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			Liebe Leser, 
			 
			wo sagt man bloß solche Sachen, wie Paulus sie 
			sagt? Ich stelle mir einen hohen Berg vor, wo Paulus ganz nah am 
			Himmel sitzt und herabschaut auf das kaum noch erkennbare 
			Lumpenpack, das wie Ameisen im Tal wimmelt. Ach ja, Gott sei Dank 
			gibt es solche Momente, wo der ganze Kleinkram von einem abfällt, wo 
			man das Gesicht aus der grauen Asche des Alltags aufhebt in einen 
			grenzenlosen Himmel. Gott sei Dank gibt es Momente des Glücks, wo 
			man sterben und seufzen könnte: Ich habe gelebt! Und „offnen Augs 
			wirst du im Licht ertrinken, wenn hinter dir die Möwe stürzt und 
			schreit.“ Auf dem Gipfel der Lebenslust dem Tod in die Arme fallen, 
			davon haben nicht nur die Dichter und Dichterinnen wie Ingeborg 
			Bachmann geträumt (Die große Fracht). 
			 
			Wo sagt man bloß solche Sachen, wie Paulus sie sagt? Die 
			erstaunliche Wahrheit lautet: Im Knast! Paulus sitzt in Ephesus ein 
			wegen Aufruhr und Landfriedensbruch und hat vielleicht die 
			Todesstrafe zu erwarten und schreibt solche Sachen. Das hat selbst 
			den großen Theologen Karl Barth in fassungsloses Erstaunen versetzt, 
			wenn er schreibt: „Paulus - was muss das für ein Mensch gewesen sein 
			und was für Menschen auch die, denen er diese Dinge in so ein paar 
			verworrenen Brocken hinwerfen konnte! ... Und dann hinter Paulus: 
			was für Realitäten müssen das sein, die den Mann so in Bewegung 
			bringen konnten! Was für ein abgeleitetes Zeug, das wir dann über 
			seine Sprüche zusammenschreiben, von deren eigentlichem Inhalt uns 
			vielleicht 99% entgeht!“ (K. Barth - E. Thurneysen, Briefwechsel, 
			Band 1, GA V, Zürich 1973, S 236) 
			 
			Und so können auch wir nur staunend diese Sprüche betrachten, die so 
			rund und lachend wie Kieselsteine sind. Ein Mann sitzt im untersten 
			Verlies und betrachtet sein Leben vom höchsten Berg herab. Hier 
			schreibt einer, dem man die Freude nicht aus dem Gesicht prügeln 
			kann! Was für Realitäten müssen das sein, die hinter diesem Paulus 
			stehen? 
			 
			„Christus“ schreibt Paulus wieder und wieder und lässt dieses Wort 
			wie eine Leuchtreklame immer wieder aufleuchten oder besser wie eine 
			Sonne immer wieder aufgehen über seinen hingeworfenen Sätzen, die 
			beschreiben, was wir alle zur Genüge kennen: Den ganz normalen 
			Wahnsinn der Welt, der auch unter unsere Kirchenbänke kriecht und in 
			unser Denken und Handeln; 
			 
			Neid und Streitsucht, Eigennutz und Schadenfreude. 
			Selbstverständlich lässt sich auch die Religion und das Geistliche 
			instrumentalisieren und als Vorwand benutzen für die eigenen Zwecke 
			der Machtausübung und Rechthaberei. Vom Geld ganz zu schweigen. Wie 
			viel Mission geschieht weltweit in eigener Sache! Wo zwei oder drei 
			mit mir versammelt sind, da ist Gott ganz nah, so lautet das Motto 
			großer und kleiner Führer, die zu allen Zeiten Menschen finden, die 
			ihren Verstand, ihre Freiheit, ihr Geld, ja sogar ihr Leben gerne am 
			Eingang abgeben und in andere Hände legen. Das ist ja auch viel 
			einfacher, als sich selbst darum zu kümmern. Freie Christenmenschen 
			werden sie so freilich nie! 
			 
			Paulus kennt das aus eigener Erfahrung, mehr als ihm lieb ist. Und 
			da kann er schneidend polemisch werden gegenüber den geistlichen 
			Fanclubs und ihren Stars in Korinth oder einem Apostel Petrus den 
			Terror seiner frommen Tugenden tief in den Hals zurückstopfen. 
			Paulus ist ein leidenschaftlicher Feind aller faulen Toleranz, die 
			den Mund hält, weil ihr im Grunde alles egal ist. Wahre Toleranz 
			braucht ein Herz voll Liebe, Gleichgültigkeit hat ein Herz aus 
			Stein.  
			 
			Von solcher Gleichgültigkeit ist der Apostel Paulus weit entfernt. 
			Und ich denke es hat ihm jedes Mal weh getan, wenn er erfahren 
			musste, wie das Evangelium missbraucht, verbogen, benutzt wurde. 
			Hoffentlich tut uns solches auch weh und hoffentlich schweigen wir 
			nicht, wenn Verwandte und Freunde in die Fänge von Sekten geraten, 
			wenn sie zu einem Glauben geführt werden, in dem die Angst regiert, 
			wenn Eltern ihren Kindern mit dem lieben Gott drohen, weil sie bei 
			der Erziehung nicht mehr weiter wissen. Hoffentlich schauen wir 
			nicht weg, wenn Religion Menschen vergiftet und versklavt statt zum 
			Glauben befreit. 
			 
			Was soll’s ? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, sagt 
			Paulus und wir staunen schon wieder, wie er das sagen kann ohne sich 
			untreu zu werden! Vielleicht lacht sein Gesicht noch dabei! Denn 
			wieder geht das Christuslicht wie die Sonne über allem auf, was 
			Paulus und uns bitter und verbittert machen könnte.  
			 
			Schaut Euch doch um! Wie viele von denen, die als Junge mit Schwung 
			für den Glauben und das Evangelium geworben haben, sind im Lauf der 
			Jahre durch die schlechten Erfahrungen mit der Kirche, mit ihren 
			Mitchristen müde, verbiestert, zynisch, kleinlich, lustlos, 
			freudlos, ja ungläubig geworden. Die Krankheit, von der sie andere 
			heilen wollten, hat sie selbst angesteckt.  
			 
			Weil sie vergessen haben, was sie hoffentlich einmal wussten: Nicht 
			wir heilen irgendwen, sondern der Christus. Nicht wir bekehren 
			Menschenherzen, sondern der Christus. Nicht wir zünden den Glauben 
			an, sondern der Christus. Wo der Christus noch im Gang oder Schwang 
			ist und sei es verbogen und entstellt, ist die Hoffnung noch lange 
			nicht verloren. Und deshalb dürfen, ja sollen wir mit Paulus von 
			diesem Christus „unverschämt“ reden. Wir haben uns als Christen 
			wegen vieler Dinge für uns selbst und für andere Mitchristen zu 
			schämen, aber nicht wegen unserem Christus und seinem Evangelium. 
			Das muss unserer Kirche und Euch bei aller notwendigen Gegenwarts- 
			und Vergangenheitsbewältigung immer wieder gesagt werden. Wer sich 
			als Christ nur mit sich selbst, mit seinen Mitchristen und der bösen 
			Welt beschäftigt geht unter. Wer sich mit dem Christus beschäftigt - 
			und sei es im Zweifel und Zorn - hat alle Hoffnung und Zukunft auf 
			seiner Seite.  
			 
			Vor diesem Hintergrund schreibt Paulus einen Spitzensatz der Bibel, 
			der als Motto für Bestattungsunternehmen heitere Karriere gemacht 
			hat. Und auch ich habe ihn als Chorschüler vielleicht hundertmal bei 
			Beerdigungen noch im Sopran gesungen und wir lächelten uns zu im 
			Gedanken an die fünf Mark, die es hinterher gab: „Christus der ist 
			mein Leben, Sterben ist mein Gewinn“ (EG 516). So standen wir bei 
			Sonnenschein und Regen an offenen Gräbern in der felsenfesten 
			Überzeugung, dass ein solches Erdloch uns in einer Million Jahre 
			nicht kriegen würde und waren dem Apostel Paulus zumindest darin 
			näher als irgendwann später in unserem Leben. So wie Paulus darf und 
			kann nur einer schreiben und singen, dessen Leben im Himmel geerdet 
			ist. 
			 
			Ein Leben, das im Himmel geerdet ist? Das ist so paradox wie das 
			Sterben, das ein Gewinn ist! Und es bleibt paradox ohne den 
			Christus, den Paulus auch über diesem Satz aufgehen lässt. Der 
			Christus allein kann sein lassen und zusammenbringen, was für 
			unseren Verstand auseinander fällt: Himmel und Erde, Leben und 
			Sterben, Gewinnen und Verlieren. Wo das Christuslicht leuchtet 
			ist(!) nichts mehr das, was es zu sein vorgab. Das Neue wird nicht 
			Attribut, sondern Substanz einer vergänglichen Welt. Unter der Asche 
			unserer alten Welt ist schon die Glut der neuen Welt Gottes. 
			 
			Da haben wir Besseres vom Leben zu wünschen als die Dichter. 
			Besseres, als auf dem Gipfel des Lebens dem Tod in die Arme zu 
			sinken. Auch aus finsteren Verliesen, aus Sterben und Tod führt 
			unser Weg dem Christus entgegengehen und mit ihm ins Leben. Und so 
			können wir in dieser Passionszeit gar nichts Besseres tun, als 
			staunend dem Christus hinterher zu gehen; über den Hügel von 
			Golgatha bis ans leere Grab. Dort können wir sein „Friede sei mit 
			euch“ hören und wie Paulus unerschütterliche Liebe zum Leben finden 
			- hier leben im Himmel geerdet. 
			
      		Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de)  | 
			
			 
			Text: 
			Paulus schreibt: 
			 
			15 Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige 
			aber auch in guter Absicht: 
			16 diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des 
			Evangeliums hier liege; 
			17 jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, 
			denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. 
			18 Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, 
			es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. 
			Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; 
			19 denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer 
			Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, 
			20 wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück 
			zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch 
			jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch 
			Leben oder durch Tod. 
			21 Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn. 
  
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