Predigt     Römer 13/8-12     1. Advent     29.11.15

"Wächter des Morgens"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

„Advent, Advent, die Mutter rennt …“, schrieb Robert Leicht in der ZEIT und fragt am Schluss seines Artikels zu den Auswüchsen des Weihnachtskaufrausches: „Was ich aber wirklich nicht verstehe, ist dieses: Wenn eine Gesellschaft denn wirklich ihre religiösen Wurzeln vergessen will: Weshalb wählt sie sich zum irrwitzigen Höhepunkt dieses Tanzes um das goldene Kalb ausgerechnet – ein christliches Fest? Und das angesichts der Tatsache, dass dieses Fest – Christi Geburt! – an eine legendäre Nacht erinnert, in der die unmittelbar Beteiligten (Maria, Joseph, das Kind – „in der Krippe liegend“ – und die Hirten) weder ein richtiges Dach über dem Kopf hatten noch sonst über das verfügen konnten, was hierzulande selbst die Sozialhilfeempfänger beanspruchen können. Aber so sind halt unsere Materialisten: Ganz ohne Religion rollt der Rubel nicht. Auch wenn sie zu diesem Behufe zum Götzendienst pervertiert werden muss.“ (ders. in DIE ZEIT Nr. 47/2003)

Grundsätzliche Gedanken sind das und wohl angebracht am ersten Advent, wo wir uns wie alle Jahre wieder anschicken, ein Weihnachtsfest zu feiern. Und das können wir Christenmenschen nicht ohne Licht. Nicht ohne das Licht des Verstandes, der wahrnimmt, dass wir in einer Gesellschaft leben, die ihre christlichen Wurzeln vergessen will und der die Geburt Christi gerade noch recht ist, um das Geschäft anzukurbeln. Und wir können es nicht ohne das Licht des Wortes Gottes, nicht ohne, dass wir uns einer solchen Gesellschaft zum Trotz auf unsere Wurzeln besinnen.

Um Gottes Willen! Paulus hält uns heute die zweite Tafel der Gebote vor, die das Miteinander der Menschen betrifft. Unsere Zeiten sind freilich so, dass wir auch die erste Tafel nicht vergessen wollen, auf der geschrieben steht, dass wir Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen sollen. Der Tanz ums goldene Kalb in den Glitzerwelten der Galerien steigert den Gegensatz zum ärmlichen Stall von Bethlehem gerade in der Weihnachtszeit zur unübersehbaren Differenz zwischen Gott und dem Geld. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Mt. 6/24), wird das Kind in der Krippe später sagen und damit auch andeuten, dass die Umstände seiner Geburt kein böser Zufall waren. Und keiner soll meinen, dass es ein Zufall ist, dass aus Wirtschaftskreisen gerade zur Adventszeit zum Schleifen des Sonntags geblasen wird. Gott kommt zur Welt und seine Konkurrenz schläft nicht, um Geschäfte mit ihm zu machen.

Schlafen sollen wir auch nicht, um die Zeit zu erkennen. Böse Zeit, finstere Zeit, in der der Euro mal zu weich und mal zu hart ist. In der die Regierenden alle Monate zittern vor den neuen Zahlen vom Arbeitsmarkt. In der der Silberstreif am Horizont vom Ifo Institut verkündet wird. In der unser Heil abhängt vom Geschäftsklimaindex und der Konjunkturprognose. Böse Zeit, finstere Zeit, in der die Kirche ihren Horizont bestimmt anhand von Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung. In der uns finanziell das Wasser bis zum Hals steht, und wenn nicht heute, dann spätestens übermorgen. Böse Zeit, finstere Zeit, in der wir getrieben sind von unseren Ängsten und Sorgen, dass das Elend dieser Welt und ihre Grausamkeit und die davon betroffenen Armen, Elenden und Flüchtlinge keine Obergrenze kennen, kein Raum mehr in der Herberge ist und das Boot zum Kentern voll - während die Geldströme schon wieder entfesselt und globalisiert um die Erde jagen und sich dort endgültig aus dem Staub machen, wo das Elend vollkommen ist. Wer möchte nicht lieber schlafen, um gerade diese Zeit nicht erkennen zu müssen.

Darum hört von einer anderen Zeit; von einem anderen Kairos, von einem anderen entscheidenden Augenblick: Nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu jeder Zeit. Gott selbst kommt wie der Tag nach einer langen Nacht. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. Gute Zeit, helle Zeit. Es ist Gott selbst, der sich auf den Weg hinunter auf unsere dunkle Erde macht, um aller Finsternis zum Trotz seine Weihnachtslichter anzuzünden und um sich selbst denen, die ihn so geschäftig vergessen wollen, in Erinnerung zu rufen.

Diesem Kairos, diesem entscheidenden Augenblick, gilt in der Adventszeit unsere ganze Aufmerksamkeit. Weil er kommt, führt uns jeder dunkle Tag näher hin auf das kommende Heil. So wird der Advent zum Sinnbild unserer Existenz: Auf dem Weg durch die Nacht, dem Morgen entgegen. „Meine Seele wartet auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen“, seufzt der Verfasser des 130. Psalms (V 6). Aber da ist er schon ein adventlicher Mensch geworden und kein Nachtwächter mehr, sondern ein Wächter des Morgens.

Nachtwächter haben nur eine Sorge: Dass bei ihnen der Ofen und das Licht ausgehen könnte und der eigene Platz nicht reicht. Und deshalb sind wir auch zumeist eine Nation von Nachtwächtern: Jeder schaut, dass bei ihm das Licht nicht ausgeht. Der Wächter des Morgens hat solche Sorgen nicht, denn er weiß, dass es bald Wärme und Licht im Überfluss gibt. In diesem Licht, wird er den Schein seiner eigenen Laterne gar nicht mehr sehen. Es überstrahlt, was er vorher für seinen Halt und seine Rettung hielt.

Wir begreifen schnell, wie Paulus deshalb angesichts des kommenden Morgen zur Liebe mahnt, zu „Brot für die Welt“ und zur Abkehr von der Sorge, dass bei mir das Licht ausgehen könnte. Ja, die Liebe, die von der Fülle des kommenden Heils austeilt, ist die einzig vernünftige Reaktion auf die Botschaft vom Advent Gottes. Die eigene Laterne ist bald gar nichts mehr wert. Jetzt eignet sie sich noch zum Verschenken.

Jetzt kann dem andern noch ein Licht angezündet werden. Denn er ist wie du! Hin und her gerissen zwischen der Angst um das eigene Licht und der Hoffnung auf den kommenden Morgen; zwischen dem Gott, der die gute Zukunft der Welt ist und dem Götzen Geld und Konsum, der sich für die gute Zukunft der Welt hält, zwischen dem Silberstreif, den das Ifo Institut verkündet und der Botschaft vom Advent des Weihnachtslichts.

Längst haben die „Geiz ist geil“ Prediger ihre eigene Blödheit begriffen. Wer geizig ist, hat nichts zu verschenken. Wer hoffnungslos ist, hat nichts zu verschenken. Wer Angst hat, hat nichts zu verschenken. Ein Volk von Nachtwächtern hat nichts zu verschenken. Geiz hat so gar nichts, nicht einmal Konjunktur. Erkennen wir die Zeit! Die „Mutter aller Schnäppchen“ und den „Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes“(2.Kor. 1/3). Beiden kann man nicht gleichzeitig hinterher. Beide haben nichts miteinander zu tun. Die eine will an dein Geld und der andere will sich verschenken. Die eine macht ihren Laden um 20 Uhr dicht und der andere will mit dir durch die Nacht. Und dir zeigen, wie man vom Nachtwächter zum Wächter des Morgens wird.

Zu einem Menschen bei dem Hoffnung und Liebe wieder Konjunktur haben; der in seinen Tüten auch Brot für die Welt hat und Raum in der Herberge und Waffen aus Licht, vor denen jede Finsternis flieht.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

Paulus schreibt:

8 Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
9 Denn was da gesagt ist (2.Mose 20,13-17): »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3.Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«
10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.
12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.
 

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