Liebe Leser, „Das Gedicht über die Zeit ist vor allem vor dem
Hintergrund dessen zu verstehen, was Kohelet (der Prediger) bisher
erlebt hat. Mit dem unmittelbar vorangehenden Text endet die so
genannte Königstravestie (1, 12–2, 26). Hier ist Kohelet in die
Rolle eines Königs geschlüpft, um einen spezifischen Lebensentwurf
durchzuspielen. …
Er erzählt von der Zeit, da er König war, von den Absichten, die er
damals verfolgte, von dem, was er erreichte, von den Krisen, die er
durchmachte, und von den Erkenntnissen, zu denen er gelangte. In
Kapitel 2 erzählt er zunächst von seinem Aufstieg als König. Der
Aufstieg beginnt grandios mit dem Bau einer königlichen Lebenswelt
(2, 4–10): „Was immer meine Augen verlangten, versagte ich ihnen
nicht. Meinem Herzen verweigerte ich keine einzige Freude, ja mein
Herz freute sich an meinem ganzen Besitz, und das war mein Anteil an
meinem ganzen Besitz.“ (2, 10) Doch auf dem Höhepunkt der Macht- und
Prachtentfaltung kündigen sich erste Zweifel, Unsicherheiten und
Misstöne an: „Dann wandte ich mich all meinen Werken, die meine
Hände geschaffen hatten, und dem Besitz, für den ich mich abgemüht
hatte, um ihn zu erwerben, zu, und siehe: Das ist alles Windhauch
und Luftgespinst. Es gibt keinen Gewinn unter der Sonne.“ (2, 11)
Mit Kap 2, Vers 12 setzt der unaufhaltsame Abstieg des Königs ein.
Auch die Weisheit, so erkennt „König Kohelet“, kann ihn letztlich
vor dem Tod nicht retten (2, 12–17): „Da hasste ich das Leben, denn
als etwas Böses lag auf mir das, was unter der Sonne geschieht. Ja,
das ist alles Windhauch und Luftgespinst.“ (2, 17) … Vor allem aber
wird Kohelet dem nicht gerecht, was er als König sucht: bleibendes
Glück (2, 3).
Kohelet wird zum Schöpfer einer Welt. … Doch am Ende zeigt sich:
Auch der König ist nur ein Mensch. Auch er ist sterblich, wie jeder
andere Mensch (2, 15). Auch seine Welt ist nichts anderes als eine
vergängliche Menschenwelt.“ (Ludger Schwienhorst-Schöneberg, in GPM,
3/2008, Heft 4, S. 451f.)
Womit wir im Herzstück des Predigerbuches und bei unserem
Predigttext wären. Seufzend fasst der vermeintliche König seine
Erkenntnisse in einem grandiosen Gedicht zusammen, das so gut passt
an das Ende eines Kirchenjahres, an dem wir am Totensonntag ja auch
an den Gräbern derer stehen, die ihre Zeiten gehabt haben. Ach, wer
wollte nicht immer blühen, immer glücklich sein? Leben wir nicht in
einer Welt, die immer wachsen, immer aufbauen, immer besseren Zeiten
entgegen gehen will? Bringen nicht auch wir täglich unsere Opfer dar
am Altar des Fortschritts? Und wie geht es uns, wenn uns die
Experten nach Börsencrash und Bankenpleite eine Zeit des Niedergangs
vorhersagen? Ist das nicht wieder eine verlorene Zeit, so wie wir in
unserem persönlichen Leben Rückschläge, Krankheiten,
Schicksalsschläge schnell als verlorene Zeit betrachten. Und erst
wieder zu leben anfangen, wenn es aufwärts geht und wir unsere
eigene Königstravestie wieder aufnehmen können. Der Prediger weiß,
wie das funktioniert und lächelt, wie jemand über Dumme lächelt.
Und greift zur Feder und setzt einen Orgelpunkt hinter alle Zeiten,
die er erlebt hat, beglückt und leidend. Ein Orgelpunkt, bei dem uns
erst einmal das gewohnte Hören und Sehen vergeht: Das hat Gott alles
schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz
gelegt. Und wir fragen atemlos: Wie bitte?
Wie bitte sollen wir denn das als schön ansehen, was nun einmal
nicht schön ist: Alles, was meistens rechts im Gedicht steht, von
ausreißen bis hassen? Sollte das um Gottes Willen nicht besser
überhaupt keine Zeit mehr haben? Ach ja, lächelt der Prediger, so
reden die vermeintlich Gläubigen, die sich für Weltverbesserer und
Retter im Namen Gottes halten und ihren angeblichen Glauben
verkaufen als Allheilmittel gegen alles, was dem Menschen gegen den
Strich geht, bis sie dort stehen, wo ich als gescheiterter König
stand. Sie wollen Gott sein, wie ich das auch wollte, und können es
nicht.
Bis ich begriffen habe, dass ich nicht Herr meiner Zeit bin. Bis ich
begriffen habe, dass Gott Herr meiner Zeit ist. Der Tag, an dem ich
das begriff, war der Tag meiner Befreiung. Denn auch dieses begriff
ich, dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut,
weder Anfang noch Ende.
So sollte der Mensch nicht über Anfang und Ende nachgrübeln, sondern
sein Herz Gott zuwenden, denn in ihm ist alles und alle Zeit. Darum
gilt: Wer Gott im Herzen hat, hat alle Zeit als Gottes Zeit. Die
nennt man übrigens Ewigkeit. Und befindet sich damit in allen Zeiten
in Gottes Hand.
Die Geschichte des Königs, unsere Geschichte, kommt nicht als für
sich betrachtet in den Blick, sondern als Gottes Geschichte. Der
Prediger weiß sich in diese Geschichte eingeräumt, so wie wir nach
Paulus durch die Taufe in die Geschichte unseres Herrn Jesus
Christus eingeräumt wurden (vgl. Römer 6). Der Mystiker Meister
Eckhart spricht gar von der Geburt Gottes im Menschen und meint
damit nichts anderes. Wir sind durch Gottes Zuwendung zu uns
Gotteskinder und Teil seiner Familiengeschichte.
Ja wir staunen nicht schlecht, wenn Eckhart in seiner Predigt 49
schreibt: „Was den Menschen vorzüglich zum Gotteskind (Sohn) macht,
das ist Gleichmut. Ist er krank, dass er ebenso gern krank wie
gesund, gesund wie krank sei. Stirbt ihm sein Freund - in Gottes
Namen! Wird ihm ein Auge ausgeschlagen - in Gottes Namen! … 0, wie
edel ist jene Kraft, die da über die Zeit erhaben steht und ohne
Stätte ist! Denn damit, dass sie über die Zeit erhaben steht, hält
sie alle Zeit in sich beschlossen und ist sie alle Zeit. … Sehet! so
liebkost Gott uns, so fleht er zu uns, und Gott kann es nicht
erwarten, bis die Seele sich von der Kreatur abwendet und abschält.
Und es ist eine sichere Wahrheit und ist eine notwendige Wahrheit,
dass es Gott so not tut, uns zu suchen, recht als ob seine ganze
Gottheit daran hinge, wie sie's denn auch tut. Und Gott kann uns
ebenso wenig entbehren wie wir ihn; denn, selbst wenn es so wäre,
dass wir uns von Gott abkehren könnten, so könnte sich doch Gott
niemals von uns abwenden.“ (Quint, S. 386)
Meister Eckhart selbst nennt diese Sätze scharfe Muskatnüsse und
empfiehlt seinen Predigthörern hinterher einen kräftigen Schluck zu
nehmen. Kohelet, der Prediger tut das auch. Denn schließlich gilt:
ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem
Mühen, (auch) das ist eine Gabe Gottes.
Jede Zeit eine Gotteszeit: Das könnte das Ende unserer
angstgesteuerten Aktionen sein, mit denen wir versuchen unserer
Zeiten Herr zu werden. Der Biologe, Anthropologe und Psychologe
Gregory Bateson wurde einmal zu einem Gebetsfrühstück in den
amerikanischen Kongress geladen und sagte dort Folgendes:
„Hiob, Sie werden sich erinnern, gleicht ein bisschen Little Jack
Horner. Er steckt seinen Finger in den Kuchen und gibt den Armen und
sagt: Was bin ich doch für ein guter Junge. Er hat einen Gott, der
genauso ist wie er und sich deshalb Satan gegenüber mit Hiobs
Rechtschaffenheit brüstet. Satan … macht sich daran zu beweisen,
dass Hiobs Frömmigkeit in Wirklichkeit nicht viel wert ist.
Schließlich, nach unendlichen Leiden, spricht ein Gott, der viel
weniger fromm und pedantisch ist, aus dem Wettersturm und hält Hiob
drei Kapitel lang die außerordentlichste Predigt, die jemals
geschrieben wurde, und in der er ihm vorhält, dass er von Geschichte
keine Ahnung hat.
„Weißt du die Zeit, wann die Gämsen gebären, oder hast du
aufgemerkt, wann die Hirschkühe kreißen? Zählst du die Monde, die
sie erfüllen müssen, oder weißt du die Zeit, wann sie gebären? Sie
kauern sich nieder, werfen ihre Jungen und werden los ihre Wehen.
Ihre Jungen werden stark und groß im Freien ...“ (Hiob 39, 1-4)
Das also war es, was ich den versammelten Politikern und
Würdenträgern bei dem Gebetsfrühstück erzählte. Ich schloss mit der
Bemerkung, dass mir sehr viel wohler wäre bei dem Gedanken an die
Welt, in der ich lebe, und daran, wie meine Zivilisation die Welt
behandelt - die ganze Umweltverschmutzung und Ausbeutung, die sie
betreibt, und alles übrige - wenn ich wirklich das sichere Gefühl
hätte, dass meine Gouverneure und Volksvertreter wüssten, wie viele
Monde die Hirschkühe erfüllen müssen und wie sie ihre Jungen
werfen.“ (Gregoy Bateson, „Wo Engel zögern“, Suhrkamp, 1993, S.
109f.)
Ach ja, ich wette, wir hätten dann nicht weniger, sondern mehr vom
Pflanzen, Heilen, Lachen, Herzen und Lieben!
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de )
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Text:
1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles
Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
2 geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen
hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine
Zeit, bauen hat seine Zeit;
4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine
Zeit, tanzen hat seine Zeit;
5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat
seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat
seine Zeit, reden hat seine Zeit;
8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine
Zeit, Friede hat seine Zeit.
9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.
10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie
sich damit plagen.
11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die
Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen
kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich
sein und sich gütlich tun in seinem Leben.
13 Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all
seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.
14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man
kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich
vor ihm fürchten soll.
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