Liebe Leser,
niemand hat ernstlich geglaubt, dass der mausetote Jesus von
Nazareth sein Grab jemals wieder lebend verlassen könnte.
Diejenigen, die entsprechende Verheißungen wenigstens vorsorglich
ernst nahmen, waren nicht die Jünger, nicht die Juden, nicht die
Schriftgelehrten, es waren die Staatlichen, die wenigstens dafür
sorgten, dass das Grab mit einem dicken Stein verschlossen und
bewacht war. Man hatte ja schon Einiges erlebt und Verrückten, wie
den Jesusanhängern, war alles zuzutrauen. Auch, dass sie die Leiche
einfach verschwinden ließen und nachher aller Welt erzählten, er sei
auferstanden.
Heute, zweitausend Jahre später wird dieses Grab immer noch scharf
bewacht. Wo immer die Botschaft vom Auferstandenen laut wird, rollen
die Päpste des vermeintlich gesunden Menschenverstandes ihren dicken
Stein davor. Es sei sozusagen wissenschaftlich erwiesen, dass ein
Toter nicht wieder lebendig werden könne. Dass sei wider die
Vernunft und daher völlig unglaubwürdig. Daher sei die einfachste
Erklärung eine psychologische. Die Jünger hätten den Schmerz über
den Verlust ihres Meisters nicht verwinden können und seien deshalb
in dringend behandlungsbedürftige Visionen und Hirngespinste
geflüchtet. Oder sie hätten den Leichnam einfach verschwinden lassen
und behauptet … Das hatten wir schon. Und so wälzen sie den Stein
der Vernunft wieder und wieder vor das Grab. Den Stein, auf dem die
grandiosen Erfolge der menschlichen Vernunft lückenlos verzeichnet
sind: Von der Aufklärung bis Auschwitz, vom Penicillin bis zur
Atombombe. Wir müssen uns das Vergnügen leider ersparen, diesen
Stein der Vernunft mit den Mitteln der Vernunft gehörig zum Bröseln
zu bringen. Dieses Vergnügen ist im Osterlachen inbegriffen.
Aber da gibt es noch die anderen, die das Grab und die Botschaft von
der Auferstehung ebenso erbittert bewachen. Und das sind die
besonders Frommen und Päpste des vermeintlich wahren Glaubens. Die
wissen genau, wie das mit der Auferstehung war. Wissen, wie Jesus
wieder seinen ersten Atemzug getan und sich aus seinen
Leichentüchern befreit hat. Wie er aus dem Grab herausmarschiert
ist, ganz der Alte sozusagen, und den Engel gefragt hat, wo man um
diese Uhrzeit schon einen anständigen Kaffee bekommen kann. So und
nicht anders sei das gewesen und je mehr es aller menschlichen
Vernunft widerspreche, desto besser und glaubwürdiger sei es. Nur so
lassen sie Jesus aus dem Grab heraus und nur den, der an eine solche
Auferstehung glaubt, in ihre Gemeinschaft hinein.
Aber Gott sei Dank haben wir ja in den Evangelien den genauen
Bericht, wie es wirklich mit der Auferstehung war. Ach wirklich?
Haben Sie auch die feine Diskretion vernommen, mit der uns unser
heutiger Osterpredigttext die Einzelheiten der Auferstehung des
Christus beredt verschweigt? Wo der allmächtige Gott aus dem Nichts,
ja aus dem Nichts des Todes durch sein schöpferisches Wort ins Leben
ruft und durch die Mauer des Todes wieder zur Welt hindurch bricht,
haben wir zu schweigen. Der Bericht des Matthäus deutet an, dass es
sich hier um ein gewaltiges Handeln Gottes handelt, das die
Grundfesten von Himmel und Erde erschüttert. Die Erde bebt und vom
Himmel blitzt es. Und die menschliche Rolle diesen Ereignissen
gegenüber, wird nicht ohne Komik in dem Schicksal beschrieben, das
alle Wächter am Grab des Christus ereilt. Sie fallen um wie tot. Sie
fallen in Ohnmacht. Sinnlos ist die Wache am Grab des Gekreuzigten.
Die Vertretung der römischen Welt- und Kulturmacht wird der
Lächerlichkeit preisgegeben.
Auf den Beinen bleiben die Frauen. Nicht die hochgerüsteten Wachen.
Die Jünger haben sich verkrochen. Petrus heult wahrscheinlich immer
noch, Judas hat sich aufgehängt. Das starke Geschlecht halt. Auf den
Beinen bleiben die Frauen. Sie sind in aller Frühe zum Grab
gekommen, wie das so viele Frauen tun, die die Gräber ihrer Liebsten
besuchen, an besonderen Feiertagen, an bestimmten Tagen in der
Woche. Treu und jahrelang kehren sie ein an dem Ort des
Gedächtnisses an eine zu Ende gegangene Welt.
An diesem frühen Morgen finden die Frauen einen völlig aus der
Ordnung geratenen Friedhof vor. Der Grabstein ist nicht auf seinem
Platz. Man stelle ihn sich wirklich groß und schwer vor. So groß und
schwer, wie die Vernunft und der Glaube, wie die Lust und der
Schmerz, wie die Liebe und der Tod. Und auf dem Stein sitzt ein
Engel und predigt.
Drei Marien: So wie Maria, die Mutter des Herrn, die Worte des
Engels von der Geburt des Christuskindes in ihrem Leib und später im
Stall von Bethlehem erfuhr, so erfahren Maria und Maria Magdalena
die Botschaft vom auferstandenen Christus. So wie der Christus als
Gottes Wort im Leib der Maria Fleisch wird, so schlägt der
gekreuzigte Christus in den Marien aufs neue die Augen auf. Und
versetzt sie in Furcht und große Freude.
Robert Leicht hat recht, wenn er schreibt: „Nicht die Begegnung mit
dem Auferstandenen macht den Glauben, sondern der Glaube führt zur
Begegnung mit dem Auferstandenen. Der Glaube der beiden Frauen und
also der allererste, ursprüngliche christliche Glaube an den
Auferstandenen, nimmt von der Anrede des Boten Gottes am offenen
Grab seinen Ausgang. Nirgendwo sonst.“ (Robert Leicht, GPM 1,2005,
Heft 2, S. 216).
Nein, die beiden Frauen schauen nicht mehr nach. Gräber
interessieren sie nicht mehr, nicht einmal leere. Schon laufen sie
los und dem Auferstandenen mitten vor die Füße. Sie „lassen sich von
der direkten Anrede Gottes - furchtsam und freudig zugleich, aber
doch frei - mitreißen. Sie verlangen für Gottes Zusage keine
menschlichen Beweise, sie lassen sich auf die Ebene der Beweisfragen
und -zweifel gar nicht erst ein. Zweifel sind dann später
Männersache, jedenfalls bei „einigen“ Jüngern (Mt. 28/17). Aber wenn
wir es denn für überhaupt möglich halten, und doch deshalb erst
davon reden dürfen, ohne schweigen zu müssen, doch immer wieder zu
singen wagen, selbst an offenen, noch nicht verschlossenen Gräbern:
‚Jesus ist kommen, nun springen die Bande. Stricke des Todes die
reißen entzwei‘ (EG 66,2) - was bedürfen wir da gewöhnlicher Beweise
und kruder Tatsachen?“ (Robert Leicht, a.a.O.).
Sie sind so sinnlos wie die Wacht am verschlossenen Grab.
Marschieren wir hinaus in die Welt im Vertrauen auf die Botschaft
des Engels: „Er ist nicht hier; er ist auferstanden.“ Es ist wahr:
Wer dieser frohen Botschaft traut, läuft dem Auferstandenen mitten
vor die Füße. Und wird seine Stimme hören und das, was sie sagt, was
gilt, nicht nur im Leben und Sterben, sondern in Ewigkeit: „Fürchtet
euch nicht!“
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Als aber der Sabbat vorüber war und der
erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere
Maria, um nach dem Grab zu sehen.
2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des
Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und
setzte sich darauf.
3 Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der
Schnee.
4 Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären
sie tot.
5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich
weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt
und seht die Stätte, wo er gelegen hat;
7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden
von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da
werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude
und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und
sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm
nieder.
10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und
verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort
werden sie mich sehen.
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