Predigt Matthäus 27/33-54 Karfreitag 06.04.2007 "Schrei
ins Herz" |
Liebe Leser,
die Todesstrafe ist geltendes Recht in China, den USA, im Iran, im Irak, in Nordkorea, in Pakistan, in Japan und in Saudi Arabien. Diese Liste ist nicht vollständig. Im Fernsehen waren kürzlich „Studenten“ vor der britischen Botschaft zu sehen, die die Todesstrafe für die angeblich in iranischen Hoheitsgewässern aufgebrachten britischen Soldaten forderten. Besonders die religiösen Rechtsgelehrten sind mit dem Todesurteil schnell bei der Hand. Gott macht keine halben Sachen. Das tolle Gebarme um den ach so ungerechten Tod des Jesus von Nazareth wirkt auch in unseren Zeiten einfach nur scheinheilig. Wir sollten uns auch am Karfreitag nicht daran beteiligen. Erinnern wir uns nur, wie dieser Tod seinerseits zur Begründung für Judenhass und Gewalt im Namen der Gottesgerechtigkeit wurde. Der Tod des Jesus von Nazareth geschah nach Recht und Gesetz oder zumindest im Namen derer, die Recht und Gesetz repräsentierten. So hätte es damals in der Zeitung gestanden. Ein juristisches Gutachten, das die Schwächen seines Prozesses und dennoch die Legalität dieses Urteils aufzeigt hätte, wäre auch in diesem Fall kein echtes Problem gewesen. In der Wochenendausgabe der Frankenpost stand zum Thema „Karriere machen“ zu lesen: „Wer nach oben will, sollte gegen Konkurrenten die Ellenbogen zeigen und muss in gewisser Weise auch skrupellos sein.“ Wenn solches in Kirche und Diakonie geschieht – und wer wollte behaupten, dass es da anders wäre – fällt den Beteiligten meistens leider auch nichts Besseres ein, als den Rat der Kirchenjuristen einzuholen. Schön, wenn man sich dann auf dem Weg nach oben bestätigen lassen kann, dass jedes andere Handeln sogar eine Pflichtverletzung dargestellt hätte. Das ist in Deutschland ein besonders schlimmes Wort. Der Unterschied zwischen der Welt und der Kirche, hat neulich jemand gesagt, sei, dass in der Welt auf und in der Kirche unter dem Tisch getreten werde. Wenn es diesen Unterschied denn überhaupt gibt. Unter dem Kreuz stehen frech die Kirchenkarrieristen. Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten. Verstehen wir richtig: Es ist ein Fortschritt, dass das Gerangel um einen Platz an der Sonne und der menschliche Wille zur Macht durch Recht und Gesetz Zügel angelegt bekommen. Wie dünn die Decke der Zivilisation wirklich ist, haben wir nicht nur in der weiten Welt, sondern in den letzten Jahrzehnten auch in Europa angesichts des Jugoslawienkriegs erschreckt zur Kenntnis nehmen müssen. Die größten Verbrecher dieses Krieges sind immer noch auf freiem Fuß. Wenn die Gerechtigkeit sich durchsetzt, muss das als Sternstunde vermeldet werden. Das sagen übrigens auch viele, die im niederen Gerichtsalltag unserer Rechtsstaates tätig sind. Die Wasserschalen der Marke Pontius Pilatus stehen bereit. Den Kleinen, den Schwachen, den Mittellosen, den Ohnmächtigen, die ins Getriebe des Rechts dieser Welt geraten, bleibt oft nur der Schrei. Und auch Jesus schrie abermals laut und verschied. So werden alle Menschen als Täter oder Opfer, ja eine ganze verlorene Welt, in diesen zweimaligen Schrei des sterbenden Jesus von Nazareth verwickelt. Himmel und Erde spüren es als erste. Die Welt gerät aus den Fugen. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen. Für den schreiend sterbenden Jesus von Nazareth wird einmal kein kleines Kreuz am Straßenrand der Weltgeschichte aufgestellt, mit verwelkten, dreckverspritzten Blumen davor. In diesem Ohnmächtigen marschiert Gott selbst ins Getriebe der Welt, auf dass ihre Zahnräder sich die Zähne an ihm ausbeißen. Schon knirscht es gewaltig. Die Maschinerie des Todes läuft nicht mehr rund. Im Allerheiligsten stellt Gott für seine Höllenfahrt Öffentlichkeit her. Der Schrei des Gekreuzigten markiert das Ende des überkommenen Rechts. Des Gottes- und des Menschenrechts. Was jetzt noch kommen mag hat keinen Anknüpfungspunkt mehr. Denn im Tod und im Tod Gottes erst recht, hören alle Verhältnisse auf. Als dem Christus im Schrei die Augen brechen, fällt mit ihm die Welt in den Abgrund. Im Bauch der Erde rumort es. Dem Hauptmann, der Jesus bewacht und den Seinen bebt das Herz. Und dem Tod, der alles besiegelt, der immer das letzte Wort hat, dem wir alle irgendwann gehören, kommen die Ersten abhanden und laufen herum, wo sie eigentlich längst nichts mehr zu suchen haben. An Kreuze stellen wir Blumen. An die Kreuze am Straßenrand, an die Kreuze der Soldatenfriedhöfe, an die Kreuze der Gräber unserer Lieben. Kreuz steht für Tod. Kreuz mit Blumen steht für den, der schreiend hinabgefahren ist in den Tod und dem Tod zum Schrecken wurde. Wer Blumen an Kreuze stellt, lässt sich verwickeln in den Schrei des Gekreuzigten, in die Ankunft Gottes in Hölle und Tod, in das Ende all der Dinge, die auf dieser Welt unabänderlich erscheinen, in das Ende allen menschlichen Rechtens und Richtens, in das Ende des Herrn aller Herren, in das Ende des Todes. Was jetzt noch kommen mag, hat keinen Anknüpfungspunkt. Als am Karfreitag die Nacht hereinbricht, steht die Zukunft der Welt auf dem Spiel. Sie wird dem gehören, der an Ostern aus des Todes Tür tritt. Der wird gnädig sein, wem er gnädig ist. Der wird mit seiner Gnade im Recht sein. Der wird auf dem Richterstuhl sitzen, vor dem wir alle offenbar werden müssen. Der wird denen, die mit ihm richten wollen, ins Gesicht lachen. Und er wird neben, hinter und um sich all die versammelt haben, denen – ganz legal – auf dieser Welt nur der Schrei geblieben ist. Nach Ostern haben die Jünger sich erinnert an das, was er auf dem Berg zu ihnen gesagt hatte: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist, als die der Gottesrechtler, der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matthäus 5/20) Ja wirklich, an dem schreienden Christus hat sich das ganze Gesetz ausgetobt und erfüllt und erledigt. Verstehen wir richtig: Es ist ein Fortschritt, dass das Gerangel um einen Platz an der Sonne und der menschliche Wille zur Macht durch Recht und Gesetz Zügel angelegt bekommen. Wenn unsere Herzen aber dem Mann von Golgatha gehören, dann kann uns das nicht genug sein; gerade in dem Fall, in dem Christenmenschen miteinander etwas zu rechten haben. Wer dann niemand anderes weiß, den er fragen könnte, als den Juristen, für den muss der Christus am Kreuz wohl weiterschreien, bis auch unser Herz einmal bebt, wie das des Hauptmanns und der Seinen. Dass Gott mit dem Schrei des Gekreuzigten auch in unsere Höllen hinabfährt und auch unsere dummen, selbstgerechten, harten, kalten und versteinerten Herzen zum Beben und Leben bringt, das verleihe Gott uns allen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
33 Und als sie an die Stätte kamen mit
Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, |