Liebe Leser,
das Jammern über die verlorenen guten alten Zeiten gibt
es auch in der Kirche. Ja, höre ich da hin und wieder, heute versuche es
die Kirche jedem recht zu machen. Zucht und Ordnung Fehlanzeige. Heute ist
alles erlaubt. Früher, bei dem Pfarrer soundso, der konnte noch richtig
predigen. Da hat die Hölle noch so richtig gebrannt.
Unser heutiger Predigttext scheint auf den ersten Blick Anlass zu geben,
die Hölle wieder einmal richtig einzuschüren; oder zentnerschwere
Hagelkörner vom Himmel herab zu rufen auf die allgemeine Verderbnis der
Menschen, dass sie mit schlotternden Knien nach Hause gehen und im
Bewusstsein ihrer ewigen Verdammnis mit Angstschweiß auf der Stirn heilig
geloben, ein besseres Leben zu führen.
Unser heutiger Predigttext scheint uns Gelegenheit zu geben, statt den
lieben Gott, der unserer Meinung nach doch so wenig ausrichtet, den
zürnenden, strafenden, richtenden Gott zu predigen, der von seiner Güte
und Gnade einmal Pause macht um zwischenzeitlich für Zucht und Ordnung zu
sorgen und uns klipp und klar zu sagen: Es gibt ein Zuspät!
Wir werden diese Gelegenheit nicht nutzen. Auch weil wir wissen, dass der
heilige Zorn und der religiöse Menschen- und Weltverbesserungseifer – wie
die Angst - das Herz und den Verstand vernebelt und der, der auf der
Kanzel die Hölle schürt meistens gar nicht merkt, dass es vor allem unter
ihm selbst schon ganz schön warm wird. Wer sich selbst auf den Stuhl des
letzten Gerichts setzt, begibt sich auf alles andere, als auf ein
Himmelfahrtskommando.
Nehmen wir also erst einmal wahr, wer denn der Richter des letzten
Gerichts ist, von dem unser Text erzählt. Nein, es ist nicht Mose und die
zehn Gebote kommen nicht vor. Hier heißt es nicht, weil du vermieden hast,
zu töten, zu stehlen, die Ehe zu brechen, zu begehren und zu lügen; weil
du dich fern gehalten hast von dem Bösen und den Bösen, gehst du ein ins
Himmelreich. Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi
(2.Kor. 5/10), und dort sitzt Jesus der Christus. Der Christus, der die
Gebote Gottes zusammenfasst im Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe.
Dieses Gebot kann man nicht erfüllen, indem man sich von etwas fernhält,
indem man sich zurückzieht in die religiöse Sonderwelt. Liebe wendet sich zu.
Folgerichtig hat Luther die zehn Gebote im Sinne Jesu ausgelegt. Nicht lügen, heißt nicht, sich von der Lüge
fernhalten, sondern vom andern Gutes reden, alles zum Besten kehren.
Deshalb fragt der Christus des letzten Gerichts nach dem, was dem Gebot
der Gottes- und Nächstenliebe entspricht. Werke der Barmherzigkeit, hat
man sie genannt. Weil es Christus ist, der auf dem Richterstuhl sitzt, der
Christus, der uns das Evangelium von Gottes Liebe und Gnade gebracht hat,
müssen wir davon ausgehen, dass auch sein Gericht nicht das Gegenteil
seiner Liebe und Gnade ist, sondern eine Funktion, ein Ausdruck seiner
Liebe und Gnade.
Dass dies wirklich so ist, sehen wir leicht, wenn wir diese Worte Jesu
einmal mit den Ohren der geringsten Menschenbrüder und -schwestern hören,
die Jesus nennt. Mit den Ohren der unzähligen Menschen, die ihr oft kurzes
Leben lang Hunger und Durst gelitten haben, weil ihnen ein korruptes
Regime, eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung und all die Reichen, die
ihren Kaffee, ihre Bananen und ihre Rohstoffe gerne billig beziehen
wollten, gar nicht die Chance gaben durch gerechten Lohn für ihre
dringenden Lebensbedürfnisse zu sorgen. Hören wir zu mit den Ohren der
Fremden, die, von Krieg und Verfolgung vertrieben, heimatlos sein müssen
in einem fremden Land und die an Stammtischen unter Generalverdacht für
alles Böse gestellt werden und täglich von der Diskussion lesen, wie man
sie am besten wieder los wird. Hören wir zu mit den Ohren der
bettlägerigen Großmutter, deren Kinder erst kommen, wenn alles vorbei ist
und es etwas zu erben gibt. Hören wir zu mit den Ohren von Menschen, über
denen sich die Gräber schlossen, bevor ihre Not erhört und gelindert
wurde.
Der Weltenrichter erhört sie. Und er lässt nicht zu, dass menschliche
Unbarmherzigkeit in Ewigkeit recht behält und sich die Gräber über denen,
die sie erfahren haben, für immer schließen. Am Ende aller Zeit verhilft
der Christus der Barmherzigkeit zum Recht und darin bleibt sich Christus,
als der Barmherzige schlechthin, selbst treu. In seinen Händen hält er
dabei nicht die steinernen Tafeln des Mose, sondern die mit seinem
Herzblut geschriebenen Sätze der Bergpredigt: Selig sind die Armen; selig,
die da Leid tragen; selig, die Sanftmütigen; selig, die da Hungern nach
Gerechtigkeit; selig, die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit
erlangen. (Mt. 5/3ff.)
Besonders dieser Satz der Bergpredigt macht uns darauf aufmerksam, dass es
auch im letzten Gericht eine Gerechtigkeit nach den Werken nicht gibt.
Denn auch die dann zur Rechten versammelt werden, wissen nichts von ihren
Verdienste. Sie haben sich diesen Platz nicht verdient und bedürfen der
Rechtfertigung, der Gerechtsprechung, der Barmherzigkeit des Richters. Sie
werden sie erlangen. Am Ende richtet der Weltenrichter unsere Welt her, im
Sinne seiner Liebe und Gnade.
Gute Aussichten für unsere verlorene Welt. Deshalb will uns das kommende
Weltgericht nicht Angst, sondern Hoffnung für unsere Welt machen. Es will
das Gefühl der Resignation durchbrechen, dass uns alle irgendwann befällt:
Was kann ich schon tun, gegen das Leid in der Welt? Was kann ich schon tun
gegen eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung, gegen Krieg, Ungerechtigkeit
und Krankheit? Das ist doch ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ja, schon! Aber der Weltenrichter zählt sie alle! Diese Tropfen auf die
heißen Steine dieser Welt, sind die Edelsteine der Ewigkeit. Dabei legt
der Weltenrichter sein Augenmerk gerade auf die kleinen Tropfen. Er sagt
nicht: Ich bin krank gewesen und ihr habt mich gesund gemacht. Ich bin
gefangen gewesen und ihr habt mich befreit. So manche politische, soziale
und karitative Großtat, die ein weites Medienecho findet, wird in den
Augen des Christus wohl eine andere Beurteilung finden. Ich bin krank
gewesen und ihr habt mich besucht. Der Weltenrichter hat es gesehen und
gespürt. Auch all die Hilflosigkeit und Ohnmacht, das Ringen nach Worten,
die Gefühle der Vergeblichkeit am Bett eines Sterbenden. Im Namen dessen,
der das letzte Wort hat: Es war nicht umsonst und vergeblich.
Das Wissen darum soll uns helfen, dort nicht müde zu werden, wo wir am
schnellsten müde werden: Wir halten Ausschau nach der großen Erneuerung
unserer Welt und unserer Kirche. Wir machen uns Gedanken um den großen
Wurf. Wir warten auf die große Wende in unseren gemeinsamen und
persönlichen Problemen. Und während wir auf das Große warten, das nicht
Wirklichkeit wird, tun wir das Kleine auch nicht. Während wir nach den
Großen Ausschau halten, über sehen wir die Kleinen am Rande unseres Wegs,
die geringsten Brüder und Schwestern, die auf unsere Zuwendung warten. Zur
Rechten werden sie versammelt am Ende der Zeit. Wie könnten wir sie da
heute links liegen lassen?
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Christus spricht:
31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in
seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem
Thron seiner Herrlichkeit,
32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie
voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet,
33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur
Linken.
34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her,
ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist
von Anbeginn der Welt!
35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich
bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein
Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.
36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank
gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr
seid zu mir gekommen.
37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben
wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig
und haben dir zu trinken gegeben?
38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen,
oder nackt und haben dich gekleidet?
39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir
gekommen?
40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage
euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das
habt ihr mir getan.
41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen
Engeln!
42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben.
Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.
43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich
bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und
im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.
44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir
dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank
oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?
45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was
ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch
nicht getan.
46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten
in das ewige Leben. |