Liebe Gemeinde, liebe Eltern und Paten, liebe
Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden,
das große Los scheint ihr ja nicht gerade gezogen zu haben, mit dem
Predigttext aus den Sprüchen des König Salomo, der laut der
Predigtreihe zur Konfirmation zu predigen ist. So salbungsvolle
Worte könnte auch der Opa Heinrich am Nachmittag zum Kaffeetrinken
sprechen, in der besten Absicht, euch am reichen Schatz der
Erfahrung seines langen Lebens teilhaben zu lassen. Und dabei
verdreht dann nicht nur ihr die Augen gen Himmel oder schaut zum
Fenster raus und wartet drauf, dass er endlich fertig ist.
Solche Bilder gingen mir durch den Kopf und ich war schon fast
entschlossen, einen anderen Bibeltext zu nehmen, als mir die Konfirmationsagende in die Hände kam. Da stehen lauter schlaue Texte
zur Konfirmation drin. Ich blätterte ein bisschen darin rum, bis ich
auf den heutigen Predigttext stieß und las, und noch mal las, und
dachte, das kann doch gar nicht sein! Sie haben einfach einen Vers
unterschlagen. Die schlauen Damen und Herren haben einfach einen
Vers gestrichen. Und das ist der Vers: „... und verlass dich nicht
auf deinen Verstand.“
Einfach gestrichen! Passt nicht in die heutige Zeit! Verstand ist
schließlich alles. Den braucht man dringend, um in dieser Welt was
zu werden. Ohne Verstand keine guten Noten, kein gutes
Abschlusszeugnis, keine gute Berufsausbildung. Ohne Verstand kein
gutes Einkommen, keinen Fortschritt, keinen Erfolg, kein Glück, kein
gar nichts! Wer keinen Verstand hat, ist ein Blödmann. Und wer
möchte schon ein Blödmann sein?
Denken so nicht alle? Und da hat mich die Wut gepackt. Da hat mich
die Wut gepackt vor diesem Kniefall am Altar dieses
Glaubensbekenntnisses: Verstand ist schließlich alles. Nicht auch
noch in der Kirche, hab ich mir gedacht. Das reicht doch schon, wenn
in der Schule nach nichts anderem gefragt wird, als nach euerer
Fähigkeit eine Mathematikaufgabe richtig rauszukriegen. Das reicht
doch schon, dass auf der Arbeit nach nichts anderem gefragt wird,
als dass wir möglichst immer fehlerfreier funktionieren.
Und da habe ich beschlossen, euch gerade erst recht diesen Bibeltext
zu predigen und zwar vollständig - nicht nur, weil der große König
Salomo kein Blödmann war, sondern weil ich aus eigener Erfahrung
weiß, dass er recht hat. Vor vielen Jahren saß ich selbst Tag für
Tag auf der Schulbank und hatte Lehrer vor mir, die sich gerne über
die Bibel und den Glauben lustig machten. Im Jahr Zweitausend, so
war ihre Rede, gibt es Dank der menschlichen Vernunft und der
Wissenschaft, keine unheilbaren Krankheiten mehr, keinen Krieg,
keinen Hunger; alle ihre Probleme hätte die Menschheit bis dahin
gelöst. Heute haben wir von all diesen Problemen noch eine gehörige
Portion mehr als damals. All die schönen Träume vom Paradies auf
Erden, das z.B. der Kommunismus auf der alleinigen Basis der
menschlichen Vernunft erschaffen wollte, sind gescheitert,
gescheiterter geht’s nicht.
Schaut hin - auf all die Kriege der Geschichte und auf die, die
heute geführt werden. Sie werden in der Regel geführt mit dem kalten
Kalkül eines menschlichen Verstandes, dem Menschenleben nichts
bedeuten, aber die Macht alles. Schaut hin - auf die Konflikte der
Erwachsenen. Ja, auch sie werden oft geführt aus dem kalten Kalkül
eines menschlichen Verstandes, dem Geld, Einfluss, das eigene
Rechthaben, die eigene Karriere alles bedeuten, und die Gefühle und
das Lebensrecht des anderen nichts. Denn beim Geld hört die
Freundschaft auf. Auch unser menschlicher Verstand ist leider immer
wieder für gutes Geld zu haben, gut für die Erfindung des Penicillin
und gut für die Erfindung der Atombombe. Gut für den Himmel und die
Hölle auf Erden.
„Verlass dich nicht auf deinen Verstand“. Auf was der König Salomo
sich verlassen hat, erzählt eine Geschichte, in der zwei Frauen mit
einem Säugling zu ihm kommen, die beide behaupten, die Mutter dieses
Kindes zu sein. Sie keifen, sie streiten, sie prügeln sich – ganz
wie im richtigen Leben -, bis der König Salomo die Schnauze voll hat
und einen seiner Soldaten ruft: „Nimm dein Schwert und hau das Baby
in der Mitte durch und gib jeder die Hälfte“. Da fällt die eine der
Frauen vor dem König nieder und sagt: „Gib der anderen das Kind. Ich
will nicht, dass es stirbt.“ Da lächelt der König und sagt: „Seht
ihr, das ist die Mutter dieses Kindes. Gebt es ihr, denn ihr war das
Leben dieses Kindes wichtiger, als ihr eigenes Glück.“ (frei nach 1.
Könige 3/16ff)
Und da merkt ihr schon, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, dass
der König Salomo kein Blödmann war. Und ihr merkt auch, dass dieser
König sich nicht auf seinen Verstand verlässt und auf das, was
irgendwelche Gesetze sagen. Dieser Mann lässt das Herz entscheiden.
Er hält das Herz für eine wesentlich höhere Instanz als die
menschliche Vernunft. Und da ist der Gott des Himmels und der Erde
völlig seiner Meinung. Denn, der Mensch sieht was vor Augen ist,
hört die schlauen und durchdachten Worte, schaut auf den Geldbeutel
und die Klamotten, lässt sich blenden von Glitzer und Glamour. Gott
aber sieht das Herz an. (1. Samuel 16/7)
Und deshalb baut Gott sein Himmelreich nicht mit Hilfe von
Intelligenzbestien, sondern mit Menschen, die das Herz auf dem
rechten Fleck haben. Denn das Herz entscheidet. Jeder und jede von
euch weiß das – noch. Noch sage ich, weil jedes Kind das weiß und es
ist die größte Tragödie des Erwachsenwerdens, diese einfachste und
tiefste Wahrheit unseres Lebens vergessen zu können. Und erst im
Alter, wenn der Blick zurück in die Kindertage wieder schärfer wird,
bekommt das Herz Gott sei Dank bei vielen Menschen seinen Platz
zurück, wie oft es auch gebrochen sein mag.
Denn zerbrechlich ist das Herz allemal. Und auch davon haben manche
von euch schon ganz schön Ahnung und manchmal blitzt das auch bei
euch auf hinter all dem coolen Getue und der nie enden wollenden
Spaßerei, zu der man als Jugendlicher von heute scheinbar verdammt
ist. Unsere Herzen sind zerbrechlich und sie müssen immer wieder und
sei es unter Tränen verbunden werden. Aber das ist gerade kein Grund
sich von dem Weg des Herzens abzuwenden und es zu verdrängen und zu
vergessen und mit ihm allen Schmerz und alles Glück.
Es ist vielmehr ein Grund, euch immer wieder nach Orten umzusehen,
wo euer Herz Trost und Geborgenheit findet. Das kann ein Mensch
sein, zu dem ihr volles Vertrauen habt. Einer, der zuhören und
schweigen kann und euch sehen kann mit den Augen seines Herzens. Das
kann immer und zu jeder Zeit Gott sein, weil auf den all das
zutrifft. Weil von dem gilt, was von dieser Mutter beim König Salomo
gilt. Auch Gott ist euer Leben wichtiger als sein eigenes Glück.
Jesus Christus geht den Weg des Herzens und der Liebe bis zum Tod am
Kreuz. Und an Ostern sorgt Gott dafür, dass dieses Leben und dieser
Weg des Herzens nicht beerdigt wird, sondern der Weg zum Leben für
alle Menschen bleibt.
Es gibt keinen anderen. Darum hört zuallererst auf euer Herz. Und
haltet dieses Herz nicht nur mit Sport gesund, sondern lasst es euch
von Gott immer wieder heil machen durch sein Wort und Sakrament. Wer
den Weg des Herzens geht, hat Gott an seiner Seite. Der verdient
euer Vertrauen. Und Gott vertrauen heißt glauben. Gebt ihm heute
euer Ja und er gibt euch seine Hilfe und seinen Segen dazu. Und dann
kann auch aus eurer Vernunft noch was werden: Ein Denken und
Handeln, das das Herz zu Rate zieht. Ein Denken und Handeln, das
Gott und sein Wort zu Rate zieht. Ein Denken und Handeln, dem das
Glück des anderen mindestens ebensoviel bedeutet, wie das eigene.
Drum hört die Weisung des König Salomo, der kein Blödmann war und
vergesst sie nicht: Verlasst euch nicht auf eueren Verstand. Benutzt
ihn. Aber das Herz entscheidet. Und der Friede Gottes, der höher ist
als alle Vernunft, bewahre euere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Mein Sohn, meine Tochter, vergiss meine
Weisung nicht, und dein Herz behalte meine Gebote,
2 denn sie werden dir langes Leben bringen und gute Jahre und
Frieden;
3 Gnade und Treue sollen dich nicht verlassen. Hänge meine Gebote an
deinen Hals und schreibe sie auf die Tafel deines Herzens,
4 so wirst du Freundlichkeit und Klugheit erlangen, die Gott und den
Menschen gefallen.
5 Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen, und verlass dich
nicht auf deinen Verstand,
6 sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich
recht führen.
7 Dünke dich nicht, weise zu sein, sondern fürchte den HERRN und
weiche vom Bösen.
8 Das wird deinem Leibe heilsam sein und deine Gebeine erquicken.
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