Liebe Leser, Judas fand’s peinlich. Richtig peinlich. Als die
Jünger am Abend beieinander saßen, zog er sich in eine Ecke zurück
und schaute finster vor sich hin. Bis sich einer von ihnen, es
könnte der Lieblingsjünger Johannes, das „Schätzchen vom Chef“
(Petrus) gewesen sein, seiner erbarmte. „Ach Judas, was sitzt Du
hier so rum und bläst Trübsal? Das war doch heute wirklich ein
schöner und erfolgreicher Tag.“ Judas sah ihn mitleidig an.
„Ich will Dir ja nicht zu nahe treten, lieber Johannes, aber glaubst
du, die bringen das heute im Fernsehen oder in irgendeiner Zeitung?
König David würde sich im Grab umdrehen, wenn er diesen mickrigen
Auftritt erlebt hätte. Die Römer, inklusive Pontius Pilatus werden
bestimmt vor Angst schlottern. Weißt du, was ich glaube? Die haben
sich kaputtgelacht und die Pharisäer, Schriftgelehrten, samt dem
ganzen Tempel- und Kirchenregiment dazu! Bestimmt haben die noch gar
nicht aufgehört zu lachen.“
Judas rückt näher an Johannes heran, damit ihn die anderen nicht
hören. Seine Stimme klingt fast verzweifelt. „Jesus ist unsere ganze
und unsere letzte Hoffnung. Als er die Tische der Geldwechsler
umgeschmissen hat und sie vor sich her aus dem Tempel getrieben hat,
da war mir klar: Das ist der Erbe des großen König David. Das ist
der Messias. Der wird uns die Freiheit bringen und das Volk Israel
zu altem Glanz führen. Der hat das Herz auf dem rechten Fleck und
einen Arsch in der Hose. Aber seitdem redet er vom Leiden und
anderem Zeug, von dem ich nichts verstehe. Ich verstehe eigentlich
überhaupt nichts mehr!“ Judas nimmt einen tiefen Schluck.
„Weißt du noch? Da stehen wir auf der Anhöhe und schauen hinunter
auf Jerusalem und ich sag noch zu ihm: Da unten sind sie alle
versammelt. Das ganze Lumpenpack in Talar und Uniform, das unser
Volk in Knechtschaft hält wie in Ägypten. Da gehört einmal
aufgeräumt. Und dann setzt sich Jesus hin und flennt (Lukas 19,41).
Ich stand daneben und wusste weder was ich sagen, noch was ich tun
sollte. Die vorbei gingen, schauten ganz irritiert. Ich wäre am
liebsten im Boden versunken. Ich hab dann versucht, ihn einfach
hochzuziehen und ihn von der Bildfläche verschwinden zu lassen, aber
er hörte einfach nicht auf zu flennen. Und heute ging’s mir
genauso.“
Johannes schaut ihn fragend an. „Wegen der Esel.“ Johannes schüttelt
unwillig den Kopf. „Du solltest lieber öfter mal in der Bibel lesen,
statt über Politik nachzudenken. Sacharja 9 Vers 9: Sagt der Tochter
Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem
Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“ Judas lacht
bitter auf. „Man muss doch nicht alles nachmachen, was vor was weiß
ich wie vielen hundert Jahren aufgeschrieben wurde. Jesus mag alles
wissen, aber er weiß offensichtlich nicht, was heute bei den Leuten
ankommt. Wenn man von den Römern was lernen kann, dann, wie sie die
Leute beeindrucken. Ihre Paraden haben wirklich Klasse. Deshalb sag
ich zu ihm: Wenn wir heute schon in Jerusalem einziehen, dann nimm
wenigstens ein Pferd. Notfalls ein kleines Pferd. Es wird doch
irgendwo eins aufzutreiben sein. Auch König David hätte heutzutage
wenigsten ein Pferd genommen. Aber er wollte die Esel.“
Johannes wird ein wenig ungeduldig. „Weil er nicht mit all den
anderen Uniformträgern, die in Jerusalem herumreiten in einen Topf
geworfen werden will. Er wollte kein Schlachtross, sondern einen
sanftmütigen Esel. Begreifst du denn nicht, er will ein anderer
König sein, als die Herrscher dieser Welt.“
„Die sich weiterhin in aller Seelenruhe über ihn totlachen“, fällt
Judas ihm ins Wort. „Warum begreift denn das keiner von euch? So
wird den Juden nie klar, dass er der Messias ist; nicht in 2000
Jahren! Und so wird die Welt nicht besser, nicht in 2000 Jahren! Die
die Macht haben, werden sagen: Oh, hat uns da eine Mücke gestochen?
Sie werden ihre Anwälte einschalten und ihn nach Strich und Faden,
nach Recht und Gesetz aus der Welt schaffen. Wie man eine Mücke auf
dem Arm totschlägt und sich dann das bisschen Blut beiläufig
abwischt. Glaubst du, dann wird sich noch irgendjemand an heute
erinnern wollen? Nein, es wird ihnen peinlich sein, dass sie dabei
waren, und dass sie sich wieder einmal von irgend so einer sinnlosen
Hoffnung anstecken ließen zum Hosiannabrüllen. Wie viele waren das
denn, die ihm zugejubelt haben? Eine große Menge wäre wohl
einigermaßen übertrieben.
Die Leute sind doch längst müde. Sie erwarten nichts mehr. Sie
warten nicht mehr. Nicht mehr auf den Messias, nicht mehr auf
bessere Zeiten. Solange sie einigermaßen über die Runden kommen,
lässt sie jeder Missstand kalt, auch wenn er gleich nebenan
stattfindet. Arbeiten, einkaufen und Rente kriegen. Mehr ist da
nicht mehr. Und kaum einer fragt mehr: Zu was?
Aber mich, Johannes, mich, den Judas Iskariot, lässt das - noch
nicht - kalt, wie unsere Welt beschaffen ist. Mich lässt das nicht
kalt, dass Frieden und Gerechtigkeit immer den Kürzeren ziehen, wie
auf Erden, also auch in der himmlischen Fraktion. Ja, besonders dort
wird mir oft schlecht bei so mancher Sonntagsrede über die
Nächstenliebe. Es geht mir durchs Herz, wie auch die Hohenpriester
verbandelt sind mit den Mächtigen, um des lieben Friedens willen
über Leichen gehen und das Ganze dann „Schaden vom Volk abwenden“
nennen. Lug und Trug stehen am Altar oder sitzen ganz vorne in der
Kirchenbank, damit sie auch jeder sieht und falten fromm die Hände.
Zum Reinschlagen finde ich das. Da könnte Jesus mal anfangen.“
Johannes legt Judas die Hand auf den Arm. „Du tust ihm Unrecht,
Judas. Hat er sich irgendwie unklar ausgedrückt, als er sagte: Ihr
wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre
Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so soll es unter euch nicht
sein; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener
sein und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht
sein? (Markus 10/42ff.) Hast du wirklich den Eindruck, dass Jesus
das Unrecht und alles, worunter Menschen leiden, kalt lässt? Du hast
doch zum Beispiel selbst gesehen, wie nah ihm das alles ging, als
wir oben auf der Anhöhe über Jerusalem saßen. Er hatte mit den
Menschen Mitleid und deshalb mitgelitten. Da siehst du, er ist eben
ein anderer König!“
„Ja, Klasse!“, sagt Judas und zieht seinen Arm weg. „Nur durch
Flennen ändert sich nichts! Aber du hast Recht. Jesus hat eine klare
Meinung zu dem, was geschieht. Er ist der Messias. Und die Menschen
aller Fraktionen werden ihm einmal Rechenschaft geben müssen über
alles. Jesus ist unsere ganze und unsere letzte Hoffnung. Und ich
wette mit dir, dass sich seine Macht schon sehr bald erweisen wird.
Ich weiß nicht, was für ein anderer König Jesus angeblich sein soll.
Aber spätestens wenn sie versuchen, ihm was anzutun, wird er ihnen
schon zeigen, wo der Hammer hängt; wer der Herr und wer die Herrchen
sind.“
Johannes schüttelt lächelnd den Kopf. „Judas, du verrennst dich da
in was. Jesus predigt das Evangelium vom menschenfreundlichen Gott.
Er ist so voller Liebe. Wer sollte ihm denn was antun wollen? Jetzt
kommt doch bald die schöne Passahzeit. Freu dich drauf. Wir werden
feiern und fröhlich sein. Alles wird gut. Soll ich dir noch einen
Wein mitbringen. Ich muss mal rüber zu Jesus. Ich glaube, er will
was von mir.“
Schnitt
„Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber nahm einmal an einem
Seminar für Juden und Christen teil. Er sagte: Wir haben viel
gemeinsam. Ihr Christen glaubt, dass der Messias schon einmal hier
war, wieder weggegangen ist und dass er wiederkommen wird. Wir Juden
glauben, dass er kommen wird, aber dass er noch nicht hier war. Mein
Vorschlag: Lasst uns doch zusammen auf ihn warten. Und wenn er
kommt, können wir ihn ja selbst fragen, ob er schon einmal hier
gewesen ist. Und ich werde in der Nähe stehen und ihm ins Ohr
flüstern: ‚Sag nichts!‘“ (Zitiert nach: Dr. Johannes Friedrich, in
GPM, 4/1996, Heft 1, S. 18)
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Als sie nun in die Nähe von
Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei
Jünger voraus
2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und
gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei
ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!
3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf
ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.
4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den
Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):
5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig
und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines
Lasttiers.«
6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider
darauf und er setzte sich darauf.
8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg;
andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
9 Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna
dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!
Hosianna in der Höhe!
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