Liebe Leser, zum Ende eines Jahres und zum Beginn eines neuen
liegen gute Vorsätze in der Luft. Die Jahreslosung für das Jahr 2015
scheint auf den ersten Blick einen solchen guten Vorsatz zumindest
anzubieten. Denn wer will das nicht, andere annehmen? Und wer will
sich nicht selbst angenommen fühlen? Jeder kann sich vorstellen,
dass diese Welt viel besser wäre, wenn wir das schaffen könnten.
Aber ach, wir wissen alle, wie das mit guten Vorsätzen ist. Ihr
Scheitern bereitet uns die erste Niederlage im neuen Jahr. Und da
ist eigentlich der schlauer, der beim Fassen eines guten Vorsatzes
erst einmal die eigene Erfahrung zu Rate zieht und sich vorher durch
die eigenen Niederlagen beraten lässt. Was dann herauskommt, kann
man sich ohne viel Phantasie auch für die Jahreslosung vorstellen.
Der gute Vorsatz wird ermäßigt: Seid halt wenigstens ein bisschen
netter zueinander. Zählt im Fall des Konflikts erst mal bis 20 und
denkt: Einen solchen Menschen, wie den, muss es auch geben auf
Gottes weiter Welt. Gotteslob sieht freilich anders aus.
Einander annehmen auch. Entsprechend vernichtend fällt dieser Tage
die Kirchenkritik von Markus Günther in der FAZ aus der schreibt:
Der kleinste gemeinsame Nenner kirchlicher Verkündigung besteht oft
nur noch aus einer Wohlfühlprosa, die ein möglichst breites Publikum
ansprechen soll und gerade dadurch beliebig wirkt. Frieden in der
Welt, mehr Gerechtigkeit für alle, auch selbst nicht immer so
egoistisch sein – darauf kann sich jede Versammlung halbwegs
anständiger Menschen einigen. Ein Appell der UNESCO oder von
Greenpeace klingt auch nicht viel anders. Gott braucht’s dafür
nicht.“ (Kirche in der Krise, FAZ vom 29.12.2014)
Alles, wofür es Gott nicht braucht, sollte in der Kirche zumindest
kein Hauptthema sein, weil die Kirche im andern Fall auf dem Weg
ist, sich selbst überflüssig zu machen. Und sollte sie gar noch dem
Hochmut verfallen, der Welt beweisen zu wollen, dass es in ihr mehr
Frieden, mehr Gerechtigkeit und weniger Egoismus gibt, bezeugt sie
der Welt nicht mehr als ihre eigene Scheinheiligkeit und
Verlogenheit. Das soll es ja auch in der Kirche geben, dass statt an
den Glaubensgrundlagen an der eigenen Fassade gearbeitet wird,
Kritiker mundtot gemacht werden und das eigene Versagen unter den
Teppich gekehrt wird.
Papst Franziskus hat deshalb am Tag vor dem Heiligen Abend seiner
Kurie eine Gardinenpredigt gehalten, die mit Wohlfühlprosa nicht das
Geringste zu tun hat und hat ausdrücklich betont, dass die
bedenklichen Diagnosen, die er zu stellen hat, nicht nur dem
Spitzenpersonal der Kirche gelten, sondern jedermann.
Er nennt „die Krankheit der geistigen und geistlichen
„Versteinerung“: die Krankheit derer, die ein Herz aus Stein haben,
die sich hinter Papier verstecken und „Verwaltungsmaschinen“ werden
statt „Gottesmänner“. Es ist gefährlich, das nötige menschliche
Mitgefühl zu verlieren, um mit den Weinenden zu weinen und sich mit
denen Fröhlichen zu freuen!
Die Krankheit der Planungswut und des Funktionalismus. Wenn der
Apostel alles haarklein plant und glaubt, dass mit einer perfekten
Planung die Dinge effektiv vorangehen, wird er ein Buchhalter und
Betriebswirt. Gute Vorbereitung ist notwendig, aber ohne der
Versuchung zu erliegen, die Freiheit des Heiligen Geistes
einschränken und steuern zu wollen. Die Krankheit der Rivalität und
der Ruhmsucht - wenn das Erscheinungsbild, Kleiderfarben und
Ehrenzeichen vorrangiges Lebensziel werden.
Die Krankheit des Klatsches, des Geraunes und des Tratsches. Über
diese Krankheit habe ich schon oft gesprochen und doch nie genug. Es
ist eine schwere Krankheit, die leicht beginnt; sie ergreift den
Menschen und macht ihn zu einem „Säer von Unkraut“ (wie Satan) und
vielfach zu einem „kaltblütigen Mörder“ des Rufs der eigenen
Kollegen und Mitbrüder. Es ist die Krankheit von Feiglingen, die,
weil sie nicht den Mut haben, direkt zu sprechen, hinter dem Rücken
reden. Brüder, hüten wir uns vor dem Terrorismus des Geschwätzes!
Die Krankheit, Vorgesetzte zu vergöttern: Es ist die Krankheit
derer, die Obere umschmeicheln, weil sie hoffen, ihr Wohlwollen zu
erhalten. Sie sind Opfer von Karrieredenken und Opportunismus. Es
sind Menschen, die in ihrem Dienst einzig daran denken, was sie
bekommen können, nicht, was sie geben müssen. Kleinliche Personen,
unglücklich und nur von ihrem eigenen fatalen Egoismus beseelt.
Diese Krankheit kann auch die Oberen treffen, wenn sie manche
Mitarbeiter umschmeicheln, um ihre Untergebenheit, Loyalität und
psychische Abhängigkeit zu erhalten; aber das Endergebnis ist echte
Komplizenschaft.“
Alle diese Krankheiten, so Papst Franziskus, sind Folgekrankheiten
einer „geistlichen Demenz“, der Krankheit von Menschen, die
aufhören, „eine lebendige, persönliche, aufrichtige und stabile
Beziehung zu Christus“ zu haben, die also aufhören, zu glauben. Sie
gleichen einer „Rebe, die austrocknet und allmählich abstirbt und
fortgeworfen wird.“ (Weihnachtsansprache von Papst Franziskus an die
Kurie, 23.12.2014, Katholische Nachrichten-Agentur)
Diese Rede hätte der Apostel Paulus sofort unterschrieben. Denn auch
er kritisiert die Streitereien, die es offensichtlich schon in den
ersten Gemeinden gab nicht allgemein, sondern mit dem Hinweis auf
unsere Glaubensgrundlagen: Nehmt einander an, wie Christus euch
angenommen hat. Paulus geht es nicht ums Herumdoktern an den
Symptomen. Er führt uns ins Herz unseres Glaubens und unserer
christlichen Existenz. Dass es dieses Evangelium von Jesus Christus
gibt und dass es zuerst uns und dann aller Welt verkündigt werden
soll, ist die einzige Existenzberechtigung der Kirche.
„Es geht um das Evangelium“, schreibt auch der Theologe Karl Barth.
Was heißt Evangelium? Evangelium ist eine Botschaft, die an uns
ergangen ist und ergeht und wieder ergehen will. Sie lautet: Wir
Menschen sind nicht allein. Wir sind nicht unserem Schicksal
überlassen. Wir sind nicht unseren guten und bösen Mitmenschen
überlassen. Wir sind auch nicht dem Tod überlassen, der auf uns alle
wartet. Und wir sind vor allem nicht uns selbst überlassen, weder
unseren guten noch unseren schlechten Eigenschaften, weder unseren
Tugenden noch unseren Fehlern, weder unserer eigenen Klugheit noch
unserer eigenen Dummheit. Sondern wir haben einen Herrn und dieser
Herr steht für uns gut, weil wir zu ihm gehören. Da ist keine Last,
die er nicht längst getragen und hinweggetragen hätte. Das ist unser
Trost, dass wir diesen Herrn haben: unser Trost, unsere Freude,
unsere Hilfe, unsere Leitung für unser Leben in guten und bösen
Tagen.“ (zitiert nach Matthias Freudenberg, GPM 4/2014, Heft 1,
S.74)
Christliches Leben und christlicher Umgang miteinander kann eingeübt
aber nicht verordnet und hergestellt werden. Es folgt aus dem
Glauben. Unsere Taten folgen dem Christus, der uns als Person ohne
Vorbedingung allein aus Gnaden in sein Herz geschlossen hat. Es ist
gar keine leichte Übung, zu lernen, dass ich mich dann ja auch nicht
mehr hassen, verachten und ablehnen kann, wenn die Liebe Gottes mich
meint. Es ist immer das eigene Herz, das der Glaube zuerst wieder
zum Schlagen bringen muss. Denn ein Herz aus Stein, hat nicht nur
keine Liebe zum anderen Menschen. Es hat auch keine Liebe und keine
Tränen mehr für sich selbst.
Wenn das aber wieder anfängt, dann wird der Christus in uns wohl
auch ein „Richter der Gedanken und Sinne des Herzens“ sein, wie es
im Hebräerbrief heißt (4,12). Nein, die Liebe Gottes lässt uns
nicht alles durchgehen und wer aus ihr lebt, wird zur Kritik fähig.
Das war der Christus auch – nicht mit Macht und Gewalt, sondern
durch sein Wort und seine Tränen. (Lukas 19,41) Tränen sind die Kritik der Liebe.
Wird der Papst das überleben, fragten sofort viele Kommentatoren,
als sie seine Rede gelesen hatten. Gute Frage! Unser Herr Jesus
Christus jedenfalls wurde ans Kreuz geschlagen, von denen, die in
Sachen Religion das Sagen hatten und mit Genehmigung der weltlichen
Herrschaft. Schlechte Aussichten für Papst Franziskus. Noch viel
schlechtere Aussichten aber für eine Kirche, die sich nicht mehr
durch das Wort Gottes und die Bitten des Christus zu einem
geistlichen Leben ermahnen lassen will, das diesen Namen verdient.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
7 Nehmt einander an, wie
Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
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