Liebe Leser,
heute feiern wir mit fröhlichen Liedern! Unser geschmückter
Altarraum erinnert uns daran, was alles wir „Mutter Erde“ zu
verdanken haben, wie großzügig, ja verschwenderisch sie uns
beschenkt - alles dem Menschen zum Nutzen und zum Genuss! Wir singen
unserem Vater im Himmel Danklieder, dem Schöpfer des Himmels und
dieser wunderschönen Erde, dass er seinen Segen auch dieses Jahr so
reichlich ausgegossen und so zart und kunstvoll eingewickelt hat
über unsere Felder und Auen. Und wir bitten Gottes Geist, dass er
uns Ehrfurcht lehre im Umgang mit Gottes Schöpfung - nährt und trägt
„Mutter Erde“ doch uns Menschen mitsamt allen anderen Lebewesen und
will dies in Gottes Auftrag auch gerne weiterhin tun - obgleich sie
in unseren Zeiten so viel Zerstörung durch den Menschen schon hat
ertragen müssen.
Ich möchte heute an einen Menschen erinnern, den der Geist Gottes in
ein Leben führte, das geprägt war von einem unerschütterlichen
Gottvertrauen, von staunenswerter Liebe zu Gottes Schöpfung und von
der Gewissheit einer Hoffnung, die über alles Sichtbare
hinausreicht. Sein Gottvertrauen drückt sich schon während der
Schulzeit darin aus, dass er später einmal Pfarrer werden will - was
er dann auch wurde. Seine Liebe zu Gottes Schöpfung drückt sich
ebenso früh in seiner Liebe zu Äpfeln aus - war er doch der Sohn
eines Bauern aus Hohenpolding (zwischen Landshut Freising gelegen).
Die Rede ist von
Korbinian Aigner, 1885 geboren als
ältester Sohn eines Großbauern. Die Pomologie, also die Apfelkunde,
interessiert ihn ganz besonders. Im Alter von 23 Jahren gründet er
sogar einen Obstbauverein und wird dessen Vorsitzender.
Aber Korbian Aigner züchtet, pflanzt und pflegt nicht nur
Apfelbäume. Er zeichnet auch die verschiedenen Apfelsorten. Ihre
Unterschiedlichkeit fasziniert ihn. Mit einem genauen Blick und viel
Liebe zum Detail geht er ans Werk. Mit einem einfachen Tuschkasten,
wie man ihn in der Schule benutzte, hält er jeweils zwei Äpfel einer
Sorte im Postkartenformat fest. Auf diese Weise bestimmt und
katalogisiert er fast alle Apfel-Sorten seiner Zeit. Den Obstbau
bezeichnete er selbst einmal als die „Poesie der Landwirtschaft".
Und so kam es, dass er alle für ihn erreichbaren Apfelsorten
sammelte und akribisch genau auf Papier festhielt. Zwischen 1911
(oder 1904) und 1966 entstanden mehrere hundert Bilder verschiedener
Äpfel: rote, gelbe, grüne, gestreifte, glatte, große, kleine, runde,
gefleckte. Aber auch rund 270 Birnenbilder.
402 Apfel-Zeichnungen waren 2012 auf der Documenta in Kassel
ausgestellt - als sogenannte „Konzeptkunst“. Auf der Karte, die sie
bekommen haben, sind einige davon zu sehen. Was er allerdings selbst
zu diesem „Ritterschlag in der Kunstwelt“ gesagt hätte, mag
dahingestellt bleiben. Für uns allemal interessanter ist, dass
Korbinian Aigner 1911 im Alter von 26 Jahren zum Priester geweiht
wird. In seiner Zeit als Hilfsgeistlicher - heute sagen wir dazu
Kaplan oder Vikar - sehen Aigners Vorgesetzte die beiden
Leidenschaften des jungen Pfarrers durchaus kritisch. Schon früh hat
er den Spitznamen „Apfelpfarrer“ weg. Und seine Dienstherren
fürchten, seine große Apfelbegeisterung lasse ihm nicht genug Zeit
und Kraft für sein Pfarrer-Dasein. „Er ist mehr Pomologe als
Theologe", so häufen sich die Beschwerden.
Für Korbinian Aigner selbst steht jedoch beides miteinander im
Einklang. Aus seiner Sicht passt und gehört beides zusammen. Er
sieht es genauso als Dienst an der Schöpfung an, Alleen und
Plantagen anzulegen, wie einen Gottesdienst zu halten. Den Bauern in
den umliegenden Dörfern steht er ebenso in seelsorglichen
Angelegenheiten zur Seite, wie in Fragen des Obstanbaus. Von den
kritischen Vorbehalten seiner Vorgesetzten lässt er sich deshalb
nicht aus der Ruhe bringen und pflegt weiter seine Obstbäume und
seine Gottesdienste.
Daraus zieht er seine Kraft. Korbinian Aigner war ein Mensch, der in
sich selbst ruhte. Das verlieh ihm eine innere Stärke, die er bald
schon dringend brauchen würde. Er verfolgte auch die Tagespolitik.
Es wird erzählt, er habe auf einer Veranstaltung der NSDAP 1923 eine
Rede von Adolf Hitler gehört und sich distanziert.1933 weigert er
sich, aus Anlass der Reichstagswahlen die Glocken seiner Kirche zu
läuten. Begründung: „Ich als katholischer Pfarrer mache das, was
meine Pflicht ist, nämlich nicht Glocken läuten in diesem Fall.
Glocken läuten ist ein sakraler Akt und kein weltlicher Akt", so
beharrt er. Auch gestattet er es nicht, dass nationalsozialistische
Fahnen in die Kirche gebracht werden.
Zunächst bringt ihm seine kritische Haltung eine Strafversetzung
ein. Doch der Konflikt mit dem Nationalsozialismus eskaliert, als
das Attentat von Georg Elser auf Hitler 1939 scheitert. „Ich weiß
nicht, ob es Sünde ist, was der Attentäter im Sinne hatte. Dann wäre
halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden", sagt Aigner
im Religionsunterricht. Diese Äußerung nimmt jemand zum Anlass, ihn
zu denunzieren. Aigner wird verhaftet und später als Häftling 32.779
ins Konzentrationslager Sachsenhausen und dann nach Dachau gebracht.
Eine Zeit voller Grausamkeit und Schrecken! Im Konzentrationslager
Dachau arbeitet Aigner auf der Kräuterplantage. Hier beginnt er
heimlich, aus Kernen Apfelbäume zu ziehen. Er pflanzt die Setzlinge
zwischen die Baracken des Lagers. Dabei vertraut er auf Gott, der
sogar dorthin, wo auf den ersten Blick allein die Grausamkeit der
Menschen herrscht, „Tau und Regen, Sonn- und Mondenschein" sendet
und verborgen mit seinem Segen wirkt. Welch eine Genugtuung und
Freude muss es für ihn gewesen sein, dass sogar an diesem Ort des
Schreckens seine Apfelbäumchen wuchsen: „Ja, Herr, deine Güte reicht
soweit der Himmel ist und deine Wahrheit, soweit die Wolken gehen" (Ps
36,6; vgl. auch Ps 57,11). Ob er jemals wieder die Welt außerhalb
des Konzentrationslagers zu Gesicht bekommen würde, weiß Aigner
nicht. Aber er lässt Setzlinge von vier von ihm neu gezüchteten
Apfelsorten hinaus aus dem Lager schmuggeln. Die neuen Sorten nennt
er KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4.
Nein, die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus und die
Grausamkeiten des Konzentrationslagers bekamen ihn in seinem
Innersten nicht in den Griff. Die Macht des Bösen konnte seinen
Glauben nicht zerstören. Der Gedanke, dass die von ihm gezüchteten
Sorten draußen wachsen, blühen und Früchte bringen und viele
Jahrzehnte lang Menschen erfreuen würden, gab dem Gefangenen Kraft
und Hoffnung über den Augenblick hinaus. Den Auftrag Gottes für sich
selbst sah Korbinian Aigner darin, Gutes in die Welt zu bringen und
in Gottes Schöpfung mitzuarbeiten und in seinem Sinne, also
lebensförderlich mitzugestalten.
Wenige Tage vor Kriegsende gelingt Aigner die Flucht, als die
Häftlinge zu einem Marsch Richtung Südtirol gezwungen werden. Nach
Kriegsende ist er wieder als Pfarrer tätig. Er wird 1945
Landesvorsitzender des Bayerischen Landesverbandes für Obst- und
Gartenbau. Und führt sein Werk der Katalogisierung von Äpfeln
weiter. 1966 erkrankt er an einer Lungenentzündung und stirbt im
Alter von 81 Jahren.
Seine Bilder werden bis heute zur Bestimmung von Apfelsorten
herangezogen. In der Kunstwelt gilt er als sprechendes Beispiel
dafür, dass ein Mensch, der begeistert ist, Unglaubliches
hervorbringen kann. Die sorgfältig und liebevoll ausgeführten Bilder
von Äpfeln, deren Aroma man beim Betrachten zu riechen meint, können
dem Betrachter aber auch zum Gleichnis werden für die Vielfalt und
die Schönheit von Gottes Schöpfung.
Sein Apfel KZ-3 wird bis heute gezüchtet und erhielt 1985 zum 100.
Geburtstag Aigners offiziell den Namen „Korbiniansapfel". Auf seinen
Bildern trägt er die Nummer 600 (s. Karte). Vielleicht liegt der ein
oder andere Apfel dieser Sorte ja auch an diesem Erntedanktag vor
einem Altar und preist Gott für seine Güte. Gottes Güte, die so groß
ist, und so weit reicht, dass ihre Spuren bisweilen selbst dort zu
finden sind, wo das Verhalten der Menschen sich zu Grausamkeit
pervertiert hat.
Korbinian Aigner jedenfalls hat sich auch in Situationen, in denen
manch anderer verzweifelt wäre, den Blick für und den Glauben an
diese Güte bewahrt und sich kompromisslos in ihren Dienst gestellt.
Grund genug, sich an ihn zu erinnern! Grund genug auch, den eigenen
Blick für die Güte Gottes zu schärfen, die sich ihren Weg zu uns
Menschen sucht - allen Hindernissen dieser Welt zum Trotz! Und Grund
genug, Gott an diesem Tag für seine Güte zu loben und zu danken:
„Ja, Herr, deine Güte reicht soweit der Himmel ist und deine
Wahrheit, soweit die Wolken gehen.“
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
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Korbiniansapfel (Quelle:
Wikipedia: Von Sven Teschke - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de )
Aus Psalm 104:
10 Du lässest Wasser in den Tälern quellen,
dass sie zwischen den Bergen dahinfließen,
11 dass alle Tiere des Feldes trinken
und das Wild seinen Durst lösche.
12 Darüber sitzen die Vögel des Himmels
und singen unter den Zweigen.
13 Du feuchtest die Berge von oben her,
du machst das Land voll Früchte, die du schaffest.
14 Du lässest Gras wachsen für das Vieh
und Saat zu Nutz den Menschen,
dass du Brot aus der Erde hervorbringst,
15 dass der Wein erfreue des Menschen Herz
und sein Antlitz schön werde vom Öl
und das Brot des Menschen Herz stärke.
27 Es warten alle auf dich,
dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.
28 Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie;
wenn du deine Hand auftust,
so werden sie mit Gutem gesättigt.
29 Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie;
nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.
30 Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen,
und du machst neu die Gestalt der Erde.
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