Predigt     Offenbarung 3,1-6     3. Advent     16.12.07

"Mehr als Weihnachten"
(von Dekan i.R. Rudolf Weiß)

Liebe Leser,

kürzlich beklagte ein bayerischer Minister beim Abschied aus seinem Amt, wie es ihm gerade in der stillen Weihnachtszeit erging: „Da bin ich von Besinnung zu Besinnung gehetzt.“ Wie vielen mag es in dieser adventlichen und vorweihnachtlichen Zeit ähnlich ergehen? Sie sehnen sich nach Stille und Besinnung, geraten aber in den Stress und die Hektik dieser Zeit mit all dem, was zu besorgen und zu erledigen ist. So mögen nicht nur Verkäuferinnen und Geschäftsleute am Ende der Adventszeit mit ihren seelischen Kräften so am Ende sein, dass ihnen zum Feiern des Weihnachtsfestes selbst keine Energie mehr bleibt, sondern nur noch der Wunsch, endlich zur Ruhe zu kommen und sich zu erholen.

Besucher, die aus dem Ausland in der Adventszeit nach Deutschland kommen, staunen, wie toll hier Weihnachten gefeiert wird; sie freuen sich über die schönen Christkindles- und Weihnachtsmärkte, die hell erleuchteten und geschmückten Straßen. Der berechtigte Eindruck mag entstehen, beim Weihnachten feiern sind die Deutschen Weltmeister. Wer freilich bis zum ersten Weihnachtstag hier bleibt und vielleicht auch noch zum zweiten, und Gottesdienste besucht, wird sich wundern. Fast leere Kirchen an einem Fest, auf das man sich vier Wochen vorbereitet hat. Für viele ist Weihnachten mit dem Heiligen Abend und der Bescherung gelaufen. Begnügt sich der Glaube mit dem Kind in der Krippe und erwartet weiter nichts mehr von ihm? Fragen wir ähnlich wie Johannes der Täufer: Was sollen wir von diesem Kind noch erwarten, das so armselig auf die Welt gekommen ist? Vermutlich hören nicht wenige Christen und Christinnen beim Glaubensbekenntnis innerlich auf beim Satz: „Geboren von der Jungfrau Maria.“ Das Kindlein in der Krippe reicht ihrem Glauben von der Liebe Gottes zu allen Menschen. Das Leiden, Sterben und Auferstehen, die Wiederkunft Christ am Jüngsten Tage werden ausgeblendet.

Lassen Sie mich von einer Erfahrung aus meiner Zeit in Donauwörth berichten. Ich musste vor zweiundzwanzig Jahren kurz vor Weihnachten eine Erfahrung machen, die mit seither Gott sei Dank erspart geblieben ist. Ich hatte mit meinem Dienst begonnen. Erstmals wirkte ich bei einer gut besuchten ökumenischen Adventsandacht in der Kapelle des Kreiskrankenhauses mit. Kurz vor Weihnachten war ich nach dem Gottesdienstplan eingeteilt zu einem Gottesdienst in der Krankenhauskapelle. Ein Kollege hatte mich vorbereitet und mir geraten, auf jeden Fall die Übertragungsanlage einschalten zu lassen und ein Mikrofon zu benutzen für die Patienten, die auf den Zimmern mithören. Dann kam ich am Sonntag morgen ins Krankenhaus und ging in die Kapelle. Ich war und blieb ganz allein mit dem Weihnachtsbaum, den leeren Bänken und den kahlen Wänden. Sollte ich anfangen, allein zu singen und zu beten, die Predigt vor leeren Bänken zu halten? Mich durchzuckte ein Gedanke und trieb mir kalten Schweiß auf die Stirn: Wenn nun die Anlage nicht funktioniert und niemand hört zu? Ja, dann führst du hier ein Kasperletheater auf. Nein, so etwas mache ich nicht vor dem heiligen Gott.“ Ich verließ die leere Kapelle und fuhr zu Stadtkirche und bereitete mich auf den Hauptgottesdienst vor.

Wer nur den Gottesdienstanzeiger las, gewann den Eindruck eines reichen und lebendigen Gemeindelebens. In Wirklichkeit aber sah es doch so aus, wie in Sardes. Eindruck von Lebendigkeit bei tatsächlichem absterbenden geistlichen Leben. Nach dieser bedrückenden Erfahrung beriet ich mich mit Kollegen, wie die Kranken den Trost des Wortes Gottes wirklich erfahren. Ich erfuhr, dass die Übertragungsanlage nicht funktionierte und die Hörkissen gar nicht mehr ausgeliehen wurden.

Wir kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie das Sendschreiben an Sardes. Das Schwache stärken. Wenn zu den Krankenhausgottesdiensten ein Mesner und eine Organisten kommen, dann sind es mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin schon drei Personen, die nach Jesu Wort gemeinsam beten können. Denn: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. Dann bildeten wir einen Besuchsdienstkreis, der zu den Gottesdiensten einlud, die Kranken begleitete und auch selbst teilnahm. So waren wir meist zwölf bis fünfzehn Personen, die miteinander sangen und beteten und Gottes Wort hörten. Kranke und Einsame erhoffen viel von Jesus Christus und seinem Wort.

Johannes der Täufer zweifelte damals an diesem Jesus, der nichts unternahm um zu Macht und staatlicher Gewalt zu kommen, der nur darauf vertraute, die Menschen mit Worten, mit schönen Gleichnissen und Geschichten von der Neuen Welt Gottes zu überzeugen und vom lebendigen Geist Gottes erwartete, er werde die Herzen der Menschen bewegen, Gott und die Menschen zu lieben.

Wenn wir uns in dieser Zeit wirklich einmal die Ruhe und Muße gönnen und uns fragen, ob wir Jesus wirklich zutrauen, dass er mit seinem Vater und dem Geist Gottes diese Welt in Händen hält und regiert oder ob wir nicht insgeheim viel mehr einen Terroristen wie Osama bin Laden fürchten und ihm und seinem Netzwerk Al Kaida zutrauen, diese Welt wieder das Fürchten zu lehren und ihn mehr fürchten als den wiederkommenden Herrn. Martin Luther legt das erste Gebot aus: Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Mit der schönen Weihnachtsgeschichte allein werden unser Glaube und unsere Hoffnung nicht stark genug werden. Dann könnte es über uns ähnlich wie über die Christen von Sardes damals heißen: Du hast den Namen dass du lebst aber du bist tot, geistlich tot. Sardes erschien als lebendige Gemeinde, war aber geistlich erloschen bis auf einige wenige Christen. Viele taten wohl nur so, als wären sie Christen, hatten aber in Wirklichkeit den lebendigen Glauben verloren. Sardes war materiell reich. Dort hatte einmal der sagenhaft reiche König Krösus gelebt, der alles, was er anfasste zu Gold machte. Die Stadt war wohlhabend durch die Wollerzeugnisse und Färberei. Aber in dem Sendschreiben wird kaum etwas Lobenswertes über die Gemeinde gesagt. Im Gegenteil! Sie wird wachgerufen um nicht das unerwartete Kommen ihres Herrn zu verschlafen. Die wenigen, die im Glauben treu geblieben sind, sollen andere stärken, deren Glaube gar abzusterben droht.

Als Pfarrer habe ich nie angenommen, dass die weihnachtlichen Bräuche schon ein Erweis lebendigen christlichen Glaubens sind. In Gebieten, wo der lebendige Glaube abstarb, wurden die christlichen Gebräuche weiter gepflegt. Nicht wenige Gemeinden im angrenzenden Sachsen und Thüringen, in Tschechien wurden durch die atheistische Propaganda gebeutelt und schrumpften. Wen schmerzt es nicht, wenn er hört, dass kein Land auf dieser Erde so religionslos und gottlos geworden ist wie Tschechien. Die wenigen Christen, die standhielten, brauchen aber Stärkung um dem Druck einer Umwelt nicht zu erliegen, die so lebt, als ob es Gott einfach nicht mehr gibt. Die Christen in dieser Euregio Egrensis haben alle zwei drei Jahre zu Kirchentagen eingeladen. Da erlebten die Christen und Christinnen, wie viele sie sein können.

Mich hat besonders die kleine Gemeinde Wiedersberg im ehemaligen Grenzgebiet beeindruckt. In der alten DDR wurden die Christen aus dem Grenzgebiet heraus geekelt, weil sie als politisch unzuverlässig galten – das waren sie auch. Zuletzt blieb wohl noch eine Handvoll Christen übrig, die ihre christliche Gesinnung und Haltung nicht preisgeben wollten, sondern sich als Christen erwiesen. Nach der Wende wurde ein Verein zum Wiederaufbau der Michaeliskirche gegründet und tatsächlich wurde die Kirche wieder hergerichtet und wird zu kulturellen Veranstaltungen und Feiern genutzt.

Weihnachten ist doch nur ein Präludium – ein Vorspiel – für Größeres, was wir noch zu erwarten haben. Wer getauft ist und sozusagen sein weißes Taufkleid bewahrt und mit Christus verbunden bleibt, der erwartet ihn als den Wiederkommenden. Das Kinderlied: „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder..“ finden Sie nicht im Evangelischen Gesangbuch. Es verkürzt das Kommen Jesu auf ein alljährliches kalendarisches Ereignis. Für Kinder mag der Adventskalender ein passables Spiel sein um sich auf die Advents- und Weihnachtszeit einzustellen. Erwachsene aber dürfen nicht bei diesem kindlichen Brauch stehen bleiben. Ihr Glaube und auch ihr Glaubenswissen sollen wachsen.

Jesus Christus hat uns ein Bürgerrecht in der Neuen Welt Gottes erworben.. Wer getauft ist und mit Christus im Glauben verbunden bleibt, wird aus diesem Buch des Lebens nicht gestrichen, hat also die Zusage dabei zu sein, wenn Jesus wiederkommt.
Eine ganz wichtige Zusage. Wenn ich darauf vertrauen kann, dass mein Name schon jetzt eingetragen ist im Buch des Lebens, dann kann ich auf dieser Erde sehr gelassen bleiben. Ich muss vieles nicht mitmachen um mir einen Namen zu machen, bekannt zu werden in Funk und Fernsehen, auch wenn ich nichts zu sagen habe. Eine erstaunliche Beobachtung: Wo der Glaubenshorizont von der Ewigkeit her verkürzt wird auf die bloße Erdenzeit, da wird die Zeit eng und knapp. Weiterhin gilt auch die Erfahrung: Wer Jesus nur als Kind in der Krippe kennen und feiern will aber nicht auch den wiederkommenden Herrn erwartet, verkürzt den christlichen Glauben in unzulässiger Weise.

Unser Glaube braucht als Verbündete die Hoffnung, die unseren Blick weitet und uns davor bewahrt nur auf die irdischen und materiellen Güter zu schauen und uns nur auf diese Erdenwelt und Erdenzeit zu beschränken. Advent will uns einstimmen und vorbereiten auf das Kommen unseres Erlösers, damals in der Krippe im Stall zu Bethlehem und auf sein Wiederkommen am Ende dieser vergänglichen Welt und Zeit.

Dekan i.R. Rudolf Weiß

Text:

1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert.
5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Archiv
Homepage Hospitalkirche