Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
bis hier her und nicht weiter, hat Jesus wahrscheinlich dieses
Gleichnis erzählt. Und wenn wir uns bis hier her auf diese
Geschichte eingelassen haben, dann haben wir bereits zweimal nicht
schlecht gestaunt. Das erste Wunder ist, dass der König in so
außerordentlich großzügiger Weise Gnade vor Recht ergehen lässt und
den astronomisch verschuldeten Knecht schuldenfrei nach Hause
schickt. Das zweite Wunder ist, dass derselbe Knecht gleich darauf
in so außerordentlich kleinlicher Weise Recht vor Gnade ergehen
lässt und einen Mitknecht wegen einer lächerlichen Schuld seiner
Freiheit beraubt, bis er auch den letzten Groschen bezahlt hat.
Jede Konfirmandin, jeder Konfirmand weiß, wie die Geschichte
ausgeht. Jeder weiß, was der König jetzt tun muss. Und so haben
wahrscheinlich andere zu Ende erzählt:
32 Da forderte ihn sein Herr vor sich und
sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir
erlassen, weil du mich gebeten hast;
33 hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen
Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?
34 Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern,
bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war.
Was der König am Ende dieses Gleichnisses tut, ist kein Wunder.
Bleibt ihm denn eine andere Wahl? Auch wenn Jesus diese Geschichte
nicht zu Ende erzählt haben sollte, wie Bibelforscher mit gutem
Grund vermuten, es gibt keinen anderen Schluss.
Dabei hat diese Geschichte so gut angefangen. Ein Mensch verschuldet
bis über alle Ohren, die seiner Frau und Kinder eingeschlossen, ein
Mensch der seine eigene Zukunft und die seiner Familie verspielt
hat, wirft sich auf sein Angesicht und bittet um Geduld und
Stundung. Und bekommt mehr, als selbst ein Optimist in seiner Lage
hoffen darf: Nicht Stundung, nicht Umschuldung, nicht einen
günstigen Zinssatz, nicht den modernen Rettungsschirm. Der König
entschuldet ihn zu 100 Prozent und lässt ihn gehen als freien Mann.
Was für eine grandiose Zusammenfassung des Evangeliums. Wie weit
macht Jesus die Tür zum Himmelreich auf. Da passt unsere ganze
verdammte Welt durch ohne Anzustoßen. Ohne Bedingungen, ohne
Verrenkungen, ohne ihre Schuld klein machen oder selbst ein bisschen
abtragen zu müssen. Der Christus macht die Tür zum Himmelreich für
jeden von uns weit genug auf. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem
Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch. Das ist
Evangelium ohne wenn und aber.
Davon leben wir alle - oder wir gehen irgendwann zugrunde. Wer über
das Wort von der Sündenvergebung und über die christliche Beichte
die Nase rümpft, sollte einmal zur Kenntnis nehmen, was Psychologen
sagen. Die machen uns darauf aufmerksam, dass wir modernen Menschen
nicht nur ein Problem mit dem Wohlstandsmüll, sondern ein noch viel
größeres mit dem Müll in unseren Seelen haben. Wir erfahren immer
weniger Vergebung, und dass das Vergebene dann auch irgendwann
einmal vergessen wird. Ohne beides gibt es keinen wirklichen
Neuanfang im Leben. So lassen sich heute scheiternde Beziehungen
immer trefflicher durch den Begriff vom „nicht mehr ausgleichbaren
Verrechnungsnotstand“ beschreiben. Da hatte der Herr Erbarmen mit
diesem Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch.
Hinaus geht ein entschuldeter, freier, aufatmender Mensch. Es war
ein schlechter Gottesdienst, eine schlechte kirchliche
Veranstaltung, aus der wir anders hinausgehen, als jener Knecht.
Aber dann bekommen wir es, wie dieser Knecht, mit der Welt zu tun.
Und Jesus wählt mit Bedacht, worauf der den Finger legt und worauf
nicht. Das ist es nicht, dass jener Knecht vielleicht wieder
Schulden gemacht hätte, und es bei allen guten Vorsätzen wieder
nicht geschafft hätte ein guter Knecht seines Königs und den anderen
ein Vorbild zu werden. Das ist es nicht, dass Christen, die Gottes
Güte erfahren haben, dann bei allen guten Vorsätzen doch wieder
Schuld auf sich laden: Den Namen ihres Gottes missbrauchen, den
Feiertag nicht heiligen, Vater und Mutter im Alter allein lassen,
dem anderen die Luft und den Platz zum Leben nehmen, die Ehe
brechen, sich an fremdem Eigentum vergreifen, die Unwahrheit sagen
und lieber das hätten, was der andere hat. Da wird der Knecht, da
werden wir wohl wieder auf dem Angesicht vor unserem Herrn liegen,
unsere Schuld beim Namen nennen und auf seine Güte hoffen müssen.
Und hoffentlich haben wir dabei, wie der Knecht im Gleichnis, die
rechte innere und äußere Haltung zu unserem Tun, Reden und Denken
gefunden.
Aber es ist ein Skandal, wenn jener Knecht, der einzig und allein
aufgrund der Barmherzigkeit seines Herrn leben und ein freier Mann
sein kann, hingeht und sich weigert selbst ein barmherziger Mensch
zu werden. Es ist ein Skandal, wenn Christen, die allein davon
leben, dass Gott alle Morgen neu Gnade vor Recht ergehen lässt,
hingehen und sich weigern selbst barmherzige Menschen zu werden. Und
statt dessen die Ordnung einer Welt in ihren Herzen festschreiben in
der alles was Recht ist, vor allem aber „mein gutes Recht“ ganz oben
am Altare steht.
Alles was Recht ist! Wenn die Heiden bei uns und irgendwo auf der
Welt so denken und handeln, dann ist das kein Wunder. Man kann
dankbar sein, dass wir in einem Land leben, in dem jeder Bürger
wenigstens sein gutes Recht hat. Das ist ja nicht überall auf der
Welt der Fall. Wenn wir aber als Menschen von Gottes Gnaden dabei
stehen bleiben, dann ist das ein Skandal. Das muss nicht nur der
Apostel Petrus lernen, der ja immerhin seinem Bruder siebenmal
barmherzig sein will, bevor sein gutes Recht wieder an erster Stelle
kommt. Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern
siebzigmal siebenmal. Gottes Güte ist vollkommen maßlos.
Mit Petrus, der bekanntlich ein frommer Mann war, müssen auch wir
das immer wieder lernen. Gerne lernen! Denn es ist ja eine
erfreuliche Lektion für uns selbst und es soll durch uns auch eine
erfreuliche Lektion für unsere Mitmenschen werden.
Freilich: Zu allen Zeiten und auch heute gibt es unter uns solche,
die laut oder leise das Fehlen von Wertmaßstäbe bejammern, und
deshalb sympathisieren mit allem was durchgreift und klare
Verhältnisse schafft. Mitarbeiter, die sich etwas zuschulden kommen
ließen, dies auch einsehen und eingestehen, sollen aus dem
kirchlichen Dienst entfernt werden, um der Glaubwürdigkeit der
Kirche willen. Politiker, die in ihrer Vergangenheit dunkle Flecken
haben, dies auch einsehen und eingestehen, sollen aus ihren Ämtern
verjagt werden, um der Glaubwürdigkeit des Staates willen. Werte
müssten wieder kompromisslos vertreten werden. Die Bösen raus, dann
bleiben die Guten übrig? Ach wirklich? Fragt euch selbst, ob es
nicht oft genug nichts als Hartherzigkeit und Unbarmherzigkeit ist,
die da im Gewand des kompromisslosen Gerechtigkeitssinns daherkommt.
Und oft genug ist es mehr als offensichtlich, dass bei den
Fingerzeigern die Allermeisten zu denen gehören, die die Splitter im
Auge des anderen gnadenlos verurteilen, während sich bei ihnen
selbst die Balken biegen.
Mag schon sein, dass solche Hardliner der Gefahr entgehen, dass man
Barmherzigkeit für Schwäche und Gottes Gnade für billig hält. Viel
schwerer wiegt die Gefahr, dass man um solche Missverständnisse
auszuschließen, das Evangelium preisgibt. Und das liegt in dem, was
der König im Gleichnis tut. Er tut, was Recht ist. Gott will mit
seiner Gnade im Recht sein. So predigt es Jesus in seinem Gleichnis.
Es geht deshalb nicht, dass der so ganz und gar entschuldete Knecht
seiner Welt ein anderes Gesicht zeigt, als das barmherzige Gesicht
seines Königs. Es geht es nicht, dass wir als Christen der Welt ein
anderes Gesicht zeigen, als das Gesicht des Gottes, dessen
Barmherzigkeit alle Morgen neu ist. Im andern Fall muss der König
seinem Knecht vergeben, wie der seinen Schuldigern vergibt. Nämlich
gar nicht.
Aber diese Schlussfolgerung hat Jesus nicht gezogen. So weit hat er
gar nicht erzählt. Weil er hofft, dass wir barmherzige Menschen
werden. Und eigentlich bleibt uns gar nichts anderes übrig.
Eigentlich bleibt uns gar nichts anderes übrig, weil wir ja selbst
von der Güte Gottes leben, von seinem Wort und Sakrament. Wenn wir
bei diesem Gott bleiben, der es für sein gutes Recht hält, uns
gnädig zu sein, dann dürfen wir erfahren, wie er uns jeden Tag aufs
Neue in die Freiheit der Kinder Gottes entlässt. Damit wir aufatmen,
aufrecht gehen und leben können.
Und dazu sagen wir: Amen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
21 Da trat Petrus zu
ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an
mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal?
22 Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern
siebzigmal siebenmal.
23 Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen
Knechten abrechnen wollte.
24 Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der
war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig.
25 Da er's nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine
Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und
damit zu bezahlen.
26 Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab
Geduld mit mir; ich will dir's alles bezahlen.
27 Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei
und die Schuld erließ er ihm auch.
28 Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte,
der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und
würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist!
29 Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld
mit mir; ich will dir's bezahlen.
30 Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins
Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war.
31 Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und
kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben
hatte.
|