Predigt     Römer 11/32-36     Trinitatis     30.05.10

"Oh happy day!"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

ich habe im Evangelischen Kirchenlexikon nachgeschlagen unter Doxologie, wörtlich „Verherrlichungsrede“: „Im engeren Sinne bezeichnet Doxologie die in allen Hochreligionen vorkommende Form des Lobpreises der Gottheit in formelhaft kurzen Sätzen zur Eröffnung bzw. abschließenden Krönung von Gebetsakten, oft auf eine Akklamation der Kultteilnehmer ausgerichtet.“ (vgl. EKL Bd. 1/2, S. 917)

Wer schon einmal ein richtig gutes Gospelkonzert besucht hat, weiß, was gemeint ist. Keiner kann sich dem Rhythmus und dem Gesang entziehen. Die Akklamation der Kultteilnehmer besteht in gemeinsamem Singen, Klatschen und Tanzen auf Tischen und Bänken: Oh happy day!

Nichts gegen solche Gospelkonzerte und Lobpreisgottesdienste. Schon Luther hat gewusst, dass der Teufel nichts mehr hasst, als das Schmettern von Chorälen, die Gott die Ehre geben. Und wir lassen uns solche Kirchenmusik gerne gefallen als erhabenen oder mitreißenden Musikgenuss. Schön, wenn wir uns solchen Genuss noch leisten und ihn wohl gelaunt genießen können.

Ob wir ihn uns noch leisten können, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander - nicht aus finanziellen Gründen. Die Theologin Dorothee Sölle war der Meinung, nach Auschwitz könne man nicht mehr „Lobe den Herrn“ singen. Es ist ja nicht der Teufel, der vor allem am Lob Gottes nagt, sondern die ganz menschlichen Schrecken: Krieg und Terror, Hass und Gewalt, der unaufhaltsame Ruin der lebendigen Erde durch den Menschen, Zerstörung und Selbstzerstörung, Hunger und Katastrophen, und nicht zuletzt die Frage nach dem eigenen und dem fremden Leid, das so undurchschaubar und ungerecht verteilt wird.

Jeder kennt Stunden, in denen er nichts weniger vertragen kann, als Halleluja-Brüller. Jeder kennt Stunden, in denen die eigene Seele aufsteht, als einzige große Frage, Klage und Anklage gegen Gott. Jeder kennt Stunden, in denen er sich fallen spürt und keine Hand hält ihn auf und keiner hört seinen Schrei. Himmel und Erde rollen gleichgültig ihre Bahn. „Schwester stürmischer Schwermut/ Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt/ Unter Sternen,/ Dem schweigenden Antlitz der Nacht.“ (Georg Trakl, Klage) So hat Georg Trakl in einem Gedicht geklagt.

Dem Apostel Paulus war solche Klage nicht fremd. Er kannte verschlingende Wasser von seinen Schiffsreisen sogar aus eigener Anschauung. Ein schmerzliches Paradox hat ihm aber noch viel mehr zu schaffen gemacht: Warum glaubt das von Gott auserwählte Volk Israel dem Evangelium und seinem Christus nicht zuerst? Warum glaubt es ihm nicht, wohl aber die Heiden? Gibt es beim Volk Israel nicht genügend Anknüpfungspunkte zu dem Juden Jesus von Nazareth? Baut das Alte Testament nicht unzählige Brücken zum Neuen? Wie kommt es dann, dass das spärliche Judenchristentum von Anfang an eine aussterbende Spezies ist, die im Nebel der Geschichte verschwindet? Das hat dem Apostel Paulus, der selbst einmal ein Pharisäer war, manche schlaflose Nacht beschert. Er brachte das Evangelium vom Neuen Bund zu den Heiden und konnte nicht viele Menschen des Alten Bundes mitbringen. Dieses Paradox musste er erst einmal den Christen in Rom erklären.

Das Fazit seiner Erklärung ist der erste Satz unseres Predigttextes: Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme. Will heißen: gerade dort, beim auserwählten Volk des Alten Bundes zeigt sich die Untauglichkeit aller vermeintlichen Anknüpfungspunkte. Im Blick auf das Heil, das Gott den Menschen schenken will, hat keiner dem anderen etwas voraus. Es ist ganz Gottes Heil und deshalb hat Gott in diesem Punkt mit nichts und niemand eine Rechnung offen. Juden oder Heiden - es steht nur eine Tür zum Himmelreich offen: Dass Gott sich über alle erbarmt.

Und dann stimmt Paulus die berühmte Doxologie, den Verherrlichungsgesang auf die Tiefe des Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes an, der im Grunde eine „Para-Doxologie“ ist: (Vgl. Gerhard Sauter, GPM, Heft 3/2004, S. 346). Paradox, widersinnig, der Vernunft widersprechend scheint es zu sein, dass Paulus gerade über dem Volk, das den Christus nicht hören will, die Reichtümer Gottes mit besonderer Macht aufscheinen sieht.

Para-Doxologie: Während unsere Vernunft göttliche Herrlichkeit nur als Gegenteil zu menschlicher Unvollkommenheit, Schwachheit und Verlorenheit definieren kann, liegt die Tiefe christlicher Gottesweisheit darin, dass der Gott in der Höhe auch die in der Tiefe umfassen und nach Hause bringen kann. Diesen Gott kann man nicht nur bewundern, man kann sich ihm anvertrauen.

Para-Doxologie: Während stoische Philosophie zwar sagen kann, dass in Gott Freud und Leid, Leben und Tod und damit alles beschlossen liegt, kann der Mensch letztlich beides nur fatalistisch und gleichgültig anziehen - Jacke wie Hose. Demgegenüber darf der Glaube erkennen, dass alles von Gott und durch Gott und zu Gott ist. Zu einem Gott, dem nicht alles gleich gültig ist, sondern zu einem Gott der sich gegen Erbarmungslosigkeit und Tod mit seinem Leben und seinem Erbarmen durchsetzen wird.

Para-Doxologie: „Ehre sei Gott in der Hölle!“ - wunderbarer Versprecher eines Engelkindes bei der Generalprobe zum Krippenspiel. Darf in Auschwitz wirklich nicht „Lobe den Herren“ gesungen werden? Darf dieser Ort aus dem Reichtum der Weisheit und der Erkenntnis Gottes entlassen werden und damit als nackter Ort der Hoffnungslosigkeit und Gottesferne in die Geschichte eingehen? Sollte für alle Ewigkeit Gott die Opfer und ihre Mörder an diesem Ort nicht mehr einholen? Nicht einmal die Schädelstätte auf Golgatha, auf der Gottes Liebstes sein Leben ließ, ist ein solcher Ort geblieben. Die Tiefe des Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes lässt dieser Welt keinen Ort der Verlorenheit, keinen sinkenden Kahn, keine Zerstörung und Selbstzerstörung. Er holt sie alle ein mit seinem Erbarmen.

Und setzt sein „Dennoch“ entgegen! Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich an meiner rechten Hand (Ps 73/23). Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. (Ps 23/4) Wie überraschend fallen hier Verse aus dem 73. und dem 23 Psalm aus dem Alten Testament in das Loblied des Paulus ein. Para-Doxologie: Gott scheint auf, wo keiner es erwartet. Er ist da, wo ihn keiner suchen würde. Er leitet uns nach seinem Rat; unerforschlich sind seine Wege, unbegreiflich seine Entscheidungen. Aber das gilt: Du nimmst mich am Ende mit Ehren an. (Psalm 73/24) Oh happy day!

Manche von uns können von Führung und Fügung in ihrem Leben erzählen: Genesung von schwerer Krankheit, goldene Umwege durch Wüste und Leid, D-Day himmlischer Heerscharen, an dem Gott ihnen ihr Schicksal entschleiert. Sie halten einen Zipfel von der Tiefe des Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes in ihrer Erinnerung und viel mehr noch im Herzen. Ein solches Herz kennt keinen Ort mehr im Leben und im Sterben, der gottverlassen wäre und hat deshalb keinen Grund für irgendwen und irgendwas die Hoffnung aufzugeben. Denn solche Hoffnung stirbt auch zuletzt nicht. Sie hat Ewigkeit durch den einen Gott; den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

Paulus schreibt:

32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!
34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13)
35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste«? (Hiob 41,3)
36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
 


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