Liebe Leser,
in schwierigen Zeiten müssen wir alle Opfer bringen. Kurzarbeit ist
immer noch bessern als gar keine Arbeit. Lohnverzicht soll die
fehlenden Einnahmen bei spärlich gefüllten Auftragsbüchern
ausgleichen. Immer mehr Menschen müssen für eine geringfügige
Beschäftigung oder eine halbe Stelle dankbar sein.
Das ist auf Erden wie in der Kirche. In diesem Jahr soll in der
Evangelischen Kirche ein neuer Stellenplan beschlossen werden. Da
die Gemeinden im Dekanat Hof vor allem wegen Abwanderung circa 10%
ihrer Mitglieder verloren haben, wird es entsprechende Kürzungen
geben. Man muss kein Prophet sein, um sich auszumalen, dass da dann
die einen erklären, warum sie auf nichts verzichten können und
gleichzeitig den anderen erklären, warum sie Opfer zu bringen haben.
Höhere Ziele und Werte werden ins Feld geführt und Mitarbeiter immer
kleinteiliger verrechnet.
Man kann sich vorstellen, dass schon die Halbierung eines
Geistlichen keine besonders angenehme Maßnahme ist. Aber was ist
eigentlich eine viertel Stelle? Das Vierteilen war im Mittelalter
eine beliebte Strafe, die nun auch Geistliche und andere kirchliche
Mitarbeiter ereilt. Da zieht dann an jedem seiner Gliedmaßen ein
anderer Esel oder Ochse. Im Mittelalter dauerte die Prozedur so
lange, bis der Arme zerriss und/oder der Tod eintrat. Heute wird dem
Bedauernswerten vom Vorgesetzten auch noch ein Dienstplan
mitgegeben, der genau festlegt, welches Bein er sich zuerst und
welches zuletzt ausreißen soll. Es darf gelacht werden.
Das ist sicher nicht gemeint, wenn Paulus uns auffordert, unsere
Leiber als ein Opfer hinzugeben. Ein Ausleger schreibt: „Der
religiös überhitzte Nachfolger könnte die Aufforderung zur
Selbstleugnung und Selbstaufopferung als Einladung zur
Selbstzerfleischung verstehen. … Es wird etwas abgehauen und
abgetötet. Und wer darüber noch Freude empfindet, schlittert in
krankhafte Formen von Frömmigkeit. Man muss nicht Drewermanns
„Kleriker" lesen, um zu erkennen, dass solche selbstzerstörerischen
Mechanismen von Macht- und Ohnmachtspielen in der Kirche gut
versteckt und religiös verbrämt werden können.“ (Ralph Kunz, GPM,
4/2009, Heft 1, S. 88) Übrigens: das Phänomen der religiös
motivierten Selbstmordattentäter gehört genau in diesen
Zusammenhang. Sie opfern sich und möglichst viele andere. Sie
hinterlassen nichts als Tod und Leid. Welcher Gott soll daran
gefallen finden und in welchem Reich der Himmel wäre für sie Platz?
Man darf deshalb fragen, welcher Schalk eigentlich Paulus im Nacken
saß, als er diese Zeilen schrieb. Ich ermahne euch nun, liebe
Geschwister, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber
hingebt als ein Opfer - und jetzt kommt‘s - das lebendig, heilig und
Gott wohlgefällig ist. Alles,was auf den Altären dieser Welt den
Göttern geopfert wurde und wird, um diese gnädig zu stimmen,
zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es mausetot ist. Es gibt
also gar keine lebendigen Opfer! Und es gibt im christlichen Denken
bekanntlich erst recht keine Opfer, die Gott gnädig stimmen.
Paulus hätte nach heutiger Schreibweise das Wort „Opfer“ deshalb in
dicke Anführungsstriche gesetzt um auch dem Begriffsstutzigen
deutlich zu machen, dass es ironisch gemeint ist. Im Brief an die
Gemeinde in Rom schreibt er gleich im ersten Kapitel: Weißt Du
nicht, dass die Güte Gottes dich zur Umkehr treibt? (Römer 2,4) Es
ist also genau umgekehrt: Nicht das menschliche Opfer stimmt Gott
gnädig. Sondern die Güte Gottes bringt den Menschen zur Umkehr. Sie
stimmt den Menschen gnädig. Zum Beispiel.
Der Opferbegriff im Munde des Paulus ist deshalb eine Kampfansage an
die religiösen und weltlichen Opfergebräuche dieser Welt. Zum
Beispiel auch an die Praxis, die Arbeitsplätze von Menschen und
deren Existenz zu opfern um die Aktionäre gnädig zu stimmen. Der
gute Hirte, als den der Christus sich vorstellt, kann nicht eines
seiner Schafe opfern. Lieber lässt er die anderen allein, um das
eine verlorene zu retten. Lieber setzt er sein eigenes Leben aufs
Spiel, um die Seinen zu schützen. Das ist eine andere Logik als die
Opferlogik dieser Welt. Paulus ermuntert und ermahnt uns, der neuen
Gotteslogik zu folgen.
Dies hat nun freilich zwangsläufig zur Folge, dass der Sinn, das
Denken, das Fühlen, das Hinschauen und Urteilen des Menschen einer
Wandlung und Erneuerung unterzogen wird. Vielleicht haben Sie sich
längst gefragt, was ein solcher Predigttext an einem Sonntag unter
dem Leitmotiv „Die Taufe Jesu“ verloren hat. Auch dort am Jordan
geschieht eine Wandlung und Erneuerung. Jesus von Nazareth steigt
aus den Fluten als der Sohn, an dem Gott Wohlgefallen hat. So war
auch unsere Taufe die Begründung der Gotteskindschaft.
Der Geist Gottes, den man deshalb den Heiligen nennt, schwebt auf
den Christus herab und bringt ihn auf den Weg der Einheit und
innigen Verbundenheit mit seinem himmlischen Vater. Er geht den Weg
voran, den die Jünger und wir als seine ebenfalls getauften,
ebenfalls mit Heiligem Geist beschenkten Nachfolger gehen sollen.
Dies ist ein zutiefst mystischer Vorgang und doch einer, der den
Menschenverstand nicht ausklammert, sondern gesunden lässt. Die
Aufforderung des Paulus, uns zu ändern, muss passivisch verstanden
werden. Steht dem Heiligen Geist und euerer Gotteskindschaft nicht
im Weg. Lasst zu, dass beides durchschlägt auf euer Denken und
Handeln in dieser Welt.
Neben meinem Bett steht seit einiger Zeit ein Wecker, der sich jede
Nacht mit einem Funksignal, das ein Satellit abstrahlt,
synchronisiert. So zeigt er immer die richtige Zeit an. Wer als Kind
Gottes lebt, tut Vergleichbares durch die gespannte Aufmerksamkeit auf
Gott und sein Wort. Mein Wecker ist so eingestellt, dass er genau
weiß, mit welchem Signal unter unzähligen anderen er sich
synchronisieren muss. Auch uns Christenmenschen, ja der ganzen
Kirche sollte Vergleichbares klar sein. Wir können uns nicht mit dem Geist der
Zeit und mit dem Geist Gottes gleichzeitig synchronisieren. Wir
können uns nicht dieser Welt gleich stellen und gleichzeitig als
Kinder Gottes leben wollen. Es funktioniert nicht. Wer es trotzdem
versucht - wofür der Begriff des „Wir-auch-Protestantismus“ geprägt
wurde, tickt irgendwann nicht mehr richtig. Deshalb predigen wir
zwar zu Menschen unserer Zeit, aber nicht den Geist der Zeit, sondern das Wort
Gottes. Auch die evangelische Kirche sollte ernst nehmen, dass
dieses Wort Gottes und der Geist der Zeit eine Differenz aufweisen
und zu allen Zeiten im Streit liegen. Eine Kirche, die „everybodys
darling“ sein und auf allen Hochzeiten mittanzen will, wird
zwangsläufig irgendwann völlig vergessen, warum man ihren Christus
mit ausdrücklichem Hinweis auf seine Botschaft ans Kreuz geschlagen
hat.
Es ist eben nicht Aufgabe der Kirche, dieser Welt und dem Leben der
Menschen ein bisschen religiösen Glanz zu verleihen. Deshalb bleibt
mit Meister Eckhart zu predigen, dass die Zuwendung Gottes zu seiner
Welt von uns zunächst die Abkehr von der Welt und den Dingen
fordert, die gerne selbst der letzte Horizont unseres Lebens wären.
Neben Gott hat nichts Platz und Gott macht sich Platz, wo wir ihn
einlassen. Hierfür feiern wir den liturgischen Gottesdienst am Tag
des Herrn, der Sonntag heißt.
Die Schreckensmeldung für jeden Konfirmanden lautet denn auch: Der
Gottesdienst des Christenmenschen ist mit dem Segen nicht zu Ende,
sondern fängt erst richtig an. Der vernünftige Gottesdienst im
Alltag der Welt folgt aus dem liturgischen Gottesdienst. Er zeigt
und bewährt unsere Gotteskindschaft im Alltag der Welt. Zum
Beispiel, wenn der Christenmensch im Zweifelsfall nicht zuerst in
der Rechtsammlung nachschlägt, die Dienstordnung studiert und beim
Vorgesetzten nachfragt, sondern beherzt in Angriff nimmt, was Gott
und sein Wort ihm über den Weg führen. Mit Gott wirken, hat Meister
Eckhart das genannt. Nicht mehr und nicht weniger.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit
Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig,
heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger
Gottesdienst.
2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch
durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes
Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.
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