Liebe Leser,
heute werden wir also auf einen hohen Berg
geführt -„nach sechs Tagen“, wie Mt. nicht ohne Grund betont. Nach 6
Tagen: das erinnert an die 6 Tage der Schöpfung. Am 7. Tag ruhte
Gott von seinen Werken, heißt es da. Und auch Jesus macht einen
Ruhe-, einen Feiertag, nachdem er alles andere schon getan hat: Er
hat gelehrt und geheilt, die Bergpredigt gehalten, Blinde sehend und
Lahme gehend gemacht. Er hat Tauben das Gehör und Toten das Leben
wieder gegeben. Er hat sich als Messias des Wortes und der Tat
erwiesen.
Aber heute ist der 7. Tag, Tag der gefeierten Ruhe, Tag der
Herrlichkeit Gottes. Heute nimmt Jesus seine Lieblingsjünger mit auf
einen hohen Berg. Er nimmt sie „zu sich besonders“ wie es in einer
Übersetzung heißt. Und er lässt sie etwas ganz Besonderes erleben.
Nicht allen Jüngern wird dieses Besondere einer Gottesschau zuteil.
Wir könnten fragen, warum nur den dreien und nicht auch den anderen
Jüngern. Aber wer so fragt, verliert sich in haltlose Spekulationen.
Wir überlassen das Recht zur Auswahl unserem Herrn Jesus, wem er in
dieser Welt eine Gottesschau ermöglicht. Und wir lassen uns von der
Geschichte des Petrus warnen, dass auch eine Gottesschau im Leben
nicht davor bewahren muss, den Herrn Jesus zu verleugnen.
Wie auch immer, Jesus nimmt diese drei Jünger mit. Man sagt in
Anlehnung an ein Wort des Propheten Jeremia, es wäre der Berg Tabor
gewesen. Aber der Berg ist ein geistlicher Berg! Es ist der
Gegenberg zu dem ganz anderen Berg, wie ihn die
Versuchungsgeschichte beschreibt: „Wiederum nahm ihn der Teufel mit
sich auf einen sehr hohen Berg!“ Und dort „zeigte er ihm alle Reiche
der Welt und ihre Herrlichkeit.“ „Dies alles will ich dir geben,
wenn du niederfällst und mich anbetest“ - flüstert ihm Satan zu.
Doch Jesus widersteht. Er fällt nicht nieder vor der Gewalt des
Bösen wie so viele Menschen und Machthaber. Er bleibt stehen und
wird deswegen von Gott hoch erhoben auf den neuen Gottesberg.
Da ist mehr als der Berg der Versuchung. Da ist „das Reich der
Himmel“ und seine ganze Herrlichkeit. „Und er wurde verklärt vor
ihnen und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider
wurden weiß wie das Licht!“ Es ist eine Metamorphose, eine totale
Verwandlung des Irdischen in das Himmlische! Die Jünger erleben
Jesus nicht mehr in der „Knechtsgestalt“ des Irdischen, des
Sterblichen, des zum Tode Bestimmten. Jetzt schauen sie einen mit
Leib und Seele für Gott geöffneten Menschen, auf dessen Angesicht
sich die Herrlichkeit und der Glanz Gottes widerspiegeln, ja, von
dem die unendliche Liebe Gottes ausstrahlt und alles durchdringt mit
seinem hellen Leuchten. Der, der am Anfang das Licht von der
Finsternis schied, verwandelt das Angesicht Jesu zum „Licht der
Welt“.
Der Vergleich mit dem Teufelsberg macht das deutlich: Weil Jesus
nichts für sich selber wollte, deswegen kann er sich ganz für Gott
öffnen. „Wer sich selber ansieht, leuchtet nicht!“ sagt ein
chinesisches Sprichwort. Vielleicht ist das die Erklärung für unser
oft so wenig leuchtendes Christentum - im Persönlichen wie im
Kirchlichen. Vielleicht bespiegeln wir uns viel zu sehr mit uns
selbst, statt dass wir in den Spiegel Gottes schauen, in das
Angesicht seiner Liebe und Güte.
Jesus holt die Seinen hier nicht nur aus den Niederungen des
Alltags, er holt sie auch aus ihrer Selbstbespiegelung heraus und
lässt ihnen nun „sein Antlitz leuchten“. Was das bedeutet, wird nun
auch an dem Folgenden klar: Mose und Elia erscheinen neben Jesus und
reden mit ihm. Mose und Elia - beide begehrten Gott zu schauen, doch
sie dürfen ihn nur verhüllt erleben, sie dürfen ihm nur hinterher
sehen, aber nicht von Angesicht zu Angesicht wie Jesus, der davon
ganz erleuchtet ist. Und das signalisiert uns: Hier ist mehr als
Mose! Hier ist mehr als der Propheten einer! Hier ist mehr als Sinai
und Gesetz, mehr als die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens,
mehr als die Errettung am Schilfmeer! Hier ist der neue Berg Gottes,
der nur im Glauben erstiegen werden kann und hier ist das Ende des
Gesetzes und der Propheten. Hier beginnt die Erfüllung, alles
Vorläufige ist vorbei, alles „Stückwerk“ hört auf. Es ist ein Blick
in den Himmel, ein Blick auch ins Angesicht dessen, dem „alle Gewalt
gegeben ist im Himmel und auf Erden!“
Verständlich, dass Petrus das festhalten möchte. Verständlich seine
Begeisterung, sein Glückserleben, seine Seligkeit! Warum soll das
nur für ein paar Sekunden gelten, warum nicht für immer? Oh, wir
verstehen den Petrus nur zu gut! Wir verstehen, dass er diesen
einmaligen Augenblick festhalten möchte: „Verweile doch, du bist so
schön!“Wir verstehen, dass er das himmlische Erfahren nun „festgemauert
in der Erde“ haben möchte, in Stein gehauen verewigt. Eine herrliche
Wallfahrtskirche mit drei prächtigen Schiffen, links Elia und rechts
Mose und in der Mitte ein Jesus-Schrein.
Was soll daran falsch sein? Warum wird es ihm nicht erlaubt? Wir
ahnen es: Weil man eine religiöse Erfahrung wie diese Gottesschau
nicht festhalten kann ohne sie zu verfälschen! Und weil Gott sich
die Freiheit vorbehält, sich wann und wo er will zu offenbaren. Und
weil er sich nicht an bestimmten Orten und Steinen festmachen lässt.
„Der Geist weht, wo er will“ sagt der Evangelist Johannes und
spricht davon, Gott „im Geist und in der Wahrheit anzubeten“.
Eine Gottesschau kann man nicht konservieren. Sie ist für uns ganz
persönlich bestimmt, für unser Herz, für unsern Geist, für unser
Fühlen, Glauben und Denken. Und doch ist sie auch da schwer
festzuhalten. Ob Petrus und die andern bei Jesu Verhaftung daran
gedacht haben, als sie alle geflohen sind? Ob Petrus das gegenwärtig
war in der Nacht des Verhörs, als er von der Magd am Kohlenfeuer
angesprochen wurde und seinen Herrn verleugnete? Auch tief
berührende religiöse Erfahrungen können sich schnell verflüchtigen,
wenn wir sie in den Niederungen des Alltags verlieren und vergraben.
„Herr, hier ist gut sein!“ - wie auch immer das zu verstehen ist:
Petrus wird in seinen Plänen unterbrochen! „Während er noch redete,
siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine
Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich
Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ Neben der Vision nun die
Audition, neben dem Schauen nun das Hören!
Die lichte Wolke, dem Volk Israel aus den Tagen der Wüste als
Gegenwart Gottes bekannt - diese lichte Wolke, aus der heraus Mose
am Sinai die Gesetzestafeln empfing - diese Wolke überschattet nun
auch die Jünger und zieht sie in das göttliche Geheimnis hinein:
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt
ihr hören!“ Damit wird die Weihnachtsbotschaft der Engel an die
Hirten wieder aufgenommen. Damit bekennt sich Gott ganz zu Jesus und
bestätigt noch einmal wie schon bei der Taufe, dass Jesus der ist,
der in seinem Namen gekommen ist und der seine ganze Vollmacht hat.
„Den sollt ihr hören!“ So bleibt Gott gegenwärtig, so bleibt das
Gotteserlebnis erhalten. Wir haben nichts Besseres und nichts, was
direkter ist, als sein Wort! Zwar gibt es auch in der Heiligen
Schrift viele Rätsel und Stückwerke und Vorläufigkeiten, weil Gottes
Wort oft genug mit unserm Menschenwort vermischt und in ihm
verborgen ist. Und doch gibt es, wenn wir nur hören wollen, auch das
klare Gotteswort, das Wort Jesu, das keiner langen Auslegung bedarf,
sondern klar und unverstellt zu hören und aufzunehmen ist. Wir
kennen sein Doppelgebot der Liebe. Wenn wir es tun, werden wir
leben. So einfach ist das und zugleich so selten. Wir sollten uns
vor allzu großen Komplizierungen hüten. Denn sonst wird aus Gottes
Wort ganz schnell leblose, um nicht zu sagen gottlose
Schriftgelehrsamkeit, die nur verdunkelt statt zu erhellen.
„Herr, hier ist gut sein!“ meint Petrus. Aber von wegen! Denn jetzt
erschrecken alle drei vor der Stimme - wie Menschen immer
erschrecken, wenn sie Gottes Wort trifft. Sie werfen sich zu Boden
und liegen da wie gelähmt in ihrer Angst. Und dann, nach dem Schauen
und nach dem Hören kommt die zärtliche Berührung. Er rührt sie mit
seiner Hand an und sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ Und
als sie dann aufblicken, sehen sie „niemand als Jesus allein!“
Es gibt viele Religionen, in denen Gotteserlebnisse als furchtbar
und schrecklich geschildert werden, auch im Alten Testament. Aber
das ist das Neue an dieser Gottesschau: Jesus ist niemals zum
Fürchten! Er strahlt nicht Grausamkeit und Machtwillkür aus, auch
nicht Rache und Vergeltung, sondern er ist der, der uns Menschen mit
Liebe begegnet - rätselhafterweise mit einer Liebe, „die nie mehr
aufhört“. Mit einer Liebe, die sich sogar am Kreuz für uns Menschen
opfert. Und in allem ist der Sohn nicht nur ein Teil von Gott, nicht
nur eine Lieblingsseite von ihm. Sondern in ihm kommt Gottes
Innerstes nach außen; hier strahlt uns sein wahres Gott-Sein an:
gereinigt von allen dunklen Gedanken, gereinigt von aller Sucht nach
Rache und Hass, nach Bestrafung und Vergeltung. Jesus will nicht den
Tod des Sünders, sondern dass der Sünder sich bekehre und lebe!
Darum ist er vom Vater in die Welt gesandt und mit aller Vollmacht
ausgestattet im Himmel und auf Erden. „Den sollt ihr hören!" Und: „…
niemand als Jesus allein“. Das ist die Quintessenz dieser
Geschichte! Und nur so wird die Gotteserfahrung bewahrt.
In Jesus Christus ist alles da, was Gottes ist. „Gott von Gott,
Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“ wie es in unserem
Bekenntnis heißt. Er ist schon jetzt „die Hütte Gottes bei den
Menschen“, wie es die Offenbarung des Johannes verheißt. Darum
braucht auch ein Petrus nichts zu bauen. Er und wir alle brauchen
nur auf Jesus zu sehen und ihn zu hören, das ist genug! Dann haben
wir alles, was „uns not ist“, auch in den Niederungen des Alltags,
in die wir ja immer wieder zurückmüssen, aber nun erleuchtet durch
die Gottesbegegnung. Der Blick in das Angesicht Jesu ist wie ein
Blick ins verheißene Land, der uns Mut machen will, auch in den
dunklen Tälern unseres Lebens „fröhlich unsere Straße zu ziehen“.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof)
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Text:
1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich
Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie
allein auf einen hohen Berg.
2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie
die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.
4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein!
Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine
und Elia eine.
5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte
Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein
lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und
erschraken sehr.
7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und
fürchtet euch nicht!
8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus
allein.
9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach:
Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der
Menschensohn von den Toten auferstanden ist.
10 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Warum sagen denn die
Schriftgelehrten, zuerst müsse Elia kommen?
11 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Elia soll freilich kommen
und alles zurechtbringen.
12 Doch ich sage euch: Elia ist schon gekommen, aber sie haben ihn
nicht erkannt, sondern haben mit ihm getan, was sie wollten. So wird
auch der Menschensohn durch sie leiden müssen.
13 Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu
ihnen geredet hatte.
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