Liebe Leser,
Berthold Brecht schreibt in der Rückschau auf sein Leben:
„Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut,
In der wir untergegangen sind,
Gedenkt,
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit,
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch,
Öfter als die Schuhe die Länder wechselnd,
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt,
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
Dabei wissen wir doch:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir,
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird,
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist,
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht."
(Bertolt Brecht, zitiert nach EG (Bayern), S. 457)
Sätze voller Menschlichkeit sind das, auch wenn sie aus vergangenen Zeiten
stammen. Aus den Zeiten der Weltkriege und der Klassenkämpfe infolge der
Industrialisierung am Beginn des letzten Jahrhunderts, in denen
Arbeitnehmer von Gewerkschaften nur träumen konnten, wie wir sie heute
haben. Oder denken wir an die 60er und 70er Jahre, in denen politische
Überzeugungen Familien entzweiten und der Streit darüber, wann der
Sohnemann endlich zum Friseur geht, nicht ständig in Blue Jeans herumläuft
und seine Negermusik leiser dreht, an der Tagesordnung war. Jugendliche,
wie Joschka Fischer gingen auf die Straße und entschieden die Frage, ob
Gewalt ein Mittel sei gegen Unrecht zu kämpfen, auf ihre Weise. „Eines
Morgens“, sagte Joschka Fischer einmal in einem Interview, „eines Morgens
sah ich in den Spiegel und erkannte in meinem Gesicht genau das, was ich
an meinem Vater immer gehasst hatte.“ Womit er Jahrzehnte später bei der
selben Erkenntnis wie Berthold Brecht angelangt war.
Fast scheint es so, dass dies eine Schule ist, durch die jedes
Menschenleben und jedes Christenleben hindurchgehen muss. Auch Paulus
kritisiert ja nicht, dass Christen Rachegefühle entwickeln, dass sie dem
Unrecht, dass ihnen selbst oder anderen angetan wird, nicht empfindungs-
und tatenlos zusehen können. Paulus weiß um die zu allen Zeiten gültige
Wahrheit, die Schiller im „Tell“ ausspricht: „Es kann der Frömmste nicht
im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Wer hier unbehelligt durchs Christenleben kommt, muss sich Gedanken
machen, ob er nicht ein großer Opportunist ist, der sein Fähnchen in den
Wind hängt und immer auf der Seite der Mehrheit ist. Der Schweizer
Reformator Johannes Calvin warnt deshalb vor zwei Missverständnissen
frommer Friedensbereitschaft: „Zuerst dürfen wir nicht nach aller Menschen
Liebe haschen, dass wir auch um Christi willen unter keinen Umständen
irgend eines Menschen Hass auf uns nehmen wollen. ... Zweitens muss unsere
Gewandtheit uns nicht verleiten, zu allem und jedem ungefähr ja zu sagen:
denn damit würden wir um eines faulen Friedens willen nur den Fehlern der
Menschen schmeicheln.“ (zitiert nach GPM, Heft 3,1996, S. 306) Das sollte
sich auch unsere Kirche zu Herzen nehmen, wenn sie im Blick auf ihre
„Kunden“ versucht, es möglichst vielen Recht zu machen, wie Herr Kaiser
von der Hamburg Mannheimer. Und so mancher brave Christenmensch steckt ein
und steckt ein, gibt klein bei und klein bei, bis er nicht mehr kann und
explodiert oder implodiert, gegen andere losschlägt oder gegen sich
selbst.
Wer so handelt wird einer, der sich vom Bösen letztlich überwinden lässt.
Dieses Schicksal ereilt den Opportunisten ebenso, wie den stummen
Erdulder. Das Streben nach Frieden ist nach Paulus kein passiver Prozess
und erschöpft sich nicht darin, etwas zu unterlassen. Christliche Ethik
ist etwas ganz anderes, als ein Katalog von Dingen, die ein Christ nicht
tut, nicht denkt und nicht fühlt. Ein leider weit verbreitetes
Missverständnis. Paulus sagt es ganz anders: Lass dich nicht vom Bösen
überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!
Etwas tun ist angesagt! Aktiv werden, ist angesagt, nicht nur in der
eigenen Hälfte, oder auf seiner Position herumstehen. Eine Fußballspiel
besteht aus 22 Spielern und drei Schiedsrichtern und dauert 90 Minuten.
In der Kirche ist es leider oft anders: Dort besteht das Spiel aus 3
Spielern und 22 Schiedsrichtern und dauert das ganze Leben.
Schiedsrichter, die wie diese Tage bei der Weltmeisterschaft, ständig die
Hand an der gelben und der roten Karte haben und sich dann, wenn sie den
letzten Spieler vom Platz gestellt haben, darüber beklagen, dass in der
Kirche nichts mehr los ist.
Eine solche Kirche stellt sich selbst ins Abseits. Denn in der Gemeinde
Gottes sind wir alle Spieler und wir alle haben einen
Schiedsrichter. Und der ist niemand anderes als Gott selbst. Und daher
haben wir untereinander nichts zu streiten, es sei denn für unseren Gott
und sein Wort. Ja, dafür soll und muss gestritten werden, um Gottes Willen
und um der Menschen willen. Dieses Wort darf in unserer Mitte und vor den
Mächtigen dieser Welt nicht verschwiegen werden, weil es dem ein oder
anderen nicht in den Kram passt. Schon gar nicht für einen faulen Frieden,
der für niemanden taugt.
In der Schule laufen mir immer wieder einmal diese zutiefst
friedensbewegten Eltern über den Weg, die ihrem aggressiven Nachwuchs
gebetsmühlenartig vorsagen: Du darfst dich doch nicht streiten! Das macht
man doch nicht! So zieht man sich die brutalsten Schläger heran! Was für
ein Irrsinn. Natürlich sollen die Kinder ihre Kämpfe austragen. Es geht im
Leben nicht ohne. Aber was sie dabei unbedingt lernen sollen und müssen
ist, dass es in diesem Kampf Regeln gibt, an die sich alle zu halten
haben. Und das ist leider eine Einsicht, die unter uns nicht mehr
selbstverständlich ist.
Das gilt auch für uns Christen. Freilich, wenn wir etwas zu richten und zu
streiten haben, dann verlangt Paulus mehr von uns. Er verlangt von uns,
dass wir dabei an dem Maß nehmen, der in einzigartiger und unüberbietbarer
Weise für das Wort Gottes gestritten hat: Unser Herr Jesus Christus. Der
würde an einen Berthold Brecht und an einen Joschka Fischer mit Nachsicht
denken, wie an diesen tapferen Petrus, der im Garten Gethsemane sein
Schwert zieht und losschlägt. Auch auf dem Stuhl Petri sitzt ein
ehemaliger Schläger, dem Gewalt für eine gute Sache gut genug war. (vgl.
Matthäus 26/51) Dem erklärt Jesus die Regeln des Himmelreichs, indem er
das Ohr des Soldaten wieder heil macht. Die Wunden von Streit und Gewalt
verschwinden nicht durch Streit und Gewalt. Sie gehören verbunden. Sie
gehören geheilt. Sie können nur durch das Gute ersetzt werden.
Das ist etwas, was unsere Kraft übersteigt. Das kann nur der Erlöser Jesus
Christus, der am Kreuz die Macht und Gewalt des Todes auf sich zieht und
sein göttliches Leben an seine Stelle treten lässt. Der Tod wird
sozusagen, ersatzlos gestrichen – jedem von uns zugute!. Wir sollten
diesem Evangelium etwas zutrauen. Ich denke an so manchen ausweglosen
Streit, der auch am Grab nicht aufhören will. Ich höre die eine und die
andere Seite. Man muss jeder von ihnen mit Nachsicht gedenken. Aber das
hilft nicht weiter. Dieser Streit, denke ich dann, gehört - in Gottes
Namen - ersatzlos gestrichen. Und nun gebt euch die Hände!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
(17)Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber
jedermann.
(18)Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen
Frieden.
(19)Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn
Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein;
ich will vergelten, spricht der Herr.«
(20)Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn,
gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein
Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22).
(21)Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit
Gutem.
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