Liebe Leser,
„Advent, Advent, die Mutter rennt …“, schrieb
Robert Leicht in der ZEIT und fragt am Schluss seines Artikels zu
den Auswüchsen des Weihnachtskaufrausches: „Was ich aber wirklich
nicht verstehe, ist dieses: Wenn eine Gesellschaft denn wirklich
ihre religiösen Wurzeln vergessen will: Weshalb wählt sie sich zum
irrwitzigen Höhepunkt dieses Tanzes um das goldene Kalb ausgerechnet
– ein christliches Fest? Und das angesichts der Tatsache, dass
dieses Fest – Christi Geburt! – an eine legendäre Nacht erinnert, in
der die unmittelbar Beteiligten (Maria, Joseph, das Kind – „in der
Krippe liegend“ – und die Hirten) weder ein richtiges Dach über dem
Kopf hatten noch sonst über das verfügen konnten, was hierzulande
selbst die Sozialhilfeempfänger beanspruchen können. Aber so sind
halt unsere Materialisten: Ganz ohne Religion rollt der Rubel nicht.
Auch wenn sie zu diesem Behufe zum Götzendienst pervertiert werden
muss.“ (ders. in DIE ZEIT Nr. 47/2003)
Grundsätzliche Gedanken sind das und wohl angebracht am ersten
Advent, wo wir uns wie alle Jahre wieder anschicken, ein
Weihnachtsfest zu feiern. Und das können wir Christenmenschen nicht
ohne Licht. Nicht ohne das Licht des Verstandes, der wahrnimmt, dass
wir in einer Gesellschaft leben, die ihre christlichen Wurzeln
vergessen will und der die Geburt Christi gerade noch recht ist, um
das Geschäft anzukurbeln. Und wir können es nicht ohne das Licht des
Wortes Gottes, nicht ohne, dass wir uns einer solchen Gesellschaft
zum Trotz auf unsere Wurzeln besinnen.
Um Gottes Willen! Paulus hält uns heute die zweite Tafel der Gebote
vor, die das Miteinander der Menschen betrifft. Unsere Zeiten sind
freilich so, dass wir auch die erste Tafel nicht vergessen wollen,
auf der geschrieben steht, dass wir Gott über alle Dinge fürchten,
lieben und vertrauen sollen. Der Tanz ums goldene Kalb in den
Glitzerwelten der Galerien steigert den Gegensatz zum ärmlichen
Stall von Bethlehem gerade in der Weihnachtszeit zur unübersehbaren
Differenz zwischen Gott und dem Geld. Ihr könnt nicht Gott dienen
und dem Mammon (Mt. 6/24), wird das Kind in der Krippe später sagen
und damit auch andeuten, dass die Umstände seiner Geburt kein böser
Zufall waren. Und keiner soll meinen, dass es ein Zufall ist, dass
aus Wirtschaftskreisen gerade zur Adventszeit zum Schleifen des
Sonntags geblasen wird. Gott kommt zur Welt und seine Konkurrenz
schläft nicht, um Geschäfte mit ihm zu machen.
Schlafen sollen wir auch nicht, um die Zeit zu erkennen. Böse Zeit,
finstere Zeit, in der der Euro mal zu weich und mal zu hart ist. In
der die Regierenden alle Monate zittern vor den neuen Zahlen vom
Arbeitsmarkt. In der der Silberstreif am Horizont vom Ifo Institut
verkündet wird. In der unser Heil abhängt vom Geschäftsklimaindex
und der Konjunkturprognose. Böse Zeit, finstere Zeit, in der die
Kirche ihren Horizont bestimmt anhand von Prognosen zur
Bevölkerungsentwicklung. In der uns finanziell das Wasser bis zum
Hals steht, und wenn nicht heute, dann spätestens übermorgen. Böse
Zeit, finstere Zeit, in der wir getrieben sind von unseren Ängsten
und Sorgen, dass das Elend dieser Welt und ihre Grausamkeit und die
davon betroffenen Armen, Elenden und Flüchtlinge keine Obergrenze
kennen, kein Raum mehr in der Herberge ist und das Boot zum Kentern
voll - während die Geldströme schon wieder entfesselt und
globalisiert um die Erde jagen und sich dort endgültig aus dem Staub
machen, wo das Elend vollkommen ist. Wer möchte nicht lieber
schlafen, um gerade diese Zeit nicht erkennen zu müssen.
Darum hört von einer anderen Zeit; von einem anderen Kairos, von
einem anderen entscheidenden Augenblick: Nämlich dass die Stunde da
ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu
jeder Zeit. Gott selbst kommt wie der Tag nach einer langen Nacht.
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. Gute
Zeit, helle Zeit. Es ist Gott selbst, der sich auf den Weg hinunter
auf unsere dunkle Erde macht, um aller Finsternis zum Trotz seine
Weihnachtslichter anzuzünden und um sich selbst denen, die ihn so
geschäftig vergessen wollen, in Erinnerung zu rufen.
Diesem Kairos, diesem entscheidenden Augenblick, gilt in der
Adventszeit unsere ganze Aufmerksamkeit. Weil er kommt, führt uns
jeder dunkle Tag näher hin auf das kommende Heil. So wird der Advent
zum Sinnbild unserer Existenz: Auf dem Weg durch die Nacht, dem
Morgen entgegen. „Meine Seele wartet auf den Herrn, mehr als die
Wächter auf den Morgen“, seufzt der Verfasser des 130. Psalms (V 6).
Aber da ist er schon ein adventlicher Mensch geworden und kein
Nachtwächter mehr, sondern ein Wächter des Morgens.
Nachtwächter haben nur eine Sorge: Dass bei ihnen der Ofen und das
Licht ausgehen könnte und der eigene Platz nicht reicht. Und deshalb
sind wir auch zumeist eine Nation von Nachtwächtern: Jeder schaut,
dass bei ihm das Licht nicht ausgeht. Der Wächter des Morgens hat
solche Sorgen nicht, denn er weiß, dass es bald Wärme und Licht im
Überfluss gibt. In diesem Licht, wird er den Schein seiner eigenen
Laterne gar nicht mehr sehen. Es überstrahlt, was er vorher für
seinen Halt und seine Rettung hielt.
Wir begreifen schnell, wie Paulus deshalb angesichts des kommenden
Morgen zur Liebe mahnt, zu „Brot für die Welt“ und zur Abkehr von
der Sorge, dass bei mir das Licht ausgehen könnte. Ja, die Liebe,
die von der Fülle des kommenden Heils austeilt, ist die einzig
vernünftige Reaktion auf die Botschaft vom Advent Gottes. Die eigene
Laterne ist bald gar nichts mehr wert. Jetzt eignet sie sich noch
zum Verschenken.
Jetzt kann dem andern noch ein Licht angezündet werden. Denn er ist
wie du! Hin und her gerissen zwischen der Angst um das eigene Licht
und der Hoffnung auf den kommenden Morgen; zwischen dem Gott, der
die gute Zukunft der Welt ist und dem Götzen Geld und Konsum, der
sich für die gute Zukunft der Welt hält, zwischen dem Silberstreif,
den das Ifo Institut verkündet und der Botschaft vom Advent des
Weihnachtslichts.
Längst haben die „Geiz ist geil“ Prediger ihre eigene Blödheit
begriffen. Wer geizig ist, hat nichts zu verschenken. Wer
hoffnungslos ist, hat nichts zu verschenken. Wer Angst hat, hat
nichts zu verschenken. Ein Volk von Nachtwächtern hat nichts zu
verschenken. Geiz hat so gar nichts, nicht einmal Konjunktur.
Erkennen wir die Zeit! Die „Mutter aller Schnäppchen“ und den „Vater
der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes“(2.Kor. 1/3). Beiden kann
man nicht gleichzeitig hinterher. Beide haben nichts miteinander zu
tun. Die eine will an dein Geld und der andere will sich
verschenken. Die eine macht ihren Laden um 20 Uhr dicht und der
andere will mit dir durch die Nacht. Und dir zeigen, wie man vom
Nachtwächter zum Wächter des Morgens wird.
Zu einem Menschen bei dem Hoffnung und Liebe wieder Konjunktur
haben; der in seinen Tüten auch Brot für die Welt hat und Raum in
der Herberge und Waffen aus Licht, vor denen jede Finsternis flieht.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
8 Seid niemandem etwas schuldig, außer dass
ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das
Gesetz erfüllt.
9 Denn was da gesagt ist (2.Mose 20,13-17): »Du sollst nicht
ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du
sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in
diesem Wort zusammengefasst (3.Mose 19,18): »Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst.«
10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des
Gesetzes Erfüllung.
11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde
da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als
zu der Zeit, da wir gläubig wurden.
12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So
lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen
des Lichts.
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