Predigt     Matthäus 25/31-46    Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres     15.11.15

"Volkstrauertag - für Christen und Muslime!"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

„Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?“ - So fragte vor genau 4 Wochen Navid Kermani in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Dt. Buchhandels - um sogleich darauf hinzuweisen, „dass es einen Krieg gibt und dass auch wir, als seine nächsten Nachbarn, uns dazu verhalten müssen, womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich.“ (alle folgenden Zitate auch aus dieser Rede!)

Der Krieg des IS ist längst bei uns angekommen wie die Ereignisse vorgestern in Paris auf schreckliche Weise erneut gezeigt haben. Und es ist eine Illusion zu glauben, Ähnliches könnte nicht auch in Berlin oder München passieren. Wenn wir am heutigen Volkstrauertag der Opfer aller Kriege gedenken, dann gedenken wir heute besonders der vielen Opfer und ihrer Angehörigen in Paris - Opfer eines gegenwärtigen Krieges, den man deshalb genauestens analysieren muss, weil er längst schon vor unserer Haustüre angekommen ist.

Navid Kermani ist Moslem und habilitierter Orientalist. Seine präzise Analyse ist: Der Islam führt in zweiter Linie einen Krieg gegen den Westen, in erster Linie führt er einen Krieg gegen sich selbst!

Ich zitiere: „Es sind nicht nur die schrecklichen Nachrichten und noch schrecklicheren Bilder aus Syrien und dem Irak, wo der Koran noch bei jeder Schweinetat hochgehalten und bei jeder Enthauptung „Allahu akbar“ gerufen wird. Auch in so vielen anderen, wenn nicht den meisten Ländern der muslimischen Welt berufen sich staatliche Autoritäten, staatsnahe Institutionen, theologische Schulen oder aufständische Gruppen auf den Islam, wenn sie das eigene Volk unterdrücken, Frauen benachteiligen, Andersdenkende, Andersgläubige, anders Lebende verfolgen, vertreiben, massakrieren. Unter Berufung auf den Islam werden in Afghanistan Frauen gesteinigt, in Pakistan ganze Schulklassen ermordet, in Nigeria Hunderte Mädchen versklavt, in Libyen Christen geköpft, in Bangladesch Blogger erschossen, in Somalia Bomben auf Marktplätzen gezündet, in Mali Sufis und Musiker umgebracht, in Saudi-Arabien Regimekritiker gekreuzigt, im Iran die bedeutendsten Werke der Gegenwartsliteratur verboten, in Bahrein Schiiten unterdrückt, im Jemen Sunniten und Schiiten aufeinander gehetzt.“

Und er fragt:

„Was ist geschehen? Der 'Islamische Staat' hat nicht erst heute begonnen und auch nicht erst mit den Bürgerkriegen im Irak und in Syrien. Seine Methoden mögen auf Ablehnung stoßen, aber seine Ideologie ist der Wahhabismus, der heute bis in die hintersten Winkel der islamischen Welt wirkt und als Salafismus gerade auch für Jugendliche in Europa attraktiv geworden ist. Wenn man weiß, dass die Schulbücher und Lehrpläne im „Islamischen Staat“ zu 95 Prozent identisch mit den Schulbüchern und Lehrplänen Saudi-Arabiens sind, dann weiß man auch, dass die Welt nicht nur im Irak und in Syrien strikt in verboten und erlaubt eingeteilt wird – und die Menschheit in gläubig und ungläubig. Gesponsert mit Milliardenbeträgen aus dem Öl, hat sich über Jahrzehnte in Moscheen, in Büchern, im Fernsehen ein Denken ausgebreitet, das ausnahmslos alle Andersgläubigen zu Ketzern erklärt, beschimpft, terrorisiert, verächtlich macht und beleidigt. Wenn man andere Menschen systematisch, Tag für Tag, öffentlich herabsetzt, ist es nur folgerichtig – wie gut kennen wir das aus unserer eigenen, der deutschen Geschichte –, dass man schließlich auch ihr Leben für unwert erklärt. Dass ein solcher religiöser Faschismus überhaupt denkmöglich wurde, dass der IS so viele Kämpfer und noch mehr Sympathisanten finden, dass er ganze Länder überrennen und Millionenstädte weitgehend kampflos einnehmen konnte, das ist nicht der Beginn, sondern der vorläufige Endpunkt eines langen Niedergangs, eines Niedergangs auch und gerade des religiösen Denkens.“

Navid Kermani hatte 1988 angefangen, Orientalistik zu studieren. Als Philologe hatte er vor allem mit den Schriften der Mystiker, der Philosophen, der Rhetoriker und ebenso der Theologen zu tun. Er lernte einen Islam kennen, über dessen Originalität, seine geistige Weite, seine ästhetische Kraft und auch humane Größe er nur staunen konnte. Mit Bewunderung spricht er von Mystikern des Islam, von Poeten und poetischen Theologen und Philosophen, von Geschichtsschreibung und Geschichten wie Tausendundeiner Nacht, die weltlich sind und erotisch und übrigens auch feministisch und zugleich auf jeder Seite durchdrungen vom Geist und den Versen des Korans.

Heute sagt er: „Nichts, absolut nichts findet sich innerhalb der religiösen Kultur des modernen Islams, das auch nur annähernd vergleichbar wäre, eine ähnliche Faszination ausübte, von ebensolcher Tiefe wäre wie die Schriften, auf die ich in meinem Studium stieß. Und da spreche ich noch gar nicht von der islamischen Architektur, der islamischen Kunst, der islamischen Musikwissenschaft – es gibt sie nicht mehr.“ Sein Fazit: „Das Problem des Islams ist weniger die Tradition als vielmehr der fast schon vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie.“

„Wir wundern uns nur deshalb über den Bildersturm des „Islamischen Staates“, weil wir nicht mitbekommen haben, dass in Saudi-Arabien praktisch überhaupt keine Altertümer mehr stehen. In Mekka haben die Wahhabiten die Gräber und Moscheen der engsten Prophetenangehörigen, ja selbst das Geburtshaus des Propheten zerstört. Die historische Moschee des Propheten in Medina wurde durch einen gigantischen Neubau ersetzt, und wo bis vor wenigen Jahren noch das Haus stand, in dem Mohammed mit seiner Frau Khadija wohnte, steht heute ein öffentliches Klo.“

„Die zerstörten, missachteten, vermüllten Altstädte mit ihren ruinierten Baudenkmälern überall in der islamischen Welt stellen den Verfall des islamischen Geistes ebenso sinnbildlich dar wie die größte Shopping-Mall der Welt, die in Mekka direkt neben der Kaaba gebaut wurde. Das muss man sich vor Augen halten, das kann man auf Bildern auch sehen: Das eigentliche Heiligtum des Islams, dieses so schlichte und herrliche Bauwerk, in dem der Prophet selbst betete, wird buchstäblich von Gucci und Apple überragt.“ „Es gibt keine islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion.“

Und zum christlichen Abendland:

Natürlich, sagt Kermani, ist es „beglückend zu sehen, wie viele Menschen in Europa und besonders auch in Deutschland sich für Flüchtlinge einsetzen. Aber dieser Protest und diese Solidarität, sie bleiben noch zu oft unpolitisch. Wir führen keine breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt. Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechnet Saudi-Arabien ist. Wir lernen nicht aus unseren Fehlern, wenn wir einem Diktator wie General Sissi den roten Teppich ausrollen. Oder wir lernen die falschen Lektionen, wenn wir aus den desaströsen Kriegen im Irak oder in Libyen den Schluss ziehen, uns auch bei Völkermord besser herauszuhalten. Nichts ist uns eingefallen, um den Mord zu verhindern, den das syrische Regime seit vier Jahren am eigenen Volk verübt. Und ebenso haben wir uns abgefunden mit der Existenz eines neuen, religiösen Faschismus, dessen Staatsgebiet etwa so groß ist wie Großbritannien und von den Grenzen Irans bis fast ans Mittelmeer reicht.“

Das Projekt der europäischen Einigung nennt er „das Wertvollste, was dieser Kontinent je hervorgebracht hat“ - freilich muss man hinzufügen: ein Projekt, das in den letzten Wochen und Monaten ernsthaft ins Stocken geraten ist. Nicht überall wurde und nicht jedermann hat die Lektion aus der europäischen Geschichte mit zwei Weltkriegen und millionenfachem Tod, von Flucht und Vertreibung gelernt. Und auch im sogenannten „christlichen“ Abendland befinden wir uns in einem Traditions-Umbruch und -Abbruch. Die letzte Kirchenmitgliedschaftsstudie in Deutschland stellt dazu fest, dass in immer weniger Familien christlich erzogen wird, christliche Traditionen immer weniger weitergereicht werden. Wo aber die grundlegenden Werte unseres christlichen Abendlandes nicht mehr bewusst sind, darf man sich nicht wundern, wenn Angstmacher und Hassprediger Zulauf auch in unseren Straßen finden.

Am heutigen Volkstrauertag gedenken wir der Opfer vergangener und gegenwärtiger Kriege. Wir tun es als Christen, d.h. im Hören auf das Wort der Heiligen Schrift. Der heutige Predigttext ist unser Trostwort für alle Opfer, unsere Hoffnung, dass allein Gott das letzte Wort spricht. Und zugleich ist er uns Mahnung - unserem Herrn Jesus Christus nachzufolgen und einzutreten für eine gerechte, eine menschliche Welt. Hören wir die Worte aus Matthäus 25:

Text (siehe rechte Spalte)

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

Christus spricht:

31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit,
32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet,
33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!
35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.
36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.

37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet?
39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!
42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.
43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.

44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?
45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.
46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.
 


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