Liebe Leser,
nichts ist problematischer auf
Konfirmandenfreizeiten als das Essen und Trinken. Finden Sie einmal
ein Mittagessen, das 30 Jugendlichen schmeckt. Man kann schon
zufrieden sein, wenn die Hälfte es als ungiftig und genießbar
einstuft und die andere Hälfte wenigstens Teile des Menüs. Kochen in
einer Jugendtagesstätte ist eine ziemlich unlösbare Aufgabe und da
hilft es auch nicht, wenn der Pfarrer darauf hinweist, dass auch im
Himmelreich gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Das könnte auf
manche Jugendlichen eine eher abschreckende Wirkung haben. Gott sei
Dank ist das Reich Gottes nicht Essen und Trinken.
Andererseits greift Paulus mit der Rede vom Reich Gottes, die Rede
des Jesus von Nazareth auf, der nicht müde wurde, in wunderbaren
Gleichnissen vom Himmelreich zu erzählen. Darunter ist auch das
Gleichnis vom großen Festmahl (Lukas 12,15ff), zu dem ein Mann seine
Freunde einlädt. Als die nicht kommen wollen, weil sie angeblich
Wichtigeres zu tun haben, schickt er seine Knechte, um jeden
einzuladen, den sie finden können, einschließlich der Bettler und
Landstreicher und aller, die am Rande der guten Gesellschaft leben.
Dabei würde ich meinen Konfirmanden auch erzählen, dass es bei
diesem Festmahl so viel und so viele verschiedenen Dinge zu essen
und zu trinken gibt, dass wirklich für jeden und jede etwas
himmlisch Gutes dabei ist. Deshalb wird im Himmelreich wirklich
gegessen, was auf den Tisch kommt.
Der Hinweis des Paulus ist deshalb kein Aufruf zur allgemeinen
Mäßigung oder gar zur Geringschätzung von Essen und Trinken, sondern
hat einen völlig anderen Hintergrund. In Rom gab es eine christliche
Gemeinde die aus Juden bestand, die Christen geworden waren und
nichts dabei fanden, weiterhin zu essen und zu trinken, was sie
gewohnt waren und was den jüdischen Speisegeboten entsprach. Manche
waren da sehr streng und verzichteten auch weiterhin auf Fleisch und
Wein. Und dann gab es die, die keine Juden waren, bevor sie Christen
wurden und eben auch weiterhin essen und trinken wollten, was sie
gewohnt waren, z.B. ihren Schoppen Wein und das Schweineschnitzel.
Und da waren dann auch schon die religiösen Gefühle im Spiel und die
Konflikte vorprogrammiert.
Stehen wir auch heute nicht erschrocken vor dem, was die „Verletzung
religiöser Gefühle“ und deren Konsequenzen sein sollen? Besonders,
wenn Menschen angeblich aus diesem Grund feindselig werden,
irgendetwas anzünden, in die Luft sprengen, kaputt machen oder
anderen den Kopf abschlagen und sie umbringen?
Gibt’s bei uns nicht? Kennen Sie das Gefühl mit dem ein frisch
bekehrter Nichtraucher einen Raucher anschaut? Oder ein überzeugter
Vegetarier einen Schnitzelesser? Sie sehen in seinem Blick oft
dieses feine Mitleid und die vornehme Verachtung. Sie spüren, wie
froh er ist, dass er nicht so ein haltloser Schwächling ist, wie
Sie, sondern ein besserer Mensch mit Profil und den richtigen
Überzeugungen. Er wird sich auch im Freien noch in drei Meter
Entfernung Frischluft zufächeln oder den Tisch wechseln. Und er wird
sich entsprechende Bemerkungen nicht verkneifen können, die
sicherstellen, dass Ihnen das, was Sie gerade tun, auf keinen Fall
auch noch schmeckt. Das wäre ja noch schöner!
Neulich habe ich gelesen, dass das mit der Infantilisierung unserer
Gesellschaft zu tun hat. „Bohr nicht in der Nase, nimm die Hände aus
den Hosentaschen, wasch dir die Hände, lass dir die Haare
schneiden.“ Wir werden behandelt wie kleine Kinder und behandeln
andere ebenso. Es kann aber auch schlimmer sein, immer dort, wo sich
sinnvolle Pädagogik und Beratung zum Terror der Tugend auswächst.
Dann geht es scheinbar um die Verletzung religiöser Gefühle. Denn
nur ich lebe richtig und ich habe recht. Und wenn jemand anders
lebt, dann bin ich darin bedroht und muss zurückschlagen.
Von den Schwachen und den Starken schreibt Paulus zu diesem Konflikt
an die Gemeinde in Rom. Und er meint mit den Schwachen
überraschenderweise nicht die, die einem weltlichen Genuss nicht
widerstehen können, sondern die, die sich über so etwas vor Gott ein
schlechtes Gewissen machen und sich das verbieten. Die erinnert
Paulus, daran, dass das Reich Gottes nicht in Essen und Trinken
besteht und schon gar nicht in entsprechenden Vorschriften und
Gesetzen darüber. Hier geht es nicht um unser Heil und um den Platz
im Himmelreich. Und deshalb haben religiöse Gefühle und deren
Verletzung hier gar nichts verloren.
Paulus bleibt seiner Unterscheidung von Gesetz und Evangelium treu:
Ob wir einen Platz im Himmelreich bekommen, entscheidet sich nicht
an unserem moralischen Verhalten, sondern an dem, was Jesus Christus
uns geschenkt hat. „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein
Kind, der wird nicht hineinkommen“, sagt Jesus im Kinderevangelium
(Markus 10/15). Und wie empfängt ein Kind alles? Eben! Als Geschenk. Es
kann sich noch gar nichts verdienen! Das ist der entscheidende
Vergleichspunkt, wenn es um das Himmelreich geht.
Hier wird eben nicht einer Infantilisierung der christlichen
Gemeinde das Wort geredet. Man hat heute den Eindruck, dass auf
mancher Kanzel gepredigt wird, als säßen lauter Dreijährige in den
Kirchenbänken, als sei die Kirchengemeinde unter elterlicher
Betreuung einer Kirchenleitung, die immer weiß, was für sie - und
sogar für die ganze Gesellschaft - das Beste ist. Die ihr jährlich
ein Taschengeld überweist, das nur einen Teil der Kirchensteuer
ausmacht, die die Gemeindeglieder an die Kirche zahlen. Paulus
dagegen tut nicht so, als wäre er der geistliche Übervater, der
seinen Kindern in Rom sagt, wo es im Einzelnen lang geht. Er zeigt
ihnen die Grundlagen auf. Er redet sie als mündige Gemeinde an, die
ihren eigenen Weg finden wird. „Einer ist euer Meister, ihr aber
seid Geschwister“, sagt Jesus (Matthäus 23,8) Und da passt zwischen
diesen Meister Christus und die Gemeinde kein Papst und kein
Landesbischof und kein Dekan. Auch die haben nicht zu herrschen,
sondern zu dienen. So hat es Martin Luther gesehen und so haben auch
wir das zu sehen, wenn wir uns evangelisch nennen wollen.
Das bedingt den mündigen Christen und die mündige Gemeinde, die
allein ihrem Herrn verantwortlich und dienstbar ist und den Gaben,
die er uns schenkt: Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem
Heiligen Geist. Keine Frage, es ist auch für den Christenmenschen
leichter, irgendjemandes Hofschranze und Untertan zu sein, der
ängstlich jeden Fehler zu vermeiden sucht und sich penibel an die
Vorschriften hält, die auch in der Kirche immer umfänglicher werden,
und jedem Streit aus dem Weg geht. Das ist immer leichter, als dem
Geist der Liebe zu folgen, der den anderen mit den Augen Gottes in
den Blick nimmt. Der Heilige Geist weht nun einmal, wo er will. Er
ist ein Geist der Freiheit.
Deshalb gilt: Als Gemeinde Jesu Christi haben wir von Paulus heute
zu hören, „was es für unsere Gemeinsamkeit bedeutet, dass das Reich
Gottes nicht in unseren Maximen, Prinzipien, Methoden, Lebensstilen
(usw.) besteht, sondern in dem, was wir haben, weil Gott es uns in
Christus geschenkt hat und immer wieder schenkt. (…) Und das ist zu
bewähren an den halbchristlichen Teilwahrheiten, die Menschen in der
Gemeinde bitter gegeneinander aufbringen können.“ (Dr. Johannes
Hempel, GPM 3/1992, Heft 4, S. 389)
Die, die manches eng sehen, haben die nicht zu terrorisieren, die
manches weiter sehen. Die, die manches weiter sehen, haben aber auch
die nicht zu verachten, die manches eng sehen. Die Gemeinde ist eine
Gemeinde von Geschwistern, die nur einen Herrn hat: Jesus Christus.
So bleibt die Gemeinde eine Lebens- und Lerngemeinschaft, die nicht
exklusiv, sondern inklusiv wird und bleibt, nicht ausschließend
sondern einschließend. Was die Welt immer und vor allem braucht, ist
nicht der erhobene Zeigefinger, sondern der liebevolle Blick. Den
schenke Gott uns allen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
17 Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern
Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist.
18 Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den
Menschen geachtet.
19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur
Erbauung untereinander.
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