Predigt     Römer 14/7-9     Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres     06.11.16

"Trost"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

ein Ausleger schreibt: „Die Wichtigkeit von Glaube und Kirche wird gegenwärtig nur allzu oft auf eine Weise erklärt, die mit Religion gar nichts zu tun hat. Etwa dass der Glaube Werte garantiere. Als lieferten uns das Grundgesetz und zumal die abendländische Philosophie nicht längst genug Werte. Oder dass die Kirche für Traditionen stehe. Als gäbe es nicht auch ohne Kirche herrliche Traditionen oder als könnte man viele christliche Traditionen - Musik, Baukunst oder Krankenpflege - nicht auch dann erhalten, nachdem man die Glaubensinhalte verabschiedet hat. Nein, all dieses Gerede von Werten oder Traditionen sollte man vergessen. Man muss den Kern betrachten. Der kann bei einer Religion, in der es um Vergebung, Rechtfertigung und Hoffnung geht, nur im Trost liegen.“ (Matthias Kamann, GPM 3/2010, Heft 4, S. 438)

Wer in diesen Novembertagen draußen am offenen Grab stehen muss, hat eine Ahnung davon. Wie dämlich ist doch die Selbstverständlichkeit, mit der wir jeden Tag unseres Lebens und unserer Gesundheit erwarten. Was hat es denn auf sich mit meiner Existenz, in die ich ohne besonderen Grund an diesem Ort in dieser Zeit geworfen wurde? „Dein Vater“, sagte ein Konfirmand zum anderen, „wäre auch besser spazieren gegangen.“ So böse sagt's die eine Laune der Natur zur anderen. Und schaut in den Abgrund, der die Existenz auch sein kann.

Wie kann sich der, der seines Glückes Schmied sein will, der Verantwortung für sein Unglück entziehen? Wie soll der, der sich selbst verwirklichen will, nicht irgendwann mit sich als Selbstzerstörer Bekanntschaft machen? Wie soll der Mensch denn sich selbst gehören, wenn er doch zuerst unbegreiflicherweise in das Dasein geworfen und zuletzt genauso unbegreiflich aus diesem Dasein wieder vertrieben wird? Befindet er sich nicht in jeder Sekunde seines Lebens auf hoher See? „Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn, es schwinden, es fallen die leidenden Menschen blindlings von einer Stunde zur andern, wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, Jahr lang ins Ungewisse hinab“ (Friedrich Hölderlin, Hyperion, Goldmann Klassiker S.278). Und mit dem Menschen fallen die Sterne. Was in der Finsternis der unendlichen Weiten des Alls aufleuchtet, wird auch einmal wieder verlöschen. Es ist eine vergängliche Welt.

Darum ist die Kreatur nicht geeignet Halt zu geben. Es gehört zu den wirklich großen Tragödien, dass der Mensch sich selbst und die Dinge dieser Welt mit Gott verwechselt und Halt sucht, wo kein Halt zu finden ist. Er merkt nicht oder viel zu spät, dass das, woran er sich klammert, nicht zu halten ist.

„Darum“, schreibt Meister Eckhart in seinem Buch der göttlichen Tröstung, „willst du volle Freude und Trost haben und finden in Gott, so sieh zu, dass du ledig seist aller Kreaturen, alles Trostes von den Kreaturen; denn sicherlich, solange dich die Kreatur tröstet und zu trösten vermag, findest du niemals rechten Trost. Wenn dich aber nichts zu trösten vermag als Gott, wahrlich, so tröstet dich Gott und mit ihm und in ihm alles, was Wonne ist. Tröstet dich, was nicht Gott ist, so hast du weder hier noch dort Trost. Tröstet dich hingegen die Kreatur nicht und schmeckt sie dir nicht, so findest du sowohl hier wie dort Trost. … Bloß-, Arm- und Leersein von allen Kreaturen (trägt) die Seele (hin)auf zu Gott.“ (Quint, S. 115)

Meister Eckhart ist sich ganz sicher, dass der Ballon unserer Seele sofort aufsteigt, wenn nur ordentlich Ballast abgeworfen wird. Dann nimmt sie die richtige Richtung, die nach Hause führt, ganz von selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Dem Herrn, das ist die Richtung, in die der Kompass unserer Seele zeigt, wenn wir ihn frei schwingen lassen. Dem Herrn, das ist die Bahn, auf der wir durch dieses Leben ziehen. Wie denn nach Meister Eckhart die ganze Veranstaltung der Welt und des Daseins nur einen wirklich großen Sinn hat: Dass wir zu Gott nach Hause finden.

Das klingt ein bisschen wie die Lifestylerubriken, die man inzwischen in fast jeder Zeitung findet. Da wird aus allen möglichen Religionen dies und das zusammengestellt, was dem durch die Moderne geplagten Menschen wieder den Weg zum erfüllten Leben weisen soll. Vom Guten, Wahren und Schönen, das dorthin führt, wird dann im Ton spiritueller Überlegenheit gesagt, die Christen würden es Gott nennen und andere Religionen eben anders. Will heißen: Der wahrhaft Erleuchtete könnte auf eine solche Rede von Gott eigentlich verzichten. Das gilt auch für all die „Knusperevangelien der Therapiekultur“ (Harmut Ruddis, GPM 3/1992; Heft 4, S. 415), die in der Kirche Konjunktur haben und gänzlich unverschämt unter den Bedingungen der modernen Selbstverwirklichung stehen. Schöner, besser, stärker und gesünder dank der aufgeklärten Religion. Diese Form moderner „Gläubigkeit“ hätte Meister Eckhart für einen besonders wirksamen Ballast gehalten, der die Seele besonders fest an den Dingen und dem eigenen Selbst kleben lässt.

Denn hier wird einfach unterschlagen, dass wir nur deshalb die Ausrichtung nach Hause zu Gott finden, weil Gott seinerseits den Menschen und die Welt sucht und findet. „Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wolltest werden.“ (EG 37/2) „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ (Johannes 1/14). Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. Ohne den Ausgang Gottes aus seiner himmlischen Herrlichkeit und seinen Abstieg in die Welt gibt es keine Heimkehr des Menschen zu Gott.

Tief steigt Gott in seine Welt hinab. Deshalb bleibt das Bekenntnis unverzichtbar, dass der tote Christus zur Hölle hinabfährt oder wie wir heute beten, in das Reich des Todes hinabsteigt. Damit auch dort unten jeder nach Hause gebracht wird. Mag es eine Hölle geben. Aber wenn der Christus dort war, wird sie für alle Ewigkeit leer sein und leer bleiben. Niemand, der dem Christus vertraut und darum alles zutraut, kann gleichzeitig behaupten, dass dort jemand drinsitzt.

Paulus klärt uns auf über unser Dasein im Licht des Evangeliums. Dieses Dasein hat eine Richtung: dem Herrn. Wir gehören ihm. Und dass das so ist, hat seinen ausschließlichen Grund in dem, was Gott für uns tut. Es ist sein Werk. Und deshalb ist und bleibt es der wahre Trost im Leben und im Sterben. Gottes Werk können wir nicht verlieren. Wir können uns abwenden. Wir können aus der Kirche austreten. Wir können Gott in unserem Leben ignorieren und in die Ferne rücken. Aber, so noch einmal Meister Eckhart: „Gott geht nimmer in die Ferne, er bleibt beständig in der Nähe; und kann er nicht drinnen bleiben, so entfernt er sich doch nicht weiter als bis vor die Tür.“ (Quint, S. 78)

Wer könnte Gott davon abhalten? Nichts und niemand. Von da her bekommen alle Dinge einen neuen Schein. Auch die, die uns Mühe, Angst und Trauer machen. Wie tief kann denn ein Abgrund sein und wieviel Angst soll er uns denn noch machen, wenn Gott bei und um und in uns ist? Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.

Da sollten wir nicht bei der Betrachtung unseres eigenen getrösteten Daseins stehen bleiben, sondern auch den anderen Menschen mit neuen Augen sehen. Auch den, der dem Herrn lebt, aber sich über dieses und jenes einen Kopf und ein Gewissen macht, wie die Christen in Rom, die Angst hatten, vom Götzenopferfleisch zu essen, die nicht aufhörten in Kategorien von rein und unrein zu denken. Paulus nennt sie die Schwachen. Aber die Freiheit des Christenmenschen, der dem Herrn gehört, gebietet eine Toleranz, die auch solchen Christen gilt. Denn schließlich sind wir miteinander unterwegs. Auch in der Schule des Daseins gibt es schwache Schüler. Aber auch die lernen, wohin die Reise geht: Nach Hause in die Freiheit der Kinder Gottes.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

Paulus schreibt:

7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.
9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.


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