Predigt    Offenbarung 21/6     Jahreslosung 2018     31.12.17

"Alles wird gut?!"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

wie alle Jahre sind wir am letzten Abend eines Jahres besonders gestimmt. Wir spüren die Vergänglichkeit. Schon wieder ein Jahr vorbei. Gott sei Dank, sagt der eine oder die andere, und denkt an ein Meer der Tränen, des Leids und des Schmerzes. An ein Meer der Traurigkeit, das uns verschlingen kann und vielleicht fast verschlungen hat. An den Lebensdurst, in dem wir ertrinken können. An das Hoffen und Harren, das zum Narren hält. An die Menschen- und Gottverlassenheit so manchen Lebens. Und denkt an ein neues Jahr, eine neue Zeit, in der hoffentlich alles besser wird.

Aber wie realistisch ist diese Hoffnung, dass alles besser wird in unserem eigenen Leben und erst recht im globalen Maßstab? Was können wir uns noch Großes vom Menschen erhoffen? Die Jugend bis 60 Dank Gentechnik und medizinischer Fortschritte? 120 Jahre alt können in Zukunft die werden, die es sich leisten können. Ewiges Leben für die Maden im Speck. Und woanders auf der Welt, in den Armutsvierteln der Riesenmetropolen, wird früher und schlechter gestorben als im Mittelalter. Krebszellen, so habe ich gelesen, leben theoretisch ewig. Wir träumen davon, zu sein wie sie. Es sind Träume von Geschöpfen, die sich an nichts anderem mehr festhalten können, als an sich selbst. Und denen doch im Laufe der Jahre immer mehr dämmert, wie vergeblich und trostlos das ist.

Vielleicht hören wir deshalb ja besonders aufmerksam zu, wenn die Jahreslosung ein großes Versprechen macht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Und denken: Wo gibt’s das? Das will ich auch! So ein Wasser, das wirklich jeden Durst stillt. So ein Wasser, mit dem es keine Durststrecken mehr im Leben gilt. Und schon sind wir wieder ganz bei uns selbst und wollen unsere Bedürfnisse gestillt und befriedigt haben. Und schon sind wir wieder in einer Kirche, die sich für die Bedürfnisse der Menschen für zuständig hält und so etwas im Angebot hat. Mit praktischen Übungen versteht sich.

Leider bringt uns beides nicht wirklich weiter. Es tut deshalb alle Jahre gut, wenn wir einen Schritt zurücktreten und die Jahreslosung dort aufsuchen, wo sie steht. Was ist das für eine Geschichte, die da erzählt wird? Was ist der Zusammenhang? Ausgerechnet die Offenbarung des Johannes! Kein Buch haben die Christen im Lauf ihrer Geschichte mit so spitzen Fingern angefasst. Über keinem anderen Buch hat die Auslegungsgeschichte so bunte Blüten getrieben, mit denen die Nachwelt meist nichts mehr zu tun haben wollte. Geht es doch in diesem Buch um das Ende der alten Welt, um den Kampf der guten Mächte gegen die bösen. Geht es doch in dem Buch um die Endzeit, die Apokalyptik, die seit jeher im Verdacht stand, dass sie zu nichts Gutem taugt. Sie sei Opium für Menschen, die sich aus dieser Welt fortträumen und die Hände in den Schoß legen. Im besten Fall. Im schlimmsten eine Handlungsanweisung für Fundamentalisten und Terroristen, die sich für Gotteskrieger halten und das Ende dieser Welt im Namen Gottes ein bisschen schneller herbeibomben wollen. Die Menschheit hat heute die Mittel dazu.

Der evangelische Theologe Peter Hirschberg hat vor vier Jahren ein Buch geschrieben und ihm den Titel gegeben: „Sehend werden – Wie die Johannesoffenbarung die Wirklichkeit erschließt“. (Leipzig, 2013) Er schreibt: „Der Autor der Offenbarung betreibt, um es einmal so zu sagen, biblische Aufklärung. Er lässt ein erhellendes Licht auf unsere menschliche Wirklichkeit fallen, damit wir tiefer erkennen, worin das Ziel aller Geschichte besteht: das Ziel unserer ganz persönlichen Lebensgeschichte, das Ziel der Weltgeschichte, ja, das Ziel der kosmischen Geschichte überhaupt. Johannes will in uns eine Hoffnung erwecken, die uns im Leben und im Tod tragen kann, und die uns zu mutigen Zeugen Jesu und zu wachen politischen Zeitgenossen macht.“ (S.6) Hirschberg leitet dazu an, die Offenbarung des Johannes, ja die ganze Bibel und von ihrem Blickwinkel her die Weltgeschichte als Heilungsgeschichte zu lesen. Wenige Verse nach der Jahreslosung sind wir am Ende der christlichen Bibel angelangt, die einmal mit der Geschichte der Schöpfung der Welt begann.

Wie heilt Gott die Welt? „Das Ziel der Schöpfung besteht in der ‚Einwohnung‘ Gottes. (…) Der Begriff der Einwohnung Gottes ist dem Begriff und noch mehr der Sache nach ein Thema, das die ganze Bibel durchzieht. Bereits im Alten Testament ist davon die Rede, dass Gott die Gemeinschaft mit den Menschen sucht. (…) Es ist spannend, wenn im Neuen Testament mit einer ganz ähnlichen Begrifflichkeit das Geheimnis Jesu beschrieben wird. (…) Die Einwohnung Gottes in Jesus Christus zielt letztlich darauf, dass Gott durch ihn seiner ganzen Schöpfung einwohnt. Mit ihm ist ein Anfang gesetzt, aber das Ende ist erst dort erreicht, wo auch noch das letzte Staubkörnlein so von Gott durchdrungen ist, dass es die Liebe und Herrlichkeit seines Schöpfers widerspiegelt.

Die Vision von der Vollendung der Schöpfung durch die göttliche Einwohnung ist in zweifacher Hinsicht höchst aktuell:

Wer so denkt und glaubt wie Johannes, der kann sich nie mit dem Gedanken eines Jenseits zufrieden geben, das mit unserer Welt nichts mehr zu tun hat, dem muss der Gedanke, dass Gott diese Welt vernichten wird, um an deren Stelle eine neue Welt zu errichten, absurd erscheinen. Nein, diese Welt ist nicht dazu bestimmt, vernichtet zu werden. Sie ist Gottes Schöpfung, dazu bestimmt, dass Gott ihr einwohnt, und zwar so radikal, dass dadurch etwas völlig Neues entsteht, eben: eine erlöste Schöpfung. (…) Auf den Punkt gebracht heißt das: Gott erlöst uns nicht von der Schöpfung, nicht von der Leiblichkeit, nicht von der Natürlichkeit, nicht von der Leidenschaft, nicht von der Materie, aber er erlöst all dies so, dass es seine negative ‚Schwerkraft‘ (Simone Weil) verliert und nun den göttlichen Geist der Liebe, der Freude und der Freiheit atmet. (…)

Ein zweiter Grund für die Aktualität dieses Denkens: (…) Viele Menschen heute suchen Gott. Sie sind spirituell offen. Dennoch können und wollen sie Gott nicht länger in einem hermetisch von der Welt abgeriegelten Raum suchen. Sie sehnen sich nach einer Gotteserfahrung mitten im Alltag, nach einer Gotteserfahrung, die das Göttliche und das Weltliche miteinander verbindet und dadurch Relevanz für das Leben gewinnt. Ich vermute, dass sie damit ganz nahe bei Johannes sind. Denn wenn Johannes als letztes Ziel vor Augen hat, dass Gott die ganze Wirklichkeit durchdringt, dann kann Christsein im Hier und Jetzt nichts anderes bedeuten als dies schon jetzt zeichenhaft vorwegzunehmen. (…) Insgesamt ist es ein fast magischer Akt, zu dem Johannes uns anleiten will. Wir sollen die Welt mit göttlichen Augen neu entdecken, sie anders ansehen, damit sie auch uns anders ansieht, damit sie uns ihr wahres Gesicht zeigt. Die von Johannes intendierte Spiritualität will in allem Gott entdecken und Gott in alles hineintragen. Sie ist ein lebendiger Protest gegen jede religiöse Schizophrenie, die sich mit der Aufteilung der Welt in einen sakralen und profanen Teil begnügt.“ (S. 208ff)

„Gott in alles hineintragen“, das könnte ein Weg zu der Quelle des lebendigen Wassers sein. Denn das hat nicht die Kirche im Angebot, sondern allein Gott und sein Christus. Die lassen uns heute am Ende eines Jahres hineinschauen in die ganze Geschichte der Welt und schicken den Gequälten und Verfolgten der Gemeinde des Johannes damals und uns heute ein Bild vom Ziel dieser Geschichte. Es ist ein Bild, auf dem man auch uns lachen sieht, weil wir und diese Welt am Ende doch noch heil geworden sind. Gott sei Dank. Und da wollen wir uns die genaue Beschreibung dieses lebendigen Wassers im allerletzten Kapitel der Bibel wirklich nicht ersparen:

„Und er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes, mitten auf ihrer Straße und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat bringen sie ihre Frucht, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Und es wird nichts Verfluchtes mehr sein. Und der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt sein, und seine Knechte werden ihm dienen und sein Angesicht sehen, und sein Name wird an ihren Stirnen sein. Und es wird keine Nacht mehr sein, und sie bedürfen nicht des Lichts einer Lampe und nicht des Lichts der Sonne; denn Gott der Herr wird über ihnen leuchten … (Off. 22,1-5)

… und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

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Die Predigt zum Hören

Text:

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!
6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.
Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.*
7 Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

* Jahreslosung 2018


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