Liebe Leser,
Paulus konnte streiten. Wenn es um die Wahrheit und die Erkenntnis des
Evangeliums von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes ging; wenn es
darum ging, dass der Mensch vor Gott nicht durch seine Werke bestehen
kann, sondern nur, wenn er sich der Gnade Gottes anvertraut, dann konnte
man mit dem Apostel Paulus nicht verhandeln. Dann stand er da und konnte
nicht anders, als seinen Gegnern die Konsequenzen ihrer falschen Lehren
drastisch vor Augen zu führen. So schreibt er an die Gemeinden in
Galatien:
„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch
nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage
euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts
nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass
er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die
ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade
gefallen. (Galater 5/1-4)“ Tertium non datur. Einen dritten Weg gibt es
nicht.
Damals entzündete sich der erbitterte Streit zwischen Petrus und Paulus an
der Frage, inwieweit Juden, die Christen wurden, noch den jüdischen
Kultvorschriften verpflichtet waren. Hier sagte Paulus ein klares Nein und
dieses Nein wurde für den Großteil des Judenchristentums zur nicht
bestandenen Nagelprobe. Es verschwand im Nebel der Geschichte.
Nun hat sich aber im Heidenchristentum, dessen großer Missionar Paulus
war, auch bald eine Vielzahl von Glaubens- und Frömmigkeitsstilen
herausgebildet. Immer wo Gemeinden sich bilden, zerfallen sie ab einer
gewissen Größe in Gruppen, die ihre eigene Agenda entwickeln, in der mit
der Zeit immer genauer geschrieben oder ungeschrieben steht, was ein
Christ zu tun und zu lassen hat. In Rom gab es da die Vegetarier und die,
die Gott beim Tischgebet auch für ein saftiges Steak dankten; die
Abstinenzler und die, die im Gedenken an das Weinwunder Jesu auf der
Hochzeit zu Kana, die Gläser erhoben.
Am Sonntag Okuli hatten wir über den Paulustext aus dem Epheserbrief zu
predigen: Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei
euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört.
(Vers 3) Da musst Du am Sonntag mal übers Land fahren, sagte ein Kollege
zu mir, und dann erkennst Du die Rechten und die Linken. Die Rechten
predigen nur über die Unzucht und die Linken nur über die Habsucht. So hat
eben jeder sein Steckenpferd, auf dem er herumreitet.
Und wir stellen augenzwinkernd fest: Das Christentum hat bis heute solche
hervorgebracht, die an der frischen Luft Bäume umarmen und solche, die
sich in stickige Zelte zwängen und mit Inbrunst Jesusschlager absingen und
alle sprechen hinterher von einer eindrücklichen Glaubenserfahrung. Da
gibt es die Taizegebete und den Gottesdienst nach Agende Eins, die
geistliche Abendmusik und den Jugendgottesdienst mit Band, den meditativen
Wochenschluss und das protestgeladene Friedensgebet, die liturgische Feier
und den SMS-Gottesdienst; kurz, die ganze Fülle des Lebens der Gemeinde
Jesu Christi. Und jeder mag halt das, in das er hineingewachsen und
hineinsozialisiert wurde.
Da ist es nicht verwunderlich, dass die, die gerne meditieren,
keinen Krach in der Kirche mögen und die Rechten nicht die Linken und die
einen nicht die anderen. Nein, in der Kirche müssen sich nicht alle mögen.
Piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb, steht nicht in der Bibel. Das
Land ertrug nicht Abraham und Lot gleichzeitig und so ging der eine rechts
und der andere links (1. Mose 13,8).
Schlimm wird es aber da, wo sich die eigene Abneigung und die eigene
Vorliebe auf den Richterstuhl Gottes setzt. Schlimm wird es da, wo aus dem
eigenen Lebens- und Glaubensstil ein Evangelium oder richtiger ein Gesetz
wird, dem sich alle anderen unterwerfen sollen. Schlimm wird es da, wo man
die eigene religiöse Sozialisation auch allen anderen zumutet und den, der
anders lebt und denkt, verteufelt.
Da kann der Apostel Paulus ganz persönlich werden. Du!, sagt er da, du
aber, was tust du da eigentlich? Und mit diesem „Du“ bricht er uns heraus
aus unserer Sozialisation, aus dem, was wir im Laufe unseres Lebens als
Gut und als Böse erkannt zu haben glauben. Mit diesem „Du“ bricht er uns
heraus aus unserer Agenda und aus der Gruppe, aus dem Verein, in dem wir
uns wohl fühlen und in dem immer geklatscht wird, wenn wir was sagen. Wir
werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Du, bedenke, dort
lässt dein Fanclub dich allein. Denn dort wird jeder von uns für sich
selbst Gott Rechenschaft geben.
Christliches Leben ist nicht Sozialisation in die Gläubigkeit, in die wir
hineingeboren oder hineingewachsen sind. Christliches Leben ist
Sozialisation in das Himmelreich und seine unendliche Fülle und Weite.
Deshalb behält sich der Christus den Richterstuhl vor. Denn sein Herz ist
weit genug dafür. Und er weiß wohl, dass unsere Herzen immer ganz eng und
hart werden, sobald wir uns auf Richterstühle setzen. Und deshalb schreibt
Paulus ganz im Sinne Jesu: Du, komm von diesem Stuhl runter! Hier bist Du
fehl am Platz.
Der Richterstuhl gehört dem Christus. Das letzte Wort hat Gott. Seiner
Wahrheit können wir nur nachdenken. Und wir werden ihr als Menschen dieser
Welt auf ganz verschiedene Weise und auf verschiedenen Wegen nachgehen.
Wie könnte es anders sein? Und jeder dieser Wege wird unvollkommen sein,
fehlerhaft, mit Schuld behaftet. Dem Splitter im eigenen Auge entgehen wir
nicht.
Aber bevor wir ihn vergessen und an den Splittern im Auge des anderen
herum doktern, bis sich bei uns die Balken biegen, erinnert uns Paulus an
den Ort, wo die letzte Wahrheit zu finden ist. Vor dem Richterstuhl Gottes
wird keiner stehen, der mit dem Finger auf andere zeigt, sondern dort
werden sich alle Knie beugen. Dort wird keiner mehr ein Urteil gegen den
anderen im Mund führen, sondern alle werden Gott bekennen. Das ist der
Unterschied.
Wer Gott die letzte Wahrheit über sein eigenes Leben und das seines
Nächsten überlässt, darf das, was er glaubt und wie er lebt, getrost als
etwas Vorletztes betrachten. Auch das Vorletzte ist ja nicht egal. Der
Glaube verlangt von jedem von uns, dass wir unsere Fehler schon mit einer
gewissen Ernsthaftigkeit begehen. Und natürlich mit den allerbesten
Absichten. Auch das dürfen wir mit einem Augenzwinkern sagen. Ich bin
sicher, dass darüber auch im Himmel gelacht wird.
Und dann dürfen auch wir mitlachen über die, die an der frischen Luft
Bäume umarmen und solche, die sich in stickige Zelte zwängen und mit
Inbrunst Jesusschlager absingen. Lachen, wie über uns selbst. Lachen, das
Gott die Ehre gibt und unserem Herrn Jesus Christus. Lachen über alles,
was wir veranstalten auf dem Heimweg zum Himmelreich und lachen vor
Freude, dass unser Herr es trotz allem schaffen wird uns nach Hause zu
bringen. Lachen, das sich selbst nicht so wichtig nimmt und Gott dafür um
so mehr.
Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch
nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Der Richtgeist gehört
dazu und die Rechthaberei. Die machen das Leben schwer. Die machen das
Herz eng und hart. Dort haben nicht nur der andere,
sondern irgendwann auch ich selbst keinen Platz mehr. Das ist Rückfall und
Rückschritt. Gott will, dass unser Weg in die Weite führt. Der bewahre
unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus!
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
(10)Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder
du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl
Gottes gestellt werden.
(11)Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht
der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott
bekennen.«
(12)So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
(13)Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet
vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder
Ärgernis bereite.
(14)Ich weiß und bin gewiss in dem Herrn Jesus, dass nichts unrein ist an
sich selbst; nur für den, der es für unrein hält, ist es unrein. |