Predigt    Römer 14/10-13     4. Sonntag nach Trinitatis    04.07.04

"Einfach lächerlich!"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Paulus konnte streiten. Wenn es um die Wahrheit und die Erkenntnis des Evangeliums von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes ging; wenn es darum ging, dass der Mensch vor Gott nicht durch seine Werke bestehen kann, sondern nur, wenn er sich der Gnade Gottes anvertraut, dann konnte man mit dem Apostel Paulus nicht verhandeln. Dann stand er da und konnte nicht anders, als seinen Gegnern die Konsequenzen ihrer falschen Lehren drastisch vor Augen zu führen. So schreibt er an die Gemeinden in Galatien:

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. (Galater 5/1-4)“ Tertium non datur. Einen dritten Weg gibt es nicht.

Damals entzündete sich der erbitterte Streit zwischen Petrus und Paulus an der Frage, inwieweit Juden, die Christen wurden, noch den jüdischen Kultvorschriften verpflichtet waren. Hier sagte Paulus ein klares Nein und dieses Nein wurde für den Großteil des Judenchristentums zur nicht bestandenen Nagelprobe. Es verschwand im Nebel der Geschichte.

Nun hat sich aber im Heidenchristentum, dessen großer Missionar Paulus war, auch bald eine Vielzahl von Glaubens- und Frömmigkeitsstilen herausgebildet. Immer wo Gemeinden sich bilden, zerfallen sie ab einer gewissen Größe in Gruppen, die ihre eigene Agenda entwickeln, in der mit der Zeit immer genauer geschrieben oder ungeschrieben steht, was ein Christ zu tun und zu lassen hat. In Rom gab es da die Vegetarier und die, die Gott beim Tischgebet auch für ein saftiges Steak dankten; die Abstinenzler und die, die im Gedenken an das Weinwunder Jesu auf der Hochzeit zu Kana, die Gläser erhoben.

Am Sonntag Okuli hatten wir über den Paulustext aus dem Epheserbrief zu predigen: Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. (Vers 3) Da musst Du am Sonntag mal übers Land fahren, sagte ein Kollege zu mir, und dann erkennst Du die Rechten und die Linken. Die Rechten predigen nur über die Unzucht und die Linken nur über die Habsucht. So hat eben jeder sein Steckenpferd, auf dem er herumreitet.

Und wir stellen augenzwinkernd fest: Das Christentum hat bis heute solche hervorgebracht, die an der frischen Luft Bäume umarmen und solche, die sich in stickige Zelte zwängen und mit Inbrunst Jesusschlager absingen und alle sprechen hinterher von einer eindrücklichen Glaubenserfahrung. Da gibt es die Taizegebete und den Gottesdienst nach Agende Eins, die geistliche Abendmusik und den Jugendgottesdienst mit Band, den meditativen Wochenschluss und das protestgeladene Friedensgebet, die liturgische Feier und den SMS-Gottesdienst; kurz, die ganze Fülle des Lebens der Gemeinde Jesu Christi. Und jeder mag halt das, in das er hineingewachsen und hineinsozialisiert wurde.

Da ist es nicht verwunderlich, dass die, die gerne meditieren, keinen Krach in der Kirche mögen und die Rechten nicht die Linken und die einen nicht die anderen. Nein, in der Kirche müssen sich nicht alle mögen. Piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb, steht nicht in der Bibel. Das Land ertrug nicht Abraham und Lot gleichzeitig und so ging der eine rechts und der andere links (1. Mose 13,8).

Schlimm wird es aber da, wo sich die eigene Abneigung und die eigene Vorliebe auf den Richterstuhl Gottes setzt. Schlimm wird es da, wo aus dem eigenen Lebens- und Glaubensstil ein Evangelium oder richtiger ein Gesetz wird, dem sich alle anderen unterwerfen sollen. Schlimm wird es da, wo man die eigene religiöse Sozialisation auch allen anderen zumutet und den, der anders lebt und denkt, verteufelt.

Da kann der Apostel Paulus ganz persönlich werden. Du!, sagt er da, du aber, was tust du da eigentlich? Und mit diesem „Du“ bricht er uns heraus aus unserer Sozialisation, aus dem, was wir im Laufe unseres Lebens als Gut und als Böse erkannt zu haben glauben. Mit diesem „Du“ bricht er uns heraus aus unserer Agenda und aus der Gruppe, aus dem Verein, in dem wir uns wohl fühlen und in dem immer geklatscht wird, wenn wir was sagen. Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Du, bedenke, dort lässt dein Fanclub dich allein. Denn dort wird jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.

Christliches Leben ist nicht Sozialisation in die Gläubigkeit, in die wir hineingeboren oder hineingewachsen sind. Christliches Leben ist Sozialisation in das Himmelreich und seine unendliche Fülle und Weite. Deshalb behält sich der Christus den Richterstuhl vor. Denn sein Herz ist weit genug dafür. Und er weiß wohl, dass unsere Herzen immer ganz eng und hart werden, sobald wir uns auf Richterstühle setzen. Und deshalb schreibt Paulus ganz im Sinne Jesu: Du, komm von diesem Stuhl runter! Hier bist Du fehl am Platz.

Der Richterstuhl gehört dem Christus. Das letzte Wort hat Gott. Seiner Wahrheit können wir nur nachdenken. Und wir werden ihr als Menschen dieser Welt auf ganz verschiedene Weise und auf verschiedenen Wegen nachgehen. Wie könnte es anders sein? Und jeder dieser Wege wird unvollkommen sein, fehlerhaft, mit Schuld behaftet. Dem Splitter im eigenen Auge entgehen wir nicht.

Aber bevor wir ihn vergessen und an den Splittern im Auge des anderen herum doktern, bis sich bei uns die Balken biegen, erinnert uns Paulus an den Ort, wo die letzte Wahrheit zu finden ist. Vor dem Richterstuhl Gottes wird keiner stehen, der mit dem Finger auf andere zeigt, sondern dort werden sich alle Knie beugen. Dort wird keiner mehr ein Urteil gegen den anderen im Mund führen, sondern alle werden Gott bekennen. Das ist der Unterschied.

Wer Gott die letzte Wahrheit über sein eigenes Leben und das seines Nächsten überlässt, darf das, was er glaubt und wie er lebt, getrost als etwas Vorletztes betrachten. Auch das Vorletzte ist ja nicht egal. Der Glaube verlangt von jedem von uns, dass wir unsere Fehler schon mit einer gewissen Ernsthaftigkeit begehen. Und natürlich mit den allerbesten Absichten. Auch das dürfen wir mit einem Augenzwinkern sagen. Ich bin sicher, dass darüber auch im Himmel gelacht wird.

Und dann dürfen auch wir mitlachen über die, die an der frischen Luft Bäume umarmen und solche, die sich in stickige Zelte zwängen und mit Inbrunst Jesusschlager absingen. Lachen, wie über uns selbst. Lachen, das Gott die Ehre gibt und unserem Herrn Jesus Christus. Lachen über alles, was wir veranstalten auf dem Heimweg zum Himmelreich und lachen vor Freude, dass unser Herr es trotz allem schaffen wird uns nach Hause zu bringen. Lachen, das sich selbst nicht so wichtig nimmt und Gott dafür um so mehr.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Der Richtgeist gehört dazu und die Rechthaberei. Die machen das Leben schwer. Die machen das Herz eng und hart. Dort haben nicht nur der andere, sondern irgendwann auch ich selbst keinen Platz mehr. Das ist Rückfall und Rückschritt. Gott will, dass unser Weg in die Weite führt. Der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus!

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

Paulus schreibt:

(10)Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.
(11)Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.«
(12)So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
(13)Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.
(14)Ich weiß und bin gewiss in dem Herrn Jesus, dass nichts unrein ist an sich selbst; nur für den, der es für unrein hält, ist es unrein.


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