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      Liebe Leser,  
		
      bei Taufen sagt die Pfarrerin oder Pfarrer oft: 
		"Liebe Eltern ...., durch euere Liebe soll euer Kind das erste Zutrauen 
		zur Liebe Gottes gewinnen....". Ich finde das einen sehr schönen Satz, 
		weil er sagt: Manchmal spüren wir durch Menschen, die wir lieben (nicht 
		nur durch Eltern), dass wir nicht allein sind, dass das Leben uns etwas 
		zu geben hat. Wir fühlen uns aufgehoben in etwas Größerem, Guten. Eben 
		wie ein Säugling empfinden mag, wenn er zufrieden in den Armen seiner 
		Eltern liegt. Gottes Nähe wird greifbar. Der Himmel öffnet sich ganz 
		unspektakulär. 
		 
		Meine Eltern erzählen, dass sie mich als Kind oft mit dem Kinderwagen 
		unter einen Baum gestellt haben. Ich sei dort stundenlang fasziniert von 
		den Blättern gewesen, die über den Himmel tanzen. Das geht mir noch 
		heute so. Mir hilft es, mich an solche Momente zu 
		erinnern, wenn es mir schlecht geht. Ich erlebe sie als Geschenke Gottes 
		und fühle mich mit Gott und dem Leben verbunden. 
		Gottes Versprechen, bei uns zu sein bis ans Ende der Welt und darüber 
		hinaus ist für mich dann so eine Art Licht am Ende des Tunnels. Zwar 
		weit weg am Horizont, aber einen Vorgeschmack bekomme ich durch solche 
		Momente, wie ich sie eben geschildert habe. 
		 
		Die Erinnerungen werden dadurch zugleich eine Hoffnung für die Zukunft. 
		Sie sagen mir, dass das Leben nicht nur aus dem besteht, was mir gerade 
		das Leben schwer macht, sondern dass ich in etwas Größerem, Guten 
		aufgehoben bin. Ich nenne es Gott. Das Gefühl, 
		das ich dann empfinde ist zugleich eine Art Rückschau wie eine Vision 
		für die Zukunft. Eine solche visionäre Erinnerung ist auch der Beginn 
		der Bibel, der zurückblickt ins Paradies am Beginn der Schöpfung und 
		damit zugleich vorausblickt auf das vollkommene Reich Gottes am Ende 
		aller Tage.  
		 
		Erinnern wir uns also: Adam und Eva, zwei Kinder, 
		leben in einem Garten, der ihnen alles bietet. Es gibt keine Einsamkeit, 
		keine Not, kein Leid. Vielleicht ein paar Tränen, die herrlich wohlig 
		von den Eltern getrocknet werden. Gott spaziert mit den Kindern durch 
		den Garten und zeigt ihnen die Welt. Gleich nach 
		der Beschreibung des Paradieses kommt die große Enttäuschung. Nach 
		einigen Jahren, vielleicht schon mit 11, 12, oder 13 oder 14 beginnt 
		plötzlich alles zu kippen. Die beiden Jugendlichen fühlen sich nackt und 
		einsam, der Welt ausgeliefert, von Gott und den Eltern allein gelassen. 
		Vertrieben aus dem Paradies sind sie hineingeworfen in die Probleme der 
		Sexualität, der Arbeitswelt, der Selbstverantwortung, in die Zwänge des 
		Alltags, der Vergänglichkeit und die Gefahren, sein Leben zu 
		verpfuschen. Von nun an hat das Leid und die 
		Frage nach dem „Warum“ einen festen Platz im Leben jedes Menschen.  
		 
		Unzählige Male haben Adam und Eva diese Frage gestellt: An Kranken- und 
		Sterbebetten. Sie haben sie mit Eding auf Lederjacken und Rucksäcke 
		geschrieben und auf Kapuzenpullis gedruckt: Sick of it all, krank von 
		dem Ganzen. Ihre Enttäuschung in der Liebe, im Beruf, im eigenen Körper 
		im Erwachsenwerden und Sterben, versucht sich Luft zu machen. Vielleicht 
		ist die Frage nach dem Leid die Mutter der Theologie: Warum Leid, warum 
		ich, warum überhaupt? 
		 
		Die Seiten der Bibel sind vom ersten Blatt an wie ein Mantel, in den 
		sich hineinhüllen kann, wer Verständnis sucht in seinem Leid. Sie sind 
		innen und außen beschrieben mit Klage und Zorn. Sie fühlen sich feucht 
		an von Tränen, die zwischen den Zeilen hervorsickern. Hinten quer über 
		den Rücken dieses Mantels ist mit fettem Eding geschrieben: „Gott, du 
		bist ein Verbrecher!“, nachzulesen bei Hiob. Und vorne auf die Brust 
		gedruckt ein Herz, in dem ein Messer steckt. Darunter die Schrift: „Mein 
		Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das ist keine Frage, die 
		sich nur Pubertierende stellen und auf ihre Lederjacken schreiben. In 
		der Jugend stellt sie sich nur meist zum ersten Mal mit voller Wucht. 
		Umso schlimmer, weil man noch keine Erfahrung damit gesammelt hat. 
		Später kann sie sogar eine Hilfe zum Leben sein. Vorbei geht sie an 
		Niemandem: Wer sie nicht auf seine Lederjacke gemalt hat, dem steht sie 
		irgendwo im Herzen. 
		 
		Von Jesus wird erzählt, dass er kurz bevor er am Kreuz starb, geschrieen 
		hat: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?". Es war 
		scheinbar so schlimm, dass er nicht mehr glauben konnte, dass er in Gott 
		aufgehoben ist. Vielleicht ist das der wahre 
		Grund, warum ich Theologie studiert habe: Dass erzählt wird, Jesus sei 
		an Ostern von den Toten auferstanden. Ein an Gott verzweifelter Mensch 
		wird auferweckt, als Zeichen dafür, dass wir selbst in den dunkelsten 
		Momenten unseres Lebens immer in Gott aufgehoben sind. Sogar wenn wir es 
		selbst nicht mehr glauben können. Sogar im Tod und darüber hinaus.  
		 
 „Denn ich bin überzeugt“, schreibt Paulus im Brief an die Römer, „ich bin 
		überzeugt, dass dieser Zeit Leiden ... (Text siehe 
		rechts) 
		 
		Ja, beweisen lässt sich da nichts. Wir hoffen auf etwas, das man nicht 
		sieht, weil es in der Zukunft liegt. Es steht noch aus. Ähnlich 
		vielleicht wie ein neues Deutschland. Das alte Deutschland scheint in 
		einer Flut der Depression zu versinken. Vielleicht weil es wie die 
		Kirche manchmal auch, den Mut verloren hat, Visionen zu denken, ohne sie 
		vorher bis ins Detail auf ihre Machbarkeit durchzurechnen. Man streicht 
		lieber die Vision vom Horizont, weil man ja weiß, dass der Horizont 
		immer weiter nach hinten ruckt, wenn man auf ihn zugeht.
		Dass es aber dunkel wird, wenn man die Sonne vom Horizont 
		streicht, weil man sie eh nie erreicht, .... tja, das ist wirklich 
		deprimierend: Neues Land leider nicht in Sicht – zu dunkel, Sie 
		verstehen? 
		 
		Fast trotzig klingt dagegen der erste eben gehörte Vers, der dem 
		Predigttext wie eine Zusammenfassung voransteht. So formuliert einer, 
		der den Silberstreif am Horizont schon sieht. Einer, der sich sicher 
		ist, dass Gottes Reich bald anbricht, für die ganze Welt und 
		vollständig: ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins 
		Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden 
		soll. Manchmal wird sie schon spürbar, die Sonne der Gerechtigkeit, wie 
		sie im Reich Gottes scheint.  
		Mitten im Leid erwacht aus der Erinnerung die Vision einer Zukunft. 
		Manchmal können wir diese Zukunft erahnen hinter der Welt, die wir 
		sehen.  
		 
		In der Hoffnung auf ihre Herrlichkeit verlieren die Leiden der Zeit an 
		Gewicht. Die Hoffnung gerinnt zur Bitte: Lass dein Reich kommen. Bald!
		Nicht nur für mich, sondern auch für die Eidechse, die sich in 
		einem Erdloch verkrochen hat und deren Kopf und Vorderbeine nun 
		versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, während der Rest des Körpers, 
		von meiner Hacke abgetrennt, entgegengesetzt davonfliegt. Ich hatte sie 
		beim Hacken des Weinbergs übersehen. Nun dresche ich mit der stumpfen 
		Seite der Hacke auf sie ein. Nach fünf Schlägen nimmt es endlich ein 
		Ende. Diese Eidechse geht mir lange nach. Ach 
		Herr, dass doch dein Reich komme – für die ganze Welt! 
		 
		Solange es nicht leibhaftig über die ganze Schöpfung erstrahlt, bleibt 
		die grundlegende Spannung: Auf der einen Seite drohen Menschen im 
		Angesicht der Leiden die Hoffnung zu verlieren, zu resignieren oder 
		zynisch die Hoffnung abzuwehren. Auf der anderen 
		Seite hält Paulus die Erinnerung daran wach, dass der Kampf bereits 
		entschieden ist: Jesus Christus wurde selbst aus der totalen 
		Verzweiflung, selbst aus dem Tod zu neuem Leben erweckt. Dass er 
		wiederkommt und auch uns neues Leben bringt, darauf wartet Paulus. 
		Drängend, hoffnungsvoll und doch geduldig wartet Paulus, dass Jesus 
		Christus wieder kommt und die ganze Schöpfung von ihrem Leiden erlöst, 
		dass das Leid ein Ende nimmt für alle Ewigkeit und Freude an seine 
		Stelle tritt. Es geht um nichts anderes, als dass 
		hier jemand daran festhält, dass die glücklichen Momente seines Lebens 
		keine Lüge waren, dass das Gefühl, in etwas Größerem, Guten aufgehoben 
		zu sein keine Täuschung war. Paulus begriff die glücklichen Momente 
		seines Lebens als Vorausschau auf die Wiederkunft des Herrn.  
		 
		Paulus hat danach gesucht, was leben hilft, ohne dabei die Augen vor dem 
		Leid verschließen zu müssen. Er hat eine 
		Möglichkeit gefunden, in die Welt zu sehen, ohne Zäune gegen die Armut 
		bauen zu müssen, damit sie ihm nicht im Vorgarten herumläuft.
		Er hat eine Möglichkeit gefunden, am Kranken- und Sterbebett 
		sitzen bleiben zu können, ohne davonlaufen zu müssen.
		Er hat eine Möglichkeit gefunden, selbst sterben zu können, ohne 
		weglaufen zu wollen. Sondern dem Tod wie dem Leben neugierig, 
		erwartungsvoll entgegen zu gehen. Er sieht eine 
		Möglichkeit auf die Welt zu blicken, ohne zu hoffen, dass alles 
		möglichst schnell ein Ende findet, damit endlich Ruhe ist. 
		 
		Durch die Erinnerung an die Auferstehung Jesu von den Toten mag Paulus 
		ein Stück des kindlichen Paradieses wiedergewonnen haben: Das Gefühl in 
		etwas Größerem, Guten aufgehoben zu sein -
		auch angesichts des Leids. 
		Doch das Gefühl ist nicht das Entscheidende. Denn 
		die Auferstehung des an Gott verzweifelten Jesus machte die Erlösung zu 
		einer Tatsache – ob wir das Gefühl haben getragen zu sein oder an Gott 
		und der Welt verzweifeln. Denn Gott hat den auferweckt, dessen Gefühl 
		aller Hoffnung entgegenstand: Jesus den verzweifelt Gestorbenen.
		Der Horizont des Paulus ist erfüllt von dieser Erkenntnis. Und er 
		brach auf, der Welt davon zu erzählen. 
		Bitte begeben auch Sie sich auf die Suche nach der Hoffnung, die ihnen 
		hilft, ehrlich auf die Welt und ihr Leid blicken können. Brechen Sie auf 
		in die Morgenröte der neuen Welt! Dabei bewahre 
		der Herr, unser Gott, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. 
		
      
      
      Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche 
      Hof) 
		 | 
      Text: 
      
		 Paulus schreibt: 
		 
		(18)Denn ich bin überzeugt, 
		dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der 
		Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 
		(19)Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die 
		Kinder Gottes offenbar werden. 
		(20)Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren 
		Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; 
		(21)denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der 
		Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 
		(22)Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick 
		mit uns seufzt und sich ängstet. 
		(23)Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist 
		als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst 
		und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 
		(24)Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, 
		die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was 
		man sieht? 
		(25)Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir 
		darauf in Geduld.  |