Liebe Leser,
ich habe im Evangelischen Kirchenlexikon nachgeschlagen unter
Doxologie, wörtlich „Verherrlichungsrede“: „Im engeren Sinne
bezeichnet Doxologie die in allen Hochreligionen vorkommende Form
des Lobpreises der Gottheit in formelhaft kurzen Sätzen zur
Eröffnung bzw. abschließenden Krönung von Gebetsakten, oft auf eine
Akklamation der Kultteilnehmer ausgerichtet.“ (vgl. EKL Bd. 1/2, S.
917)
Wer schon einmal ein richtig gutes Gospelkonzert besucht hat, weiß,
was gemeint ist. Keiner kann sich dem Rhythmus und dem Gesang
entziehen. Die Akklamation der Kultteilnehmer besteht in gemeinsamem
Singen, Klatschen und Tanzen auf Tischen und Bänken: Oh happy day!
Nichts gegen solche Gospelkonzerte und Lobpreisgottesdienste. Schon
Luther hat gewusst, dass der Teufel nichts mehr hasst, als das
Schmettern von Chorälen, die Gott die Ehre geben. Und wir lassen uns
solche Kirchenmusik gerne gefallen als erhabenen oder mitreißenden
Musikgenuss. Schön, wenn wir uns solchen Genuss noch leisten und ihn
wohl gelaunt genießen können.
Ob wir ihn uns noch leisten können, darüber gehen die Meinungen
allerdings auseinander - nicht aus finanziellen Gründen. Die
Theologin Dorothee Sölle war der Meinung, nach Auschwitz könne man
nicht mehr „Lobe den Herrn“ singen. Es ist ja nicht der Teufel, der
vor allem am Lob Gottes nagt, sondern die ganz menschlichen
Schrecken: Krieg und Terror, Hass und Gewalt, der unaufhaltsame Ruin
der lebendigen Erde durch den Menschen, Zerstörung und
Selbstzerstörung, Hunger und Katastrophen, und nicht zuletzt die
Frage nach dem eigenen und dem fremden Leid, das so undurchschaubar
und ungerecht verteilt wird.
Jeder kennt Stunden, in denen er nichts weniger vertragen kann, als
Halleluja-Brüller. Jeder kennt Stunden, in denen die eigene Seele
aufsteht, als einzige große Frage, Klage und Anklage gegen Gott.
Jeder kennt Stunden, in denen er sich fallen spürt und keine Hand
hält ihn auf und keiner hört seinen Schrei. Himmel und Erde rollen
gleichgültig ihre Bahn. „Schwester stürmischer Schwermut/ Sieh ein
ängstlicher Kahn versinkt/ Unter Sternen,/ Dem schweigenden Antlitz
der Nacht.“ (Georg Trakl, Klage) So hat Georg Trakl in einem Gedicht
geklagt.
Dem Apostel Paulus war solche Klage nicht fremd. Er kannte
verschlingende Wasser von seinen Schiffsreisen sogar aus eigener
Anschauung. Ein schmerzliches Paradox hat ihm aber noch viel mehr zu
schaffen gemacht: Warum glaubt das von Gott auserwählte Volk Israel
dem Evangelium und seinem Christus nicht zuerst? Warum glaubt es ihm
nicht, wohl aber die Heiden? Gibt es beim Volk Israel nicht genügend
Anknüpfungspunkte zu dem Juden Jesus von Nazareth? Baut das Alte
Testament nicht unzählige Brücken zum Neuen? Wie kommt es dann, dass
das spärliche Judenchristentum von Anfang an eine aussterbende
Spezies ist, die im Nebel der Geschichte verschwindet? Das hat dem
Apostel Paulus, der selbst einmal ein Pharisäer war, manche
schlaflose Nacht beschert. Er brachte das Evangelium vom Neuen Bund
zu den Heiden und konnte nicht viele Menschen des Alten Bundes
mitbringen. Dieses Paradox musste er erst einmal den Christen in Rom
erklären.
Das Fazit seiner Erklärung ist der erste Satz unseres Predigttextes:
Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller
erbarme. Will heißen: gerade dort, beim auserwählten Volk des Alten
Bundes zeigt sich die Untauglichkeit aller vermeintlichen
Anknüpfungspunkte. Im Blick auf das Heil, das Gott den Menschen
schenken will, hat keiner dem anderen etwas voraus. Es ist ganz
Gottes Heil und deshalb hat Gott in diesem Punkt mit nichts und
niemand eine Rechnung offen. Juden oder Heiden - es steht nur eine
Tür zum Himmelreich offen: Dass Gott sich über alle erbarmt.
Und dann stimmt Paulus die berühmte Doxologie, den
Verherrlichungsgesang auf die Tiefe des Reichtums der Weisheit und
der Erkenntnis Gottes an, der im Grunde eine „Para-Doxologie“ ist:
(Vgl. Gerhard Sauter, GPM, Heft 3/2004, S. 346). Paradox,
widersinnig, der Vernunft widersprechend scheint es zu sein, dass
Paulus gerade über dem Volk, das den Christus nicht hören will, die
Reichtümer Gottes mit besonderer Macht aufscheinen sieht.
Para-Doxologie: Während unsere Vernunft göttliche Herrlichkeit nur
als Gegenteil zu menschlicher Unvollkommenheit, Schwachheit und
Verlorenheit definieren kann, liegt die Tiefe christlicher
Gottesweisheit darin, dass der Gott in der Höhe auch die in der
Tiefe umfassen und nach Hause bringen kann. Diesen Gott kann man
nicht nur bewundern, man kann sich ihm anvertrauen.
Para-Doxologie: Während stoische Philosophie zwar sagen kann, dass
in Gott Freud und Leid, Leben und Tod und damit alles beschlossen
liegt, kann der Mensch letztlich beides nur fatalistisch und
gleichgültig anziehen - Jacke wie Hose. Demgegenüber darf der Glaube
erkennen, dass alles von Gott und durch Gott und zu Gott ist. Zu
einem Gott, dem nicht alles gleich gültig ist, sondern zu einem Gott
der sich gegen Erbarmungslosigkeit und Tod mit seinem Leben und
seinem Erbarmen durchsetzen wird.
Para-Doxologie: „Ehre sei Gott in der Hölle!“ - wunderbarer
Versprecher eines Engelkindes bei der Generalprobe zum Krippenspiel.
Darf in Auschwitz wirklich nicht „Lobe den Herren“ gesungen werden?
Darf dieser Ort aus dem Reichtum der Weisheit und der Erkenntnis
Gottes entlassen werden und damit als nackter Ort der
Hoffnungslosigkeit und Gottesferne in die Geschichte eingehen?
Sollte für alle Ewigkeit Gott die Opfer und ihre Mörder an diesem
Ort nicht mehr einholen? Nicht einmal die Schädelstätte auf
Golgatha, auf der Gottes Liebstes sein Leben ließ, ist ein solcher
Ort geblieben. Die Tiefe des Reichtums der Weisheit und der
Erkenntnis Gottes lässt dieser Welt keinen Ort der Verlorenheit,
keinen sinkenden Kahn, keine Zerstörung und Selbstzerstörung. Er
holt sie alle ein mit seinem Erbarmen.
Und setzt sein „Dennoch“ entgegen! Dennoch bleibe ich stets an dir,
denn du hältst mich an meiner rechten Hand (Ps 73/23). Und ob ich
schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du
bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. (Ps 23/4) Wie
überraschend fallen hier Verse aus dem 73. und dem 23 Psalm aus dem
Alten Testament in das Loblied des Paulus ein. Para-Doxologie: Gott
scheint auf, wo keiner es erwartet. Er ist da, wo ihn keiner suchen
würde. Er leitet uns nach seinem Rat; unerforschlich sind seine
Wege, unbegreiflich seine Entscheidungen. Aber das gilt: Du nimmst
mich am Ende mit Ehren an. (Psalm 73/24) Oh happy day!
Manche von uns können von Führung und Fügung in ihrem Leben
erzählen: Genesung von schwerer Krankheit, goldene Umwege durch
Wüste und Leid, D-Day himmlischer Heerscharen, an dem Gott ihnen ihr
Schicksal entschleiert. Sie halten einen Zipfel von der Tiefe des
Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes in ihrer Erinnerung
und viel mehr noch im Herzen. Ein solches Herz kennt keinen Ort mehr
im Leben und im Sterben, der gottverlassen wäre und hat deshalb
keinen Grund für irgendwen und irgendwas die Hoffnung aufzugeben.
Denn solche Hoffnung stirbt auch zuletzt nicht. Sie hat Ewigkeit
durch den einen Gott; den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.
Ihm sei Ehre in Ewigkeit!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text: Paulus schreibt:
32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den
Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der
Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und
unerforschlich seine Wege!
34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber
gewesen«? (Jesaja 40,13)
35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten
müsste«? (Hiob 41,3)
36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei
Ehre in Ewigkeit! Amen.
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