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      Liebe Leser, 
		 
		wo sollen wir heute abgeholt werden? Beim Wort vom Kreuz, über das wir 
		am vergangenen Sonntag nachgedacht haben und das nach Paulus die 
		Weisheit dieser Welt hinter sich lässt und uns nötigt, Gott und die Welt 
		neu zu denken? Oder bei uns selbst und unseren Gedanken über das Leben? 
		Wo befinden wir uns? Noch am Anfang wie unsere Konfirmanden, oder 
		mittendrin wie die Jubilare, die heute in der Hospitalkirche ihre 
		Silberne Konfirmation feiern, oder am Abend des Lebens mit seinen 
		Beschwerden und schwindenden Aussichten? Denn das ist doch klar, dass 
		unsere Perspektive auf das Leben mit der Geburt beginnt und mit dem Tod 
		endet. So hat unser Leben seine hoffnungsfrohe und am Ende oft so 
		bittere Ordnung. Aber Paulus nötigt uns auch heute nicht nur Gott und 
		die Welt, sondern auch unser Leben neu zu denken und aus einer völlig 
		neuen Perspektive zu betrachten.  
		 
		Günter Klein in seiner furiosen Meditation zum Predigttext (GPM, 2/1998, 
		Heft 3, S.356f.): 
		„Unordentlich, wüst und turbulent, diese Neuinszenierung unseres Lebens. 
		In den Tod lässt sie uns gestoßen sein zu unserm Herrn, begraben mit 
		ihm, um uns dann hervorkommen zu lassen aus der Gruft als quicklebendige 
		Springinsfelde. (…) Das provoziert unseren Ordnungssinn. Für den hat 
		alles seinen unverrückbaren Platz. Ordnung muss sein. Da ist kein 
		Drehbuch akzeptabel, das uns im ersten Akt sterben, im zweiten begraben 
		werden, im dritten ins Leben treten lässt. (…) 
		 
		(Denn) das alte Stück, unsere Fahrt durch die Zeit, wird verwegen neu 
		inszeniert. Der Tod hat in Wahrheit nicht das letzte, sondern das erste 
		Wort und uns längst ereilt. Hat sich doch Gott in seinem Sohn für uns in 
		den Tod gegeben, regelrecht in den Liebestod. Echte Liebe hat immer 
		etwas Verwegenes. Das ist schon so, wo zwei Menschen sich lieben. Erst 
		recht Gott in seiner Liebe: Jesus Christus schreiend am Kreuz, tot im 
		Grabe, bloß damit uns die Augen übergehen von Gottes tiefem Verlangen 
		nach uns. Dieser Liebestod erhält das erste Wort. In ihn werden wir 
		verwickelt. Gilt von menschlicher Liebe im besten Fall: ‚bis dass der 
		Tod euch scheidet‘, so von Gottes Liebe: ‚Nichts kann uns scheiden‘, ja, 
		dieser Liebestod hat uns überhaupt erst verbunden. Jetzt sind wir 
		Schicksalsgefährten Jesu. Er hat unser aller Tod in seinem Sterben für 
		uns vorwegerlitten. Fortan gilt: Gottes Tod - unser Tod, Jesu Grab - 
		unser Grab. Was immer uns bevorsteht an eigenem Leiden und Sterben, das 
		Schlimmste steht uns nicht bevor, sondern liegt hinter uns, ausgestanden 
		von einem Stärkeren. Nun sind wir für Zeit und Ewigkeit verwickelt in 
		das Geschick des Gekreuzigten. ‚Er reißet durch den Tod, durch Welt, 
		durch Sünd, durch Not, er reißet durch die Höll, ich bin stets sein 
		Gesell‘“ (heißt es im Osterlied (EG 112,6). Genau so hat der Christus 
		seinen Tod bekanntlich verstanden: „Niemand hat größere Liebe als die, 
		dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ (Johannes 15,13) 
		 
		Können wir ein solches Geschenk annehmen, oder sagen wir: Das hätt’s 
		doch wirklich nicht gebraucht!? Ist ein solches Geschenk nicht in der 
		Tat ein fundamentaler Angriff auf unsere Autonomie und unsere Freiheit? 
		„Du muss Dein Leben ändern“, so lautet ein Buchtitel des Philosophen 
		Peter Sloterdijk und das Glaubensbekenntnis aller Selbst- und 
		Weltverbesserer. Das verstehen wir. Und deshalb laufen wir lieber denen 
		hinterher, die uns einen Weg zeigen, wie wir uns selbst optimieren und 
		in höhere Sphären schwingen können.  
		 
		Das Evangelium kennt nur die Bitte, dass wir uns zu dem bekehren, der 
		uns liebt; uns von ihm Huckepack nehmen lassen und gespannt sind, wie er 
		uns verändert und was dann geschieht. Das erste ist aktiv, das zweite 
		ist passiv. Das erste ist verdient, das zweite ist ganz Geschenk. Das 
		erste ist Gesetz und sagt, du sollst, das zweite ist ganz und gar Gnade. 
		Und mit der tun wir uns so oft wirklich schwer. Denn: „Gnade kann man 
		nicht nach Belieben in Besitz nehmen und auf ihr ausruhen. Geschenke 
		wesentlicher Art verpflichten den Empfänger. Ein geschenktes Buch will 
		gelesen, eine geschenkte Blume will gepflegt werden. Ist unser Leben 
		Gottes Geschenk, dann ist es nicht unserer Willkür überlassen. Ist unser 
		verwirktes Leben uns (…) neu geschenkt, dann wird der Dank gegen Gott 
		zum bestimmenden Motiv unseres Lebens.“ (Herrmann Schmidt, GPM 2/1992, 
		Heft 3, S. 312)  
		 
		Denn wie weit ist es denn schon her mit unserer Autonomie? Wir sind doch 
		immer „mit“ und „in“. Wir leben seit der Geburt in Beziehungen zu 
		Menschen. Wie viele von ihnen konnten wir uns aussuchen? Wir sind immer 
		irgendwie und irgendwo drin: In Hof, in einer Familie, in 
		Schwierigkeiten, in Angst, in Trauer, in Liebe, in Hoffnung. Und selbst 
		wenn wir dann mal weg sind, werden wir vielleicht den Alltag los, aber 
		nicht uns selbst, unsere Welt und unsere Gedanken. Wir sind immer „mit“ 
		und „in“, Zeitgenossen unserer Welt und unserer selbst. Und wir spüren 
		gerade in diesen Tagen, wie sich Dinge zum Schlechteren verändern und 
		spüren vor allem Ohnmacht. Was kann ich schon tun, um die Probleme der 
		Welt zu lösen? Und dann sagen wir lieber nichts und tun lieber nichts 
		und hoffen, dass es uns schon nicht betreffen wird. Wir leben in unserer 
		Welt zwischen „noch“ und „nicht mehr“. Noch sind wir gesund, noch haben 
		wir Arbeit, noch haben wir ein Dach über dem Kopf, noch haben wir 
		Menschen, die uns lieben. Aber wir kennen so viele, die das nicht mehr 
		haben. Wenn das nicht ein Grund zum Klammern, Geizen, Maulhalten und 
		Wegschauen ist!  
		 
		Wie verlockend ist da die Perspektive, die uns der Apostel Paulus in 
		Christus anbietet. Auch der Christenmensch lebt zwischen „noch“ und 
		„nicht mehr“, aber mit umgekehrtem Vorzeichen. Noch müssen wir sterben, 
		noch ist das Leben ein einziges Abschiednehmen, noch gibt es Hunger und 
		Leid. Aber der letzte Horizont ist nicht mehr der Tod, sondern der neue 
		Himmel und die neue Erde, von denen es am Ende der Bibel heißt: „Und 
		Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht 
		mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das 
		Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache 
		alles neu!“ (Offenbarung 21,4f.) 
		 
		Und eigentlich gehören wir dieser Perspektive längst an. Oder wisst ihr 
		nicht, oder habt ihr’s vergessen, dass alle, die wir auf Christus Jesus 
		getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm 
		begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist 
		von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen 
		Leben wandeln.  
		 
		Nein, im neuen Himmel und auf der neuen Erde sind wir noch nicht, aber 
		in einem neuen Leben. Denn beide qualifizieren das Leben auf dieser Welt 
		neu: Jeder Tag zählt, wie viele oder wie wenige wir auch noch haben 
		mögen. Der Wurm in unserem Herzen, das Bewusstsein unserer Endlichkeit, 
		verliert seine negative Kraft, die uns dazu bringt, uns immer schneller 
		um uns selbst zu drehen. Es gibt gerade keinen Grund zum Klammern, 
		Geizen, Maulhalten und Wegschauen mehr. Und wenn morgen die Welt 
		unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen, soll Martin 
		Luther gesagt haben. Wir leben nicht nur als Zeitgenossen dieser Welt 
		und unserer selbst, sondern gleichzeitig als Zeitgenossen des Christus 
		und seiner Geschichte.  
		 
		Wenn wir so leben, sterben wir in der Tat dem immer mehr ab, was die 
		Bibel Sünde nennt. Sünde ist alles, was ohne Liebe geschieht. Sünde ist 
		alles, was aus Gleichgültigkeit geschieht. Sünde ist der unheimliche 
		Drang des Menschen in die Verhältnislosigkeit – zu Gott, seinem 
		Mitmenschen und der ganzen Schöpfung. Sünde betreibt paradoxerweise aus 
		Angst vor dem Tod und in der Sucht nach Steigerung des eigenen Lebens 
		dessen Geschäft, denn der Tod ist vollendete Verhältnislosigkeit. Aber 
		das hat der Christus längst verhindert. Leben heißt nicht länger auf den 
		Tod hin leben, sondern wir leben Gott in Jesus Christus. 
		 
		Denn er schafft den achten Tag. Ich geb’s zu: Ich bin gestern extra 
		nochmal in die Kirche gegangen, um nachzuschauen, ob der Taufstein 
		wirklich acht Ecken hat. Er hat. Jeder Taufstein hat in der Regel acht 
		Ecken. Das bedeutet, dass „der Taufstein mit der achten Ecke über die 
		anfängliche Schöpfung hinaus(reicht). Er verweist vom Anfang aufs Ziel, 
		von der Zeit auf die Ewigkeit, vom neuen auf das ewige Leben. Die achte 
		Ecke erinnert an den achten Tag, an die Gotteszeit jenseits von Uhr und 
		Kalender, an die neue Schöpfung, daran, dass ich, geboren in die Welt, 
		bereits in Christus getauft bin und mit ihm auf die Auferstehung zugehe. 
		Wie viele Jahre an neuem Leben in der Welt mir geschenkt sind, weiß ich 
		nicht. Was ich weiß: dass es über die sieben Tage der Woche hinaus 
		reicht und auf den achten Tag zuläuft.“ (Martin Nicol, GPM 2/2010, Heft 
		3, S. 323) 
		 
		Paulus erinnert uns heute an unsere Taufe, die uns in die Geschichte des 
		Christus einräumt. Sie sagt uns am Anfang unseres Lebens und mittendrin 
		und erst recht am Ende unseres Lebens und unserer Welt immer und immer 
		wieder: Fürchte Dich nicht!  
       
      
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)   | 
      Text: 
      
       Paulus schreibt: 
		3 Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf 
		Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? 
		4 So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie 
		Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, 
		auch wir in einem neuen Leben wandeln. 
		5 Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem 
		Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. 
		6 Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit 
		der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht 
		dienen. 
		7 Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. 
		8 Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch 
		mit ihm leben werden, 
		9 und wissen, dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht 
		stirbt; der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen. 
		10 Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben ein für 
		alle Mal; was er aber lebt, das lebt er Gott. 
		11 So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebt 
		Gott in Christus Jesus. 
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