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			Liebe Leser, 
			 
			„Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?“ - So fragte vor 
			genau 4 Wochen Navid Kermani in seiner Rede in der Frankfurter 
			Paulskirche anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Dt. 
			Buchhandels - um sogleich darauf hinzuweisen, „dass es einen Krieg 
			gibt und dass auch wir, als seine nächsten Nachbarn, uns dazu 
			verhalten müssen, womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr 
			viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso 
			zivilgesellschaftlich.“ (alle 
			folgenden Zitate auch aus dieser Rede!) 
			 
			Der Krieg des IS ist längst bei uns angekommen wie die Ereignisse 
			vorgestern in Paris auf schreckliche Weise erneut gezeigt haben. Und 
			es ist eine Illusion zu glauben, Ähnliches könnte nicht auch in 
			Berlin oder München passieren. Wenn wir am heutigen Volkstrauertag 
			der Opfer aller Kriege gedenken, dann gedenken wir heute besonders 
			der vielen Opfer und ihrer Angehörigen in Paris - Opfer eines 
			gegenwärtigen Krieges, den man deshalb genauestens analysieren muss, 
			weil er längst schon vor unserer Haustüre angekommen ist. 
			 
			Navid Kermani ist Moslem und habilitierter Orientalist. Seine 
			präzise Analyse ist: Der Islam führt in zweiter Linie einen Krieg 
			gegen den Westen, in erster Linie führt er einen Krieg gegen sich 
			selbst! 
			 
			Ich zitiere: „Es sind nicht nur die schrecklichen Nachrichten und 
			noch schrecklicheren Bilder aus Syrien und dem Irak, wo der Koran 
			noch bei jeder Schweinetat hochgehalten und bei jeder Enthauptung „Allahu 
			akbar“ gerufen wird. Auch in so vielen anderen, wenn nicht den 
			meisten Ländern der muslimischen Welt berufen sich staatliche 
			Autoritäten, staatsnahe Institutionen, theologische Schulen oder 
			aufständische Gruppen auf den Islam, wenn sie das eigene Volk 
			unterdrücken, Frauen benachteiligen, Andersdenkende, Andersgläubige, 
			anders Lebende verfolgen, vertreiben, massakrieren. Unter Berufung 
			auf den Islam werden in Afghanistan Frauen gesteinigt, in Pakistan 
			ganze Schulklassen ermordet, in Nigeria Hunderte Mädchen versklavt, 
			in Libyen Christen geköpft, in Bangladesch Blogger erschossen, in 
			Somalia Bomben auf Marktplätzen gezündet, in Mali Sufis und Musiker 
			umgebracht, in Saudi-Arabien Regimekritiker gekreuzigt, im Iran die 
			bedeutendsten Werke der Gegenwartsliteratur verboten, in Bahrein 
			Schiiten unterdrückt, im Jemen Sunniten und Schiiten aufeinander 
			gehetzt.“ 
			 
			Und er fragt:  
			 
			„Was ist geschehen? Der 'Islamische Staat' hat nicht erst heute 
			begonnen und auch nicht erst mit den Bürgerkriegen im Irak und in 
			Syrien. Seine Methoden mögen auf Ablehnung stoßen, aber seine 
			Ideologie ist der Wahhabismus, der heute bis in die hintersten 
			Winkel der islamischen Welt wirkt und als Salafismus gerade auch für 
			Jugendliche in Europa attraktiv geworden ist. Wenn man weiß, dass 
			die Schulbücher und Lehrpläne im „Islamischen Staat“ zu 95 Prozent 
			identisch mit den Schulbüchern und Lehrplänen Saudi-Arabiens sind, 
			dann weiß man auch, dass die Welt nicht nur im Irak und in Syrien 
			strikt in verboten und erlaubt eingeteilt wird – und die Menschheit 
			in gläubig und ungläubig. Gesponsert mit Milliardenbeträgen aus dem 
			Öl, hat sich über Jahrzehnte in Moscheen, in Büchern, im Fernsehen 
			ein Denken ausgebreitet, das ausnahmslos alle Andersgläubigen zu 
			Ketzern erklärt, beschimpft, terrorisiert, verächtlich macht und 
			beleidigt. Wenn man andere Menschen systematisch, Tag für Tag, 
			öffentlich herabsetzt, ist es nur folgerichtig – wie gut kennen wir 
			das aus unserer eigenen, der deutschen Geschichte –, dass man 
			schließlich auch ihr Leben für unwert erklärt. Dass ein solcher 
			religiöser Faschismus überhaupt denkmöglich wurde, dass der IS so 
			viele Kämpfer und noch mehr Sympathisanten finden, dass er ganze 
			Länder überrennen und Millionenstädte weitgehend kampflos einnehmen 
			konnte, das ist nicht der Beginn, sondern der vorläufige Endpunkt 
			eines langen Niedergangs, eines Niedergangs auch und gerade des 
			religiösen Denkens.“ 
			 
			Navid Kermani hatte 1988 angefangen, Orientalistik zu studieren. Als 
			Philologe hatte er vor allem mit den Schriften der Mystiker, der 
			Philosophen, der Rhetoriker und ebenso der Theologen zu tun. Er 
			lernte einen Islam kennen, über dessen Originalität, seine geistige 
			Weite, seine ästhetische Kraft und auch humane Größe er nur staunen 
			konnte. Mit Bewunderung spricht er von Mystikern des Islam, von 
			Poeten und poetischen Theologen und Philosophen, von 
			Geschichtsschreibung und Geschichten wie Tausendundeiner Nacht, die 
			weltlich sind und erotisch und übrigens auch feministisch und 
			zugleich auf jeder Seite durchdrungen vom Geist und den Versen des 
			Korans. 
			 
			Heute sagt er: „Nichts, absolut nichts findet sich innerhalb der 
			religiösen Kultur des modernen Islams, das auch nur annähernd 
			vergleichbar wäre, eine ähnliche Faszination ausübte, von 
			ebensolcher Tiefe wäre wie die Schriften, auf die ich in meinem 
			Studium stieß. Und da spreche ich noch gar nicht von der islamischen 
			Architektur, der islamischen Kunst, der islamischen 
			Musikwissenschaft – es gibt sie nicht mehr.“ Sein Fazit: „Das 
			Problem des Islams ist weniger die Tradition als vielmehr der fast 
			schon vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des 
			kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie.“ 
			 
			„Wir wundern uns nur deshalb über den Bildersturm des „Islamischen 
			Staates“, weil wir nicht mitbekommen haben, dass in Saudi-Arabien 
			praktisch überhaupt keine Altertümer mehr stehen. In Mekka haben die 
			Wahhabiten die Gräber und Moscheen der engsten Prophetenangehörigen, 
			ja selbst das Geburtshaus des Propheten zerstört. Die historische 
			Moschee des Propheten in Medina wurde durch einen gigantischen 
			Neubau ersetzt, und wo bis vor wenigen Jahren noch das Haus stand, 
			in dem Mohammed mit seiner Frau Khadija wohnte, steht heute ein 
			öffentliches Klo.“ 
			 
			„Die zerstörten, missachteten, vermüllten Altstädte mit ihren 
			ruinierten Baudenkmälern überall in der islamischen Welt stellen den 
			Verfall des islamischen Geistes ebenso sinnbildlich dar wie die 
			größte Shopping-Mall der Welt, die in Mekka direkt neben der Kaaba 
			gebaut wurde. Das muss man sich vor Augen halten, das kann man auf 
			Bildern auch sehen: Das eigentliche Heiligtum des Islams, dieses so 
			schlichte und herrliche Bauwerk, in dem der Prophet selbst betete, 
			wird buchstäblich von Gucci und Apple überragt.“ „Es gibt keine 
			islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um 
			die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer 
			gewaltigen geistigen Implosion.“ 
			 
			Und zum christlichen Abendland: 
			 
			Natürlich, sagt Kermani, ist es „beglückend zu sehen, wie viele 
			Menschen in Europa und besonders auch in Deutschland sich für 
			Flüchtlinge einsetzen. Aber dieser Protest und diese Solidarität, 
			sie bleiben noch zu oft unpolitisch. Wir führen keine breite 
			gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der 
			Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar 
			die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt. 
			Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten 
			ausgerechnet Saudi-Arabien ist. Wir lernen nicht aus unseren 
			Fehlern, wenn wir einem Diktator wie General Sissi den roten Teppich 
			ausrollen. Oder wir lernen die falschen Lektionen, wenn wir aus den 
			desaströsen Kriegen im Irak oder in Libyen den Schluss ziehen, uns 
			auch bei Völkermord besser herauszuhalten. Nichts ist uns 
			eingefallen, um den Mord zu verhindern, den das syrische Regime seit 
			vier Jahren am eigenen Volk verübt. Und ebenso haben wir uns 
			abgefunden mit der Existenz eines neuen, religiösen Faschismus, 
			dessen Staatsgebiet etwa so groß ist wie Großbritannien und von den 
			Grenzen Irans bis fast ans Mittelmeer reicht.“ 
			 
			Das Projekt der europäischen Einigung nennt er „das Wertvollste, was 
			dieser Kontinent je hervorgebracht hat“ - freilich muss man 
			hinzufügen: ein Projekt, das in den letzten Wochen und Monaten 
			ernsthaft ins Stocken geraten ist. Nicht überall wurde und nicht 
			jedermann hat die Lektion aus der europäischen Geschichte mit zwei 
			Weltkriegen und millionenfachem Tod, von Flucht und Vertreibung 
			gelernt. Und auch im sogenannten „christlichen“ Abendland befinden 
			wir uns in einem Traditions-Umbruch und -Abbruch. Die letzte 
			Kirchenmitgliedschaftsstudie in Deutschland stellt dazu fest, dass 
			in immer weniger Familien christlich erzogen wird, christliche 
			Traditionen immer weniger weitergereicht werden. Wo aber die 
			grundlegenden Werte unseres christlichen Abendlandes nicht mehr 
			bewusst sind, darf man sich nicht wundern, wenn Angstmacher und 
			Hassprediger Zulauf auch in unseren Straßen finden. 
			 
			Am heutigen Volkstrauertag gedenken wir der Opfer vergangener und 
			gegenwärtiger Kriege. Wir tun es als Christen, d.h. im Hören auf das 
			Wort der Heiligen Schrift. Der heutige Predigttext ist unser 
			Trostwort für alle Opfer, unsere Hoffnung, dass allein Gott das 
			letzte Wort spricht. Und zugleich ist er uns Mahnung - unserem Herrn 
			Jesus Christus nachzufolgen und einzutreten für eine gerechte, eine 
			menschliche Welt. Hören wir die Worte aus Matthäus 25: 
			 
			Text (siehe rechte Spalte) 
			 
			
			Pfarrer Rudolf Koller 
			  
		(Hospitalkirche 
		Hof)  | 
			
			Text: Christus spricht: 
			 31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird 
			in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen 
			auf dem Thron seiner Herrlichkeit, 
			32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie 
			voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken 
			scheidet, 
			33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur 
			Linken. 
			 
			34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt 
			her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch 
			bereitet ist von Anbeginn der Welt! 
			35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. 
			Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin 
			ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 
			36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank 
			gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und 
			ihr seid zu mir gekommen. 
			 
			37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann 
			haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder 
			durstig und haben dir zu trinken gegeben? 
			38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich 
			aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? 
			39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu 
			dir gekommen? 
			40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich 
			sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten 
			Brüdern, das habt ihr mir getan. 
			 
			41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, 
			ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und 
			seinen Engeln! 
			42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen 
			gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken 
			gegeben. 
			43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. 
			Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin 
			krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. 
			 
			44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben 
			wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt 
			oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 
			45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: 
			Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr 
			mir auch nicht getan. 
			46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die 
			Gerechten in das ewige Leben. 
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