Predigt     Römer 11/25-32      10. Sonntag nach Trinitatis    27.07.08

"... dass er euch auch erwählet hat"
(von Dekan i.R. Rudolf Weiß)

Liebe Leser,

Am 9. November 1938 wurden in Deutschland viele jüdische Gotteshäuser zerstört. Auch in Hof wurde der Synagoge am Hallplatz am Tag nach der sogenannten Reichskristallnacht, am 10. November, ein gewaltsames Ende bereitet. Eine Gedenktafel am Flachbau neben dem Feuerwehrgebäude erinnert an diese Synagoge. Die Einrichtung des Gotteshauses wurde damals an die Saaleauen gebracht und verbrannt. Ein Mädchen hat damals eine Schriftrolle mit nach Hause genommen. Für lange Jahre erstarb auch in Hof wie in vielen anderen Orten in Deutschland das jüdische Leben. Erst 1999 wurde die ehemalige Schule in Moschendorf an der Oberkotzauer Straße in eine Synagoge umgebaut. Aus Russland sind Juden nach Hof gekommen und bilden eine neue Kultusgemeinde mit einem eigenen Rabbi, der Kinder und auch Erwachsene mit den jüdischen Gebräuchen und Lehren vertraut macht. Die damals gerettete Schriftrolle wurde der jüdischen Gemeinde übergeben. Die jüdische Gemeinde ist für mich ein deutliches Zeichen, wie Gott an seinem erwählten Volk, das er berufen hat, festhält.

Betrachten wir das Datum des 9. November. Dietrich Bonhoeffer hat in seiner persönlichen Bibel an den Rand von Psalm 74 das Datum geschrieben: 9.11.1938 und den entsprechenden Vers unterstrichen: „Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Lande.“ Psalm 74 beginnt mit einer bewegenden Klage: „Gott, warum verstößest du uns für immer und bist so zornig über die Schafe deiner Weide? Gedenke an deine Gemeinde, die du vorzeiten erworben hast.“

Bonhoeffer deutete die erschütternden Klagen von Psalm 74 auf seine Zeit und auf das Verbrennen der jüdischen Gotteshäuser. Er war als Mitglied der Bekennenden Kirche von Anfang an leidenschaftlich für die verfolgten Juden eingetreten. Er litt darunter, wie stumm die Kirchen blieben und schweigend dem Unrecht zusahen. Er wusste, dass die Kirchen Schuld auf sich luden. Er wurde im April 1945 hingerichtet. Er erlebte die Vertreibung nach dem Kriege nicht mehr mit und auch nicht die Teilung Deutschlands, die schweren Folgen des Zeiten Weltkriegs für Deutschland.

Aber gerade dieses Datum 9. November hat in der Geschichte des deutschen Volkes noch einmal eine große Rolle gespielt. Im Jahre 1989 fiel die Mauer am 9. November, die die Bundesrepublik und die DDR getrennt hatte. Damit endete eine der schlimmsten Folgen des Zweiten Weltkriegs. Der Plauener Superintendent Thomas Küttler, der so viel beigetragen hat, dass die Wende friedlich und erfolgreich verlief, hat einmal den inneren Zusammenhang zwischen dem 9. November 1938 und dem 9. November 1989 geistlich gedeutet. Dem deutschen Volk wurde die Schuld vergeben, weil Gott treu und barmherzig und gnädig ist. Paulus bezeugt in unserem Predigttext die Treue Gottes: „...und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.“

Bonhoeffer und Küttler haben beide biblische Aussagen auf ihre Zeit bezogen und gedeutet auf Grund ihrer Erfahrungen und der Gewissheit, die vor Gott im Gebet erlangt oder auch errungen wird.

So verstehe ich auch den Theologen Paulus. Er deutet die Erfahrungen, die er als ehemaliger Jude und dann als Christ gemacht hat. Er versucht die erstaunlichen Wege Gottes zu begreifen. Gott hat sein Volk Israel berufen und die Verheißungen, die Gott den Glaubensvätern Abraham, Isaak und Jakob gegeben hat, die bleiben gültig. Denn „Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.“

Aber ausgerechnet Israel stellt sich weitgehend störrisch und verhärtet sich und will den Ruf Gottes, der durch Jesus ergeht, nicht hören und ihm nicht folgen. Aber die Heiden, die bis dahin von Gott nichts wissen wollten, nehmen das Evangelium an und lassen sich taufen. Wir spüren, wie Paulus hin- und hergerissen ist, wie er ringt und die Wege Gottes zu verstehen sucht. Er zitiert Worte aus den Propheten und will damit die Wege Gottes mit seinem Volk aufzeigen. Wir wissen, wie er täglich im Gebet den Willen Gottes ergründen wollte.

Paulus spricht von einem Geheimnis. Er meint damit nichts Geheimnisvolles oder gar Mysteriöses. Das Geheimnis, von dem Paulus schreibt, ist Gott bereits bekannt und Paulus ist gewiss, seinem Gott auf die Spur gekommen zu sein. Gott hält fest an seinem Volk, das sich als störrisch erweist, aber nicht für immer. Auch die Heiden, die sich von Gott rufen ließen, waren ja zuvor auch störrisch oder verblendet oder verdorben. Erst durch die Gabe des erneuernden Geistes wurden sie zu anderen, zu neuen Menschen. So ist Paulus gewiss, auch die verhärteten Juden werden sich einmal von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes erweichen lassen und den Ruf durch Jesus Christus am Ende annehmen. Paulus verweist aber auch darauf, dass es im spannungsreichen Verhältnis von Juden und Christen auch um menschliche Regungen geht. „Haltet euch nicht selbst für klug“, mahnt er. Gott hat beide berufen: die Juden und die Christen. Keiner kann dem andern den Rang streitig machen.

Unsere bayerische Landeskirche hat im Jahre 1998 auf der Tagung der Landessynode in Nürnberg ein Wort zum Verhältnis von Christen und Juden mit dem Titel „Schuld und Verantwortung“ verabschiedet. Darin wird erklärt zur gemeinsamen Wurzel von Judentum und Christentum:

„Jüdischer Glaube und christlicher Glaube leben aus einer Wurzel. Juden und Christen bekennen sich zudem einen Gott, dem Schöpfer und Erlöser. Juden und Christen verstehen sich beide als "Volk Gottes“.

An die spannungsreiche und belastete Vergangenheit von Juden und Christen wird erinnert:
„Diese Gemeinsamkeiten haben Christen über Jahrhunderte hinweg vergessen und verleugnet, missdeutet und uminterpretiert.“

Ein Neuanfang im Verhältnis von Christen und Juden soll gemacht werden. Wir sind als Christen die jüngeren Geschwister der Juden geblieben, auch wenn wir zahlenmäßig weltweit viel mehr Mitglieder haben. Doch wir haben das jüdische Volk nicht beerbt. Nein, wir sind lediglich zum Kreis der Erwählten und Berufenen hinzugekommen.

Ich finde, dass es das Lied 293 schön ausdrückt, eine Nachdichtung des ganz kurzen Psalms 117:
„Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all,
Lobt Gott von Herzensgrunde,
Preist ihn, ihr Völker allzumal,
Dankt ihm zu aller Stunde,
Daß er euch auch erwählet hat
Und mitgeteilet seine Gnad
In Christus, seinem Sohne.“

Freuen wir uns, dass er uns auch erwählet hat.

Dekan i.R. Rudolf Weiß

Text:

Paulus schreibt:

25 Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist;
26 und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob.
27 Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«
28 Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.
29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.
30 Denn wie ihr zuvor Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,
31 so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.
32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
 


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