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      Liebe Leser,  
		der leitende Bischof der Vereinigten 
		Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, VELKD, Hans Christian 
		Knuth, schrieb in der Oktoberausgabe der Zeitschrift „Zeitzeichen“ 
		(Nr.10/2004, S.25):  
		 
		„Ich gestehe, dass ich all die Strukturreformen und -reförmchen 
		allmählich lästig finde. Landauf, landab wird verändert, umorganisiert, 
		neu strukturiert und, wie man dann auch meint, „reformiert”. Dabei 
		beruft man sich gerne auf Martin Luther, von dem angeblich der Ausspruch 
		stammt: „Ecclesia semper reformanda est” - die Kirche muss ständig 
		reformiert werden. Tatsächlich stammt das Wort aber aus der reformierten 
		hugenottischen Tradition, ein Jahrhundert nach der Reformation: „Ecclesia 
		reformata semper reformanda.” Luther war kein Bilderstürmer und kein 
		Revolutionär. Und wenn er von Reformation sprach, dann nicht von 
		Strukturveränderungen, sondern von entschiedener Kehrtwendung zu Jesus 
		Christus, und zwar dem Gekreuzigten, also von innerer Erneuerung aus dem 
		Glauben. So begann die Reformation mit der ersten der 95 Thesen, nach 
		der das ganze Leben des Christen eine Buße sein sollte, eine 
		entschlossene Kehre zum Herrn der Kirche, nicht aber zu den Idealen der 
		Organisationsberater und Sparkommissare.“ 
		 
		Wo der Bischof recht hat, hat er recht. Wir müssen es mehr als lästig 
		finden, dass auch in unserer Landeskirche inzwischen alle Macht vom 
		Finanzreferenten und der Personalreferentin ausgeht, die mit ihren 
		Sparmaßnahmen und Stellenplänen nicht nur die Kirchenpresse fest im 
		Griff haben. Theoretisch, so ihr Credo, gibt es genug finanzielle Mittel 
		und genug Predigt des Evangeliums. Praktisch erleben wir bei uns, wie um die Hälfte 
		gekürzte und sogar ganze Pfarrstellen sich als nicht besetzbar erweisen. 
		Die, die dableiben, müssen vertreten. Wirkt es da nicht wie Hohn, wenn 
		die selben Bischöfe dann mehr Mission von ihrer Kirche fordern und bei den 
		Kirchenmitgliedern und den Nichtkirchenmitgliedern Erwartungen wecken, 
		die immer weniger und immer mehr belastete Mitarbeiter und 
		Mitarbeiterinnen erfüllen sollen?  
		 
		Gott schindet seine Leute nicht! Auch so könnte man die Entdeckung der 
		Reformation formulieren. Der junge Luther war ein Mönch, der sich mit 
		Leib und Seele geschunden hat, um dem großen Anspruch, den er von Gottes 
		Seite auf sein Leben empfunden hat, gerecht zu werden. Wer den Himmel 
		erlangen will, ist zum Erfolg eines gottgerechten Lebens verdammt. Aber 
		auch hier gilt, was wir modern so formulieren können: Wer sich zum 
		Erfolg verdammt, wird blind und taub für das Evangelium.  
		 
		Ist das die neue babylonische Gefangenschaft der Kirche? Zum Erfolg 
		verdammt? Geht die Kirche in die Knie vor dem globalisierten Gesetz der 
		Menschenschinder, die ihr Geld dort ausgeben, wo Menschen für immer 
		weniger Anteil am Leben für sie arbeiten? Wer dem großen Anspruch des 
		Geldes auf sein Leben nicht gerecht wird, dem kann sein Teil an der 
		Sonne, an der Luft und den Gütern dieser Erde nicht gewährt werden. Hier 
		taucht quasi weltlich gewendet auf, was Luther in seinem Verhältnis zu 
		Gott empfunden hat. Gleich gräulich und gleich finster: Wer sich und 
		andere zum Erfolg verdammt, wird blind und taub für das Evangelium.  
		 
		Auf allem ein Preisschild: Auf der Tür zum Himmelreich, wie auf der Tür 
		des Kreissaales, durch die wir in diese Welt geschoben wurden, um zu 
		lernen, was auf diesem Schild geschrieben steht. Keinem wird was geschenkt und von 
		nichts kommt nichts. Umsonst ist der Tod. So einfach ist die ganze 
		Wahrheit – die eine ganze Lüge ist.  
		 
		Luther muss es wie Schuppen von den Augen gefallen sein, als er diese 
		Verse aus dem Römerbrief wieder und wieder las. Sagen sie doch das 
		genaue Gegenteil von dem, was Luther bisher für die
		Wahrheit hielt: Umsonst ist nicht der Tod, 
		sondern das Leben. An der Kreissaaltür in die Welt steht: Eintritt frei – und auf 
		das Preisschild am Tor zum Himmelreich ist ein neues geschraubt. Darauf 
		steht: Bezahlt! Das Mönchlein, das sich selbst gen Himmel geschunden hat 
		– und wer sich selbst schindet, schindet auch andere – muss nun erleben, 
		wie eine Tür nach der anderen aufgeht, noch bevor er die Hand nach ihr 
		ausstrecken kann. Denn den Christus hat Gott für den Glauben hingestellt 
		… um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst 
		gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. 
		 
		Der Tellerwäscher hat den ersten Teller gerade ins Wasser getaucht, da 
		ist er auch schon Millionär geworden. Nein, Gott schindet seine Leute 
		wirklich nicht. Paulus bringt es auf den Punkt: Alle haben gesündigt und 
		die Herrlichkeit verloren, die Gott ihnen zugedacht hatte. Da kommt alle 
		Schinderei zu spät. Und zweitens will Gott auf keinen Fall, dass wir uns 
		selbst und andere zu irgendwas verdammen und schon gar nicht zum Erfolg. 
		Denn dann bleiben wir blind für alles, was Gott uns schenken 
		will.  
		 
		Es ist mit dieser Gerechtigkeit Gottes, wie Paulus sie uns schildert, 
		eine durchaus gewöhnungsbedürftige Sache. Nicht nur, weil wir uns nicht 
		gerne was schenken lassen und lieber auf Sachen stolz sind, die wir 
		selbst gemacht oder zumindest selbst gekauft haben. Gemeinhin verstehen 
		wir Gottes Gerechtigkeit, als die Gerechtigkeit, mit der Gott gerecht 
		ist, und den Ungerechten, den die Bibel Sünder nennt, für seine Untaten 
		bestraft. Gott könnte also höchstens einmal eine Ausnahme machen und 
		Gnade vor Recht ergehen lassen.  
		 
		Die Gerechtigkeit Gottes, von der Paulus spricht, ist aber die 
		Gerechtigkeit, mit der Gott gerecht ist und den Ungerechten, den die 
		Bibel Sünder nennt, gerecht macht. Der allmächtige Gott 
		will mit seiner 
		Gnade im Recht sein. Gnade ist nicht Ausnahme, sondern Funktion seiner 
		Gerechtigkeit. Das ist nicht billig. Es kommt Gott teuer zu stehen. Im 
		bleibt das schmutzige Geschirr all der Tellerwäscher, die auf so 
		wundersame Weise ohne des Gesetzes Werke zum Millionär wurden. Luther 
		hat das einen fröhlichen Wechsel genannt. Mir darf all das Gute, der 
		ganze Reichtum, die ganze Gerechtigkeit, die ganze Herrlichkeit Gottes 
		nachgesagt werden und Gott all das Schlechte, der ganze Mangel, die 
		ganze Ungerechtigkeit, die ganze Armseligkeit meiner Menschlichkeit. 
		Schaut euch den Christus am Kreuz an. Aber so will es seine Liebe. Das 
		Himmelreich gibt es ganz geschenkt – oder gar nicht. Wo bleibt nun das 
		Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz 
		der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Gott sei Dank! 
		 
		Merken wir uns: Hier wird nicht nur vom persönlichen Verhältnis zu Gott 
		gesprochen. Hier wird ein „Naturgesetz“ durch ein anderes abgelöst. 
		Evangelium heißt: Gott hat seine Welt erlöst, indem er durch Christus 
		seine Gnade ins Recht gesetzt hat und von diesem Recht muss unsere alte 
		Welt schon heute singen und sagen, weil es im Himmelreich kein anderes 
		Recht mehr geben wird.  
		 
		Die Reformation hat die Christenheit zur Buße gerufen, zur Kehre zum 
		Herrn der Kirche und seinem Evangelium. Diese Kehre kann – wie zu 
		Luthers Zeiten - nicht geschehen ohne Konflikt mit alten weltlichen und 
		religiösen Vorstellungen von Gerechtigkeit.  
		 
		Nicht ohne Konflikt mit der „Reichsreligion des totalen Marktes“, die 
		die Welt mit ihren Preisschildern beklebt und der Mehrheit der 
		Menschheit einen gerechten Anteil an den Gütern des Lebens vorenthält. 
		Dass Gott mit seiner Gnade im Recht ist und jedem zuteilt, was er zum 
		Leben braucht, stellt im Zeitalter der 
		Globalisierung die Frage nach der weltweiten 
		Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit wird nicht zu verwirklichen sein 
		auf dem Weg der überlegenen Mächte, die ihre Interessen und ihre 
		Sicherheit im Alleingang schützen und durchsetzen, sondern nur durch 
		eine globale Werte-Partnerschaft der Völker: Freiheit und Gerechtigkeit 
		gehören zusammen.  
		 
		Evangelischer Glaube wird in Konflikt geraten mit einem christlichen 
		Fundamentalismus, der die Hoffnung für die Welt fahren lässt und sich in 
		private Heils- und Endzeitwelten zurückzieht. „Der Theologe Geiko 
		Müller-Fahrenholz lebte viele Jahre in den USA, er hält solche Haltungen 
		für bedrohlich: In einer Welt mit Kernwaffen sei das von den 
		Fundamentalisten vorgestellte Armageddon eine reale Möglichkeit. Mich 
		als Christen, sagt Müller-Fahrenholz, beunruhigt zutiefst, mit welchem 
		Zynismus der Tod der Schöpfung akzeptiert wird, als wäre alles Leben vom 
		Bösen vergiftet und müsste im weltvernichtenden Feuer gereinigt werden. 
		Das ist in frommen Triumphalismus gekleideter Nihilimus!“ (Susanne 
		Neiman,„Rechts und fromm“, Die Zeit Nr. 42, 2004) 
		 
		Gott ist kein Nihilist. Er schindet seine Leute nicht. 
		Gott hat nicht Lust 
		am Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. Was will man 
		machen gegen all die hirnverbrannten und verbohrten? Was will man machen 
		gegen Präsidenten, die nach Rücksprache mit einem „höheren Vater“ in den 
		Krieg ziehen? Was will man machen gegen die selbstgerechten Verdammer, 
		die Welt- und Menschenhasser im Namen des Glaubens? Wir können ihnen nur 
		den Christus und sein Evangelium hinhalten und sie mit Tränen in den 
		Augen fragen: Was habt ihr aus ihm gemacht?  
		 
		
      	Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de) 
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      Text: 
      
		 Paulus schreibt: 
		 
		(21)Nun aber ist ohne Zutun 
		des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt 
		durch das Gesetz und die Propheten. 
		(22)Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den 
		Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein 
		Unterschied: 
		(23)Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit verloren, die Gott ihnen 
		zugedacht hatte 
		(24)und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die 
		Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. 
		(25)Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut 
		zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 
		(26)begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit 
		seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht 
		macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. 
		(27)Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches 
		Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des 
		Glaubens. 
		(28)So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des 
		Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. 
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