Liebe Leser, vor 50 Jahren haben die Zedtwitzer Gemeindeglieder
die Friedenskirche erbaut. Und sie haben sie in den Schlosspark
gesetzt, sozusagen in den Dorfgarten.
Dass man an einem solchen Garten nicht vorüber kann, ohne sich
hingezogen zu fühlen und einzutreten, hat den einfachen Grund, dass
der Garten zu den urtümlichen Bedürfnissen des Menschen zählt, wie
Essen, Trinken, Beten und Lieben: Ja, dass der Mensch all diese
Bedürfnisse am Liebsten in der Umgebung eines solchen Gartens
stillt. Drum baut er sein Haus, wenn er kann, nicht ohne einen Baum
zu pflanzen und einen Garten anzulegen. Und wenn schon kein Bach
vorüberfließt, nimmt der Gärtner den Schlauch zur Hilfe und wässert
oft und ausführlich, damit sein Baum nichts zu fürchten hat, wenn
die Hitze kommt. Seine Blätter sollen grün bleiben und wenn draußen
die ganze Welt verdorrt.
Der Garten ist Objekt grundlegender und urtümlicher Sehnsucht. Das
hat seinen Grund darin, dass die Menschheitsgeschichte im
Allgemeinen und die Heilsgeschichte der Bibel im Besonderen, sehr
viel mit dem Garten zu tun hat.
Die Menschheit stammt aus einem Garten. Freilich, bemerkt der
Schriftsteller Rudolf Borchardt treffend: „Das Meiste, was ihr seit
ihrem Ursprung zugestoßen ist, hängt mit Vorgängen zusammen, die
sich als Gartenfrevel bezeichnen lassen. (...) Mit der Kündigung des
Gartengastrechts und dem Auszug in die aus Acker und Kindbett
bestehende Welt, beginnt das normale Dasein seine unabsehbare Kette
von weiteren Vertreibungen, denen im trotzigen Rhythmus des
Menschenherzens der Entschluss entspricht, das Paradies, und sei es
am Fenster des sechsten Stocks im Hinterhause, für die nächste
Vertreibung wiederaufzubauen und den Engel mit dem feurigen Schwert
zu provozieren.“ (Rudolf Borchardt: Der leidenschaftliche Gärtner,
Greno, 1987, S.7) Unstet und flüchtig muss der gefallene Mensch
sein. Aber die Sehnsucht nach dem Garten ist ihm geblieben - und der
Baum, den er wässert, und der ihm Schatten spendet.
Der Ölbaum im Besonderen: Der Ölbaum, der nicht nur Nützliches,
sondern auch Angenehmes spendet. Sein Öl schützt die von der
orientalischen Sonne beschienene Haut. Es ist Nahrung, aber auch
Grundelement der antiken Medizin. Es ist Brennstoff für die Lampen,
die man nachts entzündet. Darüber hinaus ist es ein Artikel des
Luxus. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein. War’s
nicht ein Ölzweig, mit dem die Taube Noah ein solches Leben verhieß.
Gott selbst lässt es ein Zeichen seines Segens sein, wenn mit dem Öl
des Ölbaums der König gesalbt wird.
So wird das Ende des Baumes, das Ende der Welt sein. Der dritte Teil
der Bäume verbrennt, wenn der erste Engel des letzten Gerichts seine
Posaune an die Lippen setzt. So weiß es die Apokalypse. Was sie
nicht wissen konnte ist, dass der Mensch bis zum heutigen Tag diese
Arbeit schon mehr als erledigt hat.
Auch im Evangelium von der Erlösung des Menschen, spielt der Garten
eine überragende Rolle. Hat Jesus von Gottes Liebe und Gnade nicht
so gepredigt, dass der seinen Jüngern die Lilien des Feldes zeigt?
Er schickt sie zur Arbeit im Reich Gottes wie in einen Weinberg. Er
zeigt ihnen den Feigenbaum; vergleicht schließlich den Menschen mit
einem Garten, voller Unkraut und Gott jätet es; ganz verdorben, doch
winzig wie ein Senfkorn lässt Gott in und unter den Menschen Neues
und Herrliches wachsen.
Es ist kein Zufall, dass sich der letzte Kampf des Christus auf
seinem Weg ans Kreuz nicht irgendwo, sondern im Garten Gethsemane
entscheidet unter nächtlichen Ölbäumen. Und es ist ebenso wenig ein
Zufall, dass Maria Magdalena den Auferstandenen nicht erkennt, weil
sie meint, er sei der Gärtner.
Wenn das nicht zusammengehört und zusammenpasst: Der Schöpfer der
Welt, der der Pflanzung seines Gartens den gleiche Tag einräumt, wie
der Scheidung von Licht und Finsternis; und der Erlöser Jesus
Christus, der Bezwinger des Todes zugunsten des Lebens, den man
nicht von ungefähr mit einem Gärtner verwechselt, weil er ja in der
Tat einer ist! Und ich bin sicher, dass in der neuen Welt, die
Christus verheißt, das himmlische Jerusalem nicht protzt und pompt
wie New York, sondern „die Hütte Gottes bei den Menschen“ wieder in
einem Garten steht; damit die elementare Sehnsucht nach dem Garten
dann in Gott Frieden findet.
So sind wir auf der Reise durch die Bibel vom ersten bis zum letzten
Garten bei der Friedenskirche angekommen. Immer wieder hat Pfr.
Kneule dieses schöne Bild von der „Hütte Gottes bei den Menschen“
mit der Friedenskirche in Verbindung gebracht. Wer sie da stehen
sieht, umringt vom Grün muss die Verheißung der Offenbarung, Kapitel
21, Vers 3-5 hören:
3 Und ich hörte eine große Stimme von dem
Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er
selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod
wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr
sein; denn das Erste ist vergangen.
5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!
Mögen Dome, Münster und Kathedralen von der Größe und Erhabenheit
Gottes erzählen; mögen Menschen sich in ihnen klein oder auch
besonders groß vorkommen: Die kleine Friedenskirche im Schlossgarten
gibt uns einen Einblick und einen Ausblick von unerreichter Größe.
Sie lässt uns in die Zukunft der Welt und aller Dinge blicken und
stellt uns den Allmächtigen und Erhabenen, den Schöpfer des Kosmos,
als einen vor, der die unendlichen Weiten hinter sich lässt, um
unter uns in einer Hütte im Garten zu wohnen und der in seinen
Händen anstelle von Zeichen der Macht und Gewalt lieber
Taschentücher hält.
Und wenn es in der Beschreibung des Wandbildes hinter dem Altar
heißt: „Die Erdkugel berührt Christus nur mit den Fußspitzen, als
Zeichen dafür, dass er nicht wie wir mit der Erde verhaftet ist,
sondern über ihr schwebt als ihr Herr.“ - dann soll man sich diesen
Herrn einmal genau anschauen. Dann sieht man überdeutlich die
Wundmale an Händen, Füßen und Brust. Dann sieht man, wie Himmel und
Erde zusammenkommen durch den Christus, der weiß, was Leid,
Geschrei, Schmerz und Tod ist. Das trägt er hinauf zu seinem
himmlischen Vater und umgekehrt fließt Gottes tröstlicher Geist,
dargestellt durch die Farbe Rot herab auf unsere Welt. So kommen
Gott und Welt zusammen, auf dass sie einmal so tröstlich zusammen
sind, wie am Ende der Bibel beschrieben. Alles wird neu und alles
wird gut.
Kein Wunder, dass die Zedtwitzer ihre Kirche Friedenskirche genannt
haben. Denn Leid, Geschrei, Schmerz und Tod, das hallte allen 1958
noch in den Ohren. Der Wahnsinn des zweiten von zwei Weltkriegen im
20. Jahrhundert war gerade einmal 13 Jahre vorbei und der sogenannte
kalte Krieg hatte begonnen. Drei Jahre später wurde der eiserne
Vorhang quer durch Deutschland gezogen und ein paar Kilometer von
hier endeten alle Straßen. Friedenskirche, dieser Name war Ausdruck
der Sehnsucht nach Heilung einer friedlosen Welt und nach Heilung
immer noch offener Wunden.
Und so entfalteten der Name dieser Kirche und das Bild von der Hütte
Gottes, der all unsere Tränen abwischt gerade damals große Kraft und
entfalten sie bis heute. Noch klingt das Alte an, noch wird es
benannt, aber im Vergehen. Das Meer der Tränen, des Leids und des
Schmerzes. Das Meer der Traurigkeit, das uns verschlingen kann. Der
Lebensdurst, in dem wir ertrinken können. Das Hoffen und Harren,
dass uns zum Narren hält. Die scheinbare Gottverlassenheit der
Weltgeschichte und so manchen Lebens.
Die Friedenskirche zeigt allen, die sie sehen: Die neue Welt ist mit
unserer Alten bereits fest verbunden, und zwar tröstlich und
erfreulich verbunden. Es sind unsere jetzt geweinten Tränen, die
Gott abwischen wird. Es sind die Wunden und Narben unserer Welt, die
Gott heil machen wird. Es sind die hier zerbrochenen Herzen, die
Gott verbinden wird. Es ist unser Tod, zu dem Gott endgültig Nein
sagt. Die neue Welt nimmt unsere alte, als vergangene und getröstete
auf.
Christen dürfen deshalb Existenzen mit Balkon sein, mit Aussicht auf
die neue Welt Gottes. Das heißt auch zuzugeben, dass diese Welt
nicht von uns kommt. Aber wir bitten Gott, dass sie auch zu uns
kommt. Wir leben in der festen Hoffnung darauf. Wir nehmen jetzt
schon Maß an ihr. Und das heißt oft auch etwas zu lassen. Als ich
das Gemeindehaus an der Kirche 1985 mit einweihen durfte, habt ihr
mir erzählt, wie die Jugend darum gekämpft hat, dass die Kastanie,
die einen Meter neben dem Haus steht, erhalten blieb. Sie steht
heute noch. In dem friedlichen Garten, aus dem wir stammen und zu
dem wir wieder nach Hause unterwegs sind, müssen alle Kreaturen
ihren Platz zum Leben, zum friedvollen Miteinander haben. Und drum
werden wir heute am Abend auch dafür zum Zeichen wieder einen Baum
vor der Kirche pflanzen.
Möge die Friedenskirche im Schlossgarten auch in Zukunft ihre
Botschaft von der „Hütte Gottes bei den Menschen“ weitersagen und
davon erzählen, wo wir herkommen und wohin wir unterwegs sind. Möge
in ihr das Wort des großen Weltengärtners blühen und um sie herum
die Narzissen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
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Text:
3 Und ich hörte eine große Stimme von dem
Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er
selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod
wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr
sein; denn das Erste ist vergangen.
5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!
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