Liebe Leser, letzten Donnerstag lief abends im Fernsehen eine
Reportage über
Thomas Quasthoff – Sie wissen
schon: diesen mittlerweile weltberühmten Sänger, klein wie ein
Liliputaner, kurze Stummelarme, Contergan-Kind – aber mit einer
Stimme, die jeden Musiker und Musikliebhaber zutiefst im Herzen
trifft – egal ob Klassik oder Blues. In seinem Leben spielte Singen
von Kindheit an eine zentrale Rolle. Sein Vater war selbst Sänger.
Und so gibt es Tonaufnahmen des 4-jährigen Thomas Quasthoff, wo er
munter drauflos trällert „Liebeskummer lohnt sich nicht, my
Darling...“.
Als Kind hatte er das Glück, in einem Elternhaus aufzuwachsen, das
den Vater-Namen unseres Gottes nicht beschädigte, sondern Raum gab,
unseren Gott des Lebens als liebevollen Vater und Lebensliebhaber zu
verstehen: Zuallererst durch die Musik: als die Schule der Freude;
aber auch durch das unerschütterliche Zutrauen, das der Vater seinem
Sohn Thomas entgegenbrachte, dass das Singen die Gabe ist, die Gott
seinem Sohn mitgegeben hat – auch und gerade dann, als die
Musikhochschule in Hannover seine Aufnahme verweigerte mit der
Begründung, er könne nicht Klavierspielen. Heute ist es sein
Lebensmotto, in Liedern zu spiegeln, „was die Erde Schönstes hat“...
Als Kind machte er aber auch schon Bekanntschaft mit den Vorboten
des Todes – so jedenfalls bezeichnet die Heilige Schrift jene
Erfahrungen von Krankheit und Leid, von Lieblosigkeit und Gewalt,
von Lüge und Verstocktheit, kurz: von allem, was das Leben
beschädigt, verletzt, vernichtet. 1 ½ Jahre lag Thomas als Kind im
Streckbett. Und was seine Erfahrungen mit Menschen betrifft, die in
ihm einen armseligen Krüppel sahen und Witze über ihn machten, das
mag ein jeder sich selbst vorstellen.
Und heute? Heute hat Thomas Quasthoff kein Problem damit, auch wenn
man über ihn Witze macht... „Frage: Was ist ein Rollstuhlfahrer vor
zehn Kannibalen? Antwort: Essen auf Rädern. – Ich habe gelernt, über
mich zu lachen.“ Zitat Thomas Quasthoff.
Von zwei Wirklichkeitserfahrungen spricht auch der Apostel Paulus:
Erfahrungen, die sich total widersprechen; Erfahrungen, die jeder
Mensch kennt - weil wir in einer zerrissenen Welt leben! Und weil
dieser Widerspruch in uns selbst angelegt ist! Erfahrungen des
Lichts einerseits: von Glück und Seligkeit, von Freude und Freiheit,
von Lieben und Geliebtwerden. Erfahrungen der Finsternis
andererseits: von Hass und Gewalt, von Ungerechtigkeit und
Unwahrheit, von den vielen „Vorboten des Todes“ – und das nicht nur
„draußen“ in der Welt, bei den Anderen, sondern eben auch drinnen,
in uns selbst!
Das Erstaunliche aber ist, dass der Apostel beide
Wirklichkeitserfahrungen zeitlich einordnet in ein „früher“ und ein
„jetzt“! Hören wir die Worte des Apostels, wie er sie geschrieben
hat in seinem Brief an die Christen in Rom, im 6. Kapitel. Ich lese
die Verse 19-23 (Text siehe rechte Spalte)
Die Christen in Rom – früher Knechte der Sünde, jetzt Knechte
Gottes!? Wie kommt Paulus dazu, die Wirklichkeit der Macht der Sünde
so eindeutig der Vergangenheit zuzuordnen? Und die Wirklichkeit der
Freiheit von der Sünde so eindeutig der Gegenwart? Widerspricht das
nicht aller unserer Erfahrung, die beides immer wieder gegenwärtig
erlebt? Wir fragen also: Was ist passiert zwischen dem „früher“ und
dem „jetzt“? Was war, was ist die entscheidende Zäsur? Liest man im
Römerbrief die vorangehenden Kapitel, so wird deutlich: Der Apostel
schreibt an Neu-Getaufte. Und die entscheidende Zäsur im Leben der
getauften Christen sieht Paulus in der Taufe!
Aber um nun zu verdeutlichen, weshalb er die Wirklichkeit des Lichts
der Gegenwart, die Wirklichkeit der Sünde aber der Vergangenheit
zuordnet, muss er „nach menschlicher Weise“ zu seinen Mitchristen
reden. Damit meint Paulus, dass er zur Erläuterung des Gemeinten ein
Sprach-Bild, eine Metapher, benutzt, die er selbst als nicht ganz
zutreffend empfindet. An welcher Stelle seine Metapher unzutreffend
ist, dazu später noch ein Wort.
Es ist das Bild des Knechts, des Sklaven, dessen sich Paulus
bedient. Sklaven gehorchen. Die entscheidende Frage dabei ist: Wem
gehorcht der Sklave?
Erlauben Sie mir, dass auch ich jetzt „nach menschlicher Weise“ mit
Ihnen rede und frage: Wem gehorcht eigentlich ein jeder von uns?
Seinem Gewissen? Seinem Verstand? Seinem Bauch? Dem Gesetz? Dem
Geld? Den Autoritäten? Dem Schlankheitsideal? Den Sachzwängen? Den
Geistern unserer Zeit? ...Sie dürfen hier nach Belieben ergänzen!
Was auch immer es ist, dem wir gehorchen, das den offenen oder
versteckten Takt unseres Lebens angibt - Paulus würde sagen: All das
hat seine Macht über uns verloren – durch die Taufe; und woran sie
Anteil gibt: nämlich an Gott selbst, an der Gegenwart des
Auferstandenen! Durch die Taufe sind wir in Christus oder im Geist
bzw. ist Christus bzw. der Geist in uns! Die Frage ist nur, ob wir
diesem Christus und seinem Geist in uns auch Raum geben...
Vielleicht hilft uns der Blick auf eine andere Religion besser zu
verstehen, was der Apostel uns sagen möchte: Im südamerikanischen
Volk der Bororos kann ein Angehöriger dieses Volkes sagen: „Ich bin
ein Sittich.“ Nun würden wir vielleicht sagen, hier handelt es sich
um eine mythische Aussage. Oder wir würden sagen: Ein Bororo glaubt
tatsächlich, dass er ein Sittich ist – was er freilich nicht ist!
Denn kann ein Bororo etwa wie ein Sittich fliegen? - Aber das ist
unsere (westlich geprägte) Perspektive. Ein Bororo hingegen glaubt
nicht nur, dass er ein Sittich ist, sondern er versteht sich als
zugehörig zu einer Wirklichkeit, die vom Sittichsein geprägt ist!
Und noch die Formulierung „er versteht sich“ ist viel zu „westlich“
gedacht! Ein Bororo gehört zu der vom „Sittichsein“ geprägten
Wirklichkeit!
Entsprechend, sagt Paulus, gehören wir als getaufte Christen zu der
vom auferstandenen Christus geprägten Wirklichkeit – der
Wirklichkeit, die den Tod besiegt hat! So sind wir nun Gottes
Hausgenossen (Eph.2,19), von Gott berufene Heilige (Röm.1,7),
Freigelassene (um das Bild vom Sklaven wieder aufzunehmen –
Röm.6,21), Kinder des Lichtes (Eph.5,8), nicht weniger als eine neue
Schöpfung (2. Kor. 5,17)!
Das heißt nicht, dass die Macht der Sünde, dass Erfahrungen von Leid
und Ungerechtigkeit, von Schmerz und Tod einfach verschwunden wären.
Das bleibt unserer Vollendung in Gottes Reich vorbehalten. Aber alle
diese Erfahrungen mit den Vorboten des Todes haben ihre
beherrschende Macht, ihre Endgültigkeit, für einen Christen
verloren. Wir brauchen ja nur auf unseren Reformator, auf Martin
Luther und seine Lebensgeschichte zu schauen: Was hat er doch
Anfechtungen und Versuchungen durchlitten – und in den schwierigsten
Krisen vor sich groß auf den Tisch geschrieben: baptizatus sum! Ich
bin getauft!
Ein Bororo gehört zu der vom „Sittichsein“ geprägten Wirklichkeit.
Und das hat wesentliche Konsequenzen für sein Leben: wir Sittiche
müssen entsprechend zusammenhalten, wir dürfen einander nicht
heiraten, wir dürfen auch keine leibhaftigen Sittiche essen usw. Und
ein getaufter Christ? Der gehört zu der vom auferstandenen Christus
geprägten Wirklichkeit, den kann nichts trennen von der Liebe Gottes
in Jesus Christus. Der lebt aus Gottes Gegenwart und seiner Liebe!
An dieser Stelle weiß auch Paulus, dass seine Metapher vom Knecht
bzw. Sklaven unzutreffend ist. Ein Knecht Gottes ist eben kein
Sklave mehr, sondern ein Kind Gottes, das zur Freiheit befreit ist!
Denn wer vor unserem himmlischen Vater die Knie beugt, der tut dies
nicht mit zerknirschtem Herzen, sondern in tiefster Dankbarkeit und
Freude darüber, dass Gott ihn von der Sünde frei gemacht hat
- auf dass er fortan als aufrechter Mensch durchs Leben gehe und vor
keiner Macht und auch nicht vor den Mächtigen dieser Welt in die
Knie gehe
- auf dass er als aufrichtiger Mensch durchs Leben gehe: ohne Angst
vor Selbsteinsicht in die eigenen Unzulänglichkeiten, aber auch ohne
dem Anderen Wahrheiten wie einen nassen Waschlappen um die Ohren zu
schlagen
- Wer so von Gott befreit ist, der sucht im Leben fortan auch die
Freiheit der ach so vielen Unfreien, oder wie Paulus sagt: gibt sich
hin an den Dienst der Gerechtigkeit.
Ich schließe mit zwei Stimmen. Noch einmal Thomas Quasthoff, der
körperbehinderte Sänger, der von sich sagt: „Ich lass mich nicht
behindern!“
Und Hanns-Dieter Hüsch:
„Ich bin vergnügt
erlöst
befreit
Gott nahm in seine Hände
Meine Zeit
Mein Fühlen Denken
Hören Sagen
Mein Triumphieren
Und Verzagen
Das Elend
Und die Zärtlichkeit
Was macht dass ich so fröhlich bin
In meinem kleinen Reich
Ich sing und tanze her und hin
Vom Kindbett bis zur Leich
Was macht dass ich so furchtlos bin
An vielen dunklen Tagen
Es kommt ein Geist in meinen Sinn
Will mich durchs Leben tragen
Was macht dass ich so unbeschwert
Und mich kein Trübsinn hält
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
Wohl über alle Welt
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof)
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Text:
Paulus schreibt:
19 Ich muss menschlich davon reden um der
Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben
hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer
neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst
der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden.
20 Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der
Gerechtigkeit.
21 Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch
jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod.
22 Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden
seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende
aber ist das ewige Leben.
23 Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das
ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.
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