um die
Erfahrung geht, dass wir tiefste Gemeinschaft haben können, obwohl
ein jeder von uns bei und mit sich allein ist.
Freilich – das weiß ein jeder von uns und das weiß auch die Heilige
Schrift: Lebenskraft, Lebensfreude, Begeisterung und Gemeinschaft
können wir nicht „machen“! Das ist vielleicht die stärkste Ohrfeige,
die Gott unserer modernen Macher-Mentalität verpasst. Dabei kommt
mir unsere Gesellschaft manchmal vor wie ein trotziges Kind, das auf
das „Nein“ des Vaters „So nicht!“ nach dem Motto reagiert: Und jetzt
erst recht!
Aber fragen wir: Wie dann? Wie kommen wir ins Fließen? Wie kommen
wir in Berührung mit der Quelle des Lebens, der Kreativität und
Vitalität auch? Oder theologisch formuliert: Wie kommen wir in
Berührung mit der „weiblichen Seite“ Gottes, die als Windhauch bei
der Schöpfung über den Wassern „brütete“, die als Lebensodem dem
Menschen von Gott eingehaucht wurde, die Menschen erfüllt mit der
Zärtlichkeit Gottes, mit Liebe und Kraft und Besonnenheit?
Unser Predigttext bringt die Frage auf den Punkt, indem Jesus seine
Jünger und Jüngerinnen fragt: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ Ja,
liebe Jüngerinnen und Jünger, wer ist Jesus für Sie, ganz
persönlich? Und jetzt versuchen Sie einmal eine persönliche Antwort
für sich, ohne nachzuplappern, was andere Ihnen über Jesus gesagt
haben und ohne aufzusagen, was Sie im Konfirmandenunterricht
auswendig gelernt oder in Predigten gehört haben!
Wer ist Jesus für mich? Ein interessanter Mensch? Ein Lehrer von
Tugenden? Ein Prophet wie die alttestamentlichen Propheten Elia oder
Jeremia? Das mögen ja alles „richtige“ Antworten sein – ehren sie
doch Jesus als einen herausragenden Menschen. Aber das tut auch der
Islam, wenn er in der 4. Sure des Koran sagt: „Allein der Messias,
Jesus, der Sohn der Maria, war nur ein Apostel Gottes und seines
Wortes“.
Eigentlich müsste ich bei der so persönlich gestellten Frage meinen
Monolog hier auf der Kanzel beenden, mich zu Ihnen setzen und wir
müssten uns austauschen über die Frage: Wer ist Jesus für mich? Aber
womöglich ist es sogar besser, wenn Sie sich darüber in der Familie
oder mit einem Freund austauschen und nicht mit einem Pfarrer! Die
„richtige“ Antwort kann in diesem Fall nicht von einem anderen, auch
nicht einem Pfarrer kommen. Die kann nur von Ihnen persönlich
kommen.
So möchte ich Ihnen von dieser Stelle Mut machen, sich dieser Frage
zu stellen und auch das Gespräch und den Austausch darüber zu suchen
– wieder und immer wieder. Nicht, weil wir durch diesen Austausch
die Erfahrung Gottes und seines Geistes herbeireden könnten. Aber so
jedenfalls ist unser heutiger Predigttext zu verstehen – weil über
solchem Gespräch über unseren persönlichen Glauben die Verheißung
steht, dass Gott wann und wo er will – einen jeden Simon Petrus mit
seinem Geist erfüllen will.
Ja, solch unsichere Kantonisten wie Simon Petrus, die immer wieder
in Angst und Zweifel versinken und mit ihrem Gottvertrauen versagen,
will Gott – vielleicht auch nur für die Dauer eines göttlich
geschenkten Augenblicks – jene Gewissheit schenken, die das Neue
Testament als Geburt des Sohnes in uns, als Gottessohnschaft, als
Erfahrung unserer eigenen Gottesebenbildlichkeit bezeichnet – eine
Erfahrung, die in die Freiheit der Kinder Gottes führt, die sie
bevollmächtigt, in der Welt zu lösen und zu binden, Unrecht mutig
beim Namen zu nennen und bereutes Unrecht großherzig zu vergeben und
vor nichts und niemandem in dieser Welt mehr Angst zu haben. Eine
Erfahrung auch, die Petrus zum Fels in der Brandung macht, zum Licht
in der Welt und zum Salz für diese Erde, die Kirche zur Kirche
macht, weil sie ihn herausruft aus dieser Welt und hinein sendet in
diese Welt.
So bitten wir Gott um seinen Geist! Ja, komm Heiliger Geist! Erfülle
uns mit deiner Kraft, die Leben schafft! Komm, du Geist der
Wahrheit!
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea
Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute,
dass der Menschensohn sei?
14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere,
du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der
Propheten.
15 Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des
lebendigen Gottes Sohn!
17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon,
Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart,
sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will
ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht
überwältigen.
19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du
auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und
alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst
sein.
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