Liebe Leser,
Heinrich Böll hat diese Anekdote erzählt, die wir wieder einmal
hören sollten:
In einem Hafen an einer Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter
Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist
legt soeben einen neuen Film in seinen teueren Fotoapparat um das
idyllische Bild zu fotografieren. Klick und nochmals Klick. Der
Fischer schlägt die Augen auf.
Schon hält ihm der Tourist eine Schachtel Zigaretten hin. Schon
flammt das Feuerzeug auf. Beide sind ein wenig verlegen. Das Wetter
ist günstig, sagt der Tourist, sie werden heute einen guten Fang
machen. Der Fischer schüttelt den Kopf. Heißt das, sie fahren heute
nicht hinaus. Der Fischer nickt. Ich war heute morgen schon draußen.
Und - war der Fang gut. Das kann man wohl sagen, beruhigend klopft
der Fischer dem Fremden auf die Schulter. Ich habe sogar für morgen
und übermorgen genug!
Der Tourist ist alles andere als beruhigt. Er legt seine Kamera
beiseite und setzt sich auf den Bootsrand. Ich will mich ja nicht in
ihre persönlichen Angelegenheiten mischen, aber stellen sie sich
vor, sie fahren heute ein zweites und drittes Mal hinaus. Was sie da
fangen könnten. Der Fischer nickt. Und wenn sie das dann jeden Tag
machen, fährt der Fremde begeistert fort, könnten sie sich in einem
Jahr einen Motor kaufen, in zwei Jahren ein zweites Boot und in drei
oder vier Jahren hätten sie einen kleinen Kutter. Was sie dann
fangen würden! Fast verschlägt es dem Fremden vor Begeisterung die
Sprache. Und eines Tages würden sie zwei Kutter haben. Sie würden
ein kleines Kühlhaus bauen und eine Räucherei. Später eine
Marinadenfabrik. Mit einem Hubschrauber könnten sie die
Fischschwärme ausmachen und ihren Kuttern Anweisung geben. Sie
könnten ein Fischrestaurant eröffnen und den Hummer ohne
Zwischenhändler nach Paris exportieren. Und dann....
Jetzt verschlägt es dem Fremden wirklich vor Begeisterung die
Sprache. Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das
sich verschluckt hat. Dann sagt der Fremde mit stiller Begeisterung,
dann könnten sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen
und auf das herrliche Meer hinausblicken.
Aber das tu’ ich ja jetzt schon, sagt der Fischer, nur das Klicken
ihrer Kamera hat mich dabei gestört. Nachdenklich stand der Tourist
auf und ging davon. Aber jetzt war keine Spur von Mitleid für den
armen Fischer mehr in ihm, nur ein wenig Neid. (Nach Heinrich Böll)
Hören wir unseren heutigen Predigttext dazu. Er steht in der
Bergpredigt Jesu, Matthäus 6, vom 25. Vers an:
Text
Diese Worte Jesu scheinen, wie die Geschichte vom Fischer, nicht
mehr zu sein, als ein Traum aus einer anderen Welt. Ich denke, das
hätte Jesus auch nicht bestritten. Sich um gar nichts sorgen, das
liegt außerhalb unserer menschlichen Möglichkeiten. Und deshalb
greifen die Worte Jesu über den Horizont unserer Welt hinaus und
bringen das Reich Gottes ins Spiel. Jesus stellt uns und unseren
Sorgen den Gott vor Augen, der sich nicht nur um Vögel und Pflanzen,
sondern auch um uns Sorgen macht.
Der Vergleich, den Jesus zwischen den Lilien und uns zieht, trifft
an einem entscheidenden Punkt zu: Wie die Kreaturen können und
sollen auch wir uns die Fürsorge Gottes gefallen lassen. Das ist
nicht selbstverständlich. Denken wir an den Fischer. Vielleicht
braucht er wirklich nicht mehr, um gut leben zu können. Aber dem
Touristen ist das zu wenig. Und der Troika aus Brüssel auch! Eine
Fischindustrie und ein paar Millionen im Rücken, das wäre eine
todsichere Sache. Dann sind alle Lebensrisiken ausgeschaltet. Das
wäre eine Lebensversicherung, mit der man getrost aufs schöne Meer
hinausblicken könnte. Dann hätte der Fischer keine Fürsorge und
keine EU - Fördermittel mehr nötig.
Ist das nicht auch unsere Philosophie? Streben wir nicht im Großen
und Kleinen nach Sicherheit, die Fürsorge überflüssig macht?
Menschen, die von Fürsorge leben müssen, genießen unser Ansehen
nicht. Sie fallen zur Last. Deshalb streben wir nach materieller und
seelischer Selbstsicherheit, die den Nachbarn, den anderen Menschen,
die Gesellschaft nicht braucht - und den lieben Gott schon gar
nicht. Wir wollen für uns selbst sorgen und unser Leben selbst in
der Hand behalten.
Jesus hält das für eine gefährliche Illusion. Wer kann seinem Leben
schon eine Spanne zusetzen? Die beste Politik, das beste
Wirtschaftswachstum, das dickste Sparbuch, die gesündeste Ernährung,
kann nichts garantieren. Ja, wir wissen heute besser denn je zuvor,
dass die vermeintliche Sicherung unseres Wohlstandes, die Erde an
einen gefährlichen Abgrund bringt. 10 Tonnen CO2 setzt jeder von uns
pro Jahr frei, damit das Auto und die Heizung und die Wirtschaft
brummt. Ein Chinese erzeugt 6 Tonnen und ein Inder 1,6 Tonnen.
Klimaneutral sind 2 Tonnen. Stellt euch vor, alle Chinesen und Inder
wollten so fahren, erzeugen und konsumieren wie wir.
So muss durch unsere Sorge um den Wohlstand auf Dauer nicht das
Gefühl der Sicherheit wachsen, sondern die Angst. Das ist der Preis
dieser Sorge, die unserem Leben doch nichts zusetzen, wohl aber
abschneiden kann. Sorge, die im Materiellen fixiert ist und so blind
wird für die wahren Güter des Lebens, die mit Geld nicht zu kaufen
sind. Ihr Kleingläubigen, euer himmlischer Vater weiß ja, was ihr
zum Leben braucht!
Jesu Botschaft von der Fürsorge Gottes wirbt also um Vertrauen
gerade mitten in unseren Existenz- und Lebensängsten. Trachtet
zuerst nach dem Himmelreich heißt, lasst euch zuerst und über all
eueren Sorgen, die Fürsorge Gottes gefallen.
Ich denke jeder von uns hat schon einmal eine solche Erfahrung
gemacht: Schlaflose Nächte, kreisende Gedanken, es geht nicht mehr
weiter; stell dir vor, ich habe sogar heimlich gebetet, nach all den
Jahren! Und dann klärt sich alles, fast wie von selbst, wer hätte
das gedacht und man schaut gelassen zurück. Zufall, sagen wir dann,
nichts als Zufall.
Richtig gesprochen und mit Jesu eigenen Worten: Lasst euch die
Fürsorge Gottes gefallen, so wird euch dieses alles zufallen. Gottes
Fürsorge lässt euch zufallen, was euere Sorge eh nicht erreicht und
was gar nicht in eurer Macht steht. Damit wir nicht erst leben, wenn
(...) wenn das Haus gebaut ist und die Fischfabrik, wenn die
Schulden abgezahlt sind und dieses oder jenes Problem gelöst ist. Es
könnte ja sein, dass dann auf ein gelöstes Problem zwei neue kommen.
Wie der Fischer dürfen wir sagen: Das tun wir ja jetzt schon. Schon
jetzt liegt unser Leben in der fürsorgenden Hand Gottes. Deshalb
leben wir schon heute ohne diese lähmende Angst, die in die nahe und
ferne Zukunft starrt und unfähig macht, zu tun, was heute getan
werden muss. Jeder Tag hat seine eigene Plage, sagt Jesus ganz
realistisch. Und die nimmt uns die Fürsorge Gottes nicht ab. Und
wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute
noch ein Apfelbäumchen pflanzen, soll Luther einmal gesagt haben.
Das ist Vertrauen in die Fürsorge Gottes.
Vertrauen, das sich durch Zukunftsängste nicht blenden und lähmen
lässt, auch nicht durch die, die seit einiger Zeit unsere Kirche
befallen haben. Was mussten wir uns in den letzten 10 Jahren an
schrecklichen Diagrammen ansehen, die den baldigen Untergang unserer
Kirche vorhersagten, wenn nicht sofort dies oder jenes getan wird!
So vieles davon ist bereits heute Makulatur. Halten wir fest:
Vertrauen in die Fürsorge Gottes wirbt um unsere Fürsorge für unsere
Welt und ihre Lebensgrundlagen, für unsere Kirche und Gesellschaft
und für die Menschen, die auf der Flucht bei uns Schutz und neue
Heimat suchen. Das steht heute an! Was morgen sein wird, wissen wir
nicht. Nur soviel: Er, Gott, wird für uns sorgen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Christus spricht:
25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer
Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib,
was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung
und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten
nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater
ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen
könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf
dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie
nicht.
29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit
nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute
steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel
mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was
werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater
weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das
Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
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