Predigt    Psalm 104 i.A.     Erntedankfest     01.10.2017

"Korbiniansapfel"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

heute feiern wir mit fröhlichen Liedern! Unser geschmückter Altarraum erinnert uns daran, was alles wir „Mutter Erde“ zu verdanken haben, wie großzügig, ja verschwenderisch sie uns beschenkt - alles dem Menschen zum Nutzen und zum Genuss! Wir singen unserem Vater im Himmel Danklieder, dem Schöpfer des Himmels und dieser wunderschönen Erde, dass er seinen Segen auch dieses Jahr so reichlich ausgegossen und so zart und kunstvoll eingewickelt hat über unsere Felder und Auen. Und wir bitten Gottes Geist, dass er uns Ehrfurcht lehre im Umgang mit Gottes Schöpfung - nährt und trägt „Mutter Erde“ doch uns Menschen mitsamt allen anderen Lebewesen und will dies in Gottes Auftrag auch gerne weiterhin tun - obgleich sie in unseren Zeiten so viel Zerstörung durch den Menschen schon hat ertragen müssen.

Ich möchte heute an einen Menschen erinnern, den der Geist Gottes in ein Leben führte, das geprägt war von einem unerschütterlichen Gottvertrauen, von staunenswerter Liebe zu Gottes Schöpfung und von der Gewissheit einer Hoffnung, die über alles Sichtbare hinausreicht. Sein Gottvertrauen drückt sich schon während der Schulzeit darin aus, dass er später einmal Pfarrer werden will - was er dann auch wurde. Seine Liebe zu Gottes Schöpfung drückt sich ebenso früh in seiner Liebe zu Äpfeln aus - war er doch der Sohn eines Bauern aus Hohenpolding (zwischen Landshut Freising gelegen). Die Rede ist von Korbinian Aigner, 1885 geboren als ältester Sohn eines Großbauern. Die Pomologie, also die Apfelkunde, interessiert ihn ganz besonders. Im Alter von 23 Jahren gründet er sogar einen Obstbauverein und wird dessen Vorsitzender.

Aber Korbian Aigner züchtet, pflanzt und pflegt nicht nur Apfelbäume. Er zeichnet auch die verschiedenen Apfelsorten. Ihre Unterschiedlichkeit fasziniert ihn. Mit einem genauen Blick und viel Liebe zum Detail geht er ans Werk. Mit einem einfachen Tuschkasten, wie man ihn in der Schule benutzte, hält er jeweils zwei Äpfel einer Sorte im Postkartenformat fest. Auf diese Weise bestimmt und katalogisiert er fast alle Apfel-Sorten seiner Zeit. Den Obstbau bezeichnete er selbst einmal als die „Poesie der Landwirtschaft". Und so kam es, dass er alle für ihn erreichbaren Apfelsorten sammelte und akribisch genau auf Papier festhielt. Zwischen 1911 (oder 1904) und 1966 entstanden mehrere hundert Bilder verschiedener Äpfel: rote, gelbe, grüne, gestreifte, glatte, große, kleine, runde, gefleckte. Aber auch rund 270 Birnenbilder.

402 Apfel-Zeichnungen waren 2012 auf der Documenta in Kassel ausgestellt - als sogenannte „Konzeptkunst“. Auf der Karte, die sie bekommen haben, sind einige davon zu sehen. Was er allerdings selbst zu diesem „Ritterschlag in der Kunstwelt“ gesagt hätte, mag dahingestellt bleiben. Für uns allemal interessanter ist, dass Korbinian Aigner 1911 im Alter von 26 Jahren zum Priester geweiht wird. In seiner Zeit als Hilfsgeistlicher - heute sagen wir dazu Kaplan oder Vikar - sehen Aigners Vorgesetzte die beiden Leidenschaften des jungen Pfarrers durchaus kritisch. Schon früh hat er den Spitznamen „Apfelpfarrer“ weg. Und seine Dienstherren fürchten, seine große Apfelbegeisterung lasse ihm nicht genug Zeit und Kraft für sein Pfarrer-Dasein. „Er ist mehr Pomologe als Theologe", so häufen sich die Beschwerden.

Für Korbinian Aigner selbst steht jedoch beides miteinander im Einklang. Aus seiner Sicht passt und gehört beides zusammen. Er sieht es genauso als Dienst an der Schöpfung an, Alleen und Plantagen anzulegen, wie einen Gottesdienst zu halten. Den Bauern in den umliegenden Dörfern steht er ebenso in seelsorglichen Angelegenheiten zur Seite, wie in Fragen des Obstanbaus. Von den kritischen Vorbehalten seiner Vorgesetzten lässt er sich deshalb nicht aus der Ruhe bringen und pflegt weiter seine Obstbäume und seine Gottesdienste.

Daraus zieht er seine Kraft. Korbinian Aigner war ein Mensch, der in sich selbst ruhte. Das verlieh ihm eine innere Stärke, die er bald schon dringend brauchen würde. Er verfolgte auch die Tagespolitik. Es wird erzählt, er habe auf einer Veranstaltung der NSDAP 1923 eine Rede von Adolf Hitler gehört und sich distanziert.1933 weigert er sich, aus Anlass der Reichstagswahlen die Glocken seiner Kirche zu läuten. Begründung: „Ich als katholischer Pfarrer mache das, was meine Pflicht ist, nämlich nicht Glocken läuten in diesem Fall. Glocken läuten ist ein sakraler Akt und kein weltlicher Akt", so beharrt er. Auch gestattet er es nicht, dass nationalsozialistische Fahnen in die Kirche gebracht werden.

Zunächst bringt ihm seine kritische Haltung eine Strafversetzung ein. Doch der Konflikt mit dem Nationalsozialismus eskaliert, als das Attentat von Georg Elser auf Hitler 1939 scheitert. „Ich weiß nicht, ob es Sünde ist, was der Attentäter im Sinne hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden", sagt Aigner im Religionsunterricht. Diese Äußerung nimmt jemand zum Anlass, ihn zu denunzieren. Aigner wird verhaftet und später als Häftling 32.779 ins Konzentrationslager Sachsenhausen und dann nach Dachau gebracht.

Eine Zeit voller Grausamkeit und Schrecken! Im Konzentrationslager Dachau arbeitet Aigner auf der Kräuterplantage. Hier beginnt er heimlich, aus Kernen Apfelbäume zu ziehen. Er pflanzt die Setzlinge zwischen die Baracken des Lagers. Dabei vertraut er auf Gott, der sogar dorthin, wo auf den ersten Blick allein die Grausamkeit der Menschen herrscht, „Tau und Regen, Sonn- und Mondenschein" sendet und verborgen mit seinem Segen wirkt. Welch eine Genugtuung und Freude muss es für ihn gewesen sein, dass sogar an diesem Ort des Schreckens seine Apfelbäumchen wuchsen: „Ja, Herr, deine Güte reicht soweit der Himmel ist und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen" (Ps 36,6; vgl. auch Ps 57,11). Ob er jemals wieder die Welt außerhalb des Konzentrationslagers zu Gesicht bekommen würde, weiß Aigner nicht. Aber er lässt Setzlinge von vier von ihm neu gezüchteten Apfelsorten hinaus aus dem Lager schmuggeln. Die neuen Sorten nennt er KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4.

Nein, die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus und die Grausamkeiten des Konzentrationslagers bekamen ihn in seinem Innersten nicht in den Griff. Die Macht des Bösen konnte seinen Glauben nicht zerstören. Der Gedanke, dass die von ihm gezüchteten Sorten draußen wachsen, blühen und Früchte bringen und viele Jahrzehnte lang Menschen erfreuen würden, gab dem Gefangenen Kraft und Hoffnung über den Augenblick hinaus. Den Auftrag Gottes für sich selbst sah Korbinian Aigner darin, Gutes in die Welt zu bringen und in Gottes Schöpfung mitzuarbeiten und in seinem Sinne, also lebensförderlich mitzugestalten.

Wenige Tage vor Kriegsende gelingt Aigner die Flucht, als die Häftlinge zu einem Marsch Richtung Südtirol gezwungen werden. Nach Kriegsende ist er wieder als Pfarrer tätig. Er wird 1945 Landesvorsitzender des Bayerischen Landesverbandes für Obst- und Gartenbau. Und führt sein Werk der Katalogisierung von Äpfeln weiter. 1966 erkrankt er an einer Lungenentzündung und stirbt im Alter von 81 Jahren.

Seine Bilder werden bis heute zur Bestimmung von Apfelsorten herangezogen. In der Kunstwelt gilt er als sprechendes Beispiel dafür, dass ein Mensch, der begeistert ist, Unglaubliches hervorbringen kann. Die sorgfältig und liebevoll ausgeführten Bilder von Äpfeln, deren Aroma man beim Betrachten zu riechen meint, können dem Betrachter aber auch zum Gleichnis werden für die Vielfalt und die Schönheit von Gottes Schöpfung.

Sein Apfel KZ-3 wird bis heute gezüchtet und erhielt 1985 zum 100. Geburtstag Aigners offiziell den Namen „Korbiniansapfel". Auf seinen Bildern trägt er die Nummer 600 (s. Karte). Vielleicht liegt der ein oder andere Apfel dieser Sorte ja auch an diesem Erntedanktag vor einem Altar und preist Gott für seine Güte. Gottes Güte, die so groß ist, und so weit reicht, dass ihre Spuren bisweilen selbst dort zu finden sind, wo das Verhalten der Menschen sich zu Grausamkeit pervertiert hat.

Korbinian Aigner jedenfalls hat sich auch in Situationen, in denen manch anderer verzweifelt wäre, den Blick für und den Glauben an diese Güte bewahrt und sich kompromisslos in ihren Dienst gestellt. Grund genug, sich an ihn zu erinnern! Grund genug auch, den eigenen Blick für die Güte Gottes zu schärfen, die sich ihren Weg zu uns Menschen sucht - allen Hindernissen dieser Welt zum Trotz! Und Grund genug, Gott an diesem Tag für seine Güte zu loben und zu danken: „Ja, Herr, deine Güte reicht soweit der Himmel ist und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen.“

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

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Die Kanzel der Hospitalkirche Hof

 

Korbiniansapfel (Quelle: Wikipedia: Von Sven Teschke - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de )

Aus Psalm 104:

10 Du lässest Wasser in den Tälern quellen, dass sie zwischen den Bergen dahinfließen,
11 dass alle Tiere des Feldes trinken und das Wild seinen Durst lösche.
12 Darüber sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen.
13 Du feuchtest die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte, die du schaffest.
14 Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst,
15 dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke.
27 Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.
28 Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt.
29 Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.
30 Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde.

 


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