Liebe Leser,
„Die beiden Theologen, die Montag nachmittags in der gotischen
Klosterkirche nebeneinander im Mittelschiff sitzen, planen gemeinsam
eine kirchenpädagogische Übung. Sie sind in ein intensives
Fachgespräch vertieft, das stellenweise laut und engagiert geführt
wird. Von beiden unbemerkt sind zwei Besucherinnen durch die
geöffnete Tür in die Kirche gekommen - eine junge Frau mit ihrer
etwa fünfjährigen Tochter. Sie stehen eine Zeit lang am Eingang und
lassen den Raum auf sich wirken. Dann gehen sie langsam und wortlos,
fast andächtig nach vorne. Sie verweilen einige Minuten vor einem
Seitenaltar und betrachten dann eingehend das Triumphkreuz hoch über
dem Chorgestühl. Die Mutter beugt sich zu ihrer Tochter herunter und
flüstert ihr einige erklärende Sätze zu, während sie mit dem rechten
Arm auf einige Details zeigt. Als sie sich kurz darauf wieder zum
Ausgang wenden und auf dem langen Mittelgang an den beiden noch
immer heftig diskutierenden Pastoren vorbeikommen, legt das kleine
Mädchen den Zeigefinger der rechten Hand auf die Lippen und bringt
mit ernster Miene ein ,Pssst!‘ hervor ... Für das kleine Mädchen
steht zweifelsfrei fest, dass man sich in einer Kirche nicht einfach
in beliebiger Weise verhalten kann. Sie empfindet lautes Sprechen
als ein dem Raum unangemessenes Benehmen.“ (Wolfgang Ratzmann, GPM
1/2005, Heft 2, S.252)
Was Kinder so alles richtig empfinden, bevor wir Eltern und
Erwachsene sie durch unser schlechtes Vorbild das Falsche lehren.
Dass man aus einem Bethaus keine Räuberhöhle macht, gehört dazu.
Freilich würden wir Erwachsenen heute das, was Jesus im Tempel
vorfand, nicht Räuberhöhle nennen, sondern Servicebereich. Der ist
heute in manchen Kirchenvorräumen schon so üppig ausgestattet, dass
man zum Betrachten der dort ausgelegten Waren und Verteilschriften
länger brauchen würde, als der Gottesdienst dauert. Was wird und was
soll heute nicht alles in Kirchen und Gottesdiensten veranstaltet
werden und wir vertreiben die Reste des eigenen Zweifels nur zu
gerne mit dem Gedanken, dass das ja alles guten Zwecken dient. Der
gute Zweck heiligt die Mittel. Aber nicht im Tempel und nicht in der
Kirche. Denn hier gilt: Heilig ist nur, was zu Gott gehört. Hier
heiligt nur Gott und sein Wort, was immer geschieht und veranstaltet
wird.
„Ein Gotteshaus, so schreibt Martin Luther, ist nichts anderes, als
der Ort, an dem Gottes Wort laut wird, und an dem er sich daraufhin
gnädig einstellt. Er wohnt, wo sein Wort ist. Es sei auf dem Feld,
in der Kirche oder auf dem Meer. Wiederum, wo sein Wort nicht ist,
da wohnt er nicht, ist auch sein Haus nicht da, sondern dort wohnt
der Teufel, wenn’s auch gleich eine goldene Kirche wäre, von allen
Bischöfen gesegnet.“ (zitiert nach Ratzmann a.a.O., S. 256) Dennoch
hat Martin Luther den Kirchenraum hochgeschätzt. Denn er ist dazu da
und nur dazu da, „dass nichts anderes darin geschehe, denn dass
unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein Wort, und wir
wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“ (a.a.O)
Kein Servicebereich. Denn es ist nach Jesu Meinung ja nicht die
Aufgabe des Tempels und des Gottesdienstes, dass Menschen dort etwas
für sie Passendes finden und sich wohlfühlen. Es ist die Aufgabe des
Gotteshauses und des Gottesdienstes, dass Menschen an Leib und Seele
gesund werden! Und dazu müssen diese Menschen nicht unbedingt mit
tollen Leuten in einer tollen Kirche zusammenkommen, sondern sie
müssen im Tempel vor allem und zuerst mit dem zusammenkommen, der
sie gesund machen kann. Nein, nicht mit dem Pfarrer. Gott heilt. Der
Christus heilt. Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und
er heilte sie. Wir dürfen wissen, zu wem wir gehen, wenn wir zur
Kirche gehen. Und wir dürfen wissen, wen wir feiern, wenn wir
Gottesdienst feiern. Es ist der Sohn Davids, der kommt im Namen des
Herrn.
Wir erleben dort im Tempel nicht den geschniegelten und wohl
trainierten Kinderchor, wie er gerührten Vätern und Müttern auch in
der Kirche so viel Freude macht. Mir fielen eher die „Blues
Brothers“ ein, die unterwegs sind im Auftrag des Herrn mit sehr,
wirklich sehr lauter Musik und viel Geschrei. Mir fielen eher die
Trompeter von Jericho ein, die eine Spur der Verwüstung hinter sich
herziehen. Aber das Bahnbrechende dieses Tempelkonzerts ist nicht
die Lautstärke und der schiefe Ton. Es ist die Botschaft, die zur
Entrüstung der Hohenpriester und Schriftgelehrten führt.
Und wir sehen daran, dass auch in der Kirche nun wirklich nicht der
Ton die Musik macht, sondern die Botschaft; nicht die Moral, sondern
die Wahrheit, nicht die Kleriker, sondern der Christus und sein Wort
und Sakrament. Es ist doch ein Elend, wenn in der Kirche nicht mehr
zugehört wird, wenn irgendjemand sich durch das Gehörte auf den
Schlips getreten fühlt. Wer braucht denn eine Kirche, die nur noch
nett und harmlos ist? Jesus ist angeeckt, weil er die Botschaft
dieses Katastrophen-Kinderchores ein Lob Gottes nennt. Das Lob
Gottes sagt der verlorenen Welt ihren Retter und Erlöser an. Das
gefällt nun einmal nicht allen. Es kommt zur Entrüstung. Gar nicht
nett, wie der Christus daraufhin die geistlichen Würdenträger
einfach stehen lässt.
Aber so ist das nun einmal mit dem Evangelium und mit Jesus, dem
Christus. An ihm und seinem Wort scheiden sich die Geister. Das muss
man so stehen lassen. Aber der Entrüstung auf der einen Seite, steht
der Kinderchor gegenüber, der spontan, völlig ungeübt und formlos
ins Gotteslob ausbricht, als wäre es gerade erst in ihn
hineingefahren. Das Lob Gottes ist die einzig angemessene Reaktion
auf das Kommen des Messias. Nein, in der Kirche muss man nicht
richtig singen können, aber gemeinsam. Und die Orgel ist ja auch
noch da.
Als angehender Pfarrer hatte ich eine meiner ersten Abendmahlsfeiern
vor einer wirklich kleinen Gemeinde zu halten. Ich sang das Lobgebet
vorne am Altar, wo es heißt: „… darum loben die Engel deine
Herrlichkeit, beten dich an die Mächte und fürchten dich alle
Gewalten. Dich preisen die Kräfte des Himmels mit einhelligem Jubel.
Mit ihnen vereinen auch wir unsere Stimmen und lobsingen ohne Ende.“
Und dann stimmte der Organist das „Dreimal Heilig“ an, wohl mit
Rücksicht auf die kleine sangesschwache Gemeinde, so leise er nur
konnte. Ich fragte ihn hinterher, ob er sich so die Kräfte des
Himmels vorstelle und den Lobgesang der Engel. Wer bitte wolle denn
noch in den Himmel kommen, wenn dort so mickrig musiziert und
gesungen werden würde. Das Kantorenamt sei kein Serviceamt für die
Gemeinde, sondern ein geistliches Amt: Auf den Tasten unterwegs im
Auftrag des Herrn. Beim nächsten Mal zog der brave Organist beim
„Dreimal Heilig“ alle verfügbaren Register.
Mit dem „Psst“ eines kleinen Mädchens haben wir angefangen und beim
„Dreimal Heilig“, wohlgemerkt mit allen verfügbaren Registern
gespielt, sind wir gelandet. Dazwischen hat im Gottesdienst Gottes
Wort getan, was es nur selbst tun konnte. Das „Psst“ des kleinen
Mädchens und der handfeste Protest des Christus im Tempel schafft
ihm Raum. Nicht unser Service ist gefragt, sondern der Service
Gottes. Damit wir schließlich von Herzen einstimmen in den großen
Lobgesang im Himmel und auf Erden.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
12 Und Jesus ging in den Tempel hinein und
trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die
Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler
13 und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein
Haus soll ein Bethaus heißen«; ihr aber macht eine Räuberhöhle
daraus.
14 Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und er heilte
sie.
15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen,
die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn
Davids!, entrüsteten sie sich
16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus
antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem
Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?
17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien
und blieb dort über Nacht.
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