Liebe Leser,
es ist, wie wir es in der Kirche nur zu gut kennen: Erst kommen
die großen Worte und die großen Ankündigungen und dann der Schlaf
der Gerechten. Das kommt daher, dass die Kirche auf einen wie Petrus
gebaut ist, der sich da, wo der Christus ihn braucht, nicht gerade
als Fels erweist. Und wenn ich mit dir sterben müsste … Die Tränen
müssen gebrannt haben, die er wenig später weint, als der Hahn
kräht. Immerhin hat er noch Tränen über sich, über den desolaten
Zustand der Jüngerschar und nicht die ausgewogene Presseerklärung,
dass doch alles gut wird. Doch gut, dass Jesus die Kirche auf einen
solchen Mann baut, der nicht bloß tatkräftig für, sondern auch
leidensfähig an sich selbst und seiner Kirche ist.
Machen wir uns nichts vor. In der Nachfolge Christi zu stehen und zu
seiner Kirche zu gehören, verheißt nicht ruhiges Fahrwasser zur
Insel der Seligen. Jesus nimmt die Seinen mit in den Garten
Gethsemane und schließlich unter sein Kreuz. Wer im Leben auf
Wellness setzt und das Bohren dicker Bretter lieber den anderen
überlässt; wer meint, er käme um die Gärten Gethsemane herum,
vielleicht gar durch den Glauben, wird den Christus aus den Augen
verlieren.
Der führt seine Jünger auch in den Garten Gethsemane, freilich nicht
damit sie seinem Leiden nacheifern oder etwas hinzufügen. Gerade im
Garten Gethsemane erweist sich Jesus als der Christus, auf den seine
Jünger sich unbedingt verlassen können und von dem sie alles
erwarten und erhoffen können.
Umgekehrt gilt das ja gerade nicht. Der zu Tode betrübte Jesus
könnte in dieser Stunde jeden Beistand gebrauchen. Und sei es, dass
die Jünger einfach nur da sind. Nachtwache halten am Weg dieses
Sterbenden, der mit seinem himmlischen Vater und mit seinem
Schicksal ringt. Diesen Kampf können sie ihm nicht abnehmen, diesen
Kampf sollen sie ihm nicht abnehmen. Aber sie könnten schon da
bleiben, bei Sinnen bleiben, ein Stündchen oder zwei. Sie können es
nicht. Die ersten drei Evangelisten erzählen diese Geschichte. Aber
nur Lukas weiß uns zu berichten, wie Jesus in dieser Stunde im
Angesicht seiner trostlosen Jüngerschar dennoch Trost erfährt: Es
kam aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. (Lukas 22/43)
Die Passionsgeschichte erzählt uns den Weg des Christus: Wie er
hinabsteigt in die Abgründe unserer Welt und unseres Lebens. Wie er
es aufnimmt mit den Abgründen von Sünde und Schuld. Wie er es
aufnimmt mit den Abgründen von Leiden und Tod. Er nimmt es mit all
dem nicht alleine auf. Wir sehen im Garten Gethsemane den Christus
in inniger Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater. Und lernen die
Passionsgeschichte verstehen als eine Geschichte in die beide
hineingehören: Jesus und sein himmlischer Vater. Am Ende geht nicht
nur der Christus seinen Henkern entgegen, sondern sein himmlischer
Vater mit ihm. So kann Johann Herrmann im Lied EG 81 dichten: „Der
Mensch verdient den Tod und ist entgangen, Gott wird gefangen.“
(Vers 5)
Wir schauen auf die schlafenden Jünger. Sie schlafen im Windschatten
des Christus, dem in Gethsemane der eisige Hauch des Todes ins
Gesicht bläst. Weil der Christus da vorne ist und mit Angst und Tod
ringt, können die Jünger hinter ihm ruhig schlafen. Dieses Bild
erinnert an die Jünger im Sturm, Matthäus 8, 23f, wo die Jünger vorn
stehen und vor Angst mit dem Sturm um die Wette schreien und Jesus
liegt hinten und schläft. Ja, das tut er wohl gerne, wenn wir in
unserem Unglauben auf die Riesen schauen, die uns angeblich
bedrohen. „Im angstvollen Stieren und Gaffen auf die ‚gegebenen
Tatsachen‘ fangen diese plötzlich zu wachsen an und wachsen uns
schließlich zu unserem Schrecken über den Kopf, und wir werden von
ihnen gebannt wie der Frosch von der Schlange.... Wenn wir's doch
sehen könnten, wie der Unglaube Riesen züchtet.“ hat Karl Steinbauer
einmal geschrieben. Und Jesus quittiert es, während er sich den
Schlaf aus den Augen reibt: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so
furchtsam? Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer. Da
wurde es ganz stille.“
Ja, schon wahr: Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, hat in unseren
modernen Zeiten, so manchen Gegenwind. Und Teile ihrer Mannschaft
waren erst gerade in Wittenberg auf einem Zukunftskongress mit dem
rechten Kurs der Kirche angesichts von erstens, zweitens, drittens
und viertens beschäftigt. Da wurde medienwirksam gehämmert und
gebastelt, auch wenn manchen inzwischen dämmert, dass vom
Umstrukturieren und Leiten der Kahn nicht wirklich flotter wird.
Wirklich in Gefahr aber kommt das Schiff, das sich Gemeinde nennt,
wenn die Mannschaft vergisst, wohin dieses Schiff wirklich fährt. Es
fährt dem Himmelreich entgegen. Und da sind die lauen Lüftchen der
Zeiten, wie stürmisch sie uns vorkommen mögen, wirklich das kleinste
Hindernis. Da gehört es wirklich zum kleinsten Problem, dass die
Mannschaft vielleicht noch besser entwickelt und ausgebildet sein
könnte. Dieses Schiff muss durch die Barriere aus Sünde und Schuld
und durch den alles verschlingenden Orkan des Todes, der gerne alles
in schönster Grabesstille hinterlassen würde.
Deshalb muss vorne im Schiff allein der stehen, der es mit dieser
Macht und Gefahr aufnehmen kann. Deshalb ist der Garten Gethsemane
das bessere Bild für die wahren und rechten Verhältnisse in Gemeinde
und Kirche. Vorne der Christus, hinten die schlafenden Jünger.
Ungewöhnlich milde, ja liebevoll fällt die Rüge des Christus für den
Kirchenschlaf seiner Jünger aus. Niemand schläft dort ein, wo er
sich nicht sicher und wohl fühlt. Und wenn uns die Ängste und
Probleme wieder einmal über den Kopf wachsen und wir müde werden,
dann ist nicht der Appell die rechte Medizin, sondern auch einmal
der Schlaf im Windschatten des Herrn Christus, der wohl weiß wie er
es mit dem, was uns wirklich bedroht, aufnehmen kann.
Wenn wir dann aber wach sind, dann weist uns der Christus an das
Gebet. Denn die größte Anfechtung des Glaubens ist, wenn er den, an
dem alle Hoffnung hängt, aus den Augen verliert. Im Gebet wird Jesus
seinen Jüngern zum Vorbild. Er kann seinen Weg nach Golgatha nicht
gehen, ohne sich ganz eins zu wissen mit seinem himmlischen Vater.
Diese Einheit erweist sich als stärker als alles. Sie führt ins
Leben. Deshalb bewahre der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft auch unsere Herzen in Christus Jesus.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
31 Da sprach Jesus zu ihnen: In dieser
Nacht werdet ihr alle Ärgernis nehmen an mir. Denn es steht
geschrieben (Sacharja 13,7): »Ich werde den Hirten schlagen, und die
Schafe der Herde werden sich zerstreuen.«
32 Wenn ich aber auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach
Galiläa.
33 Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Wenn sie auch alle
Ärgernis nehmen, so will ich doch niemals Ärgernis nehmen an dir.
34 Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: In dieser Nacht, ehe
der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.
35 Petrus sprach zu ihm: Und wenn ich mit dir sterben müsste, will
ich dich nicht verleugnen. Das Gleiche sagten auch alle Jünger.
36 Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und
sprach zu den Jüngern: Setzt euch hier, solange ich dorthin gehe und
bete.
37 Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und
fing an zu trauern und zu zagen.
38 Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod;
bleibt hier und wacht mit mir!
39 Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und
betete und sprach: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch
an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!
40 Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu
Petrus: Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?
41 Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist
ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
42 Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein
Vater, ist's nicht möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergehe,
ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!
43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren
voller Schlaf.
44 Und er ließ sie und ging abermals hin und betete zum dritten Mal
und redete dieselben Worte.
45 Dann kam er zu seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr
weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der
Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird.
46 Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät. |