Predigt     Römer 9/14-24    Septuagesimä     16.02.2014

"Umstrittene Freiheit"
(Von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

vor dem, was Paulus uns hier auf den ersten Blick erläutern will, stehen wir erst staunend und dann voller Fragen. Was ist das für ein Gott, der nach Lust und Laune verstockt, wen er will und barmherzig ist, wem er will? Ist das nicht Willkür und Ungerechtigkeit? Der Protest ist auch heute nicht verebbt gegen die sogenannte doppelte Prädestinationslehre des späten Augustinus, in der dem Menschen keinerlei Spielraum bleibt. Gott hat die einen zum Heil und die anderen für die Hölle vorherbestimmt. Finden wir hier bei Paulus nicht die biblische Begründung für eine solche Lehre? Aus den kritischen Stimmen sei hier die Stimme des Theologen Otto Kuss zu Gehör gebracht, der schreibt:

„Die - zumindest teilweise riskanten - wenn nicht gar skandalösen Prädestinationsthesen des Augustinus, (...) setzen (...) einen Gottesbegriff von solcher willkürlicher Grausamkeit voraus - mit menschlichen Maßstäben gemessen, aber welcher anderen könnte sich der Mensch wohl bedienen? -, dass der im Neuen Testament allenthalben und auf verschiedene Weise zum Ausdruck kommende Versöhnungswille Gottes (...) eben damit völlig unglaubwürdig werden müsste. Dem schauerlichen und zutiefst abstoßenden Gedanken einer ewigen Hölle gegenüber, (...) hat ein (...) verantwortungsbewusster, vernünftiger (...) Atheismus durchaus Züge von Humanität.“ (zitiert nach Rainer Oechslen, GPM 4/1989, Heft 1, S.130)

Liefert unser Predigttext also Argumente dafür, doch lieber Atheist oder zumindest kein Christ mehr zu sein? Ach ja, mit hochmoralischen Argumenten ist man in diesen Zeiten ja ganz schnell bei der Hand, und zwar in einer Sprache, die keine Gnade mehr kennt. Nicht einmal Gott kommt da ungeschoren davon. Zugegeben, was Paulus in diesen Zeilen über Gott schreibt, ist nach heutigen Maßstäben politisch schon sehr inkorrekt.

Damit wir den Überblick behalten und nicht zu falschen Urteilen kommen, lassen wir uns daran erinnern, worum es dem Apostel Paulus in den Kapiteln 9 bis 11 seines Briefs an die Gemeinde in Rom eigentlich geht. Zwei Fragen treiben ihn um: Warum erkennen die Juden, das auserwählte Gottesvolk, Jesus nicht als den Messias an? Paulus war gelernter jüdischer Schriftgelehrter. Und Paulus wurde zum großen Missionar der Heiden. Wie kann es sein, dass die Sendung des Christus nicht nur dem auserwählten Gottesvolk, sondern auch den Heiden, ja der ganzen Welt gilt? Ist Gott sich untreu geworden?

Paulus verneint die letzte Frage. Er tut das, indem er die uneingeschränkte Freiheit Gottes betont. Man kann die von ihm gewählten Beispiele aus dem Alten Testament unglücklich finden. Sie sollen aber deutlich machen: Gott kann tun und lassen, was er will. Dass seine Geschöpfe mit ihm darüber rechten oder ihm das bestreiten wollen, erweist sich als lächerlich. Freilich will Paulus damit nicht das Bild eines willkürlich handelnden Gottes malen, von dem man nie weiß, was man zu erwarten hat, sondern das Bild eines Gottes, der sich in Freiheit für seine Gnade mit Juden und Heiden entscheidet. Paulus sichert mit der uneingeschränkten Freiheit Gottes die uneingeschränkte Freiheit der Liebe und Güte Gottes mit allen seinen Geschöpfen. Und deshalb hat die begonnene Argumentation des Paulus ihren Orgelpunkt in Kapitel 11, Vers 32, wo er schreibt: „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“ Da will der Apostel hin. Und seine erstaunten Leser und Hörer dürfen fragen: Alle? Und Paulus wird sagen: Alle!

In seiner Einführung zu Luthers Schrift „Vom unfreien Willen“ schreibt der Theologe Hans Joachim Iwand: „Hatte der Ockhamismus nicht recht, wenn er gegenüber dem rationalen System der scholastischen Theologie betonte, dass Gott, wenn anders er Gott ist, ‚ex lex‘ (außerhalb des Gesetzes) ist, dass sein Wille, eben weil es sein Wille ist, keinem Gesetz mehr untersteht? Ist es nicht richtig, dass das Gute darum gut ist, weil Gott es will, und dass die Idee des Guten nicht losgelöst von dem Willen Gottes oder gar übergeordnet über ihm als das Gute an sich gedacht werden darf? An diesem Punkte ist Luther in der Tat ‚Ockhamist‘. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass er diesen Gedanken von der Freiheit Gottes nicht einfach übernimmt, sondern dass aus ihm, gerade im Zusammenhang mit der Gnadenlehre Luthers, etwas ganz Neues wird, die Lehre von der freien Gnade. Weil es Gottes Freiheit ist, darum widerfährt sie dem, der sich ihr überlässt, als Gnade. Und umgekehrt, wem die Gnade Gottes nicht so widerfährt, als der unableitbare, unbegreifliche Ratschluss dessen, der ,sich erbarmt, wessen er will‘, dem widerfährt sie eben nicht, der kennt die Gnade nur der Vokabel, nicht der Wirklichkeit nach.“ (zitiert nach Oechslen, aaO, S. 127f.)

Nur die unbedingte Freiheit Gottes sichert dem Menschen das Heil sola gratia, allein durch Gnade. Es gibt nichts, was der Mensch tun kann, um sich dieses Heil zu verdienen. Es gibt nichts, wodurch der Mensch Gott zur Güte bewegen könnte. Es gibt keinen Handel, den der Mensch mit Gott in dieser Frage treiben könnte. Er bekommt alles geschenkt oder eben nichts.

Und heute? Ein Ausleger schreibt: „Ich meine, auch in der Gegenwart sei der Kampf für Gottes Freiheit zu führen (...). Wird Gott um seiner gesellschaftlichen Nützlichkeit willen wichtig, so schließt sich abermals das Tor zum Heil für diejenigen, die es nicht verstehen, sich Gott nützlich zu machen. Ob man die gesellschaftliche Relevanz der Kirche und die entsprechende Funktionalität ihres Gottesglaubens herausarbeitet oder ob man Gott tiefenpsychologisch als heilendes Symbol entdeckt - dieser Gott stellt keinen Menschen in Frage. Er wird verwertet und verbraucht, aber anders als in der Eucharistie, wo Gott sich auch verbrauchen lässt, verwandelt er die Menschen nicht. Vielmehr verwandeln die Menschen Gott nach dem Maß ihrer Interessen und Bedürfnisse.“ (Oechslen, aaO, S. 129) Zitat Ende. Ein Gott, der für irgendwen oder irgendetwas gut ist, ist nicht der Gott, von dem Paulus schreibt. Gott lässt sich nicht verzwecken. Er kann nur um seiner selbst willen gesucht werden. Er lässt sich nur um seiner selbst willen finden. Nur so werden wir seiner unbedingten Freiheit gerecht.

Bleibt die alte Frage, welche Freiheit uns dann noch bleibt gegenüber der bedingungslosen Freiheit Gottes. Der Streit über diese Frage zieht sich durch die Jahrhunderte bis in unsere Tage. Augustinus gegen Julian, Luther gegen Erasmus. Kurt Flasch gegen Luther und Augustinus. Meister Eckhart hätte Augustinus auch widersprochen. Wir haben schon die Wahl, sagt Eckhart, uns Gott zuzuwenden oder uns von ihm abzuwenden. Gott macht uns diese Wahl leicht durch das Evangelium von seiner Liebe und Gnade. Bilder von Meister Eckhart: Er erscheint uns wie eine geschmückte Braut. Er lockt uns an, wie ein Lieblingsgericht. Bonhoeffer hat es eine „unmögliche Möglichkeit“ genannt, das Werben Gottes abzulehnen.

Und doch kennen wir nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts den unheimlichen, willkürlichen und dunklen Willen des Menschen zur gottlosen Macht. Wir hören die Erfahrungsberichte von Menschen, die sich im Nationalsozialismus und im Sozialismus der DDR als kleine Rädchen im Getriebe wiederfanden, die mitmachten, was sie eigentlich nicht wollten. Bequemlichkeit, Angst und Feigheit erledigen den Rest. Das sind Geschichten der Ohnmacht des angeblich so freien menschlichen Willens. Was wollen wir eigentlich nicht alles, und was kommt dabei heraus?

Wahrhaft frei wird unser Wille erst, wenn er im Willen Gottes aufgeht. Auch das ist ein Gedanke Meister Eckharts, der den freien Willen hochhält. Und wir merken, das die Konkurrenz zwischen der Freiheit Gottes und der Freiheit des Menschen eine konstruierte ist. Denn Gott steht ein für die Freiheit seiner Kinder. Und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

Paulus schreibt:

14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne!
15 Denn er spricht zu Mose (2.Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.«
16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.
17 Denn die Schrift sagt zum Pharao (2.Mose 9,16): »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.«
18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
19 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?
20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so?
21 Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?
22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren,
23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.
24 Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.
 


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