Predigt     Römer 6/19-23      8. Sonntag nach Trinitatis    13.07.08

"Vom Sittichsein und Getauftsein"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

letzten Donnerstag lief abends im Fernsehen eine Reportage über Thomas Quasthoff – Sie wissen schon: diesen mittlerweile weltberühmten Sänger, klein wie ein Liliputaner, kurze Stummelarme, Contergan-Kind – aber mit einer Stimme, die jeden Musiker und Musikliebhaber zutiefst im Herzen trifft – egal ob Klassik oder Blues. In seinem Leben spielte Singen von Kindheit an eine zentrale Rolle. Sein Vater war selbst Sänger. Und so gibt es Tonaufnahmen des 4-jährigen Thomas Quasthoff, wo er munter drauflos trällert „Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling...“.

Als Kind hatte er das Glück, in einem Elternhaus aufzuwachsen, das den Vater-Namen unseres Gottes nicht beschädigte, sondern Raum gab, unseren Gott des Lebens als liebevollen Vater und Lebensliebhaber zu verstehen: Zuallererst durch die Musik: als die Schule der Freude; aber auch durch das unerschütterliche Zutrauen, das der Vater seinem Sohn Thomas entgegenbrachte, dass das Singen die Gabe ist, die Gott seinem Sohn mitgegeben hat – auch und gerade dann, als die Musikhochschule in Hannover seine Aufnahme verweigerte mit der Begründung, er könne nicht Klavierspielen. Heute ist es sein Lebensmotto, in Liedern zu spiegeln, „was die Erde Schönstes hat“...

Als Kind machte er aber auch schon Bekanntschaft mit den Vorboten des Todes – so jedenfalls bezeichnet die Heilige Schrift jene Erfahrungen von Krankheit und Leid, von Lieblosigkeit und Gewalt, von Lüge und Verstocktheit, kurz: von allem, was das Leben beschädigt, verletzt, vernichtet. 1 ½ Jahre lag Thomas als Kind im Streckbett. Und was seine Erfahrungen mit Menschen betrifft, die in ihm einen armseligen Krüppel sahen und Witze über ihn machten, das mag ein jeder sich selbst vorstellen.
Und heute? Heute hat Thomas Quasthoff kein Problem damit, auch wenn man über ihn Witze macht... „Frage: Was ist ein Rollstuhlfahrer vor zehn Kannibalen? Antwort: Essen auf Rädern. – Ich habe gelernt, über mich zu lachen.“ Zitat Thomas Quasthoff.

Von zwei Wirklichkeitserfahrungen spricht auch der Apostel Paulus: Erfahrungen, die sich total widersprechen; Erfahrungen, die jeder Mensch kennt - weil wir in einer zerrissenen Welt leben! Und weil dieser Widerspruch in uns selbst angelegt ist! Erfahrungen des Lichts einerseits: von Glück und Seligkeit, von Freude und Freiheit, von Lieben und Geliebtwerden. Erfahrungen der Finsternis andererseits: von Hass und Gewalt, von Ungerechtigkeit und Unwahrheit, von den vielen „Vorboten des Todes“ – und das nicht nur „draußen“ in der Welt, bei den Anderen, sondern eben auch drinnen, in uns selbst!

Das Erstaunliche aber ist, dass der Apostel beide Wirklichkeitserfahrungen zeitlich einordnet in ein „früher“ und ein „jetzt“! Hören wir die Worte des Apostels, wie er sie geschrieben hat in seinem Brief an die Christen in Rom, im 6. Kapitel. Ich lese die Verse 19-23 (Text siehe rechte Spalte)

Die Christen in Rom – früher Knechte der Sünde, jetzt Knechte Gottes!? Wie kommt Paulus dazu, die Wirklichkeit der Macht der Sünde so eindeutig der Vergangenheit zuzuordnen? Und die Wirklichkeit der Freiheit von der Sünde so eindeutig der Gegenwart? Widerspricht das nicht aller unserer Erfahrung, die beides immer wieder gegenwärtig erlebt? Wir fragen also: Was ist passiert zwischen dem „früher“ und dem „jetzt“? Was war, was ist die entscheidende Zäsur? Liest man im Römerbrief die vorangehenden Kapitel, so wird deutlich: Der Apostel schreibt an Neu-Getaufte. Und die entscheidende Zäsur im Leben der getauften Christen sieht Paulus in der Taufe!

Aber um nun zu verdeutlichen, weshalb er die Wirklichkeit des Lichts der Gegenwart, die Wirklichkeit der Sünde aber der Vergangenheit zuordnet, muss er „nach menschlicher Weise“ zu seinen Mitchristen reden. Damit meint Paulus, dass er zur Erläuterung des Gemeinten ein Sprach-Bild, eine Metapher, benutzt, die er selbst als nicht ganz zutreffend empfindet. An welcher Stelle seine Metapher unzutreffend ist, dazu später noch ein Wort.

Es ist das Bild des Knechts, des Sklaven, dessen sich Paulus bedient. Sklaven gehorchen. Die entscheidende Frage dabei ist: Wem gehorcht der Sklave?
Erlauben Sie mir, dass auch ich jetzt „nach menschlicher Weise“ mit Ihnen rede und frage: Wem gehorcht eigentlich ein jeder von uns? Seinem Gewissen? Seinem Verstand? Seinem Bauch? Dem Gesetz? Dem Geld? Den Autoritäten? Dem Schlankheitsideal? Den Sachzwängen? Den Geistern unserer Zeit? ...Sie dürfen hier nach Belieben ergänzen! Was auch immer es ist, dem wir gehorchen, das den offenen oder versteckten Takt unseres Lebens angibt - Paulus würde sagen: All das hat seine Macht über uns verloren – durch die Taufe; und woran sie Anteil gibt: nämlich an Gott selbst, an der Gegenwart des Auferstandenen! Durch die Taufe sind wir in Christus oder im Geist bzw. ist Christus bzw. der Geist in uns! Die Frage ist nur, ob wir diesem Christus und seinem Geist in uns auch Raum geben...

Vielleicht hilft uns der Blick auf eine andere Religion besser zu verstehen, was der Apostel uns sagen möchte: Im südamerikanischen Volk der Bororos kann ein Angehöriger dieses Volkes sagen: „Ich bin ein Sittich.“ Nun würden wir vielleicht sagen, hier handelt es sich um eine mythische Aussage. Oder wir würden sagen: Ein Bororo glaubt tatsächlich, dass er ein Sittich ist – was er freilich nicht ist! Denn kann ein Bororo etwa wie ein Sittich fliegen? - Aber das ist unsere (westlich geprägte) Perspektive. Ein Bororo hingegen glaubt nicht nur, dass er ein Sittich ist, sondern er versteht sich als zugehörig zu einer Wirklichkeit, die vom Sittichsein geprägt ist! Und noch die Formulierung „er versteht sich“ ist viel zu „westlich“ gedacht! Ein Bororo gehört zu der vom „Sittichsein“ geprägten Wirklichkeit!

Entsprechend, sagt Paulus, gehören wir als getaufte Christen zu der vom auferstandenen Christus geprägten Wirklichkeit – der Wirklichkeit, die den Tod besiegt hat! So sind wir nun Gottes Hausgenossen (Eph.2,19), von Gott berufene Heilige (Röm.1,7), Freigelassene (um das Bild vom Sklaven wieder aufzunehmen – Röm.6,21), Kinder des Lichtes (Eph.5,8), nicht weniger als eine neue Schöpfung (2. Kor. 5,17)!

Das heißt nicht, dass die Macht der Sünde, dass Erfahrungen von Leid und Ungerechtigkeit, von Schmerz und Tod einfach verschwunden wären. Das bleibt unserer Vollendung in Gottes Reich vorbehalten. Aber alle diese Erfahrungen mit den Vorboten des Todes haben ihre beherrschende Macht, ihre Endgültigkeit, für einen Christen verloren. Wir brauchen ja nur auf unseren Reformator, auf Martin Luther und seine Lebensgeschichte zu schauen: Was hat er doch Anfechtungen und Versuchungen durchlitten – und in den schwierigsten Krisen vor sich groß auf den Tisch geschrieben: baptizatus sum! Ich bin getauft!

Ein Bororo gehört zu der vom „Sittichsein“ geprägten Wirklichkeit. Und das hat wesentliche Konsequenzen für sein Leben: wir Sittiche müssen entsprechend zusammenhalten, wir dürfen einander nicht heiraten, wir dürfen auch keine leibhaftigen Sittiche essen usw. Und ein getaufter Christ? Der gehört zu der vom auferstandenen Christus geprägten Wirklichkeit, den kann nichts trennen von der Liebe Gottes in Jesus Christus. Der lebt aus Gottes Gegenwart und seiner Liebe!

An dieser Stelle weiß auch Paulus, dass seine Metapher vom Knecht bzw. Sklaven unzutreffend ist. Ein Knecht Gottes ist eben kein Sklave mehr, sondern ein Kind Gottes, das zur Freiheit befreit ist! Denn wer vor unserem himmlischen Vater die Knie beugt, der tut dies nicht mit zerknirschtem Herzen, sondern in tiefster Dankbarkeit und Freude darüber, dass Gott ihn von der Sünde frei gemacht hat

- auf dass er fortan als aufrechter Mensch durchs Leben gehe und vor keiner Macht und auch nicht vor den Mächtigen dieser Welt in die Knie gehe
- auf dass er als aufrichtiger Mensch durchs Leben gehe: ohne Angst vor Selbsteinsicht in die eigenen Unzulänglichkeiten, aber auch ohne dem Anderen Wahrheiten wie einen nassen Waschlappen um die Ohren zu schlagen
- Wer so von Gott befreit ist, der sucht im Leben fortan auch die Freiheit der ach so vielen Unfreien, oder wie Paulus sagt: gibt sich hin an den Dienst der Gerechtigkeit.

Ich schließe mit zwei Stimmen. Noch einmal Thomas Quasthoff, der körperbehinderte Sänger, der von sich sagt: „Ich lass mich nicht behindern!“

Und Hanns-Dieter Hüsch:
„Ich bin vergnügt
erlöst
befreit
Gott nahm in seine Hände
Meine Zeit
Mein Fühlen Denken
Hören Sagen
Mein Triumphieren
Und Verzagen
Das Elend
Und die Zärtlichkeit

Was macht dass ich so fröhlich bin
In meinem kleinen Reich
Ich sing und tanze her und hin
Vom Kindbett bis zur Leich

Was macht dass ich so furchtlos bin
An vielen dunklen Tagen
Es kommt ein Geist in meinen Sinn
Will mich durchs Leben tragen

Was macht dass ich so unbeschwert
Und mich kein Trübsinn hält
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
Wohl über alle Welt

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

Paulus schreibt:

19 Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden.
20 Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit.
21 Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod.
22 Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben.
23 Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.
 


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